Warum willst du fort?

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Vera-Lena

Mitglied
Warum willst du fort?

Das Licht ist ein Fährmann,
sagst du,
ziehst mir die Sonnenkappe
tiefer über die Augen.
Irgendwann wird es dich
entführen,
wenn du deinen Körper
schmetterlingsgleich
verwandelt hast.

Leugne es nicht,
ich habe dich üben gesehen:
ein Flatterding mit
schwerfälligen Sprüngen noch,
eingezwängt
zwischen den Weiden
am Fluss.

Die Sonne habe ich kichern
gehört,
aber mir ist dabei
nicht komisch
zu Mute.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Vera-Lena!

Wenn du die dritte Strophe ersatzlos streichen würdest, dann wäre dies ein klasse Gedicht.
Du ziehst nämlich hier eine Schlussfolgerung, die du dem Leser überlassen solltest. Du lässt mir so keinen Raum für eigene Gedanken, schade.

In der zweiten Strophe würde ich schreiben:
"ich sah dich üben"

Das hörst sich m.E. sprachlich besser an.

Aber ansonsten gerne gelesen!

Liebe Grüße
Manfred
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Franke,

danke für Deinen Kommentar!

"Ich sah Dich üben" hatte ich auch ins Auge gefasst, aber das war mir dann vom Klang her zu krass, es hörte sich so streng und so wenig liebevoll an.

Die dritte Strophe wegzulassen, würde, nach meiner Ansicht, den Text zu stark verschlüsseln.

Sieh einmal, da spürt der Partner, dass die Geliebte sich auflösen möchte. Sie aber will diesen Sachverhalt nicht zugeben. Letzteres könntest Du außer in der dritten Strophe nirgendswoher entnehmen. Es ist aber wichtig für diesen Text.
Das "eingezwängt zwischen den Weiden am Fluss" gibt genügend Spielraum für Interpretationen. Was könnte damit gemeint sein?
Insofern bietet gerade die dritte Strophe den Spielraum für eigene Gedanken.

Ich freue mich aber, dass Dir der Text ansonsten zusagt.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
Liebe Vera Lena,
ich weiß nicht, ob sich der Sinn deines Gedichtes mir richtig erschlossen hat.
Ich hätte mich so geäußert:

Du willst von mir gehen,
ich glaube es nicht.
Ich kann's nicht verstehen,
du raubst mir das Licht.
Mutierst von der Raupe zum Schmetterling.
Du gehörst doch zu mir, du trägst meinen Ring.
Warum schaffst du Leiden
Ich liebe dich sehr.
Am Fluss zwischen Weiden
fliegst du hin und her.
Die Sonne, sie lacht,
doch traurig bin ich.
Was hast du gemacht,
Ich wein' bitterlich.

Viele Grüße
Marie-Luise
 

MarenS

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

"ich sah dich üben" ist für mich fast zwingend. Die andere Formulierung erscheint mir aus welchem Grund auch immer fehl am Platz. Eine eher intuitive Meinung.


Für mich will die geliebte Partnerin nicht verlassen, sie wird ein anderes Dasein annehmen. So wenig eine Raupe Einfluss darauf hat ob sie sich verändert, verpuppt, so wenig hat es diese Frau.

Wieder einmal interessant, die verschiedenen Leseweisen.

...und dein schönes Gedicht, Vera-Lena.

Es grüßt lieb die Maren
 
H

Heidrun D.

Gast
Ma chère,

für mich ist das ein Gedicht über den nahenden Tod eines geliebten Menschen - wie nur du es schreiben kannst; eine, die sich auf das Jenseits freut und ihm entgegen sieht als herbstlich geschmückte Braut.

Wunderbar: die Sache mit der Tarnkappe, ebenso die Übungsgänge und die kichernde Sonne (mein Favorit).

Ich finde das Gedicht perfekt und würde nicht das kleinste Tüpfelchen verändern.

Beeindruckte Grüße
Heidrun
 

Vera-Lena

Mitglied
Ihr Lieben,

Marie-Luise- Maren und Heidrun,

ja ich finde es auch interessant, wie weiträumig der Text interpretierbar ist, ohne dadurch ins Beliebige abzugleiten, denn auch Deine Sicht, liebe Marie-Luise könnte man aus dem Text entnehmen.

Liebe Maren,

das "ich habe dich üben gesehen" hat für mich nicht nur klangliche sondern auch inhaltliche Gründe. Ich habe hier das Plusquamperfekt gewählt, weil der Lebensgefährte die Geliebte schon viele Male beobachtet hat, wie sie darum gerungen hat, sich ins Jenseites aufmachen zu dürfen.


Denn darum, liebe Heidrun, geht es mir bei diesem Text tatsächlich. Natürlich will der Lebenspartner gerne, dass sie noch auf Erden bleibt und er versucht, sie zurückzuhalten, schon allein dadurch, dass er mit ihr über diese diesbezüglichen Wünsche spricht.

"Warum willst du fort?", diese Frage steht im Raum, aber sie wird nicht beantwortet.

Das "Üben zwischen den Weiden" hatte ich mir so vorgestellt, dass es der Frau (wenn wir das Lyri mal so bezeichnen wollen) schwer fällt sich gänzlich abzulösen, von Wesen, die nah bei ihr emporwachsen und vielleicht noch eine Orientierung bei ihr suchen könnten. Sich nach dem Jenseits zu sehnen ist die eine Sache, Abschied zu nehmen ist wieder eine andere Sache.

Dass der Gefährte "die Sonne kichern hörte", macht deutlich, dass er um die Gedanken seiner Frau gut Bescheid weiß und dass er es nicht verurteilt, dass sie gerne in ein leichtfüssigeres Leben ohne physischen Körper hinüberwechseln möchte. Trotzdem will er sich nicht von ihr trennen.

So, wie es ein Text über den Tod ist, ist es aber auch ein Text über die Liebe, finde ich. Die Beiden sind einander sehr nah. Eigentlich wünschen sich alle Paare, gemeinsam sterben zu dürfen, aber den wenigsten wird das geschenkt. Ich habe es schon zwei Mal erleben dürfen, dass wirklich alte Ehepaare im Abstand von 6 Wochen gestorben sind ohne äußeren Anlass, einfach so.

Nun muss ich noch anmerken, dass ich persönlich gesund und munter bin, mich aber trotzdem auf meinen eigenen Tod schon im Voraus freue und mir wünsche, dass er sanft sein möge, wie ich das sowieso allen Menschen wünsche, wenn es dann einmal so weit ist.

Ich danke Euch ganz herzlich für Eure Kommentare, durch die mir meine Texte stets näher kommen.

Ganz liebe Grüße
Vera-Lena
 
Liebe Vera Lena,
mit meiner Interpretation habe ich doch wohl sehr daneben gelegen. An den Tod habe ich überhaupt nicht gedacht und war erstaunt, dass Heidrun es erwähnte. Ich habe angenommen, dass die Frau ihren Geliebten verlassen würde. Flatterding sezte ich gleich mit flatterhaft. Mit der kichernden Sonne konnte ich kaum etwas anfangen.
Ja, liebe Vera Lena, manchmal machst du es mir schwer, deine wunderbaren Gedichte zu verstehen.
Es grüßt dich herzlich
Marie-Luise
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Marie-Luise,

aber Du hast doch diesen Text verstanden nur anders, als ich ihn gemeint hatte. Wenn Du Dir einen Lyrikband in einer Buchhandlung kaufst, dann erfährst Du ja auch nicht, was der Autor nun gemeint hat, sondern der Text hat für Dich die Bedeutung, die Du herausliest und das ist doch völlig in Ordnung. Jedenfalls freue ich mich über Deine Kommentare wirklich immer !!! :)

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Perry

Mitglied
Hallo Vera-Lena,
ich denke, der Fährmann und das schmetterlingsgleiche Verpuppen sind doch eindeutige Hinweise auf den sich ankündigenden Tod.
Problematisch ist nur die ungewöhnliche Art damit umzugehen, denn dass man den Tod probt, da gehört schon eine gewisse sarkastische Abgeklärtheit dazu, die die Zurückbleibenden wohl selten nachvollziehen, bzw. teilen können.
Jedenfalls ein Text, der den Tod einmal ein anderes Gesicht gibt.
LG
Manfred
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Manfred,

sarkastisch wäre das Ganze nur, wenn der Tod sich plötzlich angekündigt hätte und die Person, die sich wünscht, bald in den Tod gehen zu dürfen, sich ein Leben lang nie mit dem Tod beschäftigt hätte.

Aber es gibt ja auch Menschen, die bei aller Lebensfreude irgendwo immer auch im Hinterkopf haben, dass ihr diesmaliges Erdenleben irgendwann einmal zu Ende sein wird und sich auch darauf einstellen. Auf diese Weise kann man den Tod proben, sich immer wieder vorstellen, wie es wohl sein wird danach.

Klar möchten die Angehörigen, dass ihre Lieben möglichst lange noch auf der Erde sind und sind nicht begeistert, wenn jemand ab und zu mal äußert, dass er eigentlich gerne schon gehen würde. Es kommt dabei natürlich darauf an, auf welche Weise solche Bemerkungen gemacht werden. So was kann man ja ganz behutsam und wie nebenbei einmal aussprechen. Und dann ist es natürlich wichtig, dass solche Äußerungen nicht zu oft gemacht werden.

Vor vielen Jahren sagte ich einmal zu einer jungen Kollegin, als wir mit dem Auto an einem Friedhof vorbeifuhren:"Ach, ich freue mich schon,wenn ich mich einmal in meinen Sarg kuscheln werde". Und sie antwortete: "Also manchmal kann ich Dich wirklich nicht verstehen."

Leider ist sie dann in noch jungen Jahren lange vor mir gestorben an Krebs, die Ärmste. Aber vielleicht ist ihr dieser Satz von mir in den letzten Lebenswochen wieder eingefallen und hat ihr den Übergang in die andere Welt erleichtert, das könnte doch sein.

Danke für Deinen Kommentar und Deine Gedanken zu diesem Text!

Liebe Grüße
Vera-Lena
 



 
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