John Wein
Mitglied
NYC, W 137th St. Nr.216
Von Westen her über Morningside Heights ist ungewöhnlich milde Luft herein geflossen, 22 Grad Celsius, die eigentümlichste Temperatur die je in New York an einem 22. Dezember gemessen wurde. Auf Wegen und Straßen ist der erste Schnee des heraufziehenden Winters längst geschmolzen. Ohne Umschweife hänge ich den Mantel zurück an den Haken.
Es ist Sonntag, der 4. Advent und wir planen einen Kirchgang in der Stadt. „Shilo“, hatte uns Judie, die Gastgeberin zu einem typischen Harlemer Gottesdienstes geraten, „geht nach Shilo! It is authentic und nicht so touristisch, kein Insidertipp aus dem Reiseführer. “ Das Letzte stimmte. Fein herausgeputzt als Würdigung des Anlasses und aus Respekt vor der Gemeinde, machen wir uns auf den Weg.
Die Shilo Baptist Church liegt gleich um die Ecke, 5 Blocks den Adam Clayton Jr. Blvd. hinunter, ungefähr eine Viertelstunde des Weges. Unsere Ahnung ist unbestimmt und die Gedanken bunt durcheinander gewürfelt. Was erwartet uns dort? Wie mag sich der Ablauf der Andacht gestalten? Sind wir überhaupt willkommen?
Das Kirchengebäude ist recht bescheiden, reicht nicht über die übrigen Dächer des Viertels hinaus. Nicht einmal ein Türmchen krönt den First. Ein schlichtes Kreuz am Giebel weist auf seine Bestimmung hin. Wozu auch Pomp und Gloria, geht es doch in erster Linie um die Verkündigung des Gotteswortes.
Durch einen Nebeneingang betreten wir das schlichte Gebäude und werden freundlich im kirschroten Kostüm empfangen. Mit ihren weißen Handschuhen wirkt die Kirchendienerin ausgesprochen vornehm. Vom Lieben Gott mit blasser Hautfarbe bedacht werden wir augenblicklich als Touristen eigestuft und über das Treppenhaus auf der Galerie einsortiert. Wir sind nun keine Teilnehmer am Gottesdienst mehr sondern lediglich Zuschauer einer Veranstaltung, ein bisschen enttäuschend. Aber man kann es verstehen.
Der Himmel des Kirchenschiffs wölbt sich über einen Freiraum von drei Etagen, uns gegenüber der Chor mit dem Altar davor. Langsam füllt sich die Galerie. Unten stellt sich der zwanzigköpfige Chor, lange, rote Roben, locker in Position. Gegenüber in erster Linie hat die Ältesten Damenriege platzgenommen. Ihre cremefarbigen Kostüme, Kappe mit Schleier, setzen würdevoll den farblichen Kontrast zum Rot. Rechts neben dem Chor geben zwei Harmonien, dahinter der Drummer, Musik und Rhythmus.
Pünktlich um 11 Uhr beginnt der Pastor die Messe mit dem Verlesen der wöchentlichen Verlautbarungen der Kirchengemeinde und alle Ankündigungen für die künftigen Weihnachtsfeiertage. Der tiefe Bariton geht angenehm ins Ohr. Adore - Anbeten- ist das Motto dieser Andacht so kurz vor dem Fest. Sie preist die Anbetung der Hirten auf dem Feld.
Stimmgewaltig mit instrumentaler Begleitung geleitet uns der gemischte Chor in die Feier. Was danach in den nächsten Stunden geschieht, stellt alles in den Schatten, was wir je in einem Gottesdienst erlebt haben. Die Verkündigung erhöht vom musikalischen Vortrag gerät zu einem unvergesslichen Erlebnis. Mit stimmgewaltigem Wechsel- und Gegengesang des Chores mit Soli Einlagen, die Gemeinde, dazu das rhythmische Klatschen und die wiegenden Bewegungen der Sänger reißen bei dieser ausgelassenen Aufführung auch uns mit und ermuntern zum Öffnen des Gesangbuches. Sogar vor mir die Handvoll russischer Jugendlicher, die etwas steif verstört der Vorstellung gefolgt waren, fallen lebhaft ein. Die Kirche bebt und alle Menschen im Saal sind vereint in ihrem Glücksgefühl, der Fröhlichkeit und Lebensfreude. Jetzt sind auch wir nicht mehr Publikum sondern ein aktiver Teil der feiernden Gemeinde Shilo. „Oh happy Days!“
Wann hat man so einen Jubelgesang in einer Kirche bei uns je erlebt!? Das enge Korsett katholischer oder evangelischer Liturgien lässt wenig Raum für ausgelassene Freude und Enthusiasmus. Die Andachten sind geprägt von Ernsthaftigkeit und Strenge. Da singt niemand lauthals und fröhlich mit. Wie anders in der Shilo Baptist Church an diesem 4. Advents Sonntag. Die Kirche ist proppenvoll. Da macht Gottesdienst Spaß, wird das Preisen Gottes stimmgewaltig und ausgelassen gerühmt und gerät zu einer musikalischen Verkündigung des Wortes. Singen vereint! Die Sänger, die Instrumente und Gemeinde geben alles und wir lassen uns mitreißen in dieses Feiern und Ehren. Dem Lieben Gott wird es gefallen haben!
Es will kein Ende nehmen. Nach zwei Stunden, die wie im Fluge vergehen, brechen wir ab, sind die Letzten, die die Tribüne verlassen und mutieren wieder zu Touristen. Draußen vor der Tür wartet der 4. Advent. Es ist mild, und 22 Grad Celsius in Harlem und unsere Wege sind in den Wolken.
JW, 06.01.2014
Von Westen her über Morningside Heights ist ungewöhnlich milde Luft herein geflossen, 22 Grad Celsius, die eigentümlichste Temperatur die je in New York an einem 22. Dezember gemessen wurde. Auf Wegen und Straßen ist der erste Schnee des heraufziehenden Winters längst geschmolzen. Ohne Umschweife hänge ich den Mantel zurück an den Haken.
Es ist Sonntag, der 4. Advent und wir planen einen Kirchgang in der Stadt. „Shilo“, hatte uns Judie, die Gastgeberin zu einem typischen Harlemer Gottesdienstes geraten, „geht nach Shilo! It is authentic und nicht so touristisch, kein Insidertipp aus dem Reiseführer. “ Das Letzte stimmte. Fein herausgeputzt als Würdigung des Anlasses und aus Respekt vor der Gemeinde, machen wir uns auf den Weg.
Die Shilo Baptist Church liegt gleich um die Ecke, 5 Blocks den Adam Clayton Jr. Blvd. hinunter, ungefähr eine Viertelstunde des Weges. Unsere Ahnung ist unbestimmt und die Gedanken bunt durcheinander gewürfelt. Was erwartet uns dort? Wie mag sich der Ablauf der Andacht gestalten? Sind wir überhaupt willkommen?
Das Kirchengebäude ist recht bescheiden, reicht nicht über die übrigen Dächer des Viertels hinaus. Nicht einmal ein Türmchen krönt den First. Ein schlichtes Kreuz am Giebel weist auf seine Bestimmung hin. Wozu auch Pomp und Gloria, geht es doch in erster Linie um die Verkündigung des Gotteswortes.
Durch einen Nebeneingang betreten wir das schlichte Gebäude und werden freundlich im kirschroten Kostüm empfangen. Mit ihren weißen Handschuhen wirkt die Kirchendienerin ausgesprochen vornehm. Vom Lieben Gott mit blasser Hautfarbe bedacht werden wir augenblicklich als Touristen eigestuft und über das Treppenhaus auf der Galerie einsortiert. Wir sind nun keine Teilnehmer am Gottesdienst mehr sondern lediglich Zuschauer einer Veranstaltung, ein bisschen enttäuschend. Aber man kann es verstehen.
Der Himmel des Kirchenschiffs wölbt sich über einen Freiraum von drei Etagen, uns gegenüber der Chor mit dem Altar davor. Langsam füllt sich die Galerie. Unten stellt sich der zwanzigköpfige Chor, lange, rote Roben, locker in Position. Gegenüber in erster Linie hat die Ältesten Damenriege platzgenommen. Ihre cremefarbigen Kostüme, Kappe mit Schleier, setzen würdevoll den farblichen Kontrast zum Rot. Rechts neben dem Chor geben zwei Harmonien, dahinter der Drummer, Musik und Rhythmus.
Pünktlich um 11 Uhr beginnt der Pastor die Messe mit dem Verlesen der wöchentlichen Verlautbarungen der Kirchengemeinde und alle Ankündigungen für die künftigen Weihnachtsfeiertage. Der tiefe Bariton geht angenehm ins Ohr. Adore - Anbeten- ist das Motto dieser Andacht so kurz vor dem Fest. Sie preist die Anbetung der Hirten auf dem Feld.
Stimmgewaltig mit instrumentaler Begleitung geleitet uns der gemischte Chor in die Feier. Was danach in den nächsten Stunden geschieht, stellt alles in den Schatten, was wir je in einem Gottesdienst erlebt haben. Die Verkündigung erhöht vom musikalischen Vortrag gerät zu einem unvergesslichen Erlebnis. Mit stimmgewaltigem Wechsel- und Gegengesang des Chores mit Soli Einlagen, die Gemeinde, dazu das rhythmische Klatschen und die wiegenden Bewegungen der Sänger reißen bei dieser ausgelassenen Aufführung auch uns mit und ermuntern zum Öffnen des Gesangbuches. Sogar vor mir die Handvoll russischer Jugendlicher, die etwas steif verstört der Vorstellung gefolgt waren, fallen lebhaft ein. Die Kirche bebt und alle Menschen im Saal sind vereint in ihrem Glücksgefühl, der Fröhlichkeit und Lebensfreude. Jetzt sind auch wir nicht mehr Publikum sondern ein aktiver Teil der feiernden Gemeinde Shilo. „Oh happy Days!“
Wann hat man so einen Jubelgesang in einer Kirche bei uns je erlebt!? Das enge Korsett katholischer oder evangelischer Liturgien lässt wenig Raum für ausgelassene Freude und Enthusiasmus. Die Andachten sind geprägt von Ernsthaftigkeit und Strenge. Da singt niemand lauthals und fröhlich mit. Wie anders in der Shilo Baptist Church an diesem 4. Advents Sonntag. Die Kirche ist proppenvoll. Da macht Gottesdienst Spaß, wird das Preisen Gottes stimmgewaltig und ausgelassen gerühmt und gerät zu einer musikalischen Verkündigung des Wortes. Singen vereint! Die Sänger, die Instrumente und Gemeinde geben alles und wir lassen uns mitreißen in dieses Feiern und Ehren. Dem Lieben Gott wird es gefallen haben!
Es will kein Ende nehmen. Nach zwei Stunden, die wie im Fluge vergehen, brechen wir ab, sind die Letzten, die die Tribüne verlassen und mutieren wieder zu Touristen. Draußen vor der Tür wartet der 4. Advent. Es ist mild, und 22 Grad Celsius in Harlem und unsere Wege sind in den Wolken.
JW, 06.01.2014