Wellington

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wellington war nicht von dieser Welt. Er war besser und schlechter. Gieriger und gnadenloser. Machthunger sein täglicher Antrieb. Er dachte und glaubte nur an sich. Warum auch nicht? Gottgleich beherrschte er sein Imperium. Nun gut! Es gab den Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender er war. Aber er hatte sie immer zufriedengestellt. Den Aufsichtsrat und die Aktionäre. In den Aufsichtsratssitzungen sah er in ihre Augen. Sie bettelten nach seinem Rat. Und so strafte und vergab er, wie es nur Menschen zusteht, die Jenseits von Gut und Böse existieren.
Die heutige Sitzung war nicht in seinem Sinne verlaufen. Was hatten sich diese Stiefellecker gedacht? Stellten ihm Fragen und suchten eigene Antworten. Ihre Augen waren zum ersten mal nicht auf ihn gerichtet. Sie wilderten in seinem Revier. Wellington konnte ihre Gedanken lesen: „Er lässt nach. Lange hält er sich nicht mehr. Bald stehen Aufsichtsratswahlen an und dann..........!“
Was waren sie doch für arme Irre. Glaubten diese Narren denn allen Ernstes, dass sie an seinem Stuhl sägen konnten? Wellington stand am Fenster seines Büros und blickte gedankenverloren auf New York. Sein Blick verlor sich in der Tiefe und wie in Zeitraffer zog seine Kindheit an ihm vorüber. Die Jugend in der Bronx. Erste Machtkämpfe. Blut. Drogen- und Waffenhandel. Die Bronx war Dreck. Aber hier heranzuwachsen bedeutete auch sich entweder dem Dreck zu ergeben, oder den Dreck für sich arbeiten zu lassen. Der Dreck kotzte Wellington an. Er benötigte Geld. Nur raus hier. Einen Beruf erlernen. Studieren. Was auch immer. Raus! Nach oben! Dorthin, wo das Geld regierte. Er ging seinen Weg. Rücksichtslos bis zum heutigen Tag.
Und nun war es an der Zeit, die Vergangenheit zu rufen. Wellington wählte die Nummer, die ihn zurück in den Dreck führte. Wie schon so oft. Wusste er doch aus Erfahrung, das Dreck durchaus seine nützlichen Seiten haben konnte.
„Wellington. Hallo! Ich habe wieder einmal einen Auftrag für unseren gemeinsamen Freund.“
„So! Was könnte ihn bewegen, dir zu helfen?“
„Sag ihm, dass unsere Aktien im Keller stehen. Wenn er über Mittelsmänner ein Aktienpaket kauft und dementsprechend handelt, sind Millionen für ihn drin. Und die ganzen anderen Dinge. Er wird verstehen.“
„Ich werde es ihm ausrichten.“
Da war wieder diese kalte Glanz in Wellington´s Augen. Er wusste, dass er sich auf seinen Geschäftspartner verlassen konnte. Diese Affen des Aufsichtsrats sollten wissen, wer gewinnt. Am gleichen Tag fand eine außerplanmäßige Sitzung statt, auf der Wellington mitteilte, er sei der festen Überzeugung, dass sich die Auftragslage innerhalb kürzester Zeit dramatisch zu ihren Gunsten ändern werde.
Wellington war an diesem Morgen wie immer der Erste im Büro. Um 08:44Uhr klingelte das Telefon. Sein spezieller Geschäftspartner. Endlich!
„Hallo mein Freund! Wie geht es dir? Ich habe deinen Auftrag erledigt. Schau aus dem Fenster und du wirst sehen, das der Markt bald wieder florieren wird.“
Wellington sah nach draußen und verstand die Worte des Anrufers nicht.
„Sehen? Was soll ich sehen?“
„Hab Geduld mein Freund.“
Als er das Flugzeug sah, verstand Wellington und seine Arroganz und Überheblichkeit verschwanden um der alles verzehrenden Angst Platz zu machen..........

3 Monate später

„Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tagesordnungspunkte sind nun abgehakt, der neue Aufsichtsrat gewählt. Lassen sie uns nun einen Augenblick innehalten und einen Mann ehren, ohne dessen bedingungslosen Einsatz die Firma nicht zu dem geworden wäre, was sie heute ist. Mr. Paul Wellington, der Harrison Systems zum führenden Hersteller von Gepäckprüfanlagen, Röntgenprüfsystemen und Metalldetektoren auf dem Weltmarkt gemacht hat. Noch zwei Monate vor seinem tragischen Tod versprach er, dass es aufwärts gehen werde. Lieber Paul! Wir vermissen dich und deine Weitsicht.“
 

ingridmaus

Mitglied
Autsch - das ist mal wieder eine Geschichte in die Magengrube. Man denkt sich nichts boeses, und am Ende dann so ein fieser Hammer. Kompliment!
Ein Kritikpunkt: Ich fand die Darstellung von Wellington als ruecksichtslosen Aufsteiger aus der Bronx ein bisschen zu klischeehaft...
Gruesse,
Ingrid
 
C

Cuchulainn

Gast
Was mir an dieser Geschichte gefällt, ist das sie sehr kurz ist, aber trotz der Kürze einen klaren Eindruck bietet. Das heißt, sie wirft keine Fragen auf. Es wird ein deutliches Bild vermittelt.

LG
Chulainn
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo ingridmaus,
Wellington klischeehaft. Du scheinst ihn nicht gut zu kennen. Ich habe ihn "erlebt"! In seinem Büro hing an der Wand hinter seinem Schreibtisch ein Senryû:

Rücksicht ist der Weg
der dich auf das reduziert
was du nicht sein willst

Das war Wellington......Liebe Grüße Otto
 



 
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