Weihnachten des Herrn K-S

Alo Isius

Mitglied
2008-01-24

Vorwort

„Der kluge Mann baut vor ...“ schreibt der Dichter F. v. Sch.
Und der zeitgemäß clevore Schreiber (A.I.) schreibt – sozusagen in ’vorauseilendem Gehorsam’, auf alles vorbereitet oder allem vorbeugend – vor:
„Da das nächste Weihnachten so gewiss kommt, wie das nächste Amen in der Kirche oder wie die nächsten Wahlen, ist immer und überall sowohl Nach- wie Vorweihnachtszeit, Nach- wie Voramenszeit und Nach- wie Vorwahlzeit. Diese drei vordergründigen Zeitbegriffe mögen erklären, warum diese Geschichte – eine Klischee-Kollage – in dieser Vorwahl- und/oder Vorweihnachtszeit von mir, zur gefälligen Konsumtion, auf den Markt geschmissen¹ wird. Amen.“

¹ Ein, an sich überflüssiger, Buchstabe mag den vorsichtigen Sprach-gebrauch des Autors bezeugen. Aber, lieber Leser, seien Sie trotzdem vor- und vor allem nachsichtig. mit eventuell massenhaft vorhandenen – revormierten Vorschriften nicht entsprechenden – Rechtschreib-, Tipp- u.a. Fehlern. Kein Schriftgeleerter, kein Lecktor und/oder Korrekturleser hatte sich bislang dieses Machwerk einmal vorgenommen... soll ja auch vorkommen, besonders bei Autoren, deren Vor- und Nachnamen so unbekannt sind wie im vorliegenden Fall.


Im Sommer des Jahres drei vor der zweiten Jahrtausendwende ging im Lande der Wenden von den Mächtigen wie alle vier Jahre wieder die Botschaft aus, dass ein jeglicher sich zu gegebener Zeit in dem ihm vorgeschriebenem Lokal einzufinden und die auf dem Menü verzeichneten Hanswursteler und –wurstlerinnen zu schätzen und zu wählen habe. Nun ergibt es sich aber, dass es im nämlichen Lande neben den prekariatischen Wählern fast eben so viele Propheten gibt, welche sich aber – damit sie vom gewöhnlichen Wahlvolk zu unterscheiden sind – gern als Experten, Prognostiker, wahlweise gern auch Weise titulieren lassen. Und wie alle Propheten des Wendelandes prophezeit, begutachtet, prognostiziert oder geweissagt hatten, war es nach langen, immer magereren Jahren zur Erntezeit wieder einmal zu einer jener großen Wenden gekommen, für welche dieses Land als funktionierende Demokratie gerühmt wird.
Ja, die mündigen Bürger des Landes hatten wieder einmal aus der Not eine Tugend gemacht, hatten das kleinere, aber buntere Übel gewählt, und anderen Parteien die Macht der Mehrheit beschert. Die alten schwarz-braunen waren aber auch zu abgegessen, abgelutscht und abgenagt gewesen. Selbst unter hoch konzertiertem Druck der Meinungsmacher war denen kein neuer Witz, keine vom Hocker reißende Schlagzeile mehr abzupressen gewesen. Ganz zu schweigen von positiven – also möglichst schrecklichen – Nachrichten: keine mühsam recherchierten Skandal-Dokumentationen und/oder von Geist und historischen Winden durchwehten Kommentare mehr: Nix, Null. Die Medien schwiegen im Walde. Warte nur balde...
... würden die Unternehmer der mittelständischen Meinungsindustrie in Armut und bittere Not versinken, drohten ihnen doch die Leser unter den Zeitungen, die Hörer und Seher vor ihren audiovisuellen Horch- und Guckkästen in einen wahren Dornrösleinschlaf zu versinken. Und schlafend würden sie natürlich die fälligen ABO-GEMA-GEZ-Gebühren nicht pünktlich überweisen können.
Hätten nicht die Wahlanzeigen und Werbeblöcke der demokratischsten aller Parteien noch ein paar Notgroschen zur Liquiditätsstabilisierung in die Kassen der Unternehmen gespült, wer weiß, wie vernichtend dann erst die von dringend notwendigen Rationalisierungsmaßnahmen ausgelöste Entlassungswelle über das hochqualifizierte Print-, Horch- und Guckware produzierende Personal hinweggebraust wäre.
Für Herrn K. S. – vormals Redakteur für Kultur und Vermischtes einer bekannten, überregionalen Zeitung (mit Regionalteil) – war sie verheerend genug gewesen: Ihn hatte die Jahrhundertwelle in die Arbeitslosigkeit und an den Rand einer ’neuen Armut’ gestürzt; deren Existenz er früher in brillant geschriebenen Artikeln stets ad absurdum zu führen verstanden hatte.
Den großen Flaggschiffen der Medienbetriebe blieb der Untergang in die tiefsten Tiefen der Themenlosigkeit und der wirtschaftliche Knockout noch einmal erspart:
die unter der Führung des dicksten Saumagenliebhabers angetretene Regierungspartei war – samt seinem immer wieder aufgewärmten Motto: „Die Hauptsache ist, dass hinten was rauskommt“ –, in einer Wahlschlacht von homerischen Dimensionen von der Gegenpartei – welche mit dem Schlachtruf „Was zählt, hängt vorn“ den etwas potenteren Wähler- schichten vorangestürmt war – , vernichtend geschlagen worden.
Die alte Regierung war gestürzt worden. Der Wechsel war längst fällig gewesen und musste nun eingelöst werden.
Während die Meinungsmacher mit alten Themen frischen Wind machten und ihre Segel blähten, während ihre wortgewaltigsten Frauen und Männer wahre Hymnen auf das endlich gesicherte Demokratieverständnis und Wechselbewusstsein der Wählerschaft – des wahren Souveräns – verfassten, Seiten weise die Reformvorhaben der neuen Koalition wohl-wollend feierten oder hämisch kommentierten, während sämtliche Write- and Talkmaster der Nation die Ministerriege des designierten Kanzlers wegen der neuen Kleider, wegen des an den Tag gelegten Eifers und Tempos lobten, warnten, tadelten, und während die Glossenschreiber der Presse selbst auf das, um diese Jahreszeit übliche Erheiternde – wie die wieder einmal viel zu früh auf den vorweihnachtlichen Besinnlichkeits-markt geworfenen, aus Osterhasen zusammengeschmolzenen Weihnachts-männer – verzichten konnten ... während all diesen Tun und Treibens der geistigen Elite des Landes scheuchten sich die Siegerparteien schonungslos und opferbereit durch die Koalitionsverhandlungen. Und schon bald konnten die neuen Macht- und Sitzinhaber ihre Amtseide leisten; allerdings – sei es nun wegen bereits entstandener Kurzatmigkeit oder aus ideologischer Überzeugung – ohne das bei ihren Vorgängern so unentbehrliche „...so wahr mir Gott helfe.“ Trotz sanfter öffentlicher Kritik an dieser Unterlassungssünde der neuen Regierungsriege, kam ein überraschender Schwung übers Land, ein teils gefühlter, teils realer Ab- oder Aufschwung. Die einen sagten so, die anderen so.

In diesen Aufschwung, den auch die Medien durch den Machtwechsel genommen hatten, gedachte sich auch Herr K. S. wieder einzuklinken: Bei diesem bulligen Themenboom würden ihm doch sämtliche Zeitungen seine bekannte Qualitäts-Schreibe förmlich aus den Händen reißen. Gegen anständiges Zeilehonorar, als freier Mitarbeiter... glaubte er wirklich.
Doch leider hat er ’nur’ einen Allerweltsnamen: er heißt Schulz, einfach und schlicht Schulz. Und nur, weil er in früheren Zeiten stets selbstbewusst und scharf „Schulz, Kultur“ ins Redaktionstelefon geknurrt, eigentlich gebellt hatte, war er bei ein paar Branchenkennern bekannt als der „Kultur-Schulz“. Seine Artikel hatte er bei der “AAZ“ stets mit dem, von feiner Selbstironie durchsetzten Kürzel “K-S“ gezeichnet.
Und wenn er, durch die noch gar nicht einmal all zu lange Arbeitslosigkeit schon unangemessen bescheiden geworden, seinen ehemaligen Chefredak-teur oder den eines anderen Blattes anrief, um einen seiner Texte anzubieten, dann ließen die einstigen Kampfgefährden doch tatsächlich den freundlichen Herrn Schulz einfach in der Leitung hängen, der sich da dünnstimmig und irgendwie kleinlaut meldete:
„Grüß Gott, Herr Obermeier (Vorfelder, Überreiter o.ä.), Schulz ist mein Name, ich möchte Ihnen meinen Artikel zur Dingsbums-Debatten-Affäre zur Veröffentli... wieso könnte da jeder... ja, aber bitte, ich bin doch... hallo... halloo?... hallo, Herr... Scheißkerl...”
So oder so ähnlich verliefen die meisten Telefonate mit ehemaligen Chefs oder Kollegen. Und mit seinen – Gotseidank – immer ungehörten und unerhörteren Beschimpfungen tat er denen natürlich bitteres Unrecht an: ,Da könnte ja jeder einfach anrufen und Veröffentlichung seines Schreibkrams verlangen. Solcher aufdringlicher Möchtegernschreiberlinge kann man sich doch gar nicht anders erwehren, als sie – wie Buchbinder Wanninger – in der Leitung zappeln zu lassen oder einfach aufzulegen!’
Und außerdem: Diesen Herrn Schulz konnten sie wirklich nicht wiedererkennen, einen solchen freundlichen Herrn Schulz hatten sie niemals gekannt.
Und das konnte nun freilich der Herr Schulz nicht wissen. Woher auch? Niemand hatte ihm bisher gesagt, zu sagen gewagt, wie sehr er sich verändert hatte.
Seine Frau war von seiner neuen Bescheidenheit anfangs beinahe richtig begeistert gewesen. Doch bereits nach wenigen Wochen, in denen er nicht einmal mehr das übliche Minimum – wöchentlich zweimal – versucht, geschweige denn ordentlich zustande gebracht hatte, nervte sie dieser träge, ungepflegte, miesemäulige Herumhocker langsam:
Dass er in vernünftigem Ton offenbar nur noch mit sich selbst oder mit seinem Laptop reden konnte, fand sie doch noch einigermaßen komisch. Dass er aber nicht ein einziges Telefonat mit seinen ehemaligen Sauf-kumpanen ohne orgiastische Schimpfkanonaden beenden konnte, hielt sie schon nicht mehr für die allen Frauen unverständliche Art, wie die Kerls ihre Aggressionen aneinander austoben. Dass ihm aber sie selbst und die Kinder immer gleichgültiger, ja, lästiger zu werden drohten, machte ihr zwar noch keine Angst, aber sie bemerkte an tausend alltäglichen Kleinigkeiten bekümmert einen stetigen Verfall seiner Persönlichkeit. Immerhin war er für sie einmal das liebenswerteste Exemplar aller raubeinigen Schmusekater gewesen, welche sie zu allen Zeiten in Rudeln lusthungrig umschlichen hatten... „Schöne Weihnachten werden das werden“ seufzte sie kummervoll – nicht immer, aber immer öfter – bei Gesprächen mit ihrer Mutter und ihren Freundinnen in die Muschel.

„Schöne Bescherung“ hatte sich Herr K-S seine Arbeitslosigkeit – wg. des s.g. allgemeinen Aufschwungs – anfangs noch recht schön gedacht, denn “wo ein Wille ist, ist auch ein Busch...“
Doch je öfter er bei seinen Telefonaten von seinen alten Chefs und Kumpels einfach hängen gelassen wurde, je öfter er auch seine einge-sandten Manuskripte – in seinen beigelegten und frei gemachten Rückumschlägen! – mit den üblichen, höflich und wortreich bedauernden Schreibautomatenabsagen zurückerhielt, desto wütender überließ er sich dem Sog seiner unfroh kreiselnden Gedanken, von denen er fürchtete, dass sie ihn irgendwann unrettbar hinabreißen würden in jene geistlosen Tiefen, in denen sich alles nur noch ums fragwürdige Überleben drehen würde. So tief war er noch nicht gesunken. „Aber wie lange dauert es wohl, bis man ganz unten angekommen ist?“ fragte er sich manchmal vorm Zu-Bett-Gehen. Und wenn er schon einmal ein paar Stunden Schlaf fand, fand er doch keine Ruhe. In immer enger werdenden Kreisen mahlte die Gedankenmühle unerbittlich jeden Hoffnungsstrohhalm zu Spreu. Sogar aus Träumen, in denen fröhliche Menschen vorkamen, erwachte er müde, unfroh, unangenehm neidisch und seltsam schuldbeladen. Selbst harmlos exotischer Traumfiguren wie des riesenhaften Schwarzen, der seine orange Straßenfegerkluft mit einem Räuber-Hotzenplotz-Hut krönte und fröhlich durch sein blendend weißes Maultiergebiss pfiff, erinnerte er sich beim Frühstückskaffe nur ungern. Ein kleiner Italiener, der im Traum seiner Frau immer wieder den Koffer zu einem Zug schleppte – und den sie dafür ständig und unerträglich dankbar anhimmelte –, kam in Traum immer nur deshalb mit dem Leben davon, weil K-S stets gerade noch rechtzeitig erwachte; dabei allerdings sein unfreundlichstes Auge zuerst öffnend.
Oft genug rettete ihn nur rechtzeitiges Erwachen in den Alltag hinein vor der Fortsetzung von leichten bis mittelschweren Alpträumen, in denen ihn ungeheuer freundliche Bullen und Bullitessinnen strahlend aus Halte-verbotszonen herauslotsten und ewig fröhlich ’gute Fahrt’ nachriefen. Oder aus solchen, in denen grinsende Bus- und Trambahnfahrer ihm durch die geöffneten Türen ihr ermunterndes ’Tempo-Tempo’ zuwinkten, um dann doch nur seine, von den sich automatisch schließenden Türen abge-quetschten Hände und Füße mitzunehmen.
Aus einem wahrhaftigen Horror-Szenario, in dem sich die Opfer von Verbrechen der Vergangenheit aus Leichengruben und -bergen zu Marschkolonnen formierten und – mehr von den Nachfolgenden gedrängt als freiwillig ausschreitend – gegen ihn vorrückten, um ihn an der Mauer hinter ihm und vor ihnen zu erdrücken drohten; einzelne Frauen und Männer dieser Kolonnen lächelten kindlich verlegen und zeigten ent-schuldigend auf die großen Drängler hinter sich...
... aus dieser Horror-Nacht erwachte er nur scheinbar, und der kalte Schweiß der Nacht rann ihm tagsüber wie flüssiger Brandbeschleuniger ins Gehirn, weil die Gesichter der treibenden Kräfte, auf die er im Traum trotz aller Ängste noch einen Blick hatte erhaschen können, unübersehbare Ähnlichkeiten mit den Bildern gewisser staattragender Persönlichkeiten in den Medien hatten. Mit jenen Figuren, die sich in wortgewaltigen Gedenkreden stets schützend hinter die Opfer, im praktischen Alltag aber zu gleichem Zweck eher vor die Täter stellen. Auch Kollegen der schreibenden Zunft erkannte er wieder, wie sie sich einmal mehr in einer öffentlichen Debatte über die ’Fehler in der Rede’ eines Mannes gefielen, der am „Hohlkörper des allgemeinen Konsens über den Holocaust“ gekratzt „und auch mit selbstkritischen und ironischen Untertönen den Meinungsbetrieb in seiner manchmal gutgläubigen, doch meist zynischen Doppelbödigkeit aufgedeckt und als Instrument der ideologischen Machtausübung, als profitables Mediengeschäft und intellektuelle Inszenierung erkennbar“ gemacht hatte.
Wütend setzte sich K-S vor seinen Laptop, stellte sich in einem offenen “Brief an meine lieben Exkollegen“ kampfbereit vor einen gewissen Herrn Martin W. und fetzte es seinen Berufskollegen, welche diesem Mann ans Bein bubiselten, mit den schärfsten Waffen seiner Zunft – mit Worten, mit nichts als Worten – wieder einmal so richtig hin. Daraufhin war ihm bedeutend wohler. Und er setzte mit Behagen sein K-S-Kürzel unter das Schreiben und faxte es an die “AAZ“. Und obwohl er im ’Verteiler’ noch fünf weitere namhafte überregionale Zeitungen der Republik aufgeführt aber nicht im geringsten an eine Veröffentlichung dieses beinahe klassisch zu nennenden Pamphlets geglaubt hatte, hatte er sich die Kosten für diese Faxen gleich gespart.
Sparen war neuerdings bei Familie Schulz überhaupt angesagt. Und das ausgerechnet in der Jahreszeit, in der er früher frei von Geldsorgen in den vorweihnachtlich geschmückten Konsumtempeln schwelgen, reinste Vor-freude kultivieren und sich fürs Fest als besonders spendabler Ehe- und Weihnachtsmann profilieren konnte. Je näher der Tag, der auch als Geburtstag des Gründers der Christenheit bekannt ist, heranrückte, desto verzweifelter fieberte er dem Postboten mit den Kontoauszügen entgegen. Er hatte fleißig viele Texte geschrieben und versandt – wenigstens für einen müssten doch einmal ein paar Weihnachtsnotgroschen aufs Konto schneien. Nichts... und wieder nichts.
Leise rieselte der Schnee, und er überlegte voll Bitterkeit, ob er nicht nach dem Schlötelburgschen Rezept für Arme ein paar Kartoffeln in den Frost legen solle, damit er wenigstens für seine Kinder etwas Süßes auf den Gabentisch zu legen habe. Er wagte es nicht, sich vorzustellen, was seine an sich humorbegabte Gattin wohl sagen und tun würde, wenn sie in ihrem Päckchen statt des ’Üblichen für den Hals’ diesmal tatsächlich nur ein Stückchen Seife finden würde...
Er litt, und am schlimmsten litt er unter den Demütigungen, die er sich als Buße für sein Versagen selbst auferlegte. „Warum“ fragte er sich in den quälendsten Stunden: „gehe ich nicht, wie viele Männer, einfach zum Zigarettenautomaten und komme nie wieder zurück?“
Nun, er rauchte ja auch schon nicht mehr. „ ...und schon wieder einmal eine Chance verpasst...“ dachte der unglückliche Herr K-S noch sieben Tage vor
’Heiligabend’.
Er hatte ja keine Ahnung, welches Wunder derweilen von seinem Nachfolger in ’Kultur und Vermischtes’ der “AAZ“, dem peruanischen Gast-Volontariats-Praktikanten Chesus-Maria del Unocho, vollbracht wurde. Diesen jungen Mann nannten die größten Hohlköpfe der gestrafften AAZ-Redaktion mit süffisanter Penetranz JessasMariunJosef, und prophe-zeiten ihm arrogant – wann immer sie ihm begegneten – eine ungeheuer-liche Karriere als Pressemann; was er stets mit einem strahlendem Lächeln quittierte. Aufmerksam hatte er immer den Ausführungen der lieben Kollegen gelauscht, in denen sie ihm über ihren Exkollegen, den ’großen Kultur-Schulz’, Aufklärung zuteil werden ließen. Seine Hochachtung vor diesem Mann war mit jeder Anekdote gewachsen, die er über ihn zu hören bekam. Und wenn er bescheiden fragte, ob, wo oder wie er diesen bedeutenden Mann kennen lernen, sich ihm evtl. vorstellen könne, lachten sie ihn aus; nicht immer sschlicht hämisch, aber doch so, als ob er, der kleine Niemand, sich anmaßend erdreiste, die Bekanntschaft eines Pressezaren höchstpersönlich machen zu wollen.
Darum hatte er im AAZ-Archiv gestöbert, unzählige Artikel vom K-S gelesen, zu verstehen versucht und resigniert: wie sollte er je die kompli-zierten Satzgebilde eines deutschen Kultur-Presse-Genies entschlüsseln, geschweige denn, je verstehen? Die nettesten der AAZ-Kollegen machten ihm Mut und trösteten ihn damit, dass sie auch nicht alles verstünden, aber viel Hoffnung auf ihn, JessasMariundJosef, setzten, dass er ihnen eines schönen Tages noch erklären könne, was der K-S so geschrieben habe. JMJ lächelte bei solchen Gelegenheiten nur sein strahlendstes Morgenlächeln.
Sechs Tage vor dem vierten Advent erlebte er ein Wunder: ein Engel erschien in seinem Volontärs-Kabuff im Basement der AAZ. Es war zwar nur die bezaubernde Blondine aus der Posteingangszentrale, auf die auch er – nebst einigen der bedeutendsten Stiere der AAZ – schon immer ganz gern bremsig gewesen wäre, aber dieser Engel überbrachte ihm eine Frohe Botschaft und verkündete ihm etwas, das seinen männlichsten Ehrgeiz stachelte und süßeste Hoffnung erweckte:
„Hier ein Fax vom großen K.S. Du hast doch immer darauf gewartet, einmal einen seiner Texte zu verstehen. Den hier kann nicht einmal so ein komischer Heiliger wie Du missverstehen. Du machst doch vertre-tungsweise den Umbruch fürs kommende Wochenend-Feuilleton? Okey, wenn Du das da reinbringst, wo’s hingehört, darfst Du mit mir Sylvester feiern, von mir aus gern bis Heilig-Drei-Könige. Capito?“
Und mit einem hinreißenden “Tschüssibussi“ flog der gute Engel wieder in die nächsthöhere Etage, wo, in Parterre, ihr allerheiligster Arbeitsplatz war. Na, und ob... er verstanden hatte!
„Santa Wiracotja... das ist ja ein Wunder... ein anderes Wunder wär’s, wenn ich das nicht vollbringen könnte... ich werde dieses Sylvester zur größten Bumserei, zur größten Jahrtausend-Wechsel-Knallerei, zum größten Vorweihnachtsfeuerwerk machen, dass allen Pressefritzen der wiedervereinigten deutschen Provinzen Hören und Sehen vergeht...“.
Er begann zu frohlocken: “oolle-ole-ole-ollee-oolee“, setzte sich wieder vor seinen Computer und schaute zu, wie sich der Scanner den Text, den “Brief an meine lieben Exkollegen“ vom K-S, reinzog, formatierte ihn an-schließend aufs übliche Presse-Format und – oh Yeah, JessasMariundJosef vollbrachte mehr als ein simples Wunder – schmuggelte ihn, an allen Kontrollinstanzen der AAZ vorbei, ins Wochenend-Feuilleton der AAZ. Und er vollbrachte das noch viel erstaunlichere Wunder: er verkaufte tatsächlich die K-Ssche Schmähschrift, samt eigenem Vorsatztext an vier weitere – im K-S-Verteiler aufgeführte – überregionale Zeitungen sowie an fünf namhafte Presse- bzw. Nachrichtendienste für deren Advent-Ausgaben, bzw. vorweihnachtlichen Pressemitteilungen .

„Der Autor dieses ’offenen Briefes an meine lieben Kollegen’ ist vielen Lesern leider nur als K-S, manchen Presse-Insidern als Kultur-Schulz und allen Mitarbeitern der AAZ als Redaktionsleiter wohlbekannt gewesen, bis ihm die Geschäftsführung unter seinem korrekten Namen, seiner privaten Anschrift überraschend das Kündigungsschreiben zusenden ließ. Ich fühle mich von den Gesetzen der Meinungsfreiheit autorisiert – von einer gewissen Verantwortung gegenüber seiner Leserschaft sogar verpflichtet –, an dieser Stelle nicht nur seinen Brief zu veröffentlichen, sondern auch seinen vollen Namen, seine Anschrift sowie seine Telefonnummer. Und ihm, seinen gegenwärtigen Umständen zum Trotz, Frohe Weihnachten zu zu rufen, sowie ihm und uns allen einen guten Rutsch ins Neue Jahr, dem vorletzten eines alt gewordenen zweiten Jahrtausends, zu wünschen. JessasMariundJosef.“

Vom Aufregenden, das daraufhin wem, wo, wann, warum und wieso passierte, will ich gar nicht erzählen. Allein was JessasMariundJosef und sein Engel – ich kann nichts dafür: sie hieß wirklich so –, seine Anna-Maria Schlitzohr, alles er- und überleben durften, ist Stoff für mehr als eine Tausend-und-eine-Nacht-Geschichte. Aber das sollen sie gefälligst selbst erzählen. Und, wie ich die beiden einschätze, werden sie das auch zu gegebener Zeit, vielleicht in einem autobiografischen Roman, vollbringen; jedenfalls ist das genau der Stoff aus dem Best-Seller gechneidert werden.

Und zu dem, was Herrn K-S und seiner Familie kurz vor und am Heiligabend alles widerfuhr, nur noch soviel:
Zunächst war Herr Schulz, als er am vierten Advent die Wochenend-Ausgabe ’seiner’ AAZ aufschlug, wie vom Donner gerührt, dann, als sie es endlich auch las, seine Frau, dann seine Kinder, die noch öfter als sonst ans Telefon sausten und enttäuscht feststellen mussten, dass alle Anrufer ihren Herrn Papa zu sprechen – um ihm zu werweißwas für einem tollen Ding zu gratulieren – seine Bank und die Konto-Nummer zu wissen wünschten, auf das sie das Honorar für eben dieses tolle Ding überweisen sollten...
Und ab Montag schneite es auf dem Konto, gingen unterschiedliche aber akzeptable, höhere dreistellige Beträge ein. Die größte Not hatte ein Ende, d.h. die Schulzes schöpften wieder aus einem vollen Brünnlein und kauften, was das Zeug hielt, manchen Tante-Emma-Käfer-, Metzger-, Spielwaren- und Tinneff-Laden leer. Auch mussten sie einen regelrechten Haustürdienst organisieren, denn ununterbrochen klingelten an der noch nie gesehene Nachbarn, bekannte und unbekannte Freunde und Verwandte, um Frohes Fest zu wünschen, eine kleine Aufmerksamkeit – nebst den üblichen Äpfeln, Nüssen, Mandelkernen sogar Süßkartoffeln – abzugeben und zu gratulieren. Herr K-S hatte Kreide fressen müssen, um wenigstens am Heiligabend, vormittags, sein neues “Schulz, ja , Kultur und so“ nicht allzu barsch ins Telefon zu bellen... erst nachmittags flaute der Ansturm ab, und eine sanfte Prise stiller Nacht wehte durchs Haus der Familie Schulz.
Und noch nie in seinem Leben hatte Alois Schulz seine Frau und seine Kinderlein mit verheißungsvoller klingelnden Glöckchen zum „... oh kom-met...“ herbeigebimmelt, noch nie mit seinen Lieben aus reinerem Herzen und vollerer Brust „Oh du fröliche...“ geschmettert... und noch nie so genau gewusst, warum und wieso „Ohwie lacht.“
 
Hi Alo Isius,

zuerst einmal herzlich willkommen in der Leselupe.

Nun zum Text: kürzen, kürzen, kürzen. Die Sätze sind viel zu sperrig, gestelzt und geschachtelt. Sehr mühsam, das zu lesen.
Das beginnt mit dem Vorwort und der elendslangen Einleitung zur politischen Situation 1997, wobei da noch nur Referenzen, aber keine Namen genannt werden. Sich da zurückzuerinnern um dem folgen zu können, kostet sehr viel Lesekraft.
Dann im Hauptteil kürzere Sätze, lass die unnötigen Referenzen und Anspielungen weg. Die stören nur, überladen den Text. Auch bis ich mitkriege, worauf Du hinauswillst, fliesst zuerst mal viel Wasser die Donau runter. Die Geduld hat der Leser meistens nicht, vor allem nicht wenn er/sie nicht von Anfang an gepackt wird.
Die Pointe "Ohwie lacht": ok, bekannt.

Generell im Humor&Satire-Fach:
- je kürzer und prägnanter, desto besser. Länger und gestelzt nur in Ausnahmefällen, und da muss man auch schon gut sein.
- Zuviele Anspielungen auf Dinge oder Begebenheiten, die dem Autoren bekannt, aber nicht unbedingt dem Leser, sind zuviel des Guten. Du verlierst den Leser (sofern Du ihn je abgeholt hast).

Fazit: der Text könnte auf ein Drittel reduziert prägnanter sein. Und den Leser nicht verschrecken.

Marius
 

Alo Isius

Mitglied
Lieber Herr Speermann,
geschieht mir ganz recht, dass Sie recht und mich gleich ordentlich gespeert haben.
Zur Erläuterung möchte ich anführen, dass ich bei der Wahl, wohin ich die Klischee-Kollage setze (Kurzgeschichte oder Humor & Satire), offenbar aufs falsche Pferdchen gesetzt habe:
Für eine Kurzgeschichte wäre mir ’s zu lang gewesen, für nen guten alten, realen und bekannten Witz war’s Ihnen zu lang.
Bis Sie sich soweit durch meine Verschachtelungen, namenlosen Referenzen usw. durchgequält hatten, um wenigstens zu ahnen, wohin ich will, ist, zugegeben, viel mehr Wasser die Donau als die Isar hinabgeflossen, wo das Machwerk ja verzapft wurde.
Herrn M. Luther schreibt man gern den Satz zu: „Wes Herz voll ist, des Maul läuft über.“
Verzeihen Sie meine Anmaßung, mit viel zu viel Worten, namen-losen Referenzen, unnötigen Sachverhalten und Motiven der Protagonisten, die magere Ohwie-lacht-Pointe in zu viele Schachteln verpackt und Leser verschreckt – ja, nicht einmal zu ähnlichem Zwecke abgeholt – zu haben.

Statt dessen habe ich einmal auf “Humor für Deppen“ geklickt... und auf – vielleicht – befriedigende Prägnanz gekürt, gekürzt, gekürzt:

K-S wird arbeitslos, schläft und träumt schlecht und leidet unsäglich. Warum? Mit Worten gar nicht zu beschreiben. Und dann geschieht das berühmte Weihnachts-Wunder, vollbracht von seinem Nachfolger im Amt, einem Ausländer – ujuijui: Doch plötzlich hat er wieder Kohle und Erfolg, Freunde und Verwandte, feiert, singt und lacht und erfährt so nebenbei, wann, wieso und wie Ohwie lacht. Haaleeluujaa... Hallelluja... luja sog i... zefixhalleluja.
 



 
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