Warmer Schnee

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bosbach46

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Warmer Schnee

Wenn wenigstens Schnee fiele. Dann wäre zur Jahreswende genau die Wetterlage vorhanden, die Du so liebst. Es regnet ununterbrochen, seit Stunden bereits. Und auf der Brücke stehen eng gedrängt die Menschen. Sie warten auf das Feuerwerk. Dann, dein Anruf. Deine Stimme spiegelt die Hektik wieder, die gerade bei euch eingetreten war. An ein pünktliches Schichtende sei nicht zu denken. Eben erst sei noch ein Junge eingeliefert worden, dessen Verbrennungen..., na ja, Du kannst dir ja den Aufwand vorstellen. Gut,antwortete ich, ich warte trotzdem, in dem kleinen Hotel direkt vor der Brücke. Es kann früher Morgen werden, meinte sie. Ich will Dich zum Jahresanfang fühlen und ich warte! Okay, erwiderte sie.

Vor dem Haupteingang der Hotelbar versperrte eine Menschentraube den Weg. Ich benutzte den Seiteneingang. Achtlos ging ich an dem Rettungswagen vorbei, der mit eingeschaltetem Blaulicht vor dem Eingang parkte. Im Flur, vor dem Zigarettenautomaten, stand eine hünenhafte Frau und versuchte Zigaretten zu ziehen.

Du meine Güte, schon wieder kaputt, seufzte sie langgezogen.
Sie hob den Arm dabei und ließ ihre Hand leicht fallen. Ihr Haar war zu einem Turm aufgesteckt. In Bauchnabelhöhe schloß eine blaue Nerzjacke ab. Unter ihrem schwarzen Minirock stachen grobmaschige, schwarze Strümpfe hervor, natürlich mit Naht. Die Absätze ihrer Schuhe waren eine Art artistischer Herausforderung, höher ging es nicht mehr. Ihr Gesicht wirkte herb, sie war ein Mann. Vielleicht ein Mann, dem die Natur nicht erlaubt hatte, als Frau ins Leben treten zu dürfen.

Du kannst von mir Zigaretten haben, bot ich an und reichte ihr oder ihm eine Schachtel hin.
Wirklich süß von Dir, Kleiner, hauchte sie. Kleiner, wurde für den Rest der Nacht mein neuer Name. Obwohl ich mit einhundervierundachtzig Zentimetern keineswegs zwergwüchsig war, kam ich mir im Vergleich zu ihrem schwerfälligen, hochgewachsnen Köper tatsächlich klein vor.

Sie legte ihren Arm auf meine Schulter und schob mich sanft in das Lokal. Schrill, rief sie "huhu" und wie einstudiert riefen die hinter der Theke stehenden Transen "huhu" zurück. Der fraulich-männliche Koloß hatte von mir Besitz ergriffen. Sie oder er oder was immer dieser Mensch war, stellte mich als frische Errungenschaft vor und herzte mich mit feuchten Küssen ungestüm ab. Mehr gezerrt, als gebeten wurde ich auf die Tanzfläche gedrückt. Durchaus bemerkte ich das erotische Knistern, das durch den gesamten Raum flirrte und mich sanft einlullte. Ich tanzte Twist. Genauer, ich wurde umtwistet. Die Transen stellten mich in den Mittelpunkt, knuften mich seicht und forderten mich zu immer wilderen Tanzaktionen auf. Schnellstens rann mir der Schweiß herab und mein Blickaustausch, meine ständig wechselnden Augenkontakte brachen in ein neues Land ein.

Meine Mäzenin hielt plötzlich inne und zog mich, wie eine Mutter ein Kleinkind gegen dessen Willen durch den Supermarkt schleift, zur Theke. Mir reichte sie Mineralwasser und sah mir belustigt ins Gesicht.

Weißt Du Kleiner, was ich geil finde?
Nein, ich wußte es nicht.
Ungebremst fuhr sie fort, die Kripo und der Notarzt seien im Hause. Mir fiel der Rettungswagen wieder ein, den ich vor dem Seiteneingang wieder gesehen hatte.

Warum, was ist geil daran, wollte ich wissen.

Sie kam nah an mich heran und leckte unerwartet mein Ohrläppchen.
Weil, flüsterte sie, sich im Hinterzimmer ein alter Knacker zu Tode gewichst habe. Sie kicherte jetzt.

Werden Sie belästigt, hörte ich Jemanden fragen. Ich schüttelte den Kopf. Nein, dachte ich, ich komme hier klar und wurde prompt von einem Frau-Kerl, der einen üppigen hormongeförderten Busen vorweisen konnte,auf die Tanzfläche gezogen. Ruhige Musik setzte ein. Das vampähnliche Wesen schmiegte sich sanft an meinen Körper und wir drehten uns versunken dahin. Um uns herum tobte ein Fest, jenseits aller mir vertrauten Spielregeln und neugierig betrachtete ich die aufgedonnerten Elfen, Matronen und großen Damen, die den Raum füllten. Nach und nach bemerkte ich, wie müde die Transvestiten unter ihrem blendenden Make-Up wirkten. Wie sie traurig ihre Blicke ziellos ins Irgendwo richteten und fühlte für einen Bruchteil, dass ich es hier mit Menschen zu tun hatte, die von einer unstillbaren Sehnsucht
getrieben wurden. Der glamoröse Glitzer, die tempostarke Heiterkeit wirkte wie neuer Lack auf einem durchrosteten Auto.

Und dann spürte ich die Hände der Hünin. Sie war mir zur Tanzfläche gefolgt und kreiste hinter mir mit ihren tellergroßen Pranken auf meinen Hintern. Ich sei ein untreues Bengelchen, eine Sternschnuppe, meinte sie versöhnlich. Und dann sah ich durch den Dunst das Gesicht meiner Frau. Sie lächelte warmherziger denn je. Innerlich entzündete sie eine Rakete nach der anderen, die in meinem Bauch einen gewaltigen Funkenregen versprühten und eine Gänsehaut erfasste in Wellen meinen Körper. Die Dicke umkreiste noch immer meinen Po von hinten, das Busenwunder umschlang mich wie ein Oktupus und meine Frau drängte sich dazwischen und schob mir ihre Zunge in den Hals. Sie wurde gestreichelt, ich spürte durchdringende Zärtlichkeit. Stunden später zogen wir unsere Mäntel an. Berauscht und verwöhnt gingen wir auf den Ausgang zu.Meine Hünin warf mir ein Kußhändchen zu und mein Busenwunder schlug überzeichnet die Augenlider herab und lächelte mich tiefgründig an.

Draußen scheite es. Meine Frau hielt mein Gesicht, zärtlich zwischen ihren Händen, die noch ein wenig nach einem Desinfektionsmittel rochen und sagte mit ihrer tiefen Stimme, die ich besonders am Telefon so mochte, ich will Dich! Dann schmolzen auf meinem überhitzten Gesicht die ersten Schneeflocken des neuen Jahres und eine paradiesische Zufriedenheit wuchs in mir. Auf der inzwischen menschenleeren Brücke, zeugten wir, jetzt nur noch zu bloßer Leidenschaft geworden, unser Neujahrskind.
 
E

ElsaLaska

Gast
Hallo bosbach,

hat mir sehr gut gefallen, Deine Geschichte, einerseits sehr sensibel erzählt, andererseits schrill und realitätsnah. Gute Mischung.

Kleine Fehler:
"Schrill, rief sie "huhu" und wie einstudiert riefen die hinter der Theke stehenden Transen "huhu" zurück."
Schrill rief sie "Huhu!" und wie .... Transen "Huhu!" zurück.

"knuften mich seicht"
knuFFten

"hörte ich Jemanden fragen"
jemanden klein.

"wie ein Oktupus" OktOpus

"Draußen scheite es"- schNeite es

Komma im letzten Satz überprüfen!

Gute Bewertung von mir.

Lieben Gruss
Elsa
 

Zefira

Mitglied
Fein. Gefällt mir sehr!
Zwei Kleinigkeiten noch:

"Deine Stimme spiegelt die Hektik wieder, die gerade bei euch eingetreten war" - falsche Zeit im Nebensatz, es müßte heißen: "... eingetreten ist."
"Obwohl ich mit einhundervierundachtzig Zentimetern keineswegs zwergwüchsig war..." - ist er doch wohl immer noch, da (hoffentlich) weder gestorben noch gewachsen, also Präsens, bitte.

Ist nur Erbsenzählerei - ich freue mich über jede Geschichte, die mir Kleinbürgerin ein fremdes und (ich gestehe) suspektes Milieu sympathisch nahebringt. Sensibel ud schrill zugleich, Elsa hats schon perfekt gesagt. Fein!
Grüßle,
Zefira
 



 
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