Wattebausch

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Muffin

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Wattebausch

Ich wurde den Verdacht nicht los, dass schon der Name von Privatdozent Dr. Puschelwald alles über ihn aussagte. Besser treffen würde vielleicht nur etwas wie Schleichmichel, weil er in den fensterlosen Raum hinein geschlichen war. Er hatte den Kopf zwischen den Schultern, lächelte auf eine unbeschreiblich verklärte Weise und schien alles andere als zurechnungsfähig. Er trug ein dunkelblaues Sakko, das ihm auf eine äußerst eigenartige Weise von den Schultern hing und weder vorne noch hinten saß, dazu eine schwarze Hose, ein schwarzes Hemd und eine leuchtend blaue Krawatte. Das schüttere graue Haar stand in alle erdenklichen Richtungen ab und an seinem Hinterkopf hatte sich eine deutlich kahle Stelle gebildet. Er stand da vor uns und wirkte reichlich verloren. Er knetete seine Hände und hieß uns in seinem Seminar über Goethes Wahlverwandtschaften willkommen. Wenn man die Augen ein wenig zusammenkniff und den Kopf schief legte, sah er dem alten Goethe sogar ein bisschen ähnlich. Allerdings hatte Goethe wahrscheinlich selten so dämlich gelächelt.
Die Art und Weise wie er redete, ließ uns schon innerlich seufzen. Das mussten wir also das ganze Semester ertragen. Dr. Puschelwald schlich offensichtlich nicht nur in Seminarräume, sondern auch mit seiner Stimme. Er sprach eigentlich nicht wirklich langsam, aber so leise und gleichförmig, dass man ihn nur so gerade eben hören konnte, wenn niemand mit Blättern raschelte oder mit dem Kugelschreiber über das Papier kratzte. Er sprach sogar so leise, dass das Quietschen seiner Schuhsohlen auf dem Lamynahtboden zu laut war. Jeder, für den das Gesagte an die Grenze des Hörbaren stieß, war überrascht, dass Dr. Puschelwald noch leiser sprechen konnte. Wenn er auch nur im Entferntesten über Liebe oder zwischenmenschliche Beziehungen sprach, wurde er noch leiser, zog den Kopf (es war anatomisch kaum möglich) noch weiter zwischen die Schultern und lächelte wie ein verschmitzter Zweitklässler, der versehendlich in den Mädchenumkleiden gelandet war. Uns war gleich klar, dass dieser Mann ein Problem hatte, vielleicht sogar mehr als eines.
Wenn er den Kopf so zwischen den Schultern hatte, wirkte er wie eine ziemlich dämliche Schildkröte, die wohl zu lange in der Sonne gewesen sein musste. Sein Blick hastete unstet im Raum umher und flackerte auffällig oft in meine Richtung. Ich fing an konzentriert auf das leere Blatt vor mir zu starren.
„Der Roman war natürlich ein Skandal, als er erschien, schließlich ging es um Ehebruch,“ schnarrte er verlegen. „Ihnen ringt das heute natürlich nur noch ein müdes Lächeln ab.“
Niemand lächelte. Abgesehen von ihm.
Wie ein Tiger im Käfig wanderte er immer von der einen zur anderen Seite des Raumes und im Quietschen seiner Schulsohlen ging das, was er uns erzählte, fast gänzlich unter. Topografische Leitmotive, die Dichte des Romans und mythische Verknüpfungen, alles ein einziger Wirrwarr aus unvollständigen Sätzen, die er entweder vergessen hatte zu beenden oder deren Reste im Quietschen der Schuhsohlen untergingen. Mir wurde langsam mulmig. Sein Blick flackerte wirklich erstaunlich oft in meine Richtung. Hatte ich einen Fleck auf der Nase oder warum lächelte er immer so verlegen?
Und dann, wir wollten es nicht glauben, wurde er noch leiser. Von dem, was er sich dort in seinen nicht vorhanden Bart nuschelte, konnte man nur ein Wort verstehen. Ottilie. Wenn man den Roman kennt, und das war bei uns der Fall, weiß man, dass Ottilie, eine der Hauptpersonen, von Goethe förmlich vergöttert wurde, als sei er in seine eigene fiktive Figur verliebt. Das, oder etwas ähnliches musste bei Puschelwald auch der Fall sein. Er lief rosa an und flüsterte fast, wenn er sie erwähnte. Er bekam so ein eigenartiges Glitzern in die Augen und lächelte noch ein bisschen verklärter. Der arme Mann musste sich in eine Person verliebt haben, die nicht existierte, ja die niemals existiert hatte. Das allein war schon traurig genug, aber jetzt begann er auch noch mir allein den Roman zu erklären. Er kam zwar nicht auf mich zu, aber er sah nur mich an. Es war als hätte der Rest der Studenten plötzlich den Raum verlassen. Tatsächlich hätte ich in dem Moment nichts lieber getan als eben das. Ich zwang mich seinem Blick stand zu halten und meinen Sitznachbarn nicht beängstigte Blicke zuzuwerfen, doch ich merkte sehr wohl, dass man mich mit skeptischen Blicken musterte. Ich wollte ihm schon sagen, dass ich gar nicht Ottilie heiße, als er sich von mir abwand und über etwas völlig anderes referierte. Über die Zeit. Er erklärte, dass der Hauptmann, ebenfalls eine Figur aus dem Roman, an einer Stelle zugibt, vor lauter Liebe vergessen zu haben seine chronometrische Sekundenuhr aufzuziehen. Besonders interessant, weil er knapp zehn Minuten später, ich kann nicht sagen, was dazwischen passiert war, weil sich jemand die Nase geputzt hatte, feststellte, das seine Uhr, wie seltsam, ebenfalls stehen geblieben war. Mein Magen machte einen akrobatischen Hüpfer und stand eine Weile Kopf und als ich wieder zu mir kam erzählte er mir gerade, dass der Adel zu der Zeit gerne abends zusammensaß und dämliche Spielchen spielte. Sie stellten zum Beispiel berühmte Gemälde nach und jemand wie ich (er lächelte) würde zum Beispiel die Maria nacharmen und mit einem Kind auf dem Arm genauso posieren, wie die Ikone aus der nahen Kapelle. Ich wollte ihm gerade erklären, dass ich auch nicht Maria hieß, als zwei Studenten aus der letzten Reihe sich erhoben und offensichtlich genug von Puschelwalds Flüstern hatten. Sie schickten sich zum Gehen an und als sie an der Tür waren, winkte Puschelwald ihnen fröhlich zum Abschied. Puschelwald erzählte noch ein wenig über Hausarbeiten und Referate, wobei er nur halb so viele Themen für Referate wie benötigt anbot und als wir die ersten beiden Abschnitte des Romans lasen, wo Puschelwald nur ab und zu einwarf, welches Motiv gerade angesprochen war, klingelte plötzlich ein Handy, das wie üblich erst einmal ignoriert wurde und erst nach dem fünften Klingeln von einem hochroten Kopf ausgedrückt wurde. Der rote Kopf murmelte eine zaghafte Entschuldigung, doch Puschelwald schien das gar nicht zu stören.
„Oh, der Anrufer will mir sicher sagen, dass ich Schluss machen soll,“ lächelte er und beendete damit seine Sitzung. Puschelwald, da bin ich mir jetzt sicher, ist ein rosa Puschenträger mit Puschelhasen, dem der Name Wattebausch auch perfekt stehen würde.
 

Rainer

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hallo muffin,

was willst du uns mit deinem text sagen?
eine kleine episode aus dem aufreibenden gremanistikstudentenleben: studentin von trotteligem seminarleiter fast zu tode gelangweilt, aber dann klingelte rettenderweise ein handy?

als zeitgeistskizze der gesättigten studentenschaft nicht schlecht, aber auch ein interessantes psychologisches portrait deiner prot.
bevor ich jetzt dich mit deiner prot verwechsele, würden mich deine intensionen den text zu veröffentlichen interessieren.

noch eine kleine anmerkung zur rechtschreibung.

der lamynahtboden wird übrigens nicht aus lamy`s zusammengenäht, sondern durch laminieren hergestellt...;)


viele grüße

rainer
 

Muffin

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Hallo Rainer,

also Laminatboden, so wie ich es zu erst geschrieben hatte. So kann einen das Rechtschreibprogramm von Word linken. Ich werde ihm in Zukunft (versprochen) nicht mehr blind vertrauen.


Zu Deinen Fragen:

Was wollte ich mit diesem Text sagen?

Also ich wollte mit Sicherheit nicht sagen, dass alle Dozenten in der Germanistik langweilig sind. Der Text ist ja auch eher ein kleiner spezieller Ausschnitt.

Es ist eher eine Studie. Eine Charaklterstudie. Damit ist der Text hier vielleicht im falschen Forum, das geb ich zu, in der Schreibwerkstatt wäre er wohl besser gekommen.

Warum ich ihn veröffentliche?

Vielleicht damit mich jemand darüber aufklärt, wie man Laminatboden schreibt ;)
Nein, mal im Ernst, ich will ja auch was lernen und lernen kann man nur, wenn man es anderen zeigt und die einem sagen, wie sie es finden. Das ist der Grund, warum ich es hier veröffentliche.
Außerdem fand ich den Text ganz unterhaltsam (uuuhaaa, Eigenlob stimmt).

liebe Grüße

Sarah
 



 
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