Wer es nötig hat

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Sebahoma

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Seit meiner Kindheit bin ich verrückt nach Autos und wollte schon immer einen Sportwagen haben. Vielleicht einen Audi TT Coupé in silber. Oder vielleicht einen Porsche Cayman S in schwarz. Oder halt einen Ferrari F12berlinettta. Den natürlich dann in rot. Weil die aber auch schon immer so teuer waren, habe ich tatsächlich nur einen alten Ford Escort, der schon etliche Kilometer auf dem Buckel hat. Na und? Bisher hat er mich überall hingebracht.

Die Sache an sich wäre nicht schlimm, wenn da nicht mein Nachbar zur Linken wäre. Der hat einen Sportwagen, zwar auch keinen Porsche und schon gar keinen Ferrari, sondern „nur“ einen Honda, aber er sieht – das muss ich leider zugeben – extrem sportlich aus und alleine der Gedanke an das Fahrgefühl, das darin wahnsinnig gut sein muss, lässt mich weiche Knie bekommen. Dieser Nachbar lässt es sich dann auch nicht nehmen, an jedem Sonntag, wenn es das Wetter zulässt, seinen Sportwagen vor die Garage zu fahren, damit auch wirklich jeder sieht, was er doch für einen tollen Wagen besitzt. Was dann passiert, ist an Fürsorge und Wertschätzung kaum zu überbieten. Es wird geputzt, geschraubt, die Motorhaube wird geöffnet und wieder geschlossen, das Autoradio läuft und manchmal kriecht er sogar unter das Auto. Höhepunkt dieser Zeremonie ist das sorgsame Auftragen einer Politur, damit der Wagen auch schön in der Sonne glänzt. Er lässt sich immer wieder etwas Neues einfallen, nur um einen Grund zu finden, das Auto auf die Einfahrt zu stellen und es allen zu zeigen. So ein Angeber!

Am Sonntag, als der Frühling erstmals zu spüren und ich gerade auf die Terrasse gegangen war, setzte er diese Tradition fort, damit bloß niemand auf die Idee kommt, er könnte seinen Sportwagen über Winter verkauft haben. Als das Spektakel losging, machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit. Ganz klar: Neid! Ja, es war Neid, aber ich würde es ihm gegenüber niemals zugeben. Natürlich ist er ein Angeber, keine Frage. Aber er hat allen Grund dafür. In diesem Wagen würde sogar ein 60 Jahre alter Sumo Ringer noch sportlich aussehen. Ich versuchte, möglichst selten hinzusehen, denn es ärgerte mich, dass er so ein Prachtexemplar sein Eigen nennen kann, während mein Wagen in der Garage stehen muss, damit er noch ein paar Jahre hält.

Jedenfalls, als ich da so vor mich hin fege, fiel mein Blick auf den Nachbar gegenüber, ein älterer Herr, immer gut gelaunt. Während ich wie ein hungriger Tiger auf meiner Terrasse auf und ab ging, saß er seelenruhig in seinem Vorgarten, las ein Buch und nahm von Zeit zu Zeit einen Schluck Tee. Nur manchmal sah er auf und warf einen flüchtigen Blick auf das Schauspiel gegenüber, sonst schien es ihn vollkommen ruhig zu lassen.

Vielleicht liegen seine Interessen woanders, dachte ich mir. Gartenarbeit? Ich hatte ihn noch nie die Hecke schneiden oder Blumen pflanzen sehen, ja sogar den Rasen mähte er nur wenn es unbedingt nötig war. Ich wurde neugierig und ging schließlich zu ihm rüber.
„Ein schönes Modell, nicht wahr?“, fing ich an.
„Schon möglich“, sagte er zögerlich, legte aber sein zufriedenes Lächeln nicht ab. Ich wunderte mich, wie so ein beeindruckendes Modell ihm gerade einmal ein müdes schon möglich entlocken konnte. Aber vielleicht gehörte er zu den Menschen, die Autos als bloßes Fortbewegungsmittel ansahen.
„Sie interessieren sich nicht für Autos, oder?“, hakte ich nach.
„Doch schon, ich bin ein großer Liebhaber davon“, antwortete er zu meiner Verwunderung. Vielleicht wollte er nur nicht unhöflich sein und mein Hobby schlecht reden.

Als wir noch einen Moment zusahen, wie unser Nachbar jetzt gerade wieder mit der Politur anfing, klingelte im Wohnzimmer des älteren Mannes das Telefon. Er entschuldigte sich einen Moment und verschwand im Haus.

Ich wunderte mich noch immer, dass der ältere Herr angeblich ein großer Liebhaber von Autos war, der Anblick des Sportwagens ihn aber kalt ließ. Da fiel mein Blick auf die Garagentür, die nur einen Schritt weit entfernt war. Was könnte sich darin verbergen? Ich hörte den Mann noch immer telefonieren und schaute mich noch einmal um. Die Leute würden eher zum angeberischen Nachbarn als zu mir schauen. Also nahm ich mir ein Herz und ging in die Garage.

Als echter Autoliebhaber wusste ich sofort, was ich sah und konnte es doch nicht glauben. Meine Augen glotzten auf einen originalen Porsche 356, Baujahr vermutlich in den späten 50ern! Sehr gut erhalten. Nein, Gartenarbeit schien tatsächlich nicht sein Hobby zu sein. In diesem Moment spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und zuckte zusammen. Ich drehte mich um und sah, wie der Mann mich freundlich anlächelte.
„Gehört der Ihnen?“, fragte ich erstaunt und der Mann nickte.
„Dieses Auto muss sehr viel wert sein!“
„Da mögen Sie Recht haben.“
„Wenn Sie den vor die Garage stellen, dann sähe unser Freund da drüben aber ganz schön alt aus!“
Jetzt schien er sich über mich zu amüsieren: „Wissen Sie, bei wirklich großen Schätzen reicht es zu wissen, dass man sie hat.“
 



 
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