Was wäre wenn

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Walther

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Was wäre wenn


An manchen Tage ergeben sich gehäuft ‚Was-wäre-wenn’-Fragen. Sie säumen sozusagen alle Blickwinkel. Sie poppen plötzlich hoch und wollen sich nicht einmal durch massives Ignorieren wegbrennen lassen.

Heute ist Frank W. schon früh morgens aus dem Haus gegangen, auf der Suche nach dem Glück. Das tut er jeden Tag. So wie alle anderen Menschen auch.

Als er in sein Auto gestiegen und losgefahren war, ist sein Denken nicht auf den Kundenbesuch gerichtet, der so bedeutend ist für den Fortbestand seiner gerade gegründeten Firma. Vielmehr zerbricht er sich die ganze Fahrt den Kopf darüber, wie Hänschen in der Schule endlich wieder auf die Beine kommt. Franks zwölfjähriger Sohn Hans kommt einfach mit der Scheidung nicht zurecht. Die Leistungen sind dramatisch eingebrochen, es mehren sich die Klagen über apathisches, unkonzentriertes und dann wieder störendes Verhalten im Unterricht.

Frank W. ist so tief in seinen Gedanken und Spekulationen versunken, dass ihn erst ein wild gestikulierender und hupender Hintermann darauf aufmerksam macht, dass die Ampel schon eine Weile auf ‚Grün’ gesprungen ist, an der er nach seinem Dafürhalten doch gerade erst gehalten hatte. Das hastige Losfahren honorieren die Vorderreifen mit einem ärgerlichen Durchdrehen.

‚Jedenfalls bin ich jetzt wieder in der Wirklichkeit angekommen’, murmelt Frank W. in seinen kurz gehaltenen Vollbart. Und dennoch bleiben das Schuldgefühl und das der Trauer über das eigene Versagen in der oberen Bauchgegend erhalten. Beinahe gewaltsam versucht er sich auf das vor ihm liegende Gespräch zur Angebotspräsentation zu konzentrieren.

Kurz später kommt er beim Kunden an und massiert sich vor dem Aussteigen die stechenden Kopfschmerzen aus den Schläfen. Er lächelt in den Spiegel, um die Melancholie aus dem Gesicht zu bekommen. Das macht sich nie gut beim Kundenbesuch, da muss man überzeugend wirken. Er hat seine Sache von der Pike auf gelernt und bereits am eigenen Leib erfahren, warum Misserfolge eintreten: Wer nicht fest an sich glaubt, kann auch nicht durch Überzeugung gewinnen.

Das Gespräch läuft gut, der Abschluss des Projektes bahnt sich an. Am Ende bekommt Frank W. den Zuschlag. Der Tag ist gerettet, würde man normalerweise zu diesem Ergebnis sagen.

Er verabschiedet sich herzlich und freundschaftlich von seinen Gesprächspartnern, die ihm gratulieren. Sein Lächeln schmerzt, weil es das schlechte Gewissen ohne gewaltige Anstrengung kaum zudecken kann.

Als er im Auto sitzt und den Schlüssel zum Anlassen drehen will, hält er kurz inne. ‚Vielleicht ist gerade die Was-wäre-wenn-Frage positiv beantwortet worden, die die unwichtigere ist.’ denkt er laut. ‚Am Ende ist ohne das Glück der Kinder aller Erfolg nichts als ein bombastisches Theater für das falsche Publikum.’

Er schüttelt ungläubig den Kopf und wählt sein Büro an, um den Erfolg zu verkünden. Dann macht er sich auf den Weg, um seinen Termin bei der Klassenlehrerin wahrzunehmen. Das Leben geht weiter, und Probleme lösen sich nicht durch Selbstmitleid, sondern durch das nüchterne Anerkennen der Fakten und das zielgerichtete Arbeiten an den Schwierigkeiten, welches auch immer ihre Ursache ist.
 

Retep

Mitglied
Hallo Walther,

ich nehme an, dass du dem Leser Folgendes mitteilen willst:


-
Am Ende ist ohne das Glück der Kinder aller Erfolg nichts als ein bombastisches Theater für das falsche Publikum.’

-
Das Leben geht weiter, und Probleme lösen sich nicht durch Selbstmitleid, sondern durch das nüchterne Anerkennen der Fakten und das zielgerichtete Arbeiten an den Schwierigkeiten, welches auch immer ihre Ursache ist.
Ich nehme an, dass das den meisten Lesern nicht unbekannt ist.

- Es scheint, dass du ein Optimist bist. Nicht immer kann man durch "zielgerichtetes Arbeiten" Schwierigkeiten überwinden, manchmal muss man seinen Standpunkt ändern.

- Ich verstehe nicht, warum der Mann ein schlechtes Gewissen haben sollte. ( wegen seines Kundenbesuchs oder weil er sich vorher auf seinen Sohn konzentriert hat?)

- Deinen Gedanken,dass alle Menschen jeden Tag aus dem Haus gehen, um ihr Glück zu suchen, kann ich nicht nachvollziehen.
Viele sind in ihrem Altagstrott gefangen, erwarten nichts Besonderes.

- Was wäre wenn: Diese Frage sehe ich eher als eine Entscheidungsfrage .(was wäre, wenn ich das machen würde, was wäre wenn ich etwas anderes machen würde)
Der Mann muss nicht entscheiden, ob er seine Arbeit erledigen soll oder sich um seinen Sohn kümmern. Er kann beides machen.

Du hast die Geschichte locker geschrieben, mich stört ein wenig:

Das hastige Losfahren honorieren die Vorderreifen mit einem ärgerlichen Durchdrehen.
Alles meine persönliche Meinung, ich weiß nicht, ob du damit etwas anfangen kannst.

Gruß

Retep
 

Walther

Mitglied
Hi retep,

danke für Deinen langen Eintrag. Du wirst Dich wundern: Ich will den Menschen gar nichts mitteilen im Sinne einer "Message". Ich versuche, mein LyrIch bei der Lebensbewältigung zu beobachten und das aufzuschreiben. Schlüsse überlasse ich den Lesern.

Am Ende braucht das LyrIch Selbstmotivation. In der Tat vermittelt das Scheitern von Kindern, oder das vermeintliche, immer Schuldbewußtsein. Wer Kinder hat, weiß das, kann das nachfühlen. Meistens kommen diese Gefühle, evtl. ursächlich Mitverantwortung zu tragen, erst dann, wenn das Ergebnis des eignen Handelns, der eignen Suche nach Glück, dem Glück des Kindes im Wege stehen könnte.

Und natürlich sind wir permanent auf der Suche nach dem Lebensglück. Dieses Streben beschäftigt uns so sehr, daß wir die Mitmenschen darüber häufig vergessen; der meiste Egoismus ist schlicht gedankenlos und unbeabsichtigt, weil er die Interessen der anderen gar nicht erst als relevant wahrnimmt.

Daher sind es viele Was-wäre-wenn-Fragen, die sich so stellen. Vom Ergebnis her stellen sich die Fragen anders als vom Beginn an. Manchmal sollte man aber die Folgen seines Handelns früher als hinterher bedenken. Und dazu dient Literatur, daß sie menschliches Verhalten schildert, Erfahrungen anderer mitprotokolliert.

Deswegen ist meine Ansicht auch wirklich unerheblich. Es ist der Protagonist, der die Gedanken hat, der Autor schreibt sie nur auf.

Die Formulierung
Das hastige Losfahren honorieren die Vorderreifen mit einem ärgerlichen Durchdrehen.
ist bewußt doppeldeutig gewählt. Eigentlich ist der ganze Tag "ärgerlich", weil über ihm das Damoklesschwert des ultimativen Scheiterns hängt. Der Protagonist Frank W. zeigt, wie schwer Erfolge zu erreichen sind und welchen Preis sie, wie das egozentrierte Streben nach individuellem Glück, haben können.

Bei einer Scheidungsrate von beinahe 50% und unzähligen Scheidungswaisen mit massiven schulischen und sozialen Problemen sind diese Was-wäre-wenn-Fragen einfach auf der Tagesordnung und widersprechen Deiner Diagnose, daß aus dem Vermögen des gleichzeitigen Bewältigens aller Aufgaben auch das Wollen, das tatsächliche Können und das anschließende erfolgreiche Tun folgen würden.

Lieber Gruß

W.
 

Retep

Mitglied
Hallo Walther,

habe da wohl einige Sachen missverstanden.


Bei einer Scheidungsrate von beinahe 50% und unzähligen Scheidungswaisen mit massiven schulischen und sozialen Problemen sind diese Was-wäre-wenn-Fragen einfach auf der Tagesordnung und widersprechen Deiner Diagnose, daß aus dem Vermögen des gleichzeitigen Bewältigens aller Aufgaben auch das Wollen, das tatsächliche Können und das anschließende erfolgreiche Tun folgen würden
Aber woraus siehst du oder liest du, dass ich obige Diagnose
gemacht habe?

Habe ich mich so schlecht ausgedrückt?

Ich wollte äußern, dass man gewisse Dinge im Leben auch mit größter Anstrengung nicht ändern kann. In diesem Fall muss man seinen Blickwinkel, seinen Standpunkt ändern.

In deiner Geschichte kann der Protagonist nach meiner Meinung seine berufliche Anforderungen erfüllen und auch mit der Lehrerin sprechen.


Gruß

Retep
 
H

Heidrun D.

Gast
Lieber Walter,

darf ich etwas Grundsätzliches zu deiner Schreibweise sagen, ohne dich gleich in gelbe Empörung zu versetzen? :D

Ein Schlüsselsatz scheint mir:

sondern durch das nüchterne Anerkennen der Fakten und das zielgerichtete Arbeiten an den Schwierigkeiten, welches auch immer ihre Ursache ist.
Inhaltlich ist dies durchaus zutreffend. Der Leser jedoch liebt das Nüchterne mitnichten. Und zuweilen wirken deine Texte ein wenig zu nüchtern (hölzern) auf mich, unabhängig von ihrer hohen handwerklichen Qualität.

Mein Eindruck ist aber, dass gerade jetzt eine deutliche "Besserung" eintritt, nämlich, seitdem du dich intensiver mit reimlosen Versen in freien Rhythmen beschäftigst. Während dieser Zeit sind dir m. E. zwei hervorragende Texte gelungen, das Teneriffa - und das Chinagedicht, bei dem eines durch seine Leichtigkeit, das andere durch Leidenschaft besticht.

Ich bin sicher, dass sich dieser Zuwachs an lyrischem Gefühl letztendlich auf alle deine Texte ausweiten wird, wenn, ja wenn du es zulassen kannst ...

Natürlich möchte ich mit diesem Kommentar nicht deine ganze bisherige Arbeit diskreditieren, aber ich glaube, dass sich eine geheime Tapetentür geöffnet hat und du zu neuen (wilderen) Ufern aufbrechen kannst.

Unter diesem Gesichtspunkt solltest du vielleicht auch den vorliegenden Text gefühlsmäßig etwas verstärken oder einfach lockern ...

Schöne Grüße
Heidrun
 

Walther

Mitglied
Hallo Retep,

zum Einen habe ich Deine kritischen Anmerkungen gut verstanden und versucht, so zu beantworten, wie es mir gerade möglich war. Ich bin Dir sehr dankbar für Dein Feedback, ohne kommt man ja nicht weiter.

In der Tat kann der Protagonist beides nacheinander tun. Eine ungeheuere persönliche Belastung, ich erlebe genau das gerade bei einem Kollegen, für den ich verantwortlich bin, kann einen Menschen regelrecht arbeitsunfähig machen, und zwar auf Dauer. Das habe ich herausarbeiten wollen. Mehr nicht. Ich wünsche keinem, in eine solche Lage zu kommen.


Hallo Heidrun,

ich werde weder wütend noch werde ich auskeilen (oder sonst was tun, was außer Kontrolle ist). Denn zum Einen bin ich für jeden Tipp, von wem auch immer, dankbar. Wer meint, literarisch ohne Hinweise aller Art weiter zu kommen, der täuscht sich.

Und zum Anderen bin ich nur dann ärgerlich, wenn jemand sachliche und ehrliche Kritik verbal wild um sich schlagend in Bausch und Bogen schreibt. Wer - drittens - austeilt, sage ich mir, muß auch einstecken können. Also gilt in erster Linie für mich: Versuche die sachliche Substanz zu sehen und mach was draus. Erst wenn - in zweiter Linie - unnötiger Weise herabgewürdigt wird, sage ich ganz ruhig meinen Teil dazu (gerade anderswo hier geschehen).

Also danke ich Dir für den Hinweis, der Dir als Leserin mehr als gestattet ist. Wer sonst könnte einem Autor besser sagen, wie er wirkt und wo Schwächen sind, die man ausbügeln sollte? Der Autor ist immer "betriebsblind", es ist ja sein Text, und den sollte er erstmal gutfinden, sonst braucht er ihn nirgendwo einzustellen.

Mein Stil ist sachlich und nüchtern. Dadurch mag er gelegentlich hölzern wirken, das will ich nicht verhehlen. Ich will aber bewußt aus der Sicht des Protagonisten unkommentiert die erlebte Wirklichkeit schildern. Das ist ein Konzept, das ich mir ausgedacht habe, um dem Leser möglichst viel Freiraum für eigene Schlüssel und Beurteilungen zu lassen.

Da ich beim Schreiben von Prosa, ebenso wie beim Vers libre, erst am Anfang bin, werde ich noch viel Geduld bei meinen Lesern benötigen, bis das Alles langsam stimmig wird. Und erst dann werde ich mit mir einigermaßen zufrieden sein in diesen Stilarten und Gattungen. Vorher ist jeder, ich wiederhole, jeder kleinste Hinweis gerne gesehen und eine weniger gute Wertung billigend in Kauf genommen.

Lieber Gruß an Euch beide

der W.
 



 
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