Weihnachten: Der Schokoladenadventskalender

T. Böhlke

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Der Schokoladenadventskalender
Es war einmal ein Mann, der liebte Schokolade über alles. Zum Frühstück trank er Kakao und schmierte sich Nuss- Nougat- Creme aufs Brot, zum Mittag durfte der anschließende Schokokeks nicht fehlen und am auch abends wollte er die Tafel Schokolade nicht missen. Besonders in der Vorweihnachtszeit ging er seinem Verlangen häufig nach, kein Wunder, er wurde ja auch an allen Ecken in Versuchung geführt. Seine Frau stand seiner Leidenschaft allerdings eher kritisch gegenüber. Schokolade sei ungesund und mache auf Dauer dick, lautete ihre Begründung. Anfangs belächelte der Mann diese Annahme, doch seine ständige Nascherei blieb nicht folgenlos. Einmal, kurz vor Beginn der Adventszeit bekam er solche Bauchschmerzen, dass er einsah, dass er seinen Speiseplan ändern musste. Und wie kam man besser gegen eine Gewohnheit an, als mit einer Wette? Der Plan war wie folgt: seine Frau bastelte ihm einen Adventskalender, gefüllt mit Schokolade. Die sollte er allerdings nicht verzehren, sondern galt nur der Verlockung. Die Naschkatze sollte so Tag für Tag beweisen, dass er seiner Leidenschaft widerstehen konnte. Schon bald stand der Dezember vor der Tür und damit wurde es Zeit das erste Türchen zu öffnen. Mit ein wenig Bemühung schaffte der Mann es auch wirklich den Kalender nicht anzurühren. Doch am Abend hielt er es nicht mehr aus. Seine Schokoladentafel fehlte ihm so sehr, dass er das Päckchen mit der 1 aufschnürte. Glücklich hielt er das kleine braune Stück in den Händen, als es auf einmal an der Tür klingelte. Er legte die Nascherei zur Seite und öffnete. So eine Überraschung! Es war sein bester Freund, beladen mit zwei großen Pizzakartons, deren Inhalte in auch bald in null Komma nichts weggeputzt waren. Die beiden machten sich noch einen netten Abend und als der Mann schließlich ins Bett gehen wollte, war er von der Pizza so satt, dass selbst das Stück Schokolade keinen Platz mehr in seinem Bauch gefunden hätte. Am nächsten Tag war es bitterkalt. Draußen bedeckte eine hohe Schneedecke die Landschaft. Unglücklicherweise konnte der Mann das Schneetreiben nur durch die Fensterscheibe genießen, denn er hatte sich über Nacht eine ordentliche Grippe eingefangen. Neben dem hohen Fieber plagten ihn Bauchschmerzen und Übelkeit. Da konnte er beim besten Willen keine Schokolade genießen. Also blieb schaffte er es auch an diesem Tag, seine Wettversprechen einzuhalten. Am 3. Dezember ging es ihm zum Glück schon viel besser. Doch da er bereits seit zwei Tagen nicht mehr genascht hatte, war sein Verlangen gleich nach dem Aufstehen besonders groß. Er wachte auf und hörte sofort, wie sein Magen knurrte. Er schaltete die Lampe an, denn draußen war es noch dunkel, und legte die Schokolade direkt daneben auf seinen Nachtschrank. Doch bevor er sie verschlang, wollte er seiner Frau Kaffee kochen. Gesagt, getan, als er sich jedoch wieder dem Adventskalendergeschenk widmen wollte, war dieses von der Wärme der Lampe geschmolzen. Ärgerlich, noch ein Tag, an dem er seinem Heißhunger nicht nachgehen konnte. Am 4. Dezember hatte er viel zu tun. Da war Schokolade eigentlich besonders erforderlich, um die Nerven zu behalten und genug Energie für den anstrengenden Tag aufzubringen. Da ihm die Zeit fehlte, nahm er die Süßigkeit mit in den Bus. Während er zur Arbeit fuhr, wollte er gerade beherzt hineinbeißen, als der Fahrer aufgrund einer Schneeverwehung eine Vollbremsung machen musste und ihm das Stück Schokolade aus den Fingern gerissen wurde, quer durch das Fahrzeug flog und irgendwo unter den Sitzbänken landete. Wieder musste er auf den Leckerbissen verzichten. Dann kam der 5. Dezember. Heute sollte es doch endlich mal klappen. Wohlbedacht, dass seine Frau keine Notiz nahm, schlich er sich zu dem Adventskalender, doch egal was er versuchte, das Päckchen war so fest verpackt, dass er es beim besten Willen nicht aufbekam. Schließlich gab er auf, nahm sich aber vor morgen, an Nikolaus endlich sein Verlangen zu stillen. Diesmal ließ sich das Türchen auch problemlos öffnen. Ein kleiner Schokoladenweihnachtsmann kam zum Vorschein, der den Mann so niedlich anlächelte, dass dieser mit viel Überwindung entschied, dass es zu schade sei, ihn zu essen. Stattdessen stellte er ihn in die Küche, wo er weiter liebevoll grinste. Dieses Jahr gab es zum Nikolaus dann natürlich keine Schokolade, sondern auch für seine Frau nur Mandarinen und Nüsse. Aber anscheinend fiel auch ihr der Verzicht schwer, denn als der Mann am nächsten Morgen mal wieder zum Kalender schlich, hatte bereits jemand die Leckerei genascht. Am 8. Dezember schneite es mal wieder dicke Flocken und die Kinder aus der Nachbarschaft trafen sich zu einer Schneeballschlacht. Auch der Mann nutzte das winterliche Idyll, um sich ein bisschen die Beine zu vertreten. Natürlich gehörte ein Stück Schokolade zu einem gemütlichen Spaziergang dazu. Doch gerade als er ein Bissen nehmen wollte, wurde er von einem Schneeball getroffen, der ihn die Nascherei fallen ließ. Naja, wenigsten hatte er so gute Aussichten die Wette zu gewinnen. Der nächste Tag war ein Sonntag und seine Frau hatte ausgiebig Zeit, um einen herzhaften Eintopf zu zaubern. Um in dieser kalten Jahreszeit ordentlich einzuheizen würzte sie ihn stark mit Chili. Mh, das schmeckte lecker, aber noch viel mehr freute sich der Mann auf den Nachtisch. Damit seine Frau nichts mitbekam, musste er das Türchen mal wieder heimlich öffnen und zum Nachtisch eine Mandarine essen, um vorzutäuschen, wirklich satt zu sein. Doch nach diesem deftigen Eintopf schmeckte die süße Frucht nach gar nichts. Die Schärfe der Speise hatte ihm den Geschmackssinn geraubt, sodass es eigentlich sinnlos war, Schokolade zu naschen, da er sie sowieso nicht schmecken würde. Am 10. Dezember waren er und seine Frau zum Kaffee trinken bei der Tante eingeladen. Auch der kleine pummelige Stefan saß am Tisch, der genauso gerne in die Süßigkeitendose langte, wie sein Onkel. Da wollte der Mann ein gutes Vorbild sein und verzichtete deshalb auch an diesem Tag auf sein Adventskalendergeschenk. Einen Tag darauf hatte er sehr viel Stress im Büro. Die Produktion lief auf Hochtouren, aber gleichzeitig hatten sich viele seiner Mitarbeiter bereits in den Weihnachtsurlaub verabschiedet. Der Mann freute sich schon wahnsinnig auf die verdiente Tafel Schokolade, nahm aber, um abzuschalten, erstmal ein Vollbad, als er heimkehrte. Er war an diesem Abend so erschöpft, dass er in der Badewanne einschlief und tatsächlich erst am nächsten Morgen erwachte. So hielt er weiter, wenn auch nur zufällig, der Versuchung stand. Nachdem er sich in der Wanne entspannt und wieder neue Energie getankt hatte, ging er am Vormittag spazieren, zumal es wunderschöne, dicke Flocken schneite. An einer kleinen Parkbank machte er Rast, natürlich mit dem Vorhaben, endlich mal wieder zu sündigen. Er holte den Schokoriegel aus der Tasche, schaffte es mit den dicken Fäustlingen aber nicht, ihn vom Papier zu trennen. Also legte er ihn ab, um diese auszuziehen. In diesem Augenblick kam ein Hund durch den Schnee gerannt und schnappte die Nascherei mit einem Satz weg. Verflixt! Erneut konnte der Mann seinen Heißhunger nicht stillen. So war es, ihr ahnt es sicher schon, auch am kommenden Tag. Diesmal gab er die Schokolade aber ganz bewusst aus der Hand. Er traf nämlich beim Einkaufen auf dem Wochenmarkt einen kleinen Jungen, der ihn netterweise darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ihm seine Geldbörse aus der Tasche gefallen war. Als Dankeschön verschenkte er die Süßigkeit. Am Freitag, den 14. Hatte der Mann mal wieder alle Hände voll zu tun. So kurz vor Weihnachten war es in seinem Beruf nicht unüblich, Überstunden zu schieben. So machte er sich ohnehin schon später als sonst auf den Heimweg. Doch zu allem Übel suchte an diesem Abend ein heftiger Schneesturm das kleine Städtchen heim und der Mann kam so spät nach Hause, dass er sich sofort zur Ruhe legte, weil er so müde war. Der Sturm wütete noch die ganze Nacht und richtet erheblichen Schaden an. So war zum Beispiel der Schweinestall des benachbarten Bauernhofes unter der Last der gewaltigen Schneemenge zusammengebrochen und der Geruch breitete sich in der ganzen Straße aus. Nein, auch wenn er Schokolade über alles liebte, bei diesem Gestank konnte er sie beim besten Willen nicht genießen. Als er am nächsten Morgen die Sonntagszeitung aufschlug, um nach zu lesen, welchen Schaden der Schneesturm noch so angerichtet hatte, stieß er auf einen Bericht über die braune Leckerei. Leider teilte der Verfasser dieses Artikels sein Faible nicht. Ganz im Gegenteil: er klärte über die negativen Folgen von übermäßigen Konsum wie z.B. Übergewicht, Pickelbildung und Karies auf und verdarb dem Mann somit den Appetit. Abgeleitet von den Hinweisen des Inserats stattete der Mann auch gleich am nächsten Tag dem Zahnarzt einen Besuch ab. Logisch, dass er auch heute nicht naschen konnte. Dann kam auch schon der 17. Dezember und damit blieb nur noch eine Woche Zeit, um Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Der Mann machte sich also auf in die Stadt und schlenderte von Schaufenster zu Schaufenster. Da sah er vor einem Geschäft einen Bettler sitzen, der nur in einen dünnen Pullover gekleidet war. Sofort erweckte er Mitleid bei dem Mann. Dieser schenkte ihm schweren Herzens seine Schokoladentafel, die er natürlich bei sich trug, fühlte sich danach aber sehr viel besser, denn er wusste, dass er eine gute Tat vollbracht hatte. Einen Tag darauf plagte ihn allerdings ein solcher Heißhunger auf Süßes, wie er ihn in der gesamten Adventszeit nicht verspürt hatte. Zum Glück veranstaltete die Firma seiner Frau an diesem Tag eine Weihnachtsfeier, sodass er seine Schokoladentafel in aller Ruhe und bei Kerzenlicht in der Küche genießen konnte. Und wenn sich die Gelegenheit schon mal bot, wollte er auch gleich aufholen, was er in den letzten Wochen versäumt hatte. Also packte er die Adventskalenderleckerei aus, leckte sie auf die Theke und suchte auch noch sämtliche Vorräte zusammen, die er für Notfälle im Küchenschrank gelagert hatte. Der Schokoberg auf der Ablage wuchs und wuchs und dem Mann lief schon das Wasser im Mund zusammen, da fiel sein Blick auf einmal auf das Mindesthaltbarkeitsdatum eines Schokoriegels, das schon um Monate überschritten war. Auch wenn er noch so Appetit hatte, dieses Lebensmittel konnte er beim besten Willen nicht mehr verzehren. Blöd war nur, dass er seinen noch frischen Riegel in dem ganzen Süßigkeitenhaufen nicht mehr identifizieren konnte. Wieder nichts mit dem Leckerbissen. Einen Tag darauf kam sein Neffe zu Besuch, denn die beiden hatten schon lange vereinbart, gemeinsam Plätzchen zu backen. Leckere Schokotaler sollten es werden. Es gab nur einen Haken: der Mann hatte damit gerechnet, dass all seine Vorräte noch haltbar waren, doch nun da er sie alle entsorgt hatte, hatte er keine Schokolade mehr im Haus. „Dann backen wir eben trockene Plätzchen ohne Alles“, beschloss er kurzerhand. Doch der enttäuschte Blick seines Neffen stimmte ihn doch um, schweren Herzens seine Schokolade zu opfern. Nur noch drei Tage bis Weihnachten. Fast hatte er es geschafft, die Wette einzuhalten. Trotzdem wurde er jeden Tag aufs Neue verführt, zu naschen. An diesem Morgen war es nicht anders. Fast hätte es diesmal auch funktioniert: er wollte gerade abbeißen, da stand seine Frau in der Tür und er schob den Riegel blitzschnell in die Hosentasche. „Warum erschrickst du so? Ich wollte doch nur die Wäsche machen“, wunderte sich diese. „Sieh nur, du hast gestern beim Backen ordentlich gekleckert. Am besten ich wasche deine Jeans gleich mit.“ Also zog er brav seine Hose aus und stopfte sie in die Waschmaschine. Er war so verdattert, dass er sein Versteck völlig vergaß. Anscheinend wollte der Liebe Gott nicht, dass er auch nur einen Bissen aß. Damit seine Frau ihn kein zweites Mal überrumpelte, steckte er sich seine Adventskalenderüberraschung für den folgenden Tag am Vorabend schon mal in die Jackentasche. Am nächsten Morgen war es bitterkalt. Das Thermometer war unter null Grad gefallen und der Schnee viel ununterbrochen aus den grauen Wolken. Da der Mann schon fröstelte, ehe er das Haus verlassen hatte, beschloss er sich in seine extra dicke Jacke zu mummeln. In der Mittagspause packte ihn dann wie üblich der Heißhunger, doch auch dieses Mal wurde er enttäuscht: zwar bereitete ihm die Kälte keine Sorge mehr, aber der Schokoriegel wartete zu Hause an der Garderobe in der Jackentasche seines dünneren Anoraks. Einen Tag noch bis Weihnachten und obwohl er es fast durchgehalten hatte, verführte ihn die braune Nascherei jeden Tag aufs Neue. Morgen hatte er endlich Urlaub und so schlenderte er voller Vorfreude durch den Tiefschnee zu seinem Wagen, um sich ein letztes Mal in diesem Jahr auf den Weg zur Arbeit zu machen. Die Temperaturen waren noch genauso eisig wie am Vortag und der weiche Schnee, der gestern noch die Straßen bedeckte, hatte sich über Nacht in eine knackende Eisschicht verwandelt, so sehr hatte es gefroren. Gedankenversunken öffnete er die Autotür, als plötzlich sein Magen knurrte. Jetzt einen Schokoriegel! Der Mann erinnerte sich an all die Strapazen, die ihn in den letzten Wochen um den Genuss seiner Lieblingssüßigkeit gebracht hatten und dachte sich: ‚Wenn nicht jetzt, wann dann?‘ Von seiner Frau fehlte jede Spur und wenn er sich jetzt gemütlich auf den Fahrersitz fallen ließ, konnte er ganz in Ruhe seinem Appetit nachgehen. Allerdings hatte er ein wenig zu lange da gestanden und nachgedacht, denn während er den Entschluss gefasst hatte, sein Adventskalendergeschenk jetzt und hier zu verzehren, hatte der eisige Wind zahlreiche Schneeflocken in die offene Wagentür geweht und dementsprechend war der Sitz nun ganz nass. ‚Kein Problem‘, dachte sich der Mann, legte seinen Schokoriegel, den er schon einmal hervorgeholt hatte, aufs Autodach und machte sich dann in der Garage auf die Suche nach einem kleinen Handföhn. Es dauerte nicht lange, da war das Polster wieder trocken. Aber wie so oft ging dann doch etwas schief: die Schokolade war nämlich inzwischen auf dem Autodach festgefroren. Jegliches Kratzen und Zerren war vergebens. Die einzige Möglichkeit, die Schokolade vom Auto zu tauen, wäre der Föhn gewesen, doch auch wenn es ihm damit gelang, sie zu lösen, würde sie bei der Hitze vermutlich schmelzen. Und so kam der Heilige Abend und brachte das Ende der Adventszeit mit sich. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte der Mann während dieser 4 Wochen kein einziges Stück Schokolade genascht. Aber wie sollte es anders sein- natürlich war auch am letzten Tag die Versuchung zu groß, als das er einfach an seinem Adventskalender vorbei gegangen wär. Insgeheim war er sogar erleichtert, wenn auch sehr überrascht, als er an diesem besonderen Tag keinen Schokoriegel vorfand. Hinter dem Türchen verbarg sich lediglich ein kleines Weihnachtskärtchen, auf das seine Frau geschrieben hatte: „Herzlichen Glückwunsch! Du hast es geschafft. Ich bin wirklich stolz auf dich und als Belohnung darfst du nun, da die Wette vorbei ist, all die Schokolade essen, die sich hinter den 23 anderen Türchen versteckt.“ ‚Wenn du wüsstest‘, dachte sich der Mann, denn er hatte dem Adventskalender ja heimlich jeden Tag die Süßigkeit entnommen. Aber anstatt sich zu ärgern, musste er laut loslachen. Ja, er hatte es wirklich geschafft. Er trat hinaus in den Flur, wo ihm der Duft von frisch geschälten Mandarinen in die Nase stieg. Plötzlich knurrte sein Magen und diesmal hatte er sogar richtig Appetit auf das frische Obst. Der Schokoladenverzicht kam ihm in diesem Moment so einfach vor wie noch nie, denn er hatte zwar Lust auf etwas Süßes, aber die kleinen Früchte standen dem ja nichts nach. Vielleicht war es aber auch die Vorfreude auf das Weihnachtsessen am Abend, das ihm das gesunde Essen schmackhaft machte, denn er wusste genau dass nach der Bescherung ein Mousse au Chocolat- Dessert auf der Speisekarte stand.
 



 
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