Weihnachten

Heidrun

Mitglied
Erinnerungen an einen ganz besonderer Tag


Ich möchte erzählen über den wichtigsten Tag im Jahr unserer Familie. Jedenfalls empfand ich das immer so.
Meine Gefühle dazu sind Spannung, Herzklopfen, Freude, Dankbarkeit und vor allem Liebe.
Sicher habe ich das als Kind nicht bewußt erlebt, sondern mich nur treiben lassen vom Geschehen, aber das was hängengeblieben ist schmückt mein Herz mit diesen Gefühlen aus.

Der Tag meisten kalt, manchmal weiß aber oft auch grau und regnerisch.
Wir wohnten am Rande der Stadt in einem eigenen kleinen Haus, was sogar schon über eine Zentralheizung verfügte.
Der Erste der aufstand war mein Vater und die ersten Geräusche, welche ich wahrnahm, war das Schüren des Heizkessels, ein Schaben und Klopfen welches als Geräusch über die Heizkörper übertragen wurde. Die erste Spur von Romantik und Wärme, denn das Haus war noch kalt aber im Bett war es noch mollig warm. Der Tag begann.
Ehe wir vier Kinder uns ins Bad begeben hatten für eine kurze Katzenwäsche, wärmte sich die Wohnküche bereits auf und es duftete schon nach Brötchen und Malzkaffee. Eigentlich war alles so wie an einem Sonntag aber wir wußten ja, daß dieser Tag noch mehr bringen würde und er setzte sich auch nicht, wie sonst an einem Sonntag, mit einem gemeinsamen Kirchgang fort.

Während wir Kinder unser Zimmer aufräumten, spielten und die letzten Bastelarbeiten fertigstellten oder einpackten, begannen meine Eltern im verschlossenen Wohnzimmer zu werkeln.
Denn es war Heilig Abend.

Das Einzigste, was wir manchmal zu sehen bekamen war der ungeschmückte Tannenbaum den mein Vater ins Haus trug.
Der Mittelpunkt unseres Zuhauses war die Wohnküche und dort spielte sich das Familienleben ab.
Und so saßen wir dort und warteten, daß der Nachmittag näher rückte.
Es knisterte und raschelte und die Spannung erhöhte sich mit jedem Stück Papier, was von Mutter oder Vater durch die Wohnküche getragen wurde. Am Vormittag waren es oft nur Papierschnipsel oder Tannennadeln auf dem Kehrblech, die mein Herz höher schlagen ließen.

Unterbrochen wurde das Ganze durch das Mittagessen und das gemeinsame Abwaschen und Abtrocknen des Geschirrs. Ausnahmsweise gab es um die Aufgabenverteilung mal keine Streitereien.

Und danach kam der erste große Augenblick
Unser Vater stand in der Tür vom Wohnzimmer mit dem Fernsehapparat. Schnell war der Platz auf der Anrichte oder dem Kindertisch vor dem Fenster freigeräumt und das Heilig-Abend-Hauskino konnte beginnen.
Bei uns wurde sonst nur wenig Fernsehprogramm geschaut aber an diesem Tag war das Kinderprogramm der ehemaligen DDR so reichhaltig und stimmungsvoll, daß wir dadurch die richtige wohl wirkungsvollste Einstimmung und Vorfreude auf das Fest bekamen.
Zunächst kam etwa um 14.00 Uhr ein Märchenfilm, gedreht von der DEFA. Ich erinnere mich dabei vor allem an „Schneewittchen", „Das singende klingende Bäumchen" oder „Frau Holle". Danach begann gleich eine bunte Weihnachtsrevue mit all den uns bekannten Figuren aus dem DDR-Kinderfernsehen.
Wer aus der ehemaligen DDR stammt, wird sich noch sehr gut an Meister Nadelöhr, Professor Flimmrich, Pittiplatsch, Schnatterinchen, Tadeus Punkt, Struppi, Herrn Fuchs und Frau Elster oder sogar noch an Meister Briefmarke erinnern. Sie haben uns das ganze Jahr über bei der Flimmerstunde oder dem täglichen Abendgruß mit dem Sandmann begleitet und nun waren sie alle verwickelt in eine Weihnachtsgeschichte.
Es gab zwar keine Engel und auch nur den Weihnachtsmann aber unsere Herzen schlugen höher wenn Pittiplatsch heimlich die Pfefferkuchen naschte und von Schnatterinchen dabei erwischt wurde. Später hat er dann in der Weihnachtswerkstatt beim einpacken der Geschenke helfen müssen, damit zum Fest alles noch pünktlich fertig wurde. Die Nußknacker, die Helfer vom Weihnachtsmann, hatten nämlich alle verschlafen.

Während wir uns von dem so wichtigen Programm berauschen ließen und es einfach toll fanden, daß der heilige Fernseher nun in der Wohnküche stand und nicht im Wohnzimmer, waren die Eltern weiter fleißig.
Wir hörten nicht wie unsere Mutter laufend 1,2,3,4,5,6 zählte und so die bunten Teller für jeden füllte und unser Vater das Moos unter dem Weihnachtsbaum verteilte.
Darauf baute er ganz liebevoll die Weihnachtskrippe auf. Ich erinnere mich noch daran, wie an einem Heiligen Abend die Hirten und Schafe Gesellschaft bekommen hatten, nämlich einen weißen und einen schwarzen Hund. Die hatten eigentlich ein Magnet am Hinterteil, so daß man sie wunderbar aneinanderkoppeln konnte. Irgendwo aus unserem Spielzeug hatte sie mein Vater wohl ausgegraben.

An diesem Nachmittag gab es noch ein weiteres Familienritual. Wir gingen baden.
In unserem Bad stand während meiner Kindheit außer der Badewanne und der Toilette noch ein Waschkessel, den meine Mutter zum wäscheabkochen nutzte, in dem aber auch unser Badewasser erhitzt wurde. Das musste man dann mit einem Eimer in die Wanne hinüber schöpfen. So etwas modernes, wie einen Badeofen gab es bei uns nie. Der Waschkessel wurde viel später durch eine Elektrotherme ersetzt.
Also während unter dem Waschkessel das Feuer brannte badeten wir, eine Tochter nach der anderen. Alle benutzten ein Stück Seife. Es war die Palmolivseife von Frau Taube.
Frau Taube war eine Bekannte meiner Mutter, die nach dem Krieg auf der westlichen Seite von Deutschland gelandet war. Die schickte jedes Jahr ein Paket mit allen Zutaten für einen Weihnachtsstollen, allerhand Süßigkeiten für die bunten Teller, Zigarren für meinen Vater und die geliebte Palmolivseife.

Frisch gebadet schön angezogen erschienen wir nacheinander alle gut nach der Seife duftend wieder in der Wohnküche.
Meine Eltern erledigten zwischenzeitlich noch die letzten Handgriffe im Wohnzimmer.

Jedes Jahr suchte meine Mutter ein Geschenk für genau 1,75 Mark und erhöhte damit ungemein die Spannung, weil sie sagte, wir könnten erst mit der Bescherung anfangen, wenn sie es gefunden hätte.
Noch heute ärgere ich meine Kinder auf die gleiche Weise.

Irgendwann hörte das Geraschel auf und auch meine Eltern verschwanden im Bad um die duftende Weihnachtsseife zu benutzen.

Anschließend wurde in der Wohnküche der Kaffeetisch gedeckt und es gab den selbstgebackenen Weihnachtsstollen und den noch heute so geliebten Bienenstich, nach einem alten Familienrezept gebacken.

Schon vorher hatte meine älteste Schwester leichte Bauchschmerzen und das jedes Jahr. Die Bauchschmerzen verschlimmerten sich zunehmend wenn mein Vater genüsslich nach der ersten Zigarre aus der Kiste von Frau Taube griff.
" Ach Vati, nein, nicht wieder so lange eine Zigarre rauchen, rauche doch lieber eine Zigarette!" sagte immer irgend jemand von uns. Das verschmitzte Lächeln im Gesicht meines Vaters wird immer in meiner Erinnerung bleiben.
Das war nun wieder so ein Weihnachtsritual und spätestens zu diesem Zeitpunkt lag meine älteste Schwester heulend auf ihrem Bett vor Aufregung und Bauchschmerzen die nur eine Ursache hatten. Für sie war es besonders schlimm, weil sie so furchtbar neugierig war.

Später war dann auch die Weihnachtszigarre aufgeraucht und während wieder zwei von uns Kindern den Abwasch machten, haben die anderen zwei die Kaninchen mit Äpfeln und unseren Kater „Jacki" mit guter Wurst als Weihnachtsgeschenk bedacht.

Nun endlich konnte es losgehen.
Obwohl wir in der DDR lebten, waren wir alle sehr gläubig groß geworden. So begann die Heilige Nacht und die Bescherung zuerst mit einem gemeinsamen Gebet. Wir standen alle in der nun finsteren Wohnküche und sprachen die Worte tatsächlich mit Andacht.
In diesem Moment glaube ich, habe ich trotz der Aufregung ganz andächtig gebetet und mich über das Wunder der Heiligen Nacht gefreut.

Mein Vater sah nach, ob das Christkind noch da war. Bei uns kam immer das Christkind und nicht der Weihnachtsmann.
Hurra, das Glöckchen am Schlitten des Christkindes hatte geklingelt, es war schon weg und wir durften hinein in die helle leuchtende Weihnachtsstube.
In der Ecke auf einer Anrichte stand der Weihnachtsbaum hell leuchtend und ganz in Silber geschmückt. Es brannten einige Wunderkerzen daran, die der Weihnachtsstube noch den notwendigen Duft verliehen. Darunter stand die wunderschöne Weihnachtskrippe.

Nun standen wir sechs alle zusammen an der Eingangstür und sangen " Stille Nacht " und "Ihr
Kinderlein kommet" .
Natürlich gingen während des Singens meine Blicke im Zimmer umher und ich wäre kein Kind gewesen, wenn ich nicht nebenbei neugierig an den Formen der verpackten Geschenke versucht hätte zu erraten, was es sei. Am Ende der Lieder hatte ich meistens raus auf welchem Platz meine Geschenke lagen.

Nun war es wiederum eine Gewohnheit in unserer Familie, daß die Jüngste anfangen durfte auszupacken und jeder geduldig wartete bis man dran war. Ich glaube, das war nie ein Problem für uns, denn es war auch spannend zu sehen, was die anderen bekamen.

Die Fülle der Geschenke war immer reichlich. Wenn man bedenkt, daß die finanziellen Verhältnisse meiner Eltern nicht die besten waren, bin ich noch heute erstaunt, wie ihnen das möglich war.
Und es war auch immer ein heimlicher Wunsch erfüllt. Für mich war immer ein Buch dabei, meine große Leidenschaft seit ich lesen konnte.

Auch wir hatten Geschenke für die Eltern, oft im Werkunterricht in der Schule gebastelte Dinge, liebevolle gemalte Bilder oft mit Texten versehen, die für das kommende Jahr besonders artige Kinder versprachen.
Das war übrigens auch der einzigste Wunsch den man meiner Mutter entlocken konnte.

Anschließend saßen wir bei Glühwein oder Apfelsaft zusammen am Wohnzimmertisch und die ersten Süßigkeiten wurden genascht und natürlich auch Mutters Plätzchen und Haferflockenmakronen gekostet. Es wurden auch die Süßigkeiten auf den bunten Tellern begutachtet und die ersten entdeckt, die ich vielleicht mit einer meiner Schwestern tauschen könnte. Ich glaube, am wenigsten interessierte das meine ältere Schwester die, wie auch mein Vater alles einteilte, daß es oft bis in den den Februar reichte.

Der Abend verging schnell.
Es war der besondere Abend an dem unser Vater mit uns spielte.
Mal war es das Kasperletheater, mal die Kinderzitter mit den von ihm vorgefertigten Noten zum darunterlegen oder das Tischtennisspiel.
Die Wohnküche wurde schnell zur Sporthalle umfunktioniert und das Spiel „Keuchel gegen Scheuchel" konnte beginnen.
Im Jahr des Tennismatches schrieb unsere Mutter einen Weihnachtsbrief an meine älteste Schwester, welche im Mai des Jahres geheiratet hatte und nun bei ihrer Familie in Thüringen wohnte.
Vielleicht ist da auch eine heimliche Träne auf das Briefpapier getropft, auf den sonst so lustigen Text. Denn das konnte unsere Mutter schon immer gut. An ihr ist wohl eine Dichterin verloren gegangen.

Wenn der Abend zur Nacht wurde, gab es noch die üblichen Halberstädter Bockwürste und die ganze Familie zog in die Josephskirche zur Christmesse.
Dort sangen wir alle nochmals " Stille Nacht " und unser Lieblingslied " Heiligste Nacht " .
Müde und das Herz voller Wärme ging es eineinhalb Stunden später heimwärts, wo wir noch einige Zeit bei Schinkenbrot und Selleriesalat verbrachten.

So ein Schinkenbrot war gar nichts gewöhnliches, denn das gab es nur zu Weihnachten und dann auch nur von „unter dem Ladentisch". Es hing immer davon ab, ob die Fleischersfrau unserer Mutter wohlgesinnt war. Davon hing auch ab, ob es mehr Speck als Schinken war.

Mit vollem Bauch und dem Gefühl den schönsten Tag im Jahr erlebt zu haben, ging es dann spät ins Bett.

Im Haus war es bereits schon wieder etwas kalt geworden.

Ich weiß nicht ob meine Eltern immer gut einschlafen konnten in der Zeit als wir alle noch daheim lebten, aber ich glaube in diesen Nächten nach dem Heiligen Abend schliefen sie ruhig.

Mit dem Viermädelhaus war es sicher manchmal schwer nicht die Geduld zu verlieren, aber meine Eltern haben es geschafft, aus uns allen Menschen zu machen, die die Liebe und das Zusammengehörigkeitsgefühl immer in sich behalten haben.

Und so treibt es uns jedes Jahr wieder am Zweiten Advent in das Haus der Kindheit, wo meine Eltern nun das ganze Jahr über allein wohnen und sicher oft an die Zeit der turbulenten Weihnachtsabende denken.
Im Verlauf der letzten Jahre haben wir alle unseren Heimatort verlassen und wohnen verstreut in ganz Deutschland.
Es ist zu einem schönen Brauch geworden, das sich unsere ganze Familie, inzwischen auch mit Enkeln und Urenkeln, in der Adventszeit bei unseren Eltern trifft. Bei Glühwein und Liedern können wir uns auch an unsere Kinderzeit erinnern.
Ich wünsche mir noch viele solcher in den Advent verlegten Heilig Abende meiner Familie.
 

Heidrun

Mitglied
falscher Titel

Ja so ist das, wenn man nicht richtig mit den Regeln vertraut ist.
Die Erzählung heißt eigentlich"Ein ganz besonderer Tag" und nicht "Weihnachten".
Ich wußte nicht das mit Thema gleich Titel gemeint ist.
Aber reingeschaut haben ja trotzdem schon viele, nur leider keine Bewertung, dabei bin ich "Blutiger Anfänger" und sehr neugierig auf eine Meinung.
 



 
Oben Unten