Weihnachten bei den Kaisers

4,00 Stern(e) 1 Stimme

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Der Heiligabend begann trübe und schneeverhangen. Das Wetter passte zur Stimmung in der Wohnung im dritten Stock. Dort hauste Familie Kaiser. Papa Kaiser, Fernfahrer, Mama Kaiser, Putzfrau im Supermarkt, Sohn Kevin und Tochter Svenja.
Mama Kaiser stand wie jedes Jahr bereits um 8 Uhr in der Küche und bereitete das Essen für Heiligabend vor: Würstchen im Mantel. Darauf bestand sie. Sie hatte ja auch gottergeben die Makronen nach dem Rezept ihrer verstorbenen Schwiegermutter gebacken, auf die ihr Mann so stand – also auf die Plätzchen – und wie in jedem Jahr waren sie steinhart geworden und würden im Januar an die Sternsinger verteilt werden. Diese machen in jedem Jahr den Fehler, an dieser Wohnungstür zu klingeln.
Papa Kaiser schlurfte in die Küche, sein Bauch im Unterhemd vor sich hertragend. Seine Männlichkeit , die schon bessere Zeiten und Frauen gesehen hatte, war von einer verwaschenen gelben Boxer-Shorts bedeckt.. Er knuffte seiner Frau in den Po. „Na, was machst Du da wieder? Diese schrecklichen angezogenen Würstchen?“ „Ja und? Die essen doch alle gern!“ „Quatsch, ich hab die noch nie gemocht! Seit 20 Jahren nicht!“, ereiferte sich Papa Kaiser. Mama riss ihre Kuhaugen auf. „Wie? Seit 20 Jahren magst du die nicht? Warum hast du nichts gesagt?“ Papa Kaiser zuckte die Achseln und nahm sich ein Morgenbier. „Hab sie halt immer mit Todesverachtung gegessen, du hast dafür eben die Makronen von dem alten Besen gemacht und...“ Er nahm einen großen Schluck aus der Flasche und rülpste. Mama Kaiser war irgendwie gerührt. Ach, ihr Mann war doch nicht so schlecht. Hatte immer ihre Würstchen gegessen, nur weil sie die Makronen gebacken hatte. Aber...ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren (was es nicht oft tat.) Sie sagte: „Aber wenn du die Würstchen doch nicht magst.... was sollen wir denn dann heute Abend essen? Also ich meine, ich habe jetzt nichts anderes da!“ Papa Kaiser goss sich einen Slivowitz ein. „Klar hast du nichts anderes, wir haben ja nicht umsonst letztens Dosenhochzeit gefeiert: Zwanzig Jahre Konservenessen! Lass man, ich würg die schon runter. Und den Kids ist es doch sowieso egal, was sie fressen. Die gehen eh später zu Mäckes!“

Als wäre das ein Stichwort gewesen, tauchte Kevin im Türrahmen auf. „Ey, was macht ihr beiden denn hier? Macht ihr einen auf Versöhnung wegen Weihnachten?“ warf er in die Küche und schickte sich an, mit einem Esslöffel das Nutella-Glas zu leeren. „Kevin, nimm dir bitte ein Brot dazu“, sagte seine Mutter leise und wickelte den Mantel um die Würstchen. „ Komm Mama, nerv nicht. Ich ess das immer so! Brot macht dick. Biste heute schlecht drauf? Oder haste so’n Wechseldingsbums?“ Mama schluckte. Kevin war kein schlechter Mensch, nein, ganz bestimmt nicht, aber er war so seltsam geworden, mit seinen Piercings, seiner gespaltenen Zunge, seinen Tatoos und seinen rabenschwarz gefärbten Haaren. „Wann geht heute Abend hier diese Heiligabendparty los? Ich will später noch mit meinen Kumpels abhängen!“, wollte Kevin wissen. „18 Uhr wie immer!“ erwiderte Papa Kaiser, leerte seine Bierflasche und ging furzend ins Bad.

Svenja tauchte auf, völlig verpennt und stelle dieselbe Frage wie ihr Bruder. Ihre Mutter hatte die Würstchen im Mantel fertig und warf das leere Nutella-Glas in den Müll. „Was willst du frühstücken?“, frage sie ihre Tochter. „Boah ey, mir ist schlecht, ich glaub ich hab nen Braten in der Röhre“, stöhnte diese und griff nach trockenem Zwieback. Mama Kaiser wunderte sich, dass sich ihre Tochter plötzlich für den Backofen interessierte. Sie hatte doch noch nie etwas in der Küche getan! Kopfschüttelnd strich sie ihr über das blondierte Haar. „Ach Kind, aus dir wird doch noch eine Hausfrau“, meinte sie und ging die Betten machen. Svenja verdrehte die Augen und machte sich einen Rotbusch-Vanille-Ananas-Gewürztraminer-Tee.

Einige Stunden später. Papa Kaiser hatte den Weihnachtsbaum aufgespannt, der das ganze Jahr fertig geschmückt im Keller auf seinen Einsatz wartete. Die heilige Familie, die seine Frau mit in die Ehe gebracht hatte, drapierte er vorsichtig darunter. Darauf bestand sie auch immer und er konnte es aber nicht lassen, wie in jedem Jahr Maria hinzulegen, weil ihr wegen der Wehen schlecht war und das Jesuskind im Weihnachtsbaum zu verstecken. Josef erhielt ebenfalls ein Versteck, schließlich hatte er nichts zur Zeugung beigetragen und war nur der Leihvater. Schöner Idiot! Und sich dann mit fremdem Nachwuchs brüsten! Nix da.Papa Kaiser verteilte die wenigen Geschenke unter dem sogenannten Baum und schaltete anschließend den Fernseher ein, um „Weihnachten mit Florian Silbereisen“ zu sehen – ein wahrhafter Hochgenuss für ihn, brauchte er dabei doch nicht zu denken.

Endlich war es 18 Uhr. Mama Kaiser erschien mit ondulierten Haaren und im Festtagsgewand, das noch Vorkriegsware war. Papa trug inzwischen einen Jogginganzug über seiner Unterwäsche und die Kids waren gestylt und parfümiert, dass der Weihnachtsbaum zu zittern anfing. Papa schenkte Sekt ein, zur Feier des Tages, wie er sagte. Er trank jeden Tag zur Feier des Tages. Sie prosteten sich zu , aber dann sagte Kevin sofort: „Ey, lass uns die Geschenke auspacken“, und sein Vater überreichte ihm ein kleines Päckchen, das Kevin verwundert aufriss.“ So wenig?“ Aber dann betrachtete er die kleinen Tütchen mit dem weißen Pulver mit großen Augen. „Alter, du schenkst mir Stoff? Wow!“ „Naja, dieser Christian-gebt-das-Hanf-frei-ich fordere-einen-Arbeitskreis-Ströbele hat das ja erlaubt!”, erwiderte der Vater. Svenja tat so, als freue sie sich über das Buch „Berufswahl leicht gemacht“ und Mama Kaiser packte entsetzt die essbare Liebesperlen-Reizwäsche aus und warf einen verschreckten Blick auf ihren Mann, der ihr das ganze Jahr über noch nicht mal seine Aufmerksamkeit schenkte.
Dann aßen sie die Würstchen im Mantel, mit Todesverachtung, Verzücken oder Bullrich Salz im Anschluss. Gleich danach verschwanden die Kids, während Papa und Mama Klettverschluss spielten und Papa die Reizwäsche aufaß.
Ist es wichtig zu erwähnen, dass sie den ersten und zweiten Weihnachtstag mit Sissi-Saufen zubrachten? (Bei jedem „Majestät“ einen Schnaps). Nein, ist es nicht, denn es war alles so wie immer....
 
U

USch

Gast
Hallo Doc,
Herrlich prollig. So möchte ich auch mal Weihnachten verbringen.
LG USch
 



 
Oben Unten