War's das?

salzhering

Mitglied
War\'s das?
Ja, ich glaube, das war\'s!
Ich sehe mein Leben vor meinem inneren Auge ablaufen.

Das da bin ich!
Wo, fragen Sie?
Sehen Sie die Brünette in dem engen Schwarzen?
Na ja, ich bin nicht direkt die Brünette.
Mich finden Sie etwas weiter unten.
Sehen Sie ihre Schuhe? Da bin ich… ehm… wir.
Damals waren wir noch ein Paar.
Hier sehen Sie eines unserer Turniere.

An die Brünette erinnere ich mich gut. Wir tanzten den Tango und sie hatte erfreulicherweise ihre Mitte gefunden. Sie strapazierte meinen Absatz nicht unnötig.
Ohne Neid: Sie war eine herausragende Tänzerin.
Und das verdankt sie nur mir!

Sehen Sie diese Schlusspose?
Schauen Sie sich ihre Fesseln an! Nur mein fein geschwungener Absatz lässt diese Elefantentatzen zierlich wirken.

Ach, mir wird ganz warm ums Riemchen, wenn ich meinen Linken sehe.
Wissen Sie, wir haben damals immer gewettet, ob wir diese Turniere gewinnen würden oder nicht.
Der Einsatz war immer der gleiche: Dem Gewinner gehörte in der nächsten Nacht der mit Samt ausgelegte Schuhkarton ganz alleine.
Die Turniere gewannen wir immer.
Und ich verlor immer die Wetten.
Warum, fragen Sie?
Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis.
Am kleinen Zeh des linken Fußes unserer Brünetten wuchs ein nässender Fußpilz.
Wenn ich mich an den Geruch meines Linken zurückerinnere, kann ich nicht behaupten, dass ich jemals wirklich verloren habe, wenn ich draußen schlafen musste.
Insbesondere, nachdem uns unsere Brünette zuvor stundenlang misshandelt hatte.
Sie watete mit unseren vom Turnier zerschundenen Wildledersohlen durch Champagner.
Und je später der Abend, umso mehr kämpfte die Brünette um ihre kostbare Mitte und strapazierte doch unsere Absätze.

Wie naiv wir damals waren. Wir glaubten an das Märchen, dass Tänzer die Schuhe ewig in Ehre hielten, mit denen sie einen Sieg ertanzt hatten. Das war angeblich auch der Grund, warum sie uns zu ihren Siegesfeiern nicht auszogen.

Ja, was glauben Sie wohl?
Unsere Brünette war zu faul, sich dem Anlass entsprechend Badelatschen anzuziehen. Und so durften wir am eigenen Leibe erfahren, dass Champagner manchmal nicht nur die Zunge, sondern auch die sensiblen Nähte exklusiver Schuhe löst.
Und da waren sie plötzlich: Die Anzeichen, von denen ich glaubte, dass ich sie niemals sehen würde.
Neue Schuhe! Silbern glänzend standen sie da mit ihrem Fußrücken-Strass-Steg.
Gott, wie kitschig!

Wir wurden an eine Blondine verschenkt.
Eine Blondine, die nicht tanzen konnte.
Ständig kratzte sie unsere Sohlen auf, in der Hoffnung, das stumpfe Leder würde ihre Schrittfolgenfehler in strahlende Posen verwandeln.
Weil sie trotzdem aufgrund ihrer unkoordinierbaren Hampeleien über ihre eigenen Füße stolperte, trat sie uns!
Wütend stapfte sie auf den Boden und wenn sie besonders erregt war, trampelte sie auf den Schuhen ihrer Tanzpartner herum.

Als wir schließlich beim Tango wegrutschten, war selbst mir klar, dass sich etwas ändern musste.
Die Blondine änderte etwas.
Mein Linker und ich, wir flogen quer durch den Saal und rutschten unter eine Heizung.
Spinnweben klebten an mir.

Später spürte ich jemanden an meinem Riemchen.
Wir wurden gefunden und beim Hinausgehen in einen Mülleimer fallengelassen.
Kurz darauf wühlte ein Mann im Müll.
Er verschenkte uns an eine Rothaarige.

Sie rümpfte die Nase.
Es war empörend!
Frauen gerieten bei unserem Anblick gewöhnlich in Verzückung.
Erfreulicherweise besaß diese Göre zumindest genug Anstand, uns anzuziehen.
Krümel klebten an ihrer Fußsohle und zwischen ihren Zehen hingen Fusseln.
Wenigstens stank sie nicht!

Dafür stank der Ort, an dem sie tanzte.
In meiner bierdurchtränkten Sohle steckte der Splitter einer Flasche.
Meine wenigen, noch verbliebenen Nähte lösten sich langsam auf.

Bereits nach einem Tanz führte ihr Partner unsere Rothaarige von der Bühne durch den Tanzsaal in den hinteren Bereich dieses Etablissements, in dem man sich in Separees zurückziehen konnte.
Doch wir gingen weiter, den Flur entlang zum Hinterausgang.
Wir stiegen in ein Auto.
Weicher Teppichboden streichelte meine gequälten Sohlen.

Als wir wieder anhielten hörte ich in der Ferne einen Hund kläffen; vor uns war ein Kiesweg und als ob das alles nicht reichen würde, blutete die Rothaarige mich auch noch voll.

Ich kann vieles ertragen;
lass sie dreckig sein, lass sie schwitzen, lass sie Hühneraugen haben;
völlig egal, aber Füße dürfen nicht bluten.
Vor allem da ich Zeit meines Lebens nie mit Lederpflege behandelt wurde,
was ich verdammt noch mal verdient hätte!
Zum Teufel!
Ich bin ein Turnier-Tango-Schuh!

Ach was rege ich mich denn überhaupt noch auf?
Was danach passierte, ist schnell erzählt.
Unsere Rothaarige ließ sich von ihrem Tanzpartner auf ein Bett werfen.
Kichernd zog sie meinen Linken aus und ließ ihn fallen. Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah.

Gerade als sie mich auch ausziehen wollte, zog ihr Tanzpartner mich nah zu sich ran und küsste die schmutzigen Zehen, die vorn aus meinem Leder herausguckten.
Er setzte mich aufs Bett und öffnete mein Riemchen.

Plötzlich brach ich durch die Oberfläche.
Wasser!

Die Rothaarige sprang auf; mein Absatz brach.
Dann weiß ich nur noch, dass plötzlich überall Wasser war. Durch alle Ritzen lief es, auch durch die Ritze in meiner Sohle, in der der Bierflaschensplitter steckte, der das Wasserbett aufgeschlitzt hatte.

Mein Absatz hing an einem Faden.
Die Rothaarige zog mich aus und warf mich in die Fluten.
Ich ertrank.









Ja glauben Sie wirklich allen Ernstes, ich erzähle Ihnen hier die Geschichte eines ertrunkenen Tangoschuhs?

Es kam viel profaner. Am Ende erwischte mich der Alptraum eines jeden Schuhs.
Der Hausterrier rettete mich vor dem Ertrinken
und verbiss sich in meinem Leder.

War\'s das?
Ja, ich glaube, das war\'s!
 



 
Oben Unten