Es hatte den ganzen Tag über geschneit.
In dieser herabgesunkenen Stille gab es weder Himmel noch Erde. Nur Schnee, der im Wind wirbelte und die Fensterscheiben an den Häusern bemalte, die Räume dahinter auskühlte und die Stadt zum Schweigen brachte.
Die Räder und Tritte auf der Straße bewegten sich lautlos.
Den beiden Männern unterhalb der Brücke schien es so, als verliefe das Leben wie hinter einem undurchdringlichen Vorhang weiter.
"Das Leben verläuft nicht so, wie du es dir vorstellst. Es geht seinen eigenen Weg. Und das ist nicht das Gleiche, Bert."
"Didi, lass uns gehn."
"Wir können nicht, Bert."
"Warum nicht?"
"Hast du es schon wieder vergessen, Bert?"
"Was?"
"Warten, warten auf Go. Er hat uns versprochen zu kommen, Bert."
"Ach ja, ich erinnere mich wieder, es ist mir wie eine Ewigkeit, Didi."
"Was?"
"Dieses Warten! Es macht mich ganz krank."
Das Schweigen der versunkenen Stadt drang zu ihnen und hüllte sie ein wie in einem Wattebausch.
Nur der gelegentliche Glockschlag der nahen Kirchturmuhr kratzte an der kristallenen Stille.
"Die Zeit vergeht..., vergeht im Warten, so ist das Leben, Bert."
"Aber ich wollte doch nur glücklich werden, Didi."
"Es ist nicht so, dass ich unbedingt glücklich sein wollte, das nicht gerade."
"Was denn?"
"Irgendwann im Leben kommst du an einem Punkt, da willst du dich nur noch retten. Aber das habe ich erst spät, viel zu spät begriffen, auf welche Seite ich mich schlagen musste."
"Sag, Didi, auf welche?"
"Auf die Seite der Sehnsüchte."
"Didi, wir müssen nachlegen, unser Feuer geht uns sonst verloren."
"Wir sind es, Bert."
"Was?"
"Verloren."
"Ach nein, wir haben doch noch unsere Sehnsüchte, Didi."
"Ja, wir warten, wir warten auf Go, er hat uns versprochen zu kommen."
"Wir finden doch immer was, um uns einzureden, dass wir exestieren, nicht wahr Didi?"
"Ja, ja, wir sind wahre Zauberer."
Didi zündete sich eine Zigarette an. Sie leuchtete wie ein Glühwürmchen. Er paffte und war damit beschäftigt, Rauchringe in die Luft zu blasen, die wie hohle Augen im Nichts zergingen.
"Welchen Tag haben wir denn heute, Didi?"
"Ich weiß es nicht, ist es so wichtig?"
"Nein, eigentlich nicht..., die Zeit rinnt dahin, vergeht im Warten."
"Ja, ich erinnere mich..., wie eine Ewigkeit kommt es mir vor, Didi."
"Komm lass und gehn."
"Als ich mich noch nicht sehnen konnte, versuchte ich ein Gutmensch zu sein, doch dann entdeckte ich, wie absurd mein Leben war."
"Didi, das Feuer, unser Feuer geht uns verloren, wir müssen nachlegen..."
Schließlich schliefen sie unter ihren Wolldecken ein.
Sie träumten den gleichen Traum:
Es war ein warmer Frühlingstag, kurz vor Ostern.
Ein Prozessionszug wurde von einem alten Mann angeführt. Mit seiner Rechten tastete er mit dem Blindenstock den Gebirgspfad ab. Alle folgten ihm. Die Mädchen trugen weiße Kleider und Myrthen in den Haaren. Flecken von Sonnenlicht schwebten wie Schmetterlingen darüber.
Niemand wagte die feierliche Stille zu stören.
Doch endlich fragte eine Frau am Ende des Zuges:
"Wohin führt uns der Blinde?"
"Das weiß niemand," antwortete ein Mann an der Spitze der Prozession.
"Vielleicht besteht des Blinden Sehnsuht darin, wieder sehen zu können und doch weiß er, dass die Nacht kein Ende haben wird. Er ist immer unterwegs. Das ist sein Leben," sprach ein Anderer.
Und die Menschen, die das hörten, beschlossen dem Blinden weiter zu folgen.
Niemand wagte mehr, die sinnlose Stille zu stören.
Als die beiden Männer unter der Brücke wieder aufwachten, war es stockdunkel geworden. Nur die Holzscheide im Feuer glimmte noch.
Es hatte aufgehört zu schneien.
Mit schläfrigen Augen eines Krokodils sah Bert, wie sich der Mond, so dünne und so gelb wie eine matte Zitronenschale über die am Boden Hockenden krümmte und milchiges Licht in ihren Brückbogen verschüttete.
"Weißt du, Bert, irgenwann in deinem Leben wird dir klar, dass du dich nicht mehr nach Etwas sehnen kannst, ohne dir selbst weh zu tun. Ich hatte mit meiner ganzen Kraft gesehntund dabei habe ich mir so sehr weh getan, das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen."
"Didi, lass uns gehn."
"Ja, wir wollen leben, Bert, komm wir gehen, wir sind die Herren unserer Tage!"
"Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." (Camus: Der Mythos des Sisiphos)
In dieser herabgesunkenen Stille gab es weder Himmel noch Erde. Nur Schnee, der im Wind wirbelte und die Fensterscheiben an den Häusern bemalte, die Räume dahinter auskühlte und die Stadt zum Schweigen brachte.
Die Räder und Tritte auf der Straße bewegten sich lautlos.
Den beiden Männern unterhalb der Brücke schien es so, als verliefe das Leben wie hinter einem undurchdringlichen Vorhang weiter.
"Das Leben verläuft nicht so, wie du es dir vorstellst. Es geht seinen eigenen Weg. Und das ist nicht das Gleiche, Bert."
"Didi, lass uns gehn."
"Wir können nicht, Bert."
"Warum nicht?"
"Hast du es schon wieder vergessen, Bert?"
"Was?"
"Warten, warten auf Go. Er hat uns versprochen zu kommen, Bert."
"Ach ja, ich erinnere mich wieder, es ist mir wie eine Ewigkeit, Didi."
"Was?"
"Dieses Warten! Es macht mich ganz krank."
Das Schweigen der versunkenen Stadt drang zu ihnen und hüllte sie ein wie in einem Wattebausch.
Nur der gelegentliche Glockschlag der nahen Kirchturmuhr kratzte an der kristallenen Stille.
"Die Zeit vergeht..., vergeht im Warten, so ist das Leben, Bert."
"Aber ich wollte doch nur glücklich werden, Didi."
"Es ist nicht so, dass ich unbedingt glücklich sein wollte, das nicht gerade."
"Was denn?"
"Irgendwann im Leben kommst du an einem Punkt, da willst du dich nur noch retten. Aber das habe ich erst spät, viel zu spät begriffen, auf welche Seite ich mich schlagen musste."
"Sag, Didi, auf welche?"
"Auf die Seite der Sehnsüchte."
"Didi, wir müssen nachlegen, unser Feuer geht uns sonst verloren."
"Wir sind es, Bert."
"Was?"
"Verloren."
"Ach nein, wir haben doch noch unsere Sehnsüchte, Didi."
"Ja, wir warten, wir warten auf Go, er hat uns versprochen zu kommen."
"Wir finden doch immer was, um uns einzureden, dass wir exestieren, nicht wahr Didi?"
"Ja, ja, wir sind wahre Zauberer."
Didi zündete sich eine Zigarette an. Sie leuchtete wie ein Glühwürmchen. Er paffte und war damit beschäftigt, Rauchringe in die Luft zu blasen, die wie hohle Augen im Nichts zergingen.
"Welchen Tag haben wir denn heute, Didi?"
"Ich weiß es nicht, ist es so wichtig?"
"Nein, eigentlich nicht..., die Zeit rinnt dahin, vergeht im Warten."
"Ja, ich erinnere mich..., wie eine Ewigkeit kommt es mir vor, Didi."
"Komm lass und gehn."
"Als ich mich noch nicht sehnen konnte, versuchte ich ein Gutmensch zu sein, doch dann entdeckte ich, wie absurd mein Leben war."
"Didi, das Feuer, unser Feuer geht uns verloren, wir müssen nachlegen..."
Schließlich schliefen sie unter ihren Wolldecken ein.
Sie träumten den gleichen Traum:
Es war ein warmer Frühlingstag, kurz vor Ostern.
Ein Prozessionszug wurde von einem alten Mann angeführt. Mit seiner Rechten tastete er mit dem Blindenstock den Gebirgspfad ab. Alle folgten ihm. Die Mädchen trugen weiße Kleider und Myrthen in den Haaren. Flecken von Sonnenlicht schwebten wie Schmetterlingen darüber.
Niemand wagte die feierliche Stille zu stören.
Doch endlich fragte eine Frau am Ende des Zuges:
"Wohin führt uns der Blinde?"
"Das weiß niemand," antwortete ein Mann an der Spitze der Prozession.
"Vielleicht besteht des Blinden Sehnsuht darin, wieder sehen zu können und doch weiß er, dass die Nacht kein Ende haben wird. Er ist immer unterwegs. Das ist sein Leben," sprach ein Anderer.
Und die Menschen, die das hörten, beschlossen dem Blinden weiter zu folgen.
Niemand wagte mehr, die sinnlose Stille zu stören.
Als die beiden Männer unter der Brücke wieder aufwachten, war es stockdunkel geworden. Nur die Holzscheide im Feuer glimmte noch.
Es hatte aufgehört zu schneien.
Mit schläfrigen Augen eines Krokodils sah Bert, wie sich der Mond, so dünne und so gelb wie eine matte Zitronenschale über die am Boden Hockenden krümmte und milchiges Licht in ihren Brückbogen verschüttete.
"Weißt du, Bert, irgenwann in deinem Leben wird dir klar, dass du dich nicht mehr nach Etwas sehnen kannst, ohne dir selbst weh zu tun. Ich hatte mit meiner ganzen Kraft gesehntund dabei habe ich mir so sehr weh getan, das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen."
"Didi, lass uns gehn."
"Ja, wir wollen leben, Bert, komm wir gehen, wir sind die Herren unserer Tage!"
"Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." (Camus: Der Mythos des Sisiphos)