Wer nicht kommt zur rechten Zeit, das muss sehn was übrig bleibt.

4,00 Stern(e) 1 Stimme

kleinerprinz

Mitglied
Hier, das ist alles. Hier, das ist mein Reich. Hier fühle ich mich wohl. Die Zeitungen, die Flaschen, die Bilder, die Kisten, das sind meine Schätze.
Aber meine Wohnung interessiert Sie wohl nicht, oder? Das kann ich mir nicht vorstellen. Jeder meidet meine Wohnung. Sie meiden meine Schätze, oder den „Müll“ und die „Unordnung“, wie sie es nennen. Jeder meidet mich. „Müll-Mann“ schimpfen sie mich. Sie lachen mich aus, sie werfen ihren Müll in meinen Garten. Sie zertreten meine Blumen und sie schmeißen meine Fensterscheiben ein, die bösen Menschen. Wollen Sie mich auch beschimpfen oder meine Blumen zu zertreten? Dann fangen Sie an! Ich bin der Außenseiter, ich bin das Unkraut. Fangen Sie an! Los!
Mich stört das nicht mehr. Mir ist das egal. Wenn man Jahre lang beschimpft und ausgelacht wird, hört man das gar nicht mehr. Nein, man hört es nicht mehr. Ich will es auch gar nicht hören. Ich bin ganz normal. Wenn ich beschimpft werde, dann halte ich mir die Ohren zu. Ich bin normal. Ich lasse mich nicht einschüchtern von den bösen Menschen. Unkraut vergeht nicht. Nur weil ich anders aussehe und anders lebe, bin ich doch kein schlechterer Mensch. Meine Kleidung hat keinen Namen und die neuste ist sie auch nicht mehr, aber muss man mich dafür schimpfen? Ich bin nicht so, wie sie erzählen. Ich will nicht so sein. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass wir uns treffen. Vielleicht ist der „Müll-Mann“ doch ein wenig berühmt. Berühmt berüchtigt eher, oder? Vielleicht wollen Sie mich kennen lernen.
Wenn ich ehrlich bin, würde ich mich auch gern kennen lernen. Das soll nicht heißen, dass ich selbstverliebt bin, aber ich bin wie Sie. Ich reise auch berühmten Menschen hinterher, obwohl ich ja nicht berühmt bin. Ich habe schon viele getroffen. Ich mag es auch, berühmten Menschen zu begegnen. Ich habe dem Papst die Hand geschüttelt. Ja, dem Papst. Irgendwo hatte ich auch ein Autogramm von ihm. Es ist sicher irgendwo unter meinen Schätzen versteckt. Mal sehen, ob ich es finde. Kiesinger habe ich auch die Hand geschüttelt. Dem Kohl, ja dem alten Kohl, habe ich die Hand geschüttelt. Joschka Fischer habe ich die Hand geschüttelt. Und Willy Brandt habe ich auch die Hand geschüttelt. Der stieg hier aus dem Wagen und ich war ganz vorn in der Reihe und dann hat er mir die Hand geschüttelt. Ja ja, das ist schon was ganz Besonderes, wenn dir so einer die Hand schüttelt. Und Heintje habe ich auch die Hand geschüttelt. Und auch den Beatles habe ich die Hände geschüttelt und dem Neuen auch. Wie heißt er noch gleich? Dem Schröder, dem habe ich auch die Hand geschüttelt. Dem Johannes Rau habe ich auch die Hand geschüttelt. Dafür bin ich extra nach Berlin gefahren. Der hatte nämlich eine Rede gehalten und da habe ich ihm die Hand geschüttelt und, weil die Roth auch da war, habe ich auch ihr die Hand geschüttelt. Und der Hera Lind habe ich auch schon mal die Hand geschüttelt. Ach ja, hier ist es ja. Das Autogramm ist was ganz Besonderes. Das liegt hier schon seit 25 Jahren. Ach, das ist ein Schatz. Ein richtiger Schatz unter all den anderen Schätzen. Das ist was ganz Besonderes. Sie denken wohl, dass das alles Müll ist, oder? Nein, das ist es nicht. Das sind alles Schätze. Alles Dinge, die ich bekommen oder gefunden habe. Dinge, die man noch gebrauchen kann. Das ist kein Müll. Das sind Schätze. Die ganzen Zeitungen zum Beispiel kann ich doch nicht so einfach wegschmeißen. Die habe ich noch gar nicht gelesen. Nein. Ich muss sie aufheben. Ich mag es, Gegenstände zu finden und zu sammeln. Gegenstände und Erinnerungen wie das Autogramm. Der Papst vor 25 Jahren. Oh, hier steht ja noch was drauf. Eine Nachricht vom Papst. Aber leider kann ich sie nicht lesen. Schade. So ist es mit vielen Dingen. Die bösen Menschen werfen die Dinge weg, die sie nicht verstehen, aber ich bewahre sie mir, denn diese Dinge haben einen ganz besonderen Wert. Wissen Sie, wem ich noch gern die Hand schütteln würde? Franz Beckenbauer. Ja, dem Beckenbauer. Ich habe ihn letztens in den Nachrichten gesehen. Da gab der Beckenbauer ein Interview und ein Groschen lag auf dem Rasen, nach dem sich der Beckenbauer bückte. Der ist mir jetzt so was von sympathisch, das glauben Sie nicht. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie toll ich das finde, dass sich dieser millionenschwere Mann nach einem Groschen bückt. Das finde ich toll. Das bewundere ich.
Aber Sie können das nicht verstehen, oder? Mich verstehen sie nicht. Die bösen Menschen hier. Und ich kann sie auch nicht verstehen. Schmeißen alles weg, dabei ist das doch alles lebendig. Das kann ich nicht verstehen. So ist das halt. Mich können sie heute nicht verstehen und früher konnten sie mich auch nicht verstehen.
Früher haben sie mich immer geschuppst. Anna haben sie mich genannt. „Anna komm mal“ und „Guck mal die Anna“ haben sie immer gerufen. Und der Stefan, Stefan Klein, der hat mich auch geschuppst. Das weiß ich noch ganz genau. Er hat mich geschuppst und ich bin hingefallen und habe einen Zahn verloren. Das weiß ich noch ganz genau. So etwas vergisst man nicht. Ich sehe es ja jeden Tag im Spiegel. Dabei wollte ich nie anders sein. Ich habe immer versucht, so zu sein wie die anderen, aber Jahre lehren mehr als Bücher. Mir wurde gelehrt, dass ich ein Außenseiter bin, obwohl ich nie dumm war. Ich wollte meinen Schulkameraden immer helfen, weil ich mir dachte: Manus manum lavat. Aber sie wurden mir eher gebunden und ich wurde von Anna zum Unkraut.
Können Sie sich noch an ihren Stefan Klein erinnern? Solche Menschen habe ich oft in meinem Leben getroffen. Es gibt sie fast überall, diese Stefan Kleins. Lachend stehen sie vor meinem Haus und werfen mir ihre Abfälle in den Garten. Das machen nur Stefan Kleins. Ich sammle keine Abfälle, sondern Schätze. Ich bin kein „Müll-Mann“. Ich bin kein Mörder wie die anderen Menschen. Ich kann meinen Schätzen nicht das Leben nehmen. Alles lebt und hat ein Recht zu leben. Man kann doch ein altes Radio nicht einfach wegschmeißen. Es mag zwar alt und kaputt sein, aber man kann es doch nicht wegschmeißen. Sie schmeißen auch nicht Ihre Frau oder Ihren Mann aus dem Haus, nur weil er Husten hat. Man kann doch alles noch retten. Die Welt ist nur zu faul sich zu verändern. Wo ein Wille, da auch ein Weg. Die Welt muss nicht böse bleiben. Die Welt ist nicht böse.
Ich bin kein böser Mensch. Auch wenn die es immer wieder sagen. Besonders meine Familie, die gegenüber wohnt, sagt das von mir. Wir haben schon seit sieben Jahren nicht mehr miteinander gesprochen, obwohl wir Nachbarn sind. Große Hecken haben sie gepflanzt, damit sie mich nicht sehen. Laute Musik spielen sie im Sommer, damit sie mich nicht hören, wenn ich im Sommer meinen Stühlen das Leben rette. Manchmal schaue ich aus meinem Dachbodenfenster und gucke, wie es ihnen geht und was sie zum Abend essen. Ich würde gern wieder mit meiner Familie sprechen, sie in den Arm nehmen oder sie einladen zu einem Tee oder so. Aber sie kennen mich nicht mehr. Sie wollen nichts mehr mit mir zu tun haben. Sie sind erblüht, aber ich bleibe das Unkraut. Immer, wenn ich versuche mit ihnen zu reden, werden sie zu Stefan Kleins und ignorieren mich. Dann bin ich allein. Jetzt bin ich allein. Aber besser allein als in böser Gemein. Ich habe aufgehört meinen Eltern und allen anderen Verwandten, die hier wohnen, hinterher zurennen. Es bringt nichts. Sie kennen mich nicht mehr, weil ich ein Außenseiter bin, weil ich der „Müll-Mann“ bin, weil ich Unkraut bin.
Dabei will ich den Menschen nur helfen. Ich bin kein böser Mensch, wie sie immer wieder behaupten. Ich kann keiner Fliege was zu leide tun. Ich versuche den Menschen zu helfen. Ich sammle Stühle. Ich fahre mit meinem Fahrrad durch die Stadt und suche nach alten Stühlen. Die gebrauchten Stühle sind viel lebendiger und reifer als die neuen. Aber man findet nur neue Stühle, die die Menschen wegwerfen. Kaum ausgepackt, landen sie auch schon wieder im Müll. Was für eine Verschwendung. Die bösen Menschen erkennen die Werte der Stühle nicht mehr. Sie benutzen sie und töten sie, bevor die angefangen haben zu leben. Sie werfen ihre Schätze einfach weg. Dabei kehren nicht nur neue Besen gut. Meist sind die alten besser, schöner, lebendiger und ... Das ist wie bei einer hübschen Frau. Je älter und reifer sie wird, desto attraktiver wird sie. Aber man nimmt der Frau nicht das Leben, weil sie zu alt ist. Ich kann die Menschen nicht verstehen. Schauen Sie sich ihre Stühle an! Die sind alle noch gut und man kann sich auf alle setzen.
Wissen Sie im Wald, zum Beispiel, gehen viele Leute spazieren, joggen oder sammeln Pilze, aber man kann sich nicht hinsetzen. Darum stelle ich die Stühle in den Wald. Alte Frauen, die spazieren gehen, können sich dann hinsetzen und ausruhen. Oder kennen Sie diese neuen Stadttoiletten, die hier überall herumstehen? Alle sind ganz neu und ganz modern, aber Stühle gibt es dort nicht. Wenn eine Frau mit ihrem Kind auf diese Toilette geht, kann sie nirgendwo ihre Sachen hinpacken. Darum stelle ich Stühle in diese Toiletten. Ich will keinen Lohn dafür. Ich will den Menschen helfen. Aber ich werde immer ausgelacht, weil ich anders bin. Undank ist der Welten Lohn. Ich will nicht ausgelacht werden, ich will nicht der Außenseiter sein. Aber der Lohn scheint viel zu hoch zu sein.
Ich bin nicht so verschwenderisch wie die bösen Menschen, die mich auslachen. Ich bade nicht dreimal am Tag und ich kaufe mir auch nicht jedes Jahr ein neues Auto. Ich bin sparsam. Ich helfe den Menschen und der Natur. Sie wird zerstört von den bösen Menschen. Den bösen Menschen, die alles wegschmeißen und dann die Welt verdrecken. Sie denken jetzt sicher, dass ich nicht sauber bin und immer stinke, oder? Nein, ich bin kein Stinker. Ich halte mich sauber und auch unser Zuhause. Die bösen Menschen hocken in ihren Wohnungen und verdrecken unser Zuhause, aber bei denen daheim muss alles sauber sein. Wir müssen nicht unsere Küchen putzen, sondern unsere Natur. Die bösen Menschen wollen das nicht verstehen. Ich habe bei mir im Garten viele Eimer, Schüsseln und Töpfe aufgestellt, in denen ich das Regenwasser sammle. Warum soll ich teures Geld bezahlen, wenn ich das Wasser doch kostenlos haben kann. Das ist doch gutes Wasser. Das kommt von der Natur, das kommt von unserer Erde. Das kann doch nicht schlecht sein. Trinken Sie! An kleinen Brunnen löscht man auch den Durst. Gönnen Sie sich ruhig einen Schluck.
Jetzt bin ich auch schon wie die bösen Menschen. Nein, trinken Sie nicht. Ich will Sie zu nichts zwingen. Ich will Sie nicht zwingen, so zu sein wie ich. Ich will nicht, dass ich so bin wie meine Familie, dass ich so bin wie die bösen Menschen. Ich will das Unkraut bleiben. Viele große Menschen waren Außenseiter, aber sie sind dann irgendwann berühmt geworden und ich habe ihnen dann die Hand geschüttelt. Stille Wasser sind halt tief und man weiß nie, was sich hinter Unkraut verbirgt. Sicherlich keine Stefan Kleins, aber vielleicht bin ich ja dazu berufen, eine Aufgabe zu erfüllen. Vielleicht hat es ja alles einen Sinn, dass mich keiner mag, dass ich der „Müll-Mann“ bin. Vielleicht habe ich schon Menschenleben gerettet, vielleicht dadurch, dass ich Stühle im Wald aufgestellt habe oder weil ich dem Papst die Hand geschüttelt habe. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich kein böser Mensch bin. Ich lebe hier in meinem Reich und bleibe bei meinen Leisten. Ich bin zu spät gekommen und muss nun sehen was, übrig bleibt. Aber ich denke, dass ist nicht wenig, oder? Ich habe meine Schätze.
 



 
Oben Unten