Weißes Rauschen

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Nina_H

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Weißes Rauschen

„Hey, Wassily, hör dir das mal an!“ Checov hielt ihm den Kopfhörer hin. „Ich sag‘ dir, Wassily, da ist ‘was!“
„Ja, ja, sei mal still, sonst höre ich ja nichts.“ Er lauschte angestrengt, ehe er ihm den Kopfhörer zurückgab.
„Was ist? Hörst du...?“
„Nichts, Checov. Nur Rauschen.“
„Aber... Ich habe es ganz deutlich gehört, Wassily.“
Er richtete sich auf. „Was hast du ganz deutlich gehört?“
„Klicks. Schnelle Klicks.“
„Sicher nur von einem Raumschiff.“ Missmutig blickte er wieder auf den Wellenbildschirm.
„Nein, ich weiß doch, wie sich verschlüsselte Signale von Raumschiffen anhören. Die aber waren viel schneller!“ Checov spürte, dass er ihm nicht glauben wollte.
„Na gut, na gut“, brummte Wassily. „Wenn du’s nochmals hörst, dann drücke die Recorder-Taste. Aber nicht, dass du wieder Such-Funksprüche in alle Richtungen aussendest – du weißt ja, was beim letzten Mal passiert ist!“ Wassily griff nach seiner Teetasse und vertiefte sich dann wieder in ein Buch über astronomische Navigation.

Wassily bemerkte, dass Checov nun schon den ganzen Tag an der Konsole saß und die blinkenden Lichter verfolgte. Die Konsole war alt, wie die Station selbst auch. Früher hatte man von hier aus die Routen der interstellaren Handelsflotte und die Funksprüche der Sternenschiffe überwacht. K7F3 lautete der Name der Station, und in längst vergangenen Zeiten hatte dort ein gutes Dutzend hochqualifizierter Männer gearbeitet. Von diesen waren nur noch Checov und er übriggeblieben. Und in wenigen Wochen sollte K7F3 aufgelöst werden.

„Das Signal!“ Checov riss ihn urplötzlich aus seiner Gedankenwelt. „Wassily! Komm schnell!“
Als er sich den Kopfhörer überstülpte, war da wieder nur weißes Rauschen. Ganz weit weg konnte Wassily ein Raumschiff ausmachen, aber nur, wenn er sich sehr darauf konzentrierte.
„Checov, hast du wenigstens das...“, er räusperte sich, „das Signal aufgezeichnet?“
Checov schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab.
„Dachte ich’s mir doch! Was du hörst, sind Effekte des weißen Rauschens, mehr nicht! Du setzt dich nicht mehr an die Konsole! Das übernehme jetzt ich! Ich glaube, es wird dir besser gehen, wenn du wieder auf der guten alten Erde bist! Deine Miss Ludmilla freut sich doch auch schon darauf, oder?“ Wassily grinste und drückte ein paar Schalter. Er stellte fest, dass Checov in den letzten Wochen alles an der Konsole verändert hatte, was man nur verändern kann. Jeder Tastendruck wurde durch ein schrilles „Beep!“ bestätigt, bei jedem Programmaufruf bekam man ein Star Trek-Bild zu sehen und bei jeder Neuanmeldung an der Konsole – allerdings nur unter dem Namen „Checov“ – wurde man von einem Bild der blonden Ludmilla begrüßt. Wassily entschied sich dazu, den „Beep!“-Ton und das Star Trek-Bild auf ein anderes Speichermedium auszulagern. Ludmillas Bild aber ließ er, wo es war.
Als er sich umdrehte, sah er, dass Checov gelangweilt in einer Holografiesammlung blätterte. Da Wassily nun an der Konsole saß, blieb ihm keine Zeit für solche Dinge. Das heißt, natürlich hätte er Zeit dazu gehabt. Aber Wassily nahm den Dienst an der Konsole immer noch sehr ernst, obwohl die Handelsflotte längst durch sehr leistungsfähige Computer überwacht wurde.
Aus diesem Grund hatte er auch Checov abgelöst – ein Weltraumfunker, der seltsame Signale hört und dann nicht einmal die Recorder-Taste drückt (weil es die Signale höchstwahrscheinlich gar nicht gibt) ist einfach nicht zu verantworten. Wassily hat nicht vergessen, was er in seiner langjährigen Ausbildung gelernt hatte.

Solange Wassily auch ins All hinaushorchte, er hörte nur die Signale vorbeiziehender Sternenschiffe. Auf dem Radarschirm konnte er die genaue Position jedes der Raumschiffe als rotglühenden Punkt ausmachen. Er wollte den Kopfhörer schon wieder auf die Konsole legen, als die Funksignale durch weißes Rauschen unterbrochen wurden. Eindeutig weißes Rauschen, keine mysteriösen Signale. Wassily drückte trotzdem die Recorder-Taste. Das Rauschen wurde dichter und wurde plötzlich durch eine Reihe schneller Klicks von hoher Frequenz unterbrochen. Das mussten die Signale sein, die Checov gehört hatte! Checov war nicht überarbeitet, war nicht verrückt. Er hatte Recht gehabt.
Wassily wählte den Signal-Encoder. Der Bildschirm leuchtete auf, während die Frequenz der eingehenden Klicks zunahm. Der Computer fand keinerlei Übereinstimmung mit den gespeicherten Signalmustern – kein Raumschiff, keine Sonde, kein Asteroid. Und auch kein noch so seltsamer Effekt des weißen Rauschens. Da draußen musste etwas anderes sein.
Das Frequenzmuster auf dem Bildschirm vor ihm flatterte unruhig.
Checov hatte Recht gehabt. Checov hatte Recht gehabt. Checov hatte ...

Wassily riss sich den Kopfhörer von den Ohren und starrte hinaus in das Dunkel des Kosmos. Ein Stern, umrahmt von fünf anderen, funkelte blau. So musste die gute alte Erde von ganz weit weg aussehen, dachte er.
Nein, es war ganz sicher nichts gewesen. Ganz sicher nicht. Nur wieder ein seltsamer Effekt des weißen Rauschens. Er kannte das.
 



 
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