Mir ging es bei dem Text um was Anderes:
Der Text beginnt ambivalent, in Form zweier Schienen: "Weine nicht um mich" (allgemein) und "Steh nicht an meinem Grab, und weine um mich" (lokal), diese beiden Aussagen sind nicht identisch, sie heißen "gar nicht um ... weinen + nicht am Grab um ... weinen", wobei letztere Aussage unangenehm, weil abgegriffen, an das christliche Motiv der Jungfrauen am Grab Jesu erinnert.
Darin sehe ich fast sowas wie eine kleine Gotteslästerung, weil sich hier "Mensch" mit "Jesus" doch gleichzusetzen versucht, indem dieses letztere Bild doch ein bereits-Auferstandensein impliziert ("Mensch" wird aber, in chrstl. Symbolik, erst am Ende der Welt auferstehen, sodass der im Text vortragende Gestorbene also sehr wohl noch im Grab liegen müsste und auch nicht sprechen würde, da bis zum finalen Gottesruf gültig-tot.)
Dass der Gestorbene im Text überhaupt vorträgt, ist eine Ungeschicklichkeit der Gestaltung, denn in der chrstl. Jesus-Szene trägt wenigstens (nur) ein Engel vor "Er lebt", aber nicht Jesus selbst. Das "Wunder" entsteht gerade daraus, dass ein Engel erzählt, was Sache ist. Würde Jesus selbst am Grab stehen und den Jungfrauen kundtun: "Macht euch mal nicht ins Hemd, ich bin ja wieder lebendig", dann wäre die Szene eher lächerlich als wunderbar, und die jungen Frauen würden ihn etwa für nur-scheintot gehalten haben.
Danach ist Jesus "entrückt", er bleibt aber als Jesus erkennbar, löst sich nicht auf in Einzelteile.
Jesus bleibt auch danach "selbstidentisch".
Der Jesus-analoge Gestorbene im Text, ebenfalls (wie ein Gottessohn) direkt auferstanden, ist danach aber vereinzelteilt in Allem, und das heißt schlicht, er geht den animistischen Weg = zurück ins Allessein, was dem chrstl. Bild derart diametral widerspricht, dass ein Giordano Bruno dafür 1600 immerhin auf dem Scheiterhaufen endete.
Der Text-Verstorbene gibt seine Selbstidentität auf und bekommt dafür eine überhöhte Alles-Identität = Ich bin jetzt alles (der Text-Mittelteil schildert ausdrücklich Beispiele dieses "Allesseins"). Das ist Animismus, und es ist eine Form des Pantheismus.
Das chrstl. Bild von der Grabesauferstehung Jesu wird somit als Einstieg benutzt zu einem dann ausgemalten Pantheismus. Entweder wurde, da sich beide historischen Entwürfe völlig widersprechen, also hier das chrstl. Bild nicht wirklich verstanden, oder der Pantheismus nicht.
Oder beides käme in einer neuen, bisher nicht bekannten Art der Synthese, wofür sich im Text aber keine Hinweise finden, weil der Text eine solche stattgefundene Synthese bereits voraussetzt, statt sie zu begründen.
Das chrstl. Auferstehungsbild ist die Textklammer = zu Anfang und am Ende, und im Mittelteil "findet" Pantheismus statt = Widerspruch
Daher ist die Ich-Form des Erzählten dann problematisch, denn in animistischer Einheit des "Eins ist Alles" existiert gerade eben kein Ich. Animismus und Ich-Sein (auch eines Erzählers), also selbstidentisch sein, schließen einander aus.
Hier wurde also entweder das Prinzip der Selbstidentität oder die Grundlage des Animismus nicht verstanden, beides synchron/ gleichzeitig geht nicht = Widerspruch
Dann impliziert der Text, dass man um Gestorbene weint. Mag zwar üblich sein, aber dies -einfach so- vorauszusetzen, ist hier problematisch, denn: Im Text klingt die Sache eher so, als würde der Gestorbene zu Anfang dieses Weinen zuerst in zwei Anläufen suggerieren, um danach beweisen zu können, wie dumm der Weinende doch ist, und wie falsch der mit seinem Weinen liegt.
Im analogen Bild: "Liebchen, iss doch hier von der Kohletorte, schmeckt gut! - Ach, wie kannst du nur so dämlich sein, Kohletorte zu essen?"
Und ein Letztes: Der Mittelteil des Textes ist animistisch "Eins ist Alles". Dass im Animismus die Selbstidentität eines "Ich" unmöglich ist, und damit auch ein Ich-Erzähler nicht denkbar, wurde bereits genannt.
Eine weitere Auswirkung des Animismus ist jedoch, dass, falls etwas alles ist und somit auch alles bedeutet (= Hypersemiose*), dies aus Gründen der Logik auch dann besagt, dass es garnichts bedeutet (denn von jeder wahren Aussage ist aus Gründen der binären Logik auch das genaue Gegenteil wahr/ a = a woraus folgt nicht-a = nicht-a).
Dies aber lässt ein Weinen dann als überflüssig erscheinen, denn um Bedeutungsloses weint man ja nicht. Damit aber würde die chrstl. Klammerung des Textes zu Anfang und Ende wegfallen, und übrig bleibt dann nur noch ein animistisches Mittelteil, in dem animistisch-unmöglicher Weise ein Ich-Erzähler sich selbst in einigen Bildern als animistisch im Allessein aufgelöst beschreibt.
Generell muss der Text natürlich in solche Widersprüche hineingeraten, weil er unausgesprochen bereits zugrunde legt (und dies als üblich voraussetzt), dass ein "Ich" auch nach dem Gestorbensein weiterhin vorhanden bleibt, und er sich somit selbst das Problem erzeugt, wo bleibe ich mit diesem Ich, wenn physisch nichts mehr da ist, der Gestorbene sich im Grab aufgelöst hat?
Die handfeste Lösung: Die Einzelteile, aus denen der Gestorbene bestand, fließen auf natürlichem Weg zurück in die natürlichen Kreisläufe (Chemie zu Chemie) als Substanzen für neue Spiele, vollzieht der Text nicht, weil er das mystische Bild der Seele zugrunde legt.
Erfinde ich mir aber eine "ewig leben sollende Seele", dann habe ich auch das Problem anzugeben, wo diese bleibt, was sie treibt, wenn das Körperliche vergangen ist.
Und löse ich dann aber -wie im Text- diese Seele im animistischen "Eins wird Alles" auf, dann habe ich keinen Gegenstand mehr, über den ich reden könnte, um den man weinen müsste, an den man überhaupt als (mit sich selbst identischen) Gegenstand noch denken könnte, weil dem Denken dann das Objekt fehlt.
Der Text bricht, zusammengefasst, wie ein Kartenhaus in sich zusammen und die Trümmer bestehen aus nicht-zusammenpassenden, weil widersprüchlichen Einzelteilen, die aber auch nicht im Sinn der Komplementarität zusammengehen. Der Text ist daher eine Konfusion unüberlegter oder nicht verstandener Versatzstücke von Denkansätzen zur Welterklärung. Er verstößt gegen die Regeln redlichen Denkens und führt den Leser in ein konfuses Dickicht ohne erhellenden Nutzen, da Dickicht aus dem Textinhalt heraus nicht auflösbar.
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* Hypersemiose:
Wenn ein Zeichen nicht für eine bestimmte Sache konnotiert, nicht auf einen bestimmten Gegenstand hinweist, sondern ein Zeichen für alles sein soll, dann verliert es seinen sinnvollen Zeichencharakter, der daraus besteht: "Zeichen A weist hin auf Gegebenheit B".
Beispiel: Ein Wort, das alles bedeuten soll, bedeutet damit zwangsläufig auch garnichts.
Dies ist ein Grund, warum sich zB selbst die Chiffre "Gott" die Welt mit einer -quasi zu ihr symmetrischen- Chiffre "Teufel" teilen muss: "Chiffre "Gott" weist hin auf eine abzählbare Anzahl von Gegebenheiten/Eigenschaften, und Chiffre "Teufel" ebenso auf eine abzählbare Anzahl von andersartigen, also von ersteren unterscheidbaren Gegebenheiten/Eigenschaften". Auch beide zusammen "Gott + Teufel" ergeben somit keine Hypersemiose, weil die Summen-Anzahl der Eigenschaften beider abzählbar bleibt.
Die Chiffre "allmächtiger Gott" ist indes in sich selbst eine Hypersemiose, da "Allmacht" zu logisch-unauflösbaren Widersprüchen führt (ZB "Gott" kann einen Stein machen, der so groß ist, dass er ihn selbst nicht mehr hochheben kann. Kann er das, dann ist er nicht allmächtig, weil er den Stein nicht heben kann, kann er solchen Stein aber gar nicht herstellen, ist er ebenfalls nicht allmächtig.)
PS: Ich ersetze die Worte "Tod/Totsein" immer durch "Gestorbensein", weil letzteres den dynamischen Verlauf von Leben bis nicht-mehr-Leben beinhaltet, während "Tod" eine statische Sache beschreibt. Damit wird der dynamische Zustand des nicht-mehr-Lebens verkannt, und stattdessen erzeugt man rein sprachlich schon ein Eingefrorenes, ein Gespenst mit personenähnlichen Zügen, was schon aus sich heraus Bedrohlichkeit suggeriert.
Man bedenke, wie selbstwidersprüchlich das Wort "tot-sein" ist, da es nach dem Gestorbensein kein Sein mehr gibt, dies ist ja gerade die Definition von "nicht mehr leben".