Wenn dir ein Drache begegnet

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van Geoffrey

Mitglied
Wenn dir ein Drache begegnet

Wenn dir ein Drache begegnet, feurig und wild,
Bereit, dich zu töten,
So gebiete ihm, einen Moment lang innezuhalten.
Dann erwäge für einen Moment den Auftrieb
Eines Korkstücks im unendlichen Ozean.
Versäume weiters nicht, aller Schnürsenkel deines Lebens zu gedenken,
Welche dir je zerrissen sind.
Dann wende dich keinesfalls gleich wieder dem Drachen zu,
Sondern wende viel Mühe auf, einen guten Gedanken zu fassen.
Gelingt es dir nicht gleich, erneuere deine Anstrengungen.
Fasse Mut und gewinne die Zuversicht, dass es dir gelingen möge.
Rufe dir das Aussehen des schönsten Vogels in Erinnerung,
Den du je gesehen hast
Und immer noch lass den Drachen links liegen,
Wo er weilen und toben mag, wie es seiner Natur entspricht.
Nun nenne noch den Namen eines Freundes,
Der dir teuer und kostbar ist.
Gedenke aller Küsse deines Lebens,
Und wie das Licht im Wald dämmrig wird,
Ehe der Regen anbricht.
Erinnere dich an den Geschmack einer Erdbeere,
Und wie bemerkenswert kläglich
Sich nasse Kleidung am Leibe anfühlt.
Dann wähle die schönste Taubenfeder, die du finden kannst,
Wäge sie in der Hand und betrachte ihr Schweben,
Wenn du sie zu Boden sinken lässt.
Dann hebe die Feder besonders sachtsam auf,
Wende dich langsam,
Und durchbohre mit der Feder den Drachen.
 

rothsten

Mitglied
Hallo van Geoffrey,

Dein Text ist eigentlich Schatten, aber es gibt ein freudig-grelles Licht.


Wenn dir ein Drache begegnet, feurig und wild,
Bereit, dich zu töten,
So gebiete ihm, einen Moment lang innezuhalten.
Einem Drachen zu gebieten, das geht natürlich nicht. Es mag allenfalls als Bild für etwas anderes standhalten.

Dazu schreibst Du einige Szenen, die zum Thema haben:

- inne halten
- abwägen
- zögern
- Vorsicht
- Zuvertrauen
- Freunde
- Liebe usw.

Das ist arg viel, das ist arg undurchsichtig.

Der Leser weiß, dass es kein eigentlicher Drachen ist. Ihm wird aber vorgestellt, wie man ihn bezwingen kann. Ich als Leser will aber nicht nur die Waffen kennen, die ich einsetzen könnte. Vor allem will ich wissen: wogegen!?

Nenne die Gefahr, sonst muss Dein Text scheitern.

Soweit die negative Kritik. Ich habe aber in diesem Text eine wahre Perle gefunden:

Dann hebe die Feder besonders sachtsam auf,
Wende dich langsam,
Und durchbohre mit der Feder den Drachen.
Siegfried & Co sind so oft besungen, Du aber erschaffst hier einen völlig neuen Blick auf eines der ausgelutschesten Themen der Weltliteratur überhaupt. Das muss man erstmal schaffen!

Mein Tipp:
Nimm den Absatz und mach was Großes daraus. ;-)

lg
rothsten
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Geoffrey, lyrische Prosa, wie ich sie gerne mag :) die Wucht der Feder, die wir uns alle wünschen die da schreiben, und der Themen/Schrecken viele, Schnürsenkel als Metapher für Bande, die uns halten?sollen ... da lässt sich viel herauslesen und hineingeheimnissen, schön! LG - herziblatti
 

van Geoffrey

Mitglied
Danke für Kritik und Anregung

Uh, das hatte ich nicht bedacht, dass mein Thema derart undurchsichtig erscheint.
Ganz recht - es handelt sich nicht um einen Drachen. Es ist eine Allegorie auf Probleme generell.
Man löst sie nicht, indem man sich auf sie fixiert, sondern indem man aus seiner Erfahrung schöpft und aus allem, was man an Gutem und weniger Gutem erlebt hat.
Sich auf ein Problem fixieren kann bedeuten, darin einzutauchen und darin zu versinken.
Deshalb all die "Ratschläge", sich von dem "Drachen" abzuwenden.
Dem Drachen zu gebieten, innezuhalten, gelingt natürlich nur, wenn der Drache ein Teil von dir ist. Es könnte sich um ein Angst- oder Mangelgefühl handeln, oder auch um eine persönliche Schwäche wie Jähzorn.
Habe ich damit Unklarheiten beseitigt?

LG,

Roman
 

rothsten

Mitglied
Lieber Roman,

das mit der Allegorie habe ich ja selbst bereits angedeutet. Das ist nicht mein Problem. Ich gebe herziblatti recht, dass es sehr lyrisch gehalten ist. Dort hättest Du es auch locker hochladen können, denke ich. Es ist doch ok, wenn sich manche eher an der Lyrik berauschen denn an der Erzählung.

Womit ich aber wirklich ein Problem habe, ist das Verhältnis der Waffen zur Gefahr (Drachen):

Wenn dir ein Drache begegnet, feurig und wild,
Bereit, dich zu töten,
So gebiete ihm, einen Moment lang innezuhalten.
Wenn ich in der Lage bin, der Gefahr derart zu gebieten, dass sie innehalten kann, so ist das wohl bereits die stärkste Waffe, die ich in Händen halten kann. Das ist nämlich die absolute Kontrolle. In der Waffensprache: das ist bereits die Atombombe. Dass ich daneben auch noch Pfeil und Bogen und Messer habe, wirkt dann eher nutzlos, sie aufzuzählen. Es mag viele Arten geben, einen Drachen zu töten, aber tot ist tot und ob und wie er toter wird, muss ich nicht mehr lesen.

Wie gesagt, der lyrische Aspekt ist hiervon ausgenommen.

Der letzte Absatz hat bei mir etwas ausgelöst. Das wollte ich Dir halt mitteilen.

Soweit meine Sicht.

lg
 

van Geoffrey

Mitglied
Hallo, rothsten!

Die Waffe ist eben die: sich NICHT auf den Drachen zu konzentrieren. Das macht ihn wirkungslos.
So sind ja auch alle "Waffen" zu denen geraten wird, Gedanken und Erinnerungen, die von der Gefahr ablenken, die eben nur dann zur Gefahr wird, wenn man sie in den Mittelpunkt seines Denkens stellt.
Das erscheint mir keine absolute, immer vorhandene Fähigkeit zu sein, sondern eine Gabe, die man immer neu erwerben muß - natürlich NICHT nach meinem willkürlichen Rezept, in dem ein wenig Augenzwinkern steckt, und das selbstredend nicht tiefernst gemeint ist.
Manche Probleme gewinnen ihre rechte Dimension wieder, wenn man sie akzeptiert, und sich dann einfach anderen Dingen zuwendet. So verlieren sie die künstliche Dominanz, die sie durch übermäßige Konzentration auf sie (= Grübeln) erst erlangen.
Also hat man keine absolute Macht über sie. Man hat meiner Meinung nach nicht das, was du als Atomwaffe bezeichnet hast. Aber man gewinnt die Fähigkeit, Probleme in ihren angemessenen Dimensionen zu betrachten.


Natürlich habt ihr beide recht - es war ursprünglich als Lyrik gedacht. Das Problem begann, als ich beim Überlesen meinte, die Sätze seien zu sprechend, zu sehr Prosa, und wohl eher in einem Prosa-Forum zu veröffentlichen.

LG
 

FrankK

Mitglied
Wenn ich versuche, werter @van Geoffrey, den Drachen als Allegorie für eine Angststörung wirken zu lassen, kann ich der Argumentation einigermaßen folgen.
Der "Drache" ist dann nicht einfach nur ein "einmalig zu lösendes Problem" sondern ein echter Dämon, den man mit besonderen "Waffen" (oder besser "Fertigkeiten") schlagen muss.

Hallo @rothsten
Dein Bild von der "Atombombe" möchte ich aufgreifen. Stell Dir vor, diese Atombombe wäre aber der Drache.
Dir würde, mit dem notwendigen Geschick, ein einfaches Schweizer Taschenmesser ausreichen, um die Bombe zu entschärfen (Natürlich nur im übertregenen Sinn).
Dies käme der Symbolik zwischen Drache und Feder recht nahe.


Angststörungen sind aber heimtückisch, fast schon dämonisch.
Sie kehren zurück, wenn man sie am wenigsten erwartet und am wenigsten gebrauchen kann.

Manchmal würde ich einen Drachen vorziehen.


Es ist in diesem Stück Prosa gut gemeint, aber leider etwas zu allgemein gehalten. Es reicht halt nicht immer der gute Vorsatz, dem Drachen Einhalt zu gebieten, sich einen Moment abzuwenden und eine Feder zu finden.
Mit nur etwas Pech hat einen der Drache vorher gefressen.


Abendliche Grüße
Frank
 
O

orlando

Gast
Egal, Geoffrey,
was du mit deinem Gedicht gemeint haben solltest (denn zweifellos ist es eines), das ist unerheblich, für mich schilderst du auf geradezu perfekte Weise die Behebung einer Schreibblockade, die wiederum durchaus in die Kategorie der Angststörungen fallen kann.
In diesem Zusammenhang finde ich die Sache mit den Schnürsenkeln ganz wunderbar; die erinnert mich an wohlmeinende Vorschläge kreativer Schreibgruppen, sich bei Blockaden zunächst mit gaaanz einfachen Dingen zu beschäftigen.
Sprachlich und rhythmisch ist diese Lyrik für mich ein echtes Leckerli und ragt aus dem Gewöhnlichen hervor; durch Fantasie, durch Eleganz und unaufdringliche Originalität.
An deiner Stelle, Geoffrey, würde ich mich ganz der Lyrik und ihren Enthusiasten hingeben ... bei denen sind beispielsweise Fragen an den Autor, wie ein Gedicht gedacht (gemeint) ist, verpönt, wenn sich das auch noch nicht überall herumgesprochen hat. ;)
Ich hoffe, dass ich nun keinem meiner Vorkommentatoren auf die schmalen Füße getreten bin, aber Gutes ist zu rar, um es zu schmähen. - Aus mir spricht allerdings die Lyrikerin, ein Mensch, der es gewohnt ist, zwischen den Zeilen zu lesen - also tragt es mir nicht nach. - In der Prosa gelten andere Prioritäten.

Morgendliche Grüße
orlando
 

herziblatti

Mitglied
Hallo van Geoffrey, ich muss noch nachreichen: lyrische Prosa ist für mich die ganz hohe Schule, und was hier steht, ist lyrische Prosa vom Feinsten. Coelho hat manchmal solche Passagen, wie sie Dir hier gelungen ist. Ich schließe mich orlando :) zu 100 % an. LG - herziblatti
 

van Geoffrey

Mitglied
Wieder einmal Dank für Lob und Kritik

Einerseits wollte ich mit dem - hier falsch plazierten - Gedicht bewußt ein wenig vage bleiben, damit jeder so viel Freiraum hat, um seinen eigenen Drachen in meinem Drachen zu sehen.
Dann fiel mir auf, dass offenbar ein zu weiter Interpretationsspielraum das Verständnis für meinen Text erschwert.
Weil mein Text eine persönliche Erfahrung beschreibt, und mir viel daran liegt, dass man möglichst den zugrundeliegenden Gedanken versteht, fasse ich alles noch einmal zusammen:

Der Drache ist etwas, was man fürchtet. (Eine Angststörung kann aber muß es nicht sein. Auch eine Schreibblockade kann man gerne - nach Belieben - in dem Drachen sehen.) Der Drache kann auch etwas sein, was man sich unbedingt und mit großer Sehnsucht wünscht.

Ich schreib hier so deutlich, wie es mir möglich ist. Meine persönliche Erfahrung ist die:
Worauf man sich fixiert, das verzehrt und verschlingt den Menschen letztlich, weil man sich selber der Freiheit beraubt.
Indem man das Ding, das Probleme bereitet oder das man begehrt losläßt, erlangt man die eigene Freiheit wieder und kann dann erst über den Drachen verfügen.


Jede Allegorie hat ihre Mängel. In meiner erkenne ich diesen:
der Drache wird am Ende durchbohrt. In Wahrheit aber erfährt er bloß eine Wandlung, die ihn seiner beherrschenden Dominanz beraubt, ihn auf sein wahres Maß reduziert.
Oft genügt es, den Drachen als solchen zu akzeptieren.

Eines von mehreren Beispielen:
Man denke sich einen Mann, der daran leidet, dass ihn die Geliebte verlassen hat. Solange er grübelbt, welche Gründe es hatte, und er nicht davon ablässt, sie zurückzuwünschen, leidet er unermesslich. Der Mann wird schließlich - ohne sich darüber im Klaren zu sein - depressiv.
Das Leid an der unverständlichen Trennung ist der Drache.
Nun erfährt der Mann eine unfassbare Befreiung, als er um die Kraft betet, die Frau loszulassen.
Der Mann folgt also meiner Anweisung, seinen Geist vorerst vom Objekt der Begierde zu trennen. Das ist in diesem Falle das Gebet.
Nun ist in sein Herz Friede eingekehrt, der Drache sozusagen besiegt - oder besser: der Drache ist gezähmt.
Der Mann kann sich wieder der Gegenwart zuwenden, während sein Verstand zuvor sozusagen mit vergangenen Dingen befaßt war.
Natürlich kann er in die alte Sehnsucht zurückfallen, indem er grüblerisch nachsinnt, warum er von der Frau getrennt ist.
Aber er hat gelernt, sich nicht in krankmachender Weise ausschließlich mit diesem einen Aspekt seines Lebens abzuquälen. Er hat die vielen anderen Aspekte des Daseins in sein Lebensboot geholt.

Damit habe ich alles so deutlich wie es mir möglich war erklärt.

Ich danke euch allen für eure Kommentare.

Zugleich sehe ich, dass meine Fähigkeit, innere, seelische Vorgänge zu beschreiben, begrenzt ist.
Die Allegorie fand ich - vorerst für mich selber - hilfreich.
Um so mehr freue ich mich über Resonanz.

Liebe Grüße euch allen!


Roman
 
O

orlando

Gast
Versteh doch, Roman, (entschuldige meine vorherige falsche Namensgebung),
es kommt in zeitgenössischer Lyrik nicht darauf an, (s)ein Innenleben möglichst realitätgetreu darzustellen, was du ja, gottlob, nicht tust. Derlei war in der Vorromantik und später in der Romantik üblich, obwohl es in Letzterer schon mehr Leiblichkeit gab.
Ist auch die Epoche der Romantik vorbei, wird gleichwohl noch romantisch geschrieben und gedacht. Und zwar als bewusster Verzicht, als gewollte Einschränkung wissenschaftlicher Vorherrschaft. ---
Ein (gutes) Gedicht hat mindestens 2 Ebenen und kann auf vielerlei Weise gelesen werden. - Das ist in deinem Geicht gelungen, ebenso die Gesamtkomposition: Du bleibst in einem Bild und arbeitest mit originellen Metaphern.
Vor allem aber löst du Gefühle beim Leser aus (ich spreche hier nicht von der sog. Betroffenheit) und erzeugst Spannung, die am Ende bracchial glöst werden - jedoch mit dem zarten Instrument einer Friedens-Feder. :)
Du lässt den Lesern ihre (ureigene) Interpretation, weil du (d)ein Geheimnis bewahrst und eben nichts erklärst und eben nichts preisgibst.

Das, mein Lieber, ist Lyrik.

Schöne Grüße
orlando
 

FrankK

Mitglied
Jede Allegorie und damit jedes Sinnbild ist abhängig von den persönlichen Erfahrungen und Kenntnissen eines jeden Lesers.
Je mehr Interpretationsspielraum gelassen wird, desto unterschiedlicher können die Auslegungen des Textes erfolgen.

Es gibt nur sehr wenige Symboliken, die bei allen Menschen annähernd gleich wirken.
Hier ist es Dir gelungen, ziemlich alle Mitlesenden in annähernd eine Richtung zu leiten.


Für meinen Geschmack ist dies ein gelungener Brückenschlag zwischen Prosa und Lyrik.


Prosaische Lyrik oder lyrische Prosa, die Deutung bleibt als einzige noch offen. ;)


Grüße aus Westfalen
Frank
 

rothsten

Mitglied
Wenn zwischen Lyrikern und Prosaisten die Funken fliegen, ja dann ist wohl das Experminet "lyrische Prosa" vollkommen gelungen. Da stimme ich herziblatti zu.

Mein Problem ist zum Glück nicht jedermanns Problem. Damit will ich es bewenden lassen.

@Heidrun: Kein Problem, meine Gute. Ich sähe mittlerweile das Stück auch besser bei Euch Wirrköpfen aufgehoben. :D

Lieben Gruß in die Runde,
rothsten
 
D

Die Dohle

Gast
ist "sachtsam", drittletzter Vers, Absicht? Könnte ich gelten lassen. In dem Fall.
Habe sehr gerne gelesen hier.

lg
die dohle
 

van Geoffrey

Mitglied
Späte Antwort

Hallo, Dohle!

Ja, "sachstsam" war Absicht, obwohl sich bei mir nun leise Zweifel einstellen, ob es das Wort auch wirklich gibt, oder es eine unbewußte - aber hoffentlich verständliche - Eigenkreation darstellt.

LG
 



 
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