Wann Jasager nein sagen sollten

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Walther

Mitglied
Frank W. – Wann Jasager nein sagen sollten

Eine Episode*


Frank W. gehört zur Gruppe derer, die ja sagen, wenn andere sich verbröseln oder auch einfach nein sagen. Es gibt diese Sorte Mensch, die Arbeit sieht, wenn sie da liegt und die diesen Umstand nicht als Anlass nimmt, Reißaus zu nehmen. Solche Mitbürger haben es an sich, dass sie die Löcher stopfen, die andere freundlich hinterlassen.

Das ist für den Rest der Umwelt eine prima Sache, weil dadurch zumeist alles wie geschmiert läuft. Chefs wissen das ganz besonders zu schätzen. Manchmal wird dieses Verhalten mit Aufstieg belohnt, aber durchaus nicht immer. Pflichtbewusstsein in der beschriebenen Form kann auch Mobbing oder Ausnutzen zum Ergebnis haben.

Eine Eigenschaft, die sich mit dem Pflichtbewusstsein häufig paart, ist die Loyalität. Sie gilt der Sache gegenüber ebenso wie gegenüber Firma und Chef. Frank W. war ein über alle Maßen loyaler und verlässlicher Mitarbeiter, ohne Krankheitstage, ohne den Urlaub ganz zu nehmen und ohne einen Überstundenausgleich zu verlangen.

Frank W. hatte in mehrfacher Hinsicht Glück, wie man das in der Rückschau oft nennt. Er arbeitete im Vertrieb, und da zählen zuvörderst die Ergebnisse. Des Weiteren hatte er einen Vorgesetzten, der seinen Einsatz, sein Engagement, sein Der-Sache-Dienen schätzte, für den Vertrauenswürdigkeit und Loyalität und Einsatz bis an die Grenze der Selbstaufgabe wichtig war. Sein Chef stieg mit dem Wachstum des Maschinenbauunternehmens, bei dem Frank W. nach dem Studium im Vertrieb eingetreten war, vom Vertriebler über Vertriebsleitung bis in die Geschäftsführung auf, wo er im Moment das Ressort Vertrieb und Marketing verantwortet. Und er honorierte, durchaus selbstsüchtig, Frank W.s unermüdlichen Einsatz

Frank W., als seinen Vertrauten, Adlatus, Rechte Hand und loyalen Mitstreiter, nahm er deshalb bei dieser Reise mit. Heute ist Frank W. Vertriebsleiter und verantwortet den gesamten Vertrieb des Unternehmens im In- und Ausland. Das tut er mit großem Erfolg. Und das war der dritte Grund: Aufgaben, die man Frank W. übergab, wurden samt und sonders pünktlich und mit positivem Ausgang fraglos und klaglos erledigt.

Auf dieser fünfzehnjährigen Fahrt nach oben ist die Verantwortung auf seinen Schultern ständig gestiegen. Frank W.s Schultern haben sich unter dieser Last etwas nach vorne verlagert. Als Ausgleich ist ein kleiner Wohlstandsbauch gewachsen. Die Augenringe werden durch die Brille schmeichelhaft verdeckt. Die Schläfen sind ergraut, die Geheimratsecken nur wenig größer geworden. Je weniger Frank W. gut schlief, sollte Edith bald in einer streitigen Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann konstatieren, „desto besser schläft dein Chef!“

Mochte Edith zu Anfang die vielen Überstunden und Reisen noch hinnehmen, weil das wachsende Einkommen erst den Hausbau und dann noch manchen weiteren kleinen Luxus erlaubte. Seit Hänschen, der Sohn, die Familie vergrößert hatte und Edith nur noch mit halbem Deputat als Lehrerin arbeitete, verlangte sie mehr und mehr, dass er seiner Vaterrolle gerecht werden und sich zudem mehr um seine Gesundheit, den Garten und die immer wieder anfallenden Hausreparaturen kümmern sollte. Sowie um seinen Anteil an der Hausarbeit. Und zwar in genau dieser Reihenfolge

Der mangelnde Schlaf, das zunehmende Übergewicht, die fehlende Bewegung und der Stress hatten zur Folge, dass eines Nachts der Notarztwagen vor der Türe stand. Der Kardiologe gab danach zwar im gewissen Sinn Entwarnung. Mit Kürzertreten und einem Betablocker ließe sich die Sache im Griff behalten. Edith war seitdem in steter Sorge und setzte ihrem Ehemann zu, er solle endlich sein Leben ändern.

In der Firma führte das Ereignis zu einer Neubewertung der Vertriebsaufgabe und zur anschließenden Einstellung von weiteren Verkäufern und Vertriebsingenieuren. Frank W.s Arbeit wurde auf vier Köpfe verteilt und er zum Chef dieses Teams befördert. Seine Arbeitslast wurde dadurch erst einmal ziemlich zurückgefahren. Die Lage entspannte sich also, die Blutwerten wurden besser und die Stimmung der Eheleute hob sich. Auch gewann das Geschlechtsleben wieder neue Aspekte hinzu.

Leider jedoch schien der Erfolg an Frank W.s Händen zu kleben, so dass als Nächstes der Auf- und Ausbau des Auslandsgeschäfts auf ihn zukam, den er ohne Zögern übernahm und mit Bravour bewältigte. Das brachte ihm eine zwar weitere Beförderung ein, erheblich mehr Geld und einen größeren Firmenwagen, allerdings auch weniger Nachtschlaf und wieder zunehmenden Ärger mit der von ihm geliebten und verehrten Ehefrau.

Es gelang ihm irgendwie, den Sonntag für die Familie freizuschaufeln und wenigstens abends regelmäßig eine halbe Stunde zu laufen, allerdings löste er damit das Problem der Vernachlässigung von Edith ebenso wenig wie die Vernachlässigung der Haus- und Gartenarbeiten. Auch nahm er nicht an den Elternabenden des Sohns teil.

Edith bekam die Möglichkeit, einen Fachbereich in der Schule zu übernehmen. Damit verbunden war, dass sie wieder ein volles Deputat übernehmen sollte. Sie bestand darauf, diese Gelegenheit nicht wieder verstreichen zu lassen und mahnte an, dass er nun mehr gefordert sei und sie unterstützen müsse.

Diese Faktenlage führte zu einer immer dichter werden Kette an durchaus lautstarken Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten und zum fast völligen Einschlafen des Sexlebens. Eines schönen Tages, und so gar nicht aus dem Nichts, wie es gerne rückschauend heißt, setzte Edith ihrem Frank W. ein Ultimatum: „Entweder du hast mehr Zeit für Hänschen und mich, und damit ein echtes Privatleben, oder ich werde die Konsequenzen ziehen!“

Dies mit Aplomb zu sagen, war das Eine. Das Andere war, mitsamt Sohn vierzehn Tage zu ihren Eltern zu entfleuchen, und ihren verdatterten Ehemann zu Hause alleine im nicht so ganz kleinen Haus und mit recht leerem Kühlschrank an einem Samstagabend zu Beginn der Osterferien sitzen zu lassen. „Damit du mal in Ruhe Zeit hast, über deine Prioritäten nachzudenken!“ wurde er beschieden, als er fragte, ob das denn nun wirklich ohne Ankündigung und Vorwarnung sein müsse.

Sein Pech dabei war, dass sein Chef justamente in den Osterurlaub geflogen war und er also nichts, rein gar nichts, tun bzw. anleiern konnte. Der Sache die Krone auf setzte das Faktum, dass die Hannover Industrie als Leitmesse der Maschinenbaubranche vorzubereiten war, und das mit einem durch Urlaub und Krankheit ausgedünnten Team.

Frank W. sitzt total geplättet in der Küche am Esstisch, nachdem Edith und Hänschen lautstark ausgeflogen waren. Vor sich ein Bier, das er zum Glück im Keller gefunden hatte. Normalerweise trinkt er eigentlich kein Bier, und schon gar nicht statt Mittagessen. Das hatte es keins gegeben. Edith hatte vor ihrem Abrauschen weder etwas vorbereitet noch dafür eingekauft. Ihr Warnstreik war perfekt getimt.

Nach einigem Sinnieren holt er sich aus der Schublade einen Zettel und einen Kuli. Mit dem Küchenkühlschrank beginnend macht er Inventur, was an Essbarem und an Haushaltswaren da ist und was nicht. Den langen Einkaufzettel legt er auf den Tisch und schaut im Geldbeutel nach Barem. „Kluger Zug!“, murmelt er dann, als er entdeckt, dass auch dort ziemliche Ebbe herrscht. Jetzt sollte man die Geheimnummer der Bankkarte kennen. Oder wissen, wo man sie findet. Beides Fehlanzeige. „Die Rache ist fürchterlich!“, kommentiert er halblaut vor sich hin, mit leicht schiefem Grinsen. „Schöne Scheiße.“

Frank W. setzt sich wieder hin und nimmt einen Schluck aus dem Bierglas. Der schmeckt irgendwie schal und abgestanden. Und das wiederum passt perfekt zu seinem aktuellen Lebensgefühl im Allgemeinen und auch im Besonderen.

Probleme erfordern Lösungen, und Frank W. ist von Haus aus ein Problemlöser. Also nimmt er sein Smartphone zur Hand und ruft seinen Freund und Kollegen Günther an. Diesem schildert er erst stockend und dann im Schnelldurchlauf seine Lage. „Aha, hat sie ihre Drohungen also wahr gemacht. Frank, alter Freund, das war mit Ansage, und ich habe dich gewarnt gehabt!“ kürzt Günther die Eloge ab.

„Ich schlage vor, wir treffen uns im Kaufland um halb fünf. Da habe ich meine Sachen erledigt und kann mich für eine Stunde loseisen. Ich habe etwas Bargeld mit, das ich dir leihen kann, damit du das Nötigste einkaufen kannst. Wie du weißt, ist meine Regierung streng, und es geziemt sich nicht, sich ihrem Regiment entgegen zu stellen.“ Was als Scherz gemeint ist, erzeugt bei Frank W. nicht einmal ein müdes Lächeln, sondern hat ein brummelndes Ist-ja-schon-Gut zum Ergebnis.

Als Günther und Frank W. die gemeinsamen Einkäufe in Franks Auto geladen haben, sagt Günther zum Abschied. „Bei dir zuhause ist kurz vor zwölf. Wenn du es diesmal verkackst, ist deine Ehe Geschichte. Ich habe mit Ruth gesprochen. Die sieht mehr als schwarz, das tut sie zwar immer, diesmal jedoch ist das Schwarz noch schwärzer. Rabenschwarz, um es genau zu sagen. Nutz die vierzehn Tage Zeit und regle Deine berufliche Situation. Und mach Deinem Chef und Deinem Team klar, dass Deine Zeit als Ausputzer ihrer Schnitzer und Nachlässigkeiten erstmal vorbei ist.“

„Du hast gut reden, Günther. Wer macht das mit der Messevorbereitung? Wer übernimmt die mir zugeordnete Rolle des Stellvertreters vom Vertriebsgeschäftsführer? Er ist drei Wochen weg und hat sein Mobiltelefon abgestellt!“ Frank W. ist ratlos. „Selbst wenn ich es wollte, in den zwei Wochen Osterferien kriege ich das nicht gebacken!“

„Frank, Kollege, das ist dein Leben. Die Familie ist das Wichtigste. Du musst dich entscheiden. Entweder deine Ehe oder Dein Job. Ausweichen und Auf-die-lange-Bank-Schieben ist over and out. Edith wird das nicht nochmals zulassen. Ruth hat das ganz klar gemacht, als ich sie nach ihrer Einschätzung fragte. Das ist deine –eure! – letzte Chance.“

Günther klopft ihm auf die Schulter. „Alter, du wirst das schon schaffen und das Richtige tun. Wenn ich dir helfen kann, ruf an. Ich bin Montag im Geschäft. Wir müssen uns wegen des großen Angebots eh abstimmen.“ Sie reichen sich die Hand, und Frank W. steigt in den Wagen.
Dort sitzt er einige Zeit und starrt ins Nichts, die Hände auf das Lenkrad gelegt. Dann legt er den Kopf auf die Hände, und ein Schluchzen schüttelt ihn. Die Tränen rinnen ihm auf die Hände. Erst Minuten später schreckt er von einem Hupen irgendwo auf dem Kaufhausparkplatz auf. Die vorderen Scheiben sind angelaufen, so dass sein Weinen zum Glück niemand gesehen hat.

Frank W. nimmt ein Tempo aus der Jackentasche und schnäuzt sich. Er wischt die Tränen ab, startet den Motor und stellt die Lüftung auf Maximum. Nachdem die Scheiben wieder frei sind, setzt er zurück und fährt nach Hause.

Nach dem Ausladen und Einräumen geht er in die Küche und lässt sich wieder am Küchentisch nieder. Voller innerer Müdigkeit, die ihn bleiern heimsucht, stützt er zuerst die Ellenbogen auf und legt dann seinen Kopf in die Hände. Die Leere und die Stille hüllen ihn ein, umgeben ihn ganz und gar und vermitteln ihm eine Ahnung wie es sein könnte, wenn einträte, was als bedrohliches Szenario im Falle eines erneuten Versagens auf ihn wartete: Stille und Leere.

Und die Kälte des Verlusts und der Einsamkeit, die Seele und Körper bis in die letzte Faser ausleuchten.

*Abschnitt aus einem größeren Prosawerk
 
I

Inky

Gast
Ja.
Gut, glaubwürdig, echt, traurig.
Gut dargestellt!

Sehr gerne gelesen, mit liebem Gruß, Inky
 

Walther

Mitglied
hi inky,

danke für deine freundliche wertung und die sehr lieben worte zum text. prosa ist eher nicht meine stilrichtung, aber ich arbeite seit 2006 an einer prosasammlung, aus der dieser text stammt. gerade habe ich einen kleinen "lauf", so daß ich evtl. in den nächsten wochen noch weitere ergebnisse dieses anfalls von belletristischem größenwahns einstellen werde.

ein gutes neues an dich und alle lesenden und lupenden!

lg w.
 
I

Inky

Gast
Jou. Dem schließe ich inhaltlich sowas von an:
DIR, Walther alles Gute - und allen Lesenden und Lupenden...
...haste schön gesagt.
Weiterhin guten Lauf!

Inky *dasWunderkerzchenschwenk*
 

Walther

Mitglied
Frank W. – Wann Jasager nein sagen sollten

Eine Episode*


Frank W. gehört zur Gruppe derer, die ja sagen, wenn andere sich verbröseln oder auch einfach nein sagen. Es gibt diese Sorte Mensch, die Arbeit sieht, wenn sie da liegt und die diesen Umstand nicht als Anlass nimmt, Reißaus zu nehmen. Solche Mitbürger haben es an sich, dass sie die Löcher stopfen, die andere freundlich hinterlassen.

Das ist für den Rest der Umwelt eine prima Sache, weil dadurch zumeist alles wie geschmiert läuft. Chefs wissen das ganz besonders zu schätzen. Manchmal wird dieses Verhalten mit Aufstieg belohnt, aber durchaus nicht immer. Pflichtbewusstsein in der beschriebenen Form kann auch Mobbing oder Ausnutzen zum Ergebnis haben.

Eine Eigenschaft, die sich mit dem Pflichtbewusstsein häufig paart, ist die Loyalität. Sie gilt der Sache gegenüber ebenso wie gegenüber Firma und Chef. Frank W. war ein über alle Maßen loyaler und verlässlicher Mitarbeiter, ohne Krankheitstage, ohne den Urlaub ganz zu nehmen und ohne einen Überstundenausgleich zu verlangen.

Frank W. hat in mehrfacher Hinsicht Glück gehabt, wie man das in der Rückschau oft nennt. Er hat immer im Vertrieb gearbeitet, und da zählen zuvörderst die Ergebnisse. Des Weiteren hat er einen Vorgesetzten, der seinen Einsatz, sein Engagement, sein Der-Sache-Dienen schätzt, für den Vertrauenswürdigkeit und Loyalität bis an die Grenze der Selbstaufgabe wichtig ist. Sein Chef ist mit dem Wachstum des Maschinenbauunternehmens, bei dem Frank W. nach dem Studium im Vertrieb eingetreten war, vom Vertriebler über Vertriebsleitung bis in die Geschäftsführung aufgestiegen, wo er im Moment das Ressort Vertrieb und Marketing verantwortet. Und er honoriert, durchaus selbstsüchtig, ganz besonders Frank W.s unermüdlichen Einsatz

Frank W., als seinen Vertrauten, Adlatus, Rechte Hand und loyalen Mitstreiter, nimmt er deshalb bei dieser Reise mit. Heute ist Frank W. Vertriebsleiter und verantwortet den gesamten Vertrieb des Unternehmens im In- und Ausland. Das tut er mit großem Erfolg. Und das war der dritte Grund: Aufgaben, die man Frank W. übergab, wurden samt und sonders pünktlich und mit positivem Ausgang fraglos und klaglos erledigt.

Auf dieser fünfzehnjährigen Fahrt nach oben ist die Verantwortung auf seinen Schultern ständig gestiegen. Frank W.s Schultern haben sich unter dieser Last etwas nach vorne verlagert. Als Ausgleich ist ein kleiner Wohlstandsbauch gewachsen. Die Augenringe werden durch die Brille schmeichelhaft verdeckt. Die Schläfen sind ergraut, die Geheimratsecken nur wenig größer geworden. Je weniger Frank W. gut schlief, sollte Edith bald in einer streitigen Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann konstatieren, „desto besser schläft dein Chef!“

Mochte Edith zu Anfang die vielen Überstunden und Reisen noch hinnehmen, weil das wachsende Einkommen erst den Hausbau und dann noch manchen weiteren kleinen Luxus erlaubte hat. Seit Hänschen, der Sohn, die Familie vergrößert hatt und Edith nur noch mit halbem Deputat als Lehrerin arbeitet, verlangt sie mehr und mehr, dass er seiner Vaterrolle gerecht werden und sich zudem mehr um seine Gesundheit, den Garten und die immer wieder anfallenden Hausreparaturen kümmern soll. Sowie um seinen Anteil an der Hausarbeit. Und zwar in genau dieser Reihenfolge

Der mangelnde Schlaf, das zunehmende Übergewicht, die fehlende Bewegung und der Stress hat zur Folge gehabt, dass eines Nachts der Notarztwagen vor der Türe gestanden ist. Der Kardiologe hat danach zwar im gewissen Sinn Entwarnung gegeben. Mit Kürzertreten und einem Betablocker läßt sich die Sache im Griff behalten, hat er gesagt. Edith ist seitdem in steter Sorge und setzt ihrem Ehemann zu, er solle endlich sein Leben ändern.

In der Firma hat das Ereignis zu einer Neubewertung der Vertriebsaufgabe und zur anschließenden Einstellung von weiteren Verkäufern und Vertriebsingenieuren geführt. Frank W.s Arbeit wird auf vier Köpfe verteilt und er zum Chef dieses Teams befördert. Seine Arbeitslast ist dadurch erst einmal ziemlich zurückgefahren worden. Die Lage entspannt sich also, die Blutwerte sind besser geworden und die Stimmung der Eheleute hat sich gehoben. Auch gewinnt das Geschlechtsleben des Ehepaars W. nach einer gewissen Phase der Einstellung des Medikaments wieder neue Aspekte hinzu.

Leider jedoch scheint der Erfolg an Frank W.s Händen zu kleben, so dass als Nächstes der Auf- und Ausbau des Auslandsgeschäfts auf ihn zukommt, den er ohne Zögern übernommen und mit Bravour bewältigt hat. Das hat ihm eine zwar weitere Beförderung eingebracht, erheblich mehr Geld und einen größeren Firmenwagen, allerdings auch weniger Nachtschlaf und wieder zunehmenden Ärger mit der von ihm geliebten und verehrten Ehefrau.

Es gelingt ihm irgendwie erneut, den Sonntag für die Familie freizuschaufeln und wenigstens abends regelmäßig eine halbe Stunde zu laufen, allerdings löst er damit auf Dauer das Problem der Vernachlässigung von Edith ebenso wenig wie die Vernachlässigung der Haus- und Gartenarbeiten. Auch nimmt er nicht an den Elternabenden des Sohns teil.

Edith bekommt nun die Möglichkeit, einen Fachbereich in der Schule zu übernehmen. Damit verbunden ist, dass sie wieder ein volles Deputat haben wird. Sie besteht darauf, diese Gelegenheit nicht wieder verstreichen zu lassen, und mahnt dabei an, dass er nun mehr gefordert sei und sie unterstützen müsse.

Diese Faktenlage führt zu einer immer dichter werden Kette an durchaus lautstarken Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten und zum fast völligen Einschlafen des Sexlebens. Eines schönen Tages, und so gar nicht aus dem Nichts, wie es gerne rückschauend heißt, setzt Edith ihrem Frank W. ein Ultimatum: „Entweder du hast mehr Zeit für Hänschen und mich, und damit ein echtes Privatleben, oder ich werde die Konsequenzen ziehen!“

Dies mit Aplomb zu sagen, ist das Eine gewesen. Das Andere ist, mitsamt Sohn vierzehn Tage zu ihren Eltern zu entfleuchen, und ihren verdatterten Ehemann zu Hause alleine im nicht so ganz kleinen Haus und mit recht leerem Kühlschrank an einem Samstagabend zu Beginn der Osterferien sitzen zu lassen. „Damit du mal in Ruhe Zeit hast, über deine Prioritäten nachzudenken!“ wird er beschieden, als er fragte ob das denn nun wirklich ohne jede Ankündigung und Vorwarnung sein müsse.

Sein Pech dabei ist, dass sein Chef justamente in den Osterurlaub geflogen ist und er also nichts, rein gar nichts, tun bzw. anleiern kann. Der Sache die Krone auf setzt das Faktum, dass die Hannover Industrie als Leitmesse der Maschinenbaubranche vorzubereiten ist, und das mit einem durch Urlaub und Krankheit ausgedünnten Team.

Frank W. sitzt dementsprechend total geplättet in der Küche am Esstisch, nachdem Edith und Hänschen lautstark ausgeflogen sind. Vor sich ein Bier, das er zum Glück im Keller gefunden hat. Normalerweise trinkt er eigentlich kein Bier, und schon gar nicht statt Mittagessen. Das hat es keins gegeben. Edith hat vor ihrem Abrauschen weder etwas vorbereitet noch dafür eingekauft. Ihr Warnstreik ist tatsächlich perfekt getimt.

Nach einigem Sinnieren holt er sich aus der Schublade einen Zettel und einen Kuli. Mit dem Küchenkühlschrank beginnend macht er Inventur, was an Essbarem und an Haushaltswaren da ist und was nicht. Den langen Einkaufzettel legt er auf den Tisch und schaut im Geldbeutel nach Barem. „Kluger Zug!“, murmelt er dann, als er entdeckt, dass auch dort ziemliche Ebbe herrscht. Jetzt sollte man die Geheimnummer der Bankkarte kennen. Oder wissen, wo man sie findet. Beides Fehlanzeige. „Die Rache ist fürchterlich!“, kommentiert er halblaut vor sich hin, mit leicht schiefem Grinsen. „Schöne Scheiße.“

Frank W. setzt sich wieder hin und nimmt einen Schluck aus dem Bierglas. Der schmeckt irgendwie schal und abgestanden. Und das wiederum passt perfekt zu seinem aktuellen Lebensgefühl im Allgemeinen und auch im Besonderen.

Probleme erfordern Lösungen, und Frank W. ist von Haus aus ein Problemlöser. Also nimmt er sein Smartphone zur Hand und ruft seinen Freund und Kollegen Günther an. Diesem schildert er erst stockend und dann im Schnelldurchlauf seine Lage. „Aha, hat sie ihre Drohungen also wahr gemacht. Frank, alter Freund, das war mit Ansage, und ich habe dich gewarnt gehabt!“ kürzt Günther die Eloge ab.

„Ich schlage vor, wir treffen uns im Kaufland um halb fünf. Da habe ich meine Sachen erledigt und kann mich für eine Stunde loseisen. Ich habe etwas Bargeld mit, das ich dir leihen kann, damit du das Nötigste einkaufen kannst. Wie du weißt, ist meine Regierung streng, und es geziemt sich nicht, sich ihrem Regiment entgegen zu stellen.“ Was als Scherz gemeint ist, erzeugt bei Frank W. nicht einmal ein müdes Lächeln, sondern hat ein brummelndes Ist-ja-schon-Gut zum Ergebnis.

Als Günther und Frank W. die gemeinsamen Einkäufe in Franks Auto geladen haben, sagt Günther zum Abschied. „Bei dir zuhause ist kurz vor zwölf. Wenn du es diesmal verkackst, ist deine Ehe Geschichte. Ich habe mit Ruth gesprochen. Die sieht mehr als schwarz, das tut sie zwar immer, diesmal jedoch ist das Schwarz noch schwärzer. Rabenschwarz, um es genau zu sagen. Nutz die vierzehn Tage Zeit und regle Deine berufliche Situation. Und mach Deinem Chef und Deinem Team klar, dass Deine Zeit als Ausputzer ihrer Schnitzer und Nachlässigkeiten erstmal vorbei ist.“

„Du hast gut reden, Günther. Wer macht das mit der Messevorbereitung? Wer übernimmt die mir zugeordnete Rolle des Stellvertreters vom Vertriebsgeschäftsführer? Er ist drei Wochen weg und hat sein Mobiltelefon abgestellt!“ Frank W. ist ratlos. „Selbst wenn ich es wollte, in den zwei Wochen Osterferien kriege ich das nicht gebacken!“

„Frank, Kollege, das ist dein Leben. Die Familie ist das Wichtigste. Du musst dich entscheiden. Entweder deine Ehe oder Dein Job. Ausweichen und Auf-die-lange-Bank-Schieben ist over and out. Edith wird das nicht nochmals zulassen. Ruth hat das ganz klar gemacht, als ich sie nach ihrer Einschätzung fragte. Das ist deine –eure! – letzte Chance.“

Günther klopft ihm auf die Schulter. „Alter, du wirst das schon schaffen und das Richtige tun. Wenn ich dir helfen kann, ruf an. Ich bin Montag im Geschäft. Wir müssen uns wegen des großen Angebots eh abstimmen.“ Sie reichen sich die Hand, und Frank W. steigt in den Wagen.
Dort sitzt er einige Zeit und starrt ins Nichts, die Hände auf das Lenkrad gelegt. Dann legt er den Kopf auf die Hände, und ein Schluchzen schüttelt ihn. Die Tränen rinnen ihm auf die Hände. Erst Minuten später schreckt er von einem Hupen irgendwo auf dem Kaufhausparkplatz auf. Die vorderen Scheiben sind angelaufen, so dass sein Weinen zum Glück niemand gesehen hat.

Frank W. nimmt ein Tempo aus der Jackentasche und schnäuzt sich. Er wischt die Tränen ab, startet den Motor und stellt die Lüftung auf Maximum. Nachdem die Scheiben wieder frei sind, setzt er zurück und fährt nach Hause.

Nach dem Ausladen und Einräumen geht er in die Küche und lässt sich wieder am Küchentisch nieder. Voller innerer Müdigkeit, die ihn bleiern heimsucht, stützt er zuerst die Ellenbogen auf und legt dann seinen Kopf in die Hände. Die Leere und die Stille hüllen ihn ein, umgeben ihn ganz und gar und vermitteln ihm eine Ahnung wie es sein könnte, wenn einträte, was als bedrohliches Szenario im Falle eines erneuten Versagens auf ihn wartete: Stille und Leere.

Und die Kälte des Verlusts und der Einsamkeit, die Seele und Körper bis in die letzte Faser ausleuchten.

*Abschnitt aus einem größeren Prosawerk

Folgetext: Eine Krise kommt selten allein.
 



 
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