Wer den Zeitwind sät

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HorstK

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Zwei Männer im Halbdunkel einer Hotelhalle, bunte Teppiche auf Stein, schwere Vorhänge, die vor hohen Fenstern pendeln und die Geräusche der Straße schlucken. John wohnt hier, im „Malla“ in Kathmandu, der andere Mann ist ein Besucher, asiatische Züge und weißer Vollbart. Sie trinken Tee und wirken weder wie Vertraute noch wie völlig Fremde, und Beobachtern fiele es schwer, sie einer bestimmten Kategorie zuzuordnen. Doch es gibt keine Beobachter, außer einem Angestellten im hinteren Bereich des Foyers ist die Halle menschenleer.
Der Asiate trägt einen hellgrauen Anzug aus weichem Tuch, sein Blick und seine Stimme zeugen von hoher Konzentration: „Wenn eine Idee stirbt, weil der Suchende gestorben ist, ist der Zauber unwiederbringlich verloren. Grenzüberschreitungen ereignen sich nur, wenn ein Lebender das Reich des Schweigens betritt. Der Tod ist kein Endpunkt, nur ein Übergang, aber der Zauber verfliegt. Darum musst du am Leben festhalten ... und trotzdem Dinge wagen, die alles bedrohen und nicht hierher gehören.“
„Zum Beispiel?“ John gibt sich entspannt, ist es aber nicht.
„Zum Beispiel die Regeln der Zeit brechen.“ Erwidert der Weißbärtige nach einer Pause. „Nehmen wir den Versuch, eine Handlung aus der Vergangenheit, einen beliebigen kurzen Moment absolut identisch zu wiederholen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Es wäre das Durchbrechen der Zeitmauer, nur ist es noch niemandem gelungen. Perfektion und unermessliche Geduld sind die Voraussetzungen. In meiner Heimat haben Mönche ihr ganzes Leben damit verbracht, eine bestimmte Geste, einen Schwertschlag ihres Meisters exakt nachzuahmen. Verstehst du, sie übten immer und immer wieder die gleiche Bewegung in der Hoffnung, sie ein einziges Mal völlig identisch auszuführen. Im Laufe der Jahre wurden sie immer besser und perfekter, aber der Schwung war nie genau derselbe. Die Verzweiflung über ihr Versagen hat sie nach ihrem Tod zu bösen Geistern gemacht, die noch heute und bis in alle Ewigkeit ihre spastischen Zuckungen vollführen, ohne Aussicht auf Erlösung.“ Der Asiate blinzelt und fügt hinzu: „Ihr grenzenloser Wahnsinn dringt sogar bis hinüber ins Reich der Lebenden und nimmt alle möglichen verrückten Erscheinungen an, sobald jemand mit der Zeit experimentiert.“
John meint sich zu erinnern. „Wie dieser verkorkste Roman, wo jemand eine bestimmte Szene nachstellen will, um die Zeit auszutricksen und seine verstorbene Frau wieder lebendig zu machen?“
„Unter anderen. Es gibt unzählige Beispiele ...“
„Nun gut,“ John nimmt einen Schluck Tee. „Ich habe verstanden. Es geht also darum, ein Tabu zu brechen, ein heiliges Gesetz, ohne dabei draufzugehen. Da bietet sich die Zeit geradezu an. Es heißt, mit der Zeit spielt man nicht – sie spielt mit uns. Und diese Regel soll ich verletzen?“
„Ich sprach von dem Versuch, mein Freund. So einfach ist das nicht ...“
„Zugegeben, auch das habe ich verstanden.“ Während John seine Teetasse absetzt, weht ein Windstoß Straßengeräusche herein, danach ist es wieder völlig still. „Doch ich frage mich, wozu überhaupt eine Handlung aus der Vergangenheit kopieren? Zum Selbstzweck? Nur um zu beweisen, dass es möglich ist? Und dann?“
„Diese Fragen haben sich die Mönche nie gestellt. Sie waren Suchende, diszipliniert durch und durch, mit nur einem Ziel vor Augen.“ Der Asiate hält inne, stutzt offensichtlich über seine eigenen, gerade ausgesprochenen Worte, die er mit einem Stirnrunzeln noch einmal Revue passieren lässt. Sein erstaunter Blick trifft in Johns Augen auf die Bestätigung, dass auch jener soeben erkannt hat, welcher Schluss sich daraus ziehen lässt.
„Und genau deshalb haben sie versagt! Ihr Fehler war die Disziplin!“ John meint zu spüren, wie es in der Hotelhalle plötzlich heller wird. Nicht, indem mehr Licht einfällt, sondern so, als würden alle Gegenstände mit einem Mal von innen heraus leuchten.
Der Alte sieht ihn unverwandt an. „Sprich weiter.“
„Ich will versuchen, die Zeit zu durchbrechen. Aber ohne Klotz am Bein, ohne Disziplin, die zu nichts führt außer zum Versagen! Das hatten wir schon, auch den Versuch, Ereignisse aus der Vergangenheit zu klonen. Wozu? Alles nur leere Zaubertricks, die verpuffen, selbst wenn sie funktionieren sollten. Braucht kein Mensch ...“
„Und stattdessen?“
„ ... werde ich mir die Zukunft vorknöpfen, mein Freund. Ich will es andersherum versuchen: Ein Ereignis im Hier und Jetzt schaffen, das erst in der Zukunft wirklich stattfindet. Die Vorstufe oder die Saat eines Geschehens, im Grunde bereits das komplette Ereignis, das aber nicht in der Gegenwart, sondern erst später endgültig ausschlüpft und seine Gestalt annimmt.“
Schweigen. Beide Männer lassen die Vorstellung davon auf sich wirken, schließen vorübergehend die Augen. „Wäre zu überlegen ...“


Früher Morgen, kalter Nebel steht über Kathmandu, aus dem sich eine milchige Scheibe erhebt. John verlässt das Hotel in Richtung Durbar Square, tief in seinen Pelzmantel vergraben. Augenblicklich taucht er im Straßenbild unter, ist von den übrigen Passanten, Nepali ohne Farben und Konturen, nicht zu unterscheiden. Er verfügt über die angeborene Fähigkeit, wie ein Chamäleon die Strukturen seiner Umgebung zu absorbieren und dadurch unsichtbar zu werden.
Um diese Zeit werden die Hausaltäre gepflegt, Reisopfer erneuert, frische Räucherstäbchen und Talglichter angezündet. In der offenen Front einer Metzgerei hängt jemand blutige Fleischklumpen auf Haken, die im Nu von Scharen fetter Fliegen überzogen sind. Barfüßige Kinder stehen in einer großen Pfütze und schubsen darin mit Stöcken einen Kotbrocken hin und her.
John hat den Hanuman Dhoka erreicht, der alte Königspalast ist verschlossen. Seit er in Nepal ist, gehört zu seinen Ritualen dieser morgendliche Gruß an Affengott Hanuman, der vor Unfällen und Krankheiten schützt. John berührt den über und über mit roter Farbe beschmierten Kopf der Statue und anschließend mit zwei Fingern seine eigene Stirn. Priester rutschen über den Boden, ersetzen Butterlichter und legen neue Blüten aus.
John folgt schmutzigen Gassen westwärts, hinunter zum Vishnumati-Fluss, den er auf der einzigen, von Fußvolk und Fahrrädern verstopften Brücke überquert. Am anderen Ufer beginnt sogleich sein Aufstieg zum heiligen Swayambhu, anfangs noch in einem Strom von Händlern, die Lastkarren mit welkem Gemüse, Yakbutter und Kautabak ziehen oder Stoffballen schleppen. Später, weiter oben, ist er einer der wenigen, die die steilen Stufen bis zur Tempelanlage erklimmen. Vom Vorplatz hat er freien Blick auf das weite Tal, bis hinüber nach Bhaktapur, einzelne Dunstschleier ziehen Schlangenlinien bis zum Horizont. Unter ihm liegt Kathmandu, John blickt auf ein Meer rostbrauner Dächer, dazwischen Pagoden, der schlammige Fluss, der Markt. Von dort wehen die Gerüche von Patchuli und Fäkalien herauf.
Über die Terrasse, die John jetzt betritt, sind kreuz und quer Bindfäden gespannt, an denen unzählige Wimpel mit Schriftzeichen flattern. Zwischen Bäumen, hohen Pfählen, Dachziegeln bilden die sich überschneidenden Leinen einen magisch surrenden Baldachin, der den gesamten Komplex überzieht. Darunter die Tore, Schreine, Ausläufer der Tempelanlage in Marmor und Gold.
Im Zentrum des Labyrinths gelangt John zum mächtigen Hauptstupa, dessen monströse weiße Marmorkuppel ein goldverzierter Spitzturm krönt, der die aufgehende Sonne gnadenlos in aufblickende Gesichter reflektiert. Rings um den Riesenbauch des Stupa stehen dicht an dicht mannshohe Gebetsmühlen, vor Jahrhunderten aus Hartholz gearbeitet. John ist am Ziel. Er weiß, dass er nichts tun muss, sondern etwas zulassen muss, eine Mission, eine Botschaft, die sich im Summen der wehenden Fähnchen verbirgt. Gedankenverloren versetzt er einige der Gebetsmühlen in leichte Drehung, die hölzernen Trommeln rotieren träge, beinahe lautlos, seit Ewigkeiten bis in alle Ewigkeit. John hat sich auf diesem Moment vorbereitet, nicht durch Konzentration, dem Hauptfehler seiner Vorgänger, sondern durch ihre Abwesenheit. Er kann loslassen, ohne Technik, ohne Disziplin, einfach so. Er legt seinen Pelzmantel ab und lässt ihn zu Boden gleiten, dreht noch eine Gebetsmühle, sieht und sieht nicht die Zeichen, om mani padme hum, im lebenden Schattengeflecht der über ihm schwirrenden Fähnchen das Tor ins Nichts, die Abwesenheit von allem, das Aussetzen der Zeit ...
Und hier hinein pflanzt John, was noch nicht ist, doch bereits Gestalt in seinem Verstand hat und sich in der so genannten Zukunft, irgendwann, zu voller Größe aufrichten soll. Ein letztes Zögern, eine Erinnerung an das Sprichwort „Wer Wind sät, wird Sturm ernten!“ Doch schon lässt er los, lässt es geschehen, das Unsagbare ist entfesselt, alle Gebetsmühlen stehen still, auch die Fähnchen sind erstarrt, die Menschen, die Sonne, Zeit ...


Simuliertes Tageslicht in einer unterirdischen Anlage im Mittleren Westen, an einem Ort, den es nicht gibt, der auf Karten und Google-Maps jungfräulich weiß und unbeschriftet ist. Im Kontrollzentrum mit Computern über die gesamte Länge der Wand ist nur der große Hauptbildschirm erleuchtet und scheint mit den einzigen beiden Männern im Raum zu kommunizieren.
„Es begann wie gesagt mit den ersten Umkehrungen von Naturgesetzen im Kathmandu-Tal, hier und da in einer größeren Region. Eine Ziegenherde, die vor den Augen ihrer Hirten immer jünger und kleiner wurde und vom Erdboden verschwand, wie man berichtete. Natürlich ohne Beweise. Ein unbekanntes Mädchen in Bhaktapur, verehrt als die Reinkarnation einer kürzlich Verstorbenen, an deren Leben sie sich in jeder Einzelheit erinnerte. Diese und eine Handvoll ähnlicher Phänomene wurden von uns zunächst ignoriert und religiösen Phantasien zugeordnet, es lagen weder Gesetzmäßigkeiten noch messbare Anomalien vor.“
„Und das änderte sich wann?“ meldet sich der jüngere Mann zu Wort.
„Im vorigen Jahr, als die Detektoren einer durchreisenden Einheit zufällig ausschlugen. Elektromagnetische Wirbel ohne erkennbare Quellen, Gravitationsschwankungen mit extremen Amplituden bis hin zu regelrechten Aussetzern der Schwerkraft, fliegende Menschen und Gegenstände, die die Bevölkerung in Panik versetzten.“ Auf dem Bildschirm werden schwebende Objekte sichtbar, offenbar mit einem Handy unscharf und verwackelt aufgenommen. Dann folgen bessere Bilder, die tatsächlich Menschen, Fahrräder und Haustiere zeigen, die schwerelos in der Luft stehen, einige davon driften unkontrolliert außer Sicht. „Die Aufnahmen sind echt, keine Animationen. Auch alle folgenden, die bisher unter Verschluss gehalten wurden.“
„Nun gut,“ schaltet sich der ältere Mann ein. „Was haben wir noch?“
„Zunächst eine Häufung, eine räumliche Konzentration der Phänomene auf das Zentrum von Kathmandu. Dort gab es in kurzer Folge immer neue unerklärliche Spukerscheinungen, die von unseren Leuten bezeugt und größtenteils gefilmt wurden. Übrigens gefundenes Fressen für Geisterbeschwörer und den Aberglauben der Bevölkerung ...“
„ ... wovon wir uns hoffentlich nicht anstecken lassen!“
„Natürlich nicht. Unsere Messungen, so lange sie uns möglich waren, ließen hinter all dem Hokuspokus eine Art Strahlung in Niederfrequenz vermuten, eine wie auch immer funktionierende Steuerung, eine Ordnungskraft.“
Der jüngere Mann hebt die Hand. „Was genau meinen Sie damit? Worauf ließ das schließen?“
„Wir begannen gerade damit, die Daten zu koordinieren, ein Muster zu erkennen. Doch kurz bevor es einen Sinn ergab und wir den gemeinsamen Nenner fanden, ging es plötzlich los.“
„Was?“
„Die Zeitphänomene. Im Radius von vielleicht drei Meilen rund um Kathmandu blieb an einigen Stellen buchstäblich die Zeit stehen, Leben erstarrte, Pflanzen, Tiere, Menschen. Schlimmer noch: Die in ihrer Bewegung eingefrorenen Gegenstände und Körper waren weiterhin sichtbar, doch nicht mehr greifbar. Hände gingen durch sie hindurch wie durch Projektionen, Hologramme. Als hätte man sie ihrer Materie beraubt und diese durch Bilder, Erinnerungen ersetzt. Makabre Schnappschüsse aus einer Parallelwelt, einer fremden Dimension.“
„Und was sagten die Messungen?“
„Das Problem eskalierte und verbat weitere Untersuchungen. Es gab Todesfälle, nicht nur unter Einheimischen, auch in unserem Team. Menschen erstarrten wie gesagt willkürlich zu Holgrammen, die innerhalb weniger Stunden verblassten und dann vollständig verschwanden. Überall in dem genannten Radius, immer wieder, ohne Vorwarnung.“ Ein Standbild auf dem Bildschirm will sich in Bewegung setzen, bleibt aber stehen, zeigt eine leere Landschaft. „Ringförmig um die Hauptstadt legte sich eine Zone, in der die Zeit jetzt rückwärts zu laufen schien. Und zwar blitzschnell! Bäume schrumpften in Minuten zu kleinen Pflanzen und versanken im Boden, Regen stieg zum Himmel auf, Menschen liefen rückwärts, Alte verjüngten sich zu Kindern, wurden zu hilflosen Babys, verschwanden, Häuser versanken, Flüsse flossen bergauf, Vögel stürzten vom Himmel ...“
Auf dem Bildschirm jetzt die korrespondierenden Bilder, eine einzige Flut von Katastrophen, besonders drastisch die Nahaufnahmen der Opfer, ihre Gesichter. Immer wieder schrumpfende, erstarrte Todesmasken, ihr Verblassen jedes Mal eine Erlösung.
„Unmöglich, unter diesen Umständen noch weiterzumachen. Unser Team wurde dezimiert, die Ausrüstung pulverisiert.“
„Kein Rückzug möglich in eine sichere Zone?“ fragt der ältere Mann.
„Keine Chance. Der Radius der Zerstörung variierte ständig, wie ein unberechenbarer Organismus. Hinzu kamen urplötzlich weitere Zeit-Anomalien, Landstreifen und Lebewesen, eben noch Opfer unkontrollierter Verjüngung, begannen ebenso unvermittelt wieder zu altern, auch in Sekundenschnelle. Als hätte jemand den Schalter umgelegt oder spielte abwechselnd mit dem Vor- und Rücklauf. Gras und Bäume schossen wieder empor, zu voller Größe, auch blitzartig darüber hinaus, ins Verwelken und Vermodern. Auch Menschen und Tiere, in wenigen Augenblicken steinalt, ausgemergelt, erloschen unter Lederhaut und Knochen ...“
Wieder eine Sequenz schrecklicher Szenen, die an einen Horrorfilm erinnern, nur echter, mit unfreiwilligen Darstellern, die im Zeitraffer altern, zu Boden sinken. Die Landschaft eine rauchende Apokalypse, in den Ruinen und brennenden Feldern immer wieder Hologramme fremdartiger Wesen, die keine Menschen sind. Mutationen? Außerirdische? Eine viel zu schnell sinkende Sonne, Dunkelheit schluckt alles. „Das erklärt hoffentlich, warum wir abbrechen mussten um zu retten, was noch zu retten war.“
„Satellitenaufklärung?“ Die Stimme des jungen Mannes.
„Unbrauchbar, leider. Die Phänomene haben sich offenbar vierdimensional ausgebreitet, sofern man hier überhaupt von bekannten Größen sprechen kann. Nichts zu messen oder abzulichten außer den genannten Auswirkungen. Alle eingesetzten Drohnen sind, sobald sie in Reichweite waren, komplett verschwunden.“
„Und jetzt? Die aktuelle Lage?“
„Unverändert. Die Region um Kathmandu ist Sperrgebiet, absolute No-Go-Zone. Dort geschehen Dinge, die wir nicht verstehen und nicht bekämpfen können, die wir inzwischen schon fast nicht mehr ergründen WOLLEN! Als Epizentrum, sofern der Begriff zutrifft, haben wir den heiligen Hügel Swayambhu ausgemacht. Doch ob das irgendeine Bedeutung hat, bezweifeln inzwischen immer mehr. Es gibt keine Erklärung. Vielleicht steckt wirklich ein mystischer Spuk dahinter, so ein Affengott oder welcher Teufel auch immer. Aber wie gesagt, wir sind schon fast nicht mehr scharf darauf, das Rätsel zu lösen.“
„Sondern?“
„Sondern wir wollen nur noch, dass es aufhört! Aber es hört nicht auf, es hört verdammt noch mal nicht auf.“
Wieder grausame Szenen auf dem großen Bildschirm, eine Endlosschleife ohne Tonspur, stumme Schreie, Verzweiflung, Tod, einstürzende Pagoden, Häuser, entwurzelte Bäume, Frauen und Kinder in Schlammlawinen, Blitze, im Rauch die Holgramme fremder Spezies, von Fliegen übersäte Leichen.
„Und warum haben Sie uns das alles anvertraut?“ fragen die Männer wie aus einem Munde.
„Weil wir vermuten, dass Sie etwas damit zu tun haben, meine Herren. Und wenn jemand die Katastrophe beenden kann, dann Sie!“
Die Männer verlassen den Saal und stehen beisammen in einem dieser sterilen Korridore, die sich leicht geschwungen bis ins Unendliche zu erstrecken scheinen. „Ich glaube, da ist etwas gründlich schiefgelaufen, John.“
 

xavia

Mitglied
Oh, das ist spannend!!! Ich habe gefesselt vor dem Monitor gesessen, konnte nicht fassen, was ich da lese. Aus deinem Buch „My Walk on the Wild Side“ kenne ich ja schon deine Fähigkeit, deine Leserin in fremde Länder zu entführen und mit den inneren Sinnen erleben zu lassen, wie es ist, dort zu sein. Aber diese Geschichte mit ihrem surrealen Aspekt (ich hoffe, er ist surreal) ist von einer ganz besonderen Intensität. Schon als ich an den großen Absatz kam, las ich buchstäblich mit angehaltenem Atem. Und ich wurde nicht enttäuscht. Das war ein Erlebnis, danke schön!
 
G

Gelöschtes Mitglied 16391

Gast
Lieber HorstK,

die Geschichte fäng m.E. gut an. Zwei Menschen treffen an einem entlegenen Ort der Welt aufeinander und philosophieren über die Zeit und die Möglichkeit sie zu kontrollieren. Gleichzeitig aber stellt sich in diesem ersten Absatz meine erste Frage: Wieso verhilft die identische Wiedrholung einer in der Vergangenheit ausgeübten Tätigkeit dazu, die Zeitmauer zu brechen? Für mich bleibt es lediglich die Wiederholung einer Tat zu einem späteren Zeitpunkt. Nun ja, wie dem auch sei, ich konnte mich dennoch auf das Geschriebene einlassen, vor allem weil John glaubt, eine einfachere Art und Weise gefunden zu haben um die Zeit zu manipulieren oder zu kontrollieren.

"Ich will versuchen, die Zeit zu durchbrechen. Aber ohne Klotz am Bein, ohne Disziplin, die zu nichts führt außer zum Versagen! Das hatten wir schon, auch den Versuch, Ereignisse aus der Vergangenheit zu klonen. Wozu? Alles nur leere Zaubertricks, die verpuffen, selbst wenn sie funktionieren sollten. Braucht kein Mensch ...“
„Und stattdessen?“
„ ... werde ich mir die Zukunft vorknöpfen, mein Freund. Ich will es andersherum versuchen: Ein Ereignis im Hier und Jetzt schaffen, das erst in der Zukunft wirklich stattfindet. Die Vorstufe oder die Saat eines Geschehens, im Grunde bereits das komplette Ereignis, das aber nicht in der Gegenwart, sondern erst später endgültig ausschlüpft und seine Gestalt annimmt.“
Bis hier gehe ich in deinem Text noch mit. Dieser letzte Abschnitt schafft eine Erwartungshaltung, ich frage mich als Leser: Was macht John jetzt, wie geht er vor.

Ab dem zweiten Abschnitt setzte aber bei mir langsam eine Enttäuschung ein. Da ist zunächst die elend lange Beschreibung von John, der sich auf den Weg zur Stupa und den Gebetsmühlen macht. Mir ist klar, dass du hier eine Atmosphäre schaffen wolltest, in dem du Namen von Orten und Objekten fallen lässt, die zu Kathmandu gehören. Ich finde aber, dass man als Autor versuchen sollte, diese Atmosphäre in möglichst wenigen Worten zu erschaffen umd die Handlung nicht zu lähmen. Das gelingt dir nicht, finde ich.

Am Ende des zweiten Absatzes dreht John ein paar Gebetsmühlen, denkt tiefsinnig nach und schon hat er die Zeit aus den Angeln gehoben. Für mich enttäuschend banal.

Im dritten Absatz findet ein Ortswechsel statt, wir sind in einem Kontrollzentrum, von dem aus die verheerenden Folgen der Zeitmanipulation beschrieben werden. Am Ende heißt es dann bloß: Da ist was schief gelaufen.

Ich halte mich nicht für den schlauesten Leser, also kann es durchaus sein, dass ich etwas nicht verstanden habe. Wenn ich am Bildschirm lese, lese ich generell auch oberflächlicher. Dennoch muss ich sagen, dass die Geschichte nach dem ersten Absatz für mich nicht mehr funktioniert. Des Weiteren möchte ich sagen, dass Xavias Kommentar für mich nach einer ziemlich plumpen Masche klingt, um Werbung für dein Buch zu machen. Ist aber nur so eine Vermutung, ich weiß ja nicht, in welchem Verhältnis du zu Xavia stehst.

LG,

CPMan
 

xavia

Mitglied
CPMan, hast du das Buch gelesen und so schlecht gefunden, dass du meinst, man würde es nur erwähnen, wenn man irgendein Verhältnis mit HorstK hat? Oder hast du es nicht gelesen und bist generell der Meinung, dass man Bücher, die man gelesen hat, nicht erwähnen darf? Ich finde eine solche Einstellung ziemlich befremdlich, zumal in einem Lese-Forum und nehme mir die Freiheit heraus, weiterhin über Bücher zu reden.
 
G

Gelöschtes Mitglied 16391

Gast
Liebe/r Xavia,

zunächst einmal habe ich mit keinem Wort versucht, dir die Erwähnung eines literarischen Werkes zu verbieten (dazu habe ich auch keine Befugnis).

Du sprichst lediglich von einer Erwähnung. Für meine Begriffe ist es eine Lobeshymmne, die m.E. so übertrieben daher kommt, dass sie mir unglaubwürdig und wie Product-Placement erschien.

Meine Kritik bezog sich auf den hier eingestellten Text, nichts weiter. Abgesehen davon habe ich mir tatsächlich einmal die Leseprobe zu Gemüte geführt und fühlte mich auf den ersten Seiten in einen lächerlichen Indiana Jones Abklatsch versetzt (z.B. die Szene, wo der Protagonist sich im riesigen Netz einer Spinne verfängt oder auf einen Mantarochen stößt). Dies ist jedoch lediglich meine subjektive Meinung, wenn andere Leser damit etwas anfangen können, umso schöner.

Zu guter Letzt vielleicht noch ein Zitat aus den Forumsregeln, die mich in Bezug auf deinen Kommentar haben skeptisch werden lassen:

Werbemöglichkeiten auf der Leselupe?

Registrierte Mitglieder können (ausschließlich!) in dem Diskussionsforum "Literaturbetrieb" auf Projekte und Veröffentlichungen hinweisen, solange es sich dabei nicht um Dinge handelt, die mit Literatur nicht im Geringsten etwas zu tun haben ;-)
LG, CPMan
 

xavia

Mitglied
Meine »Lobeshymne« bezog sich – so weit ich meine eigenen Worte verstehe – auf die vorliegende Geschichte, die mich begeistert hat. Das Buch habe ich erwähnt, nicht mit dieser »Hymne« bedacht. So weit sollten meine Worte doch eigentlich verständlich gewesen sein! Ich hatte nicht vor, damit auf ein Projekt hinzuweisen, habe lediglich einen Vergleich gezogen. Das habe ich an anderer Stelle auch schon (ungestraft) getan, als mir beim Lesen einer Geschichte die Ähnlichkeit mit einem Film auffiel. War das dann auch Werbung für den Film oder geht das noch als Hinweis an den Autor der Geschichte durch?

Übrigens wird Indiana-Jones-Abklatsch im Deutschen mit Bindestrichen geschrieben, wie Bastian Sick in seinem amüsanten Artikel »Tüten Suppe aus der Suppen Tüte«, zu lesen unter http://www.spiegel.de/kultur/zwiebe...eten-suppe-aus-der-suppen-tuete-a-666094.html, zu berichten weiß. Wenn ich das jetzt in das Diskussionsforum »Literaturbetrieb« schreibe, ist es aber nur schwer dem vorstehenden Kommentar zuzuordnen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 16391

Gast
Alles klar. Danke für den Hinweis.

LG,

CPMan
 

HorstK

Mitglied
Diskussion

Hallo CPMan,

dass Dir meine Story nur bedingt gefällt und die Leseprobe meines Buches noch weniger, damit muss und kann ich leben. Zahlreiche ausführliche Kommentare und Rezensionen haben eine andere Auffassung, und damit musst Du wiederum leben. Im Grunde siehst Du es richtig, wenn Du schreibst, dass letztlich der Leser entscheidet, was ihm zusagt und wovon er/sie eventuell in Buchform noch mehr lesen möchte. Insofern freue ich mich, ausreichend positive Resonanz zu erfahren, um weiter zu machen.

Die Diskussion mit Xavia hätte übrigens besser nicht hier, sondern ggf. in persönlichen Nachrichten stattgefunden, doch auch diese Freiheit sei jedem zugestanden. Eine "Beziehung" zu Xavia oder ihre Absicht, "Werbung" zu lancieren, hat sich wohl offenbar als Irrtum herausgestellt.

@Xavia: Danke für Deine mutige Verteidung der Meinung, dass Dir meine Story gefiel!

Euch beiden viele Grüße -
HorstK
 



 
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