Weiß-gelbe Bettwäsche [ extra large ]

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Alpha

Mitglied
Weiß-gelbe Bettwäsche


Ja. Das große Haus
mit den vielen Gängen
mit den vielen Fenstern
und den vielen Menschen
Das vermisse ich

Drumherum der große Park
friedlich, ruhig und erholsam
mit vielen Wegen und Pfaden
und vielen schönen Bäumen,
und Enten im kleinen Teich

Ich gehe still die Gänge entlang
lausche dem Klang meiner Schritte
drücke ab und an auf die Schalter
die automatischen Türen öffnen sich
dann fahre ich mit dem Fahrstuhl

Drücke wieder auf einen Schalter
die Tür öffnet sich automatisch
meine Schritte klingen im Vorraum
Pflanzen sind hier, und Stühle
Hallo sage ich, und gehe ins Zimmer

Alle Zimmer sind gleich, ohne Nr
und wir dürfen sie sogar schmücken
mit selbstgemalten Bildern, Blumen
und Fotos vielleicht. Mal sehen
Aber wirklich nette Zimmer sind das

Es ist auch nie langweilig hier
Es gibt vier Mahlzeiten am Tag
Früh, mittags, Kaffee und abends
Immer auf dem gleichen SitzPlatz
Nicht immer der gleiche Nachbar
Und das Mittag kann man wählen

Es ist auch nie langweilig
Reden mit netten Menschen
Reden mit anderen Menschen
Unterhalten, zuhören, denken
Rauchen. Fernsehen ab fünf

Kegeln, Karten, Dame spielen
Reden mit netten Menschen
dazwischen mal eine Rauchen
am liebsten aber Schlafen
im schönen geschmückten Zimmer

Das Bett habe ich am liebsten
Höhenverstellbar, mit Geländer
Kopf- und Fußlehne verstellbar
Dünne, weiß-gelbe Bettwäsche
nur das Bettlaken rutscht gerne

Im Bett liege ich am liebsten
in der kühlen, sauberen Bettwäsche
Nicht reden müssen, still sein
Hoffentlich auch nicht nachdenken
Und den Blick zum Fenster hinaus
 
S

Sandra

Gast
Hallo,

vorweg, ich habe gerne deine [extra large] weiß-gelbe Bettwäsche gelesen. Du erzählst hier eine kleine Geschichte, gibst dem Leser einen Einblick in das Leben des Proth.. Der Erzählstil des Gedichtes und die recht einfache Sprache helfen dabei zu begreifen, wie stupide dieses Leben ist und welche Monotonie sich eingeschlichen hat. Doch merkt das anscheinend nur der Leser, der Proth. scheint zufrieden zu sein, so wie es ist. Bis auf den letzten Satz, dort hört man die Sehnsucht, aber auch noch versteckt. Dein Gedicht und die Geschichte darin, werden sehr feinfühlig und geschickt dargestellt. Und mir hat es gefallen es zu lesen :) .

LG
Sandra
 
@ Alpha

Hoffentlich auch nicht nachdenken
Und den Blick zum Fenster hinaus
Ein sehr gelungener Text ohne Makel. Die sarkastisch-böse Aussage ist ganz filigran und authentisch-gefärbt in harmlose Formulierungen eingesponnen.
Es ist dies eine wirkliche "Gemeinheit", eine ganz subtile Rache an Erlebtem, die fast Angst machen könnte, denn wehe, wenn sich die offensichtliche understatement-artige Kritiklosigkeit des Protagonisten ändert.
Was auffällt, ist die schiere Summe dieser "alles-ist-so-angenehm"-Formulierungen, und eben das Ende: Hoffentlich nicht nachdenken, und den Blick immer schön ins Leere, und sich um Gottes Willen auf die an sich völlig bedeutungslose Farbe der Bettwäsche konzentrieren, damit die Wut einen unschädlichen Anker hat!
Das kommt wie eine Beschwörung (aus Angst vor der eigenen Wut). Klasse!

Ich interpretiere den Text als sehr boshafte und äußerst gekonnte Kritik an einem authentischen Heimaufenthalt, Krankenhauserlebnis o.ä.

Richtig, Alpha? Mach weiter so, Du hast da sehr erstaunliche Fähigkeiten!
 

Alpha

Mitglied
Richtig. Und du hast erstaunliche Fähigkeiten in Sachen Interpretation! =) Ich danke dir für deine Mühen und das intensive Beschäftigen mit diesem Text.

Einen lieben Gruß, Alpha
 
@ Alpha,

wenn man wie ich Jahrzehnte-lang in einer Anstalt gearbeitet und genau unter den von Dir geschilderten Monotonien gelitten hat, auch als Mitarbeiter, dann fällt es nicht schwer, sich in Deinen Text hineinzuversetzen.

(Wir hatten zB Betonwände, und darin waren die Abdrücke der hölzernen Schalbretter verewigt = Billigbau. Was meinst, wie oft ich stundenlang mit den Augen diese Muster verfolgte und dabei vor aussichtloser Langeweile fast gestorben bin.)

gruß, w.
 



 
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