Wenn die Schwäne leise weinen

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viktor

Mitglied
Wenn die Schwäne leise weinen

Wenn die Schwäne leise weinen
und die Enten traurig sind
und die Sonne will nicht scheinen:
dann vermiss ich dich, mein Kind.

Wenn mein Auge in den Träumen
dich noch immer nahe meint,
weht der kalte Wind in Bäumen,
die der Wald nicht mehr vereint.

Wir sind nur die bunten Scherben
einer gnadenlosen Zeit.
Jede Unschuld strebt zum Sterben
im Triumph der Einsamkeit.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein interessantes Bild, wenn die Bäume vereinzelt werden, weil die Wälder verschwinden. Einzelne Bäume bleiben, einsam trotzen sie dem Wind.

Der Schwan als Symbol aus dem Märchen, das Gedicht ist märchenhaft, weint. Auch die Enten weinen. Die Tränen wirken im Auge wie ein Vergrößerungsglas, das die Entfernung zu verringern scheint, aber der Schwan ist schon fortgeflogen. In früheren Zeiten wäre der Held losgezogen und hätte sieben Schuhe durchgelaufen und am Ende, nachdem er die Baba Jaga überlistet und nachdem er einen Drachen besiegt hat, den Schwan erlöst und seine Braut heimgeführt.

Heute aber gibt er auf und trauert und läuft mit zerschnittenen Füßen über Scherben.

Das Lied zeigt keine Hoffnung mehr, nur das Ende.

Und man richtet sich ein. Sie ist eigentlich wunderbar, die Einsamkeit, in der ich mich freuen kann, sie zu haben, denn die Einsamkeit bleibt, und die Kälte bleibt, sie vergrößert sich sogar.

Über allem ein Gewebe von Wehmut, da ich natürlich gerne auf Schwanensuche gegangen wäre, wie die Ritter auf die Suche nach dem heiligen Gral.

Und auch ich werde verwandelt, bin die Scherbe, die mir den Fuß zerschneidet.
 

Ecki

Mitglied
Mit schönen Worten erzählt, aber gar nicht gut gereimt.

"Wir sind nur die bunten Scherben", Vorschlag:
Wir sind nur bunte Scherben.

Warum steht die letzte Zeile in der dritten Strophe im Jambus,
dein Gedicht wird doch von einem Trochäus dirigiert.

Am besten die dritte Strophe löschen, die neue Strophe sollte einen zarteren Bezug auf die erste beiden nehmen.Es wäre sonst schade, denn die zwei vorherigen sind Klasse.

Auf die Qualität,Ecki
 

Ecki

Mitglied
Lieber Viktor, habe mich kräftig geirrt,die Zeile ist von dir völlig richtig gesetzt,
Doch die dritte Strophe mag mir weiterhin nicht gefallen.
 

Daunelt

Mitglied
Lieber Viktor,

ich neige nicht unbedingt zur Überschwenglichkeit, aber Dein trauriges und stimmungsvolles Gedicht ist wunderschön. Die von Ecki kritisierte 3. Strophe paßt für mich gut zu den beiden ersten. Wirklich stark !

Daunelt
 

Haget

Mitglied
MoinMoin Ecki,
Du hast Deine Beanstandung zwar weitgehend zurückgezogen. Aber ein kleiner Hinweis:
REIM bezieht sich für mich nur auf die letzten Zeilen-Worte, nicht auf Rhythmus usw.
 

Ecki

Mitglied
Vom Metrum liest sich das so:

+-+-+-+-
+-+-+-+-
+-+-+-+-
+-+-+-+-

+-+-+-+-
+-+-+-+-
+-+-+-+-
+-+-+-+-

-+--+-+-
+-+-+-+
+--++-+-
-+--+-+

Natürlich sind alle Reime von Victor richtig gesetzt,aber die
Sprachchemie stimmt halt nicht.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich lese es im Grundschema so:

+-+-+-+-

+-+-+-+-
+-+-+-+
+-+-+-+-
+-+-+-+


Wenn die Schwäne leise weinen

Wenn die Schwäne leise weinen
und die Enten traurig sind
und die Sonne will nicht scheinen:
dann vermiss ich dich, mein Kind.



+-+-+-+-
+-+-+-+
+-+-+-+-
+-+-+-+


Wenn mein Auge in den Träumen
dich noch immer nahe meint,
weht der kalte Wind in Bäumen,
die der Wald nicht mehr vereint.

+-+-+-+-
+-+-+-+
+-+-+-+-
+-+-+-+

Wir sind nur die bunten Scherben
einer gnadenlosen Zeit.
Jede Unschuld strebt zum Sterben
im Triumph der Einsamkeit.
Dabei gibt es leichte Betonungs- und Längennuancen, die das Gedicht dann lebendig machen und den Spannungsbogen bilden.

Das oben genannte Schema finde ich nicht.

Die Verse enden abwechselnd weiblich und männlich.
 

viktor

Mitglied
danke für eure aufmerksamkeit!

nach meiner vorstellung von betonung der zeilen ist die metrik
mit verlaub perfekt!
XxXxXxXx
XxXxXxX
XxXxXxXx
XxXxXxX - das ist durchgängig so!

ich hatte noch eine vierte strophe, die ich dann allerdings gelöscht habe:

Abschied kennt nun kein Erbarmen,
aber Abschied muss auch sein.
Essen wir das Brot der Armen,
eine Zeit lang ganz allein.

liebe grüße
norbert
 

Ecki

Mitglied
Guten Abend, Victor

Ich bin dir noch eine Antwort schuldig geblieben.

Warum laufe ich mit deiner dritten Strophe nicht konform, warum gefällt mir das Metrum nicht.

Der Syntax, gerade in der Dichtung, ist einer strengen Hierarchie unterworfen.Ich verstehe die Gesetze eines Satzes so:

Das Substantiv - eindeutiger Chef

Das Verb
+ Hilfsverb - deren Berater

Das Adjektiv - aller Farb und Formgestalter

Das Pronomen
(a.Possesiv) - ein Diensbote für alle.

So ist das Pronomen wohl das geringfügigste Glied in einer Satzbaukette.Du solltes daher nicht sein Gewicht, die Betonung, vor einen Substantiv legen. Auch steht das Pronomen in der Betonung immer unter dem Verb(Hilfsverb).
Allgemein: Pronome gehen immer in Verbindung eines Satzes den schwächeren Teil ein, also stehen sie im unbetonten Auftakt.

(Wir sind...)Betonung auf sind.
(Ein Triumph...) Hier liegt die Betonung eindeutig auf Tri.

Natürlich erfährt nach diesen Richtlinien auch das Metrum ein ganz andere Gestaltung.

Dir weiterhin gute Einfälle,
Gruß: Ecki
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ecki schrieb:
... Allgemein: Pronome gehen immer in Verbindung eines Satzes den schwächeren Teil ein, also stehen sie im unbetonten Auftakt. ...
Hallo, Ecki, ich denke, das ist nicht allgemeingültig. Im Gegenteil: Die Betonung gibt an, was im Satz besonders wichtig ist.

Man kann den Text so lesen, wie Du es geschrieben hast, dann wird er im Rahmen des Gedichtes falsch. Ich denke aber nicht, dass er so gemeint war. In einem rhytmisch gebundenen Gedicht gibt das Gedicht selbst Interpretationshilfen. In Prosatexten ist das nicht der Fall, dort können Betonungsvarianten sogar zu groben Missverständnissen führen.
...
So ist das Pronomen wohl das geringfügigste Glied in einer Satzbaukette....
Ich denke, es gibt kein "geringfügigstes Glied". In einem Gedicht ist jede Silbe und jeder Punkt, jedes Satzzeichen wichtig und bedeutsam - selbst wenn ein Satzzeichen weggelassen wird, hat das eine Bedeutung. Allerdings könnte man eine Poetik auf diesen anderen Prinzipien aufbauen. Unmöglich wäre das nicht.
 

Hella

Mitglied
Hallo Viktor,

finde den Text vor allem zum Schluss hin wirklich stark. Meines Erachtens ziehen ihn die dritte und vierte Zeile der ersten Strophe aber total runter --- Allgemeinplätze, tausendmal gelesen, banal wie ein Kindervers --- falls das in dieser Simplizität irgendwie Absicht ist, funktioniert's meines Erachtens nicht. Mein Votum: Bitte dritte und vierte Zeile neu durchdenken und mit unbenutzten Worten füllen, welche die Tiefe der letzten zwei Strophen erreicht.

Gruß, Hella
 

viktor

Mitglied
...ich möchte bernd zustimmen: eine "wertigkeit" der wortarten sehe ich nur sehr bedingt.
zum stil: es geht ja in dem text um den verlust eines kindes.
die erste strophe benutzt eine kindliche sprache, s2 u. 3 die sprache des l.i.
liebe grüße
norbert
 



 
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