Welken und Seufzen

3,70 Stern(e) 3 Bewertungen

Liesske

Mitglied
Welken und Seufzen

Still hält der Herbst die Uhren an.
Die Schatten sprießen in dem reifen Raume,
und an dem blattbeflissnen Pflaumenbaume
hängt stirnerunzelnd eine letzte Zwetschge dran.

Der Wind beginnt von Oslo her zu fächeln.
Er streift genüsslich durch die bleichen Binsen,
wo hie und da schon Reifkristalle grinsen
und aus den Nebelnetzen Spinnen lächeln.

Ganz unverdrossen blüht die frohe Heide.
Die Rose blickt mich leise welkend an
und frägt, wieso ich jetzt noch leben kann.

Ich weiß es nicht. Doch irgendwann
seufz ich ihr zu: Getrost! Wir welken beide.
 
S

Schriften

Gast
Hallo Liesske,
mir gefällt dein Gedicht sehr gut. Es sind schöne Bilder, schöne Gedankengänge, schön herbstlich.
Ich frage mich nur, wen die Rose fragt. Dich oder die Heide? Wenn sie mit der Heide spricht, solltest du bei der vorherigen Perspektive bleiben.

Ganz unverdrossen blüht die frohe Heide.
Die Rose blickt mich leise welkend an
und frägt, wieso ich jetzt noch leben kann.

Ich weiß es nicht. Doch irgendwann
seufz ich ihr zu: Getrost! Wir welken beide.
Als Leser irritiert mich das ein wenig.

Also vielleicht einfach nur:
Ganz unverdrossen blüht die frohe Heide.
Die Rose blickt sie leise welkend an
und frägt, wieso sie jetzt noch leben kann.

Sie weiß es nicht. Doch irgendwann
seufzt sie ihr zu: Getrost! Wir welken beide.

Wenn du es doch anders meintest, dann wäre dort m.E. nach ein Bruch, dann solltest du eine Überleitung zwischen den Perspektiven finden.
Trotzdem gefällt es mir sehr gut!
Liebe Grüße
Schriften
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Liesske,

bin begeistert von dem hier angeschlagenen Ton und der atmosphärischen Kraft dieser Zeilen!
... und irgendwie tut dieser Ton gut, so als Gegenton zu all dem täglichen Gelärm', das sich bemüht, immer brandaktuell und äußerst substantiell zu sein...
Das Schöne an der Herbststimmung ist ja auch das Gefühl der Entschleunigung - das kommt wunderbar rüber in deinen Zeilen.

lg wüstenrose
 

Liesske

Mitglied
Hallo Schriften und Wüstenrose,
schön, dass Euch das Gedicht 'erreicht'. Danke für Eure Anmerkungen!

Die Rose spricht tatsächlich mit dem Betrachter. Ich finde, der Mensch gehört immer mit dazu, wenn wir Natur beschreiben. Wir leben nicht neben oder außerhalb der Natur, wir sind Teil von ihr.

Für mein Empfinden gibt es daher keinen Bruch in diesem Text. Vielleicht kommt ja das Auftauchen des Betrachters grade etwas überraschend, das wäre auch nicht schlecht. Allenfalls könnte ich mir nach der Heide noch eine Leerzeile vorstellen, die sozusagen den Übergang ankündigt.

Ja, Wüstenrose, Entschleunigung ist ein ganz aktuelles Thema...Danke!

Liebe Grüße
Frank
 
S

Schriften

Gast
Hallo Frank,

jetzt bin ich zufrieden, wo ich es genau weiß :).
Eigentlich bin *ich* wie bei einem Spaziergang mitten im herbstlichen Geschehen oder Nichtgeschehen. Warum sollte mich die Rose nicht auch persönlich ansprechen? Wunderschön!


Liebe Grüße
Schriften
 



 
Oben Unten