Wider (der) Sinnlichkeit

3,00 Stern(e) 3 Bewertungen

linespur

Mitglied
[ 4]
[ 4]
In gewisser Weise verzieh sie nie; obwohl sie das Verzeihen verinnerlicht hatte. Manchmal, da verwandelte sie einen Pappkarton zu ihrer Waffe und sehnte sich fort; Planquadrat A trifft Seifenkiste, dachte ich da. Und ich lernte zu lachen.

Wenn sie träumte, dann platzten die Farben in breiter Palette auf ihre Wand des Denkens und verwischten im Grau, sobald sie erwachte. Sie erzählte niemals von dieser Welt und nicht selten kam es ihr so vor, als erstickte sie in den Bildern. Aber doch beschrieb sie auf eine Weise, dass andere sahen, was sie niemals erblickte. Man nannte sie Märchentante.

Und als der Himmel damals so schwarz schien und sich die Wolkenfetzen zu grauen Türmen ballten, da verspürte sie Angst. Als sie davon zu erzählen begann, wusste sie, dass diese Angst nicht zerfraß; sondern dass die Angst lediglich einen Platz forderte, der sonst doch nicht ausgefüllt worden wäre. Und so beschrieb sie die Angst, wie sie einen guten Freund wohl beschrieben hätte; gäbe es ihn. Und man nannte sie Kummer.

Letztlich, da sah ich sie über die Straße schlurfen, als trügen die Pantoffeln all ihre Schuld. Ich dachte noch, dass so beladen kein Mensch mehr springen könnte. Doch sie überquerte die Furt zu den Dächern des Unbewachten und schritt einfach hinfort - als gäbe es keine Beschwerlichkeit. Erst da wusste ich: Sie hatte besser es nicht zu lernen vermocht in all diesen Jahren. Sie strickte die Freitagssocken, als wäre es Montag und vergaß, am Samstag vor Ort zu sein. Und ich nannte sie Sehnsucht.
[ 4]
[ 4]
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo,

ein herzliches Willkommen auf der Lupe, auch, wenn es ein wenig gedauert hat.

LG Franka
 
O

Open Mike

Gast
So was nenne ich einen Texxt.
Mal keine Alltagssprache. Keine lineare Denke.
Recht passabel bis auf einige Details:

Manche Semikola wirken wie gekünstelte Pausenzeichen.
Haben im Grunde überflüssige Worte wie "da" und "so" eine ähnliche Funktion?
Wenn sie träumte, dann platzten die Farben in breiter Palette auf ihre Wand des Denkens und verwischten im Grau, sobald sie erwachte
Wann verwischten die Farben denn nun im Grau, wenn sie träumte oder sobald sie erwachte?
als erstickte sie in den Bildern
Innere oder äußere Bilder? (evtl. "an")
wie sie einen guten Freund wohl beschrieben hätte; gäbe es ihn
...
Sie hatte besser es nicht zu lernen vermocht in all diesen Jahren.
Unkonventionelle Wortstellungen, vielleicht auch poetisch, nur hier nicht sonderlich gelungen.
Letztlich, da sah ich sie über die Straße schlurfen
Letztlich?
Die Wortwahl.
Ähnlich unglücklich auch die Wahl des Titels: "Wider (der) Sinnlichkeit"
Bitte weniger abstrakt!
Sie strickte die Freitagssocken, als wäre es Montag und vergaß, am Samstag vor Ort zu sein.
Ein schöner Satz und mit "vor Ort und Stelle" würde er mir noch besser gefallen.

om
 

Ofterdingen

Mitglied
Da ist eine Leuchtspur, aber sie wird von den verwendeten Bildern teilweise verstellt und überlagert, verliert sich, was ich schade finde. Ich mag Bilder, auch ganze Kaskaden davon, aber da sollte ein Pfad sein, der hindurch führt. "Keine lineare Denke." Stimmt, ja, aber ein bisschen mehr Stringenz, Zusammenhang, Struktur, stilistische Richtung darf es nach meinem Geschmack schon sein.

LG,

Ofterdingen
 

linespur

Mitglied
Hallo Zusammen,

zunächst einmal: Vielen Dank für die Geduld mit diesem Text. Es ist nicht einfach, da keine Erzählung/Geschichte im üblichen Sinne erfolgt, sondern versucht wird, über Bilder ein Menschenbild zu erzeugen, Gefühl aufzubauen. Ganz gewiss ist das nicht jedermanns Sache.

Open Mike, Dir danke ich insbesondere für die konkrete Arbeit am Text. Dazu im Einzelnen:

‚Semikola“:
Gerade mit Zeichensetzung versuche ich extrem den Leser zu leiten, was Pause und Fluss angeht – für mich eine Selbstverständlichkeit, für Dich eher Grund zur Missbilligung? Oder interpretiere ich Dich da falsch? Das Semikolon ist ein wenig aus der Mode gekommen und ich persönlich finde das traurig. Mir nutz ich es gern als Mittelding zwischen Punkt und Komma, aber auch um der Möglichkeit, unvollständige Teilsätze bilden zu dürfen. Vielleicht in gewissem Überschwang manchmal übertrieben? Wo würdest Du andere Zeichensetzung bevorzugen?

„Überflüssige Füllworte“:
Ich geh mal davon aus, Du meinst Satzstellen, wie diese: „Manchmal, da verwandelte sie einen Pappkarton…“. Inhaltlich in der Tat nicht zielführend, aber für den Lesefluss wichtig, den ich auch so zu beeinflussen suche. Nur so wird an dieser Stelle möglich, das „Manchmal“ zu separieren, eine Pause zu erzwingen, um danach erst das Bild anzufügen. Das Manchmal erhält mehr Gewicht, als wenn es einfach fortlaufend im Satz eingeschlossen wäre. So zumindest ist meine Art zu lesen, was nicht hieße, das machte für jedermann Sinn.
Eine weitere Begründung für solcherlei liefern metrische Gesichtsgründe. Auch, vielleicht sogar gerade Prosatexte benötigen meiner Ansicht nach eine metrische Struktur, die inhaltsangepasst fließen oder stocken lässt, die Betonungen aufbaut, Dramatik erzeugt oder Ruhe vermittelt, etc. Beim Lesen fremder Texte achte ich viel auf diese Rhythmik und versuche eben auch, bei der eigenen Schreibe eine solche zu erzeugen.

„Farben“:
Dass der Satzbau hier missverständlich ist, ist mir neu, verstehe ich aber natürlich. Eigentlich hoffte ich, entstünde durch die Wortabfolge auch die Verständnisabfolge: Sie verwischen, sobald sie erwacht. Vielleicht kann man hier ein klareres Verständnis rein durch ein zusätzliches Komma vor dem Erwachen erzeugen? Eine Umstellung des Verwischens ans Satzende würde ich nur ungern vornehmen… Was meinst Du?

„Bilder“:
Innere Bilder sind es, da diese ja während des Träumens entstanden. Bezüglich des in oder an beim Ersticken hast Du mich verunsichert. ‚Ich ersticke in Arbeit’, würde ich formulieren und habe auch darum hier verwendet, und ich frage mich gerade, ob man überhaupt an etwas ersticken kann, so wie man an etwas erkrankt? Muss ich drüber nachdenken, oder Du schubst noch mal nach, lächel.

„Unkonventionell“:
Das „gäbe es ihn“ ist absichtlich nachgeschoben – auch hier wieder absichtlich übrigens das Semikolon. Der Gedanke schwappt nach, der Sprecher fängt erst nach dem Gesagten an zu grübeln, ob sie diesen guten Freund denn wohl wirklich habe. Dies erst im Erzählen darauf Kommen, dass es zweifelhaft ist ginge durch einen Satzumbau verloren und das möchte ich nicht. Das „wohl“ hingegen kann ich freilich verschieben, wenn es um die inhaltliche Aussage geht. Ich glaube, das Verschwurbelte ist auch hier wieder meinem Rhythmusempfinden geschuldet gewesen? Liest Du es klanglich anders, mit der Umstellung und falls ja, empfindest Du das als, hm besser? (gefälliger wäre hier eindeutig die falsche Frage, weil das gewohnte natürlich gefälliger ist.)

„Letztlich“:
Da kann ich Dein Fragezeichen nicht ganz deuten, da es ja normaler Dudenwortschatz ist. Zeitlich verstehe ich es so, dass das zum einen erst kürzlich stattfand, zum anderen es auch die letzte Begebenheit ist, zu der Erzähler sie gesehen hat. Unsicher bin ich aufgrund Deiner Nachfrage, ob das letztlich beide Komponenten überhaupt abdeckt…

„Beschwerlichkeit“:
Die Wortwahl ist unglücklich in Deinen Augen? Warum? Für mich ist das absolut normaler Wortschatz, der nicht aus dem Rahmen fällt. Der Titel hingegen, der ist in der Tat streitbar und ich glaube nicht einmal, dass ich ihn verteidigen möchte. Entstanden ist er aus der Idee, dass der Text sich schon um Sinnlichkeit dreht, welche ich nicht immer unbedingt mit Körperlichkeiten assoziiere. Letztendlich ist eben dieser Sinnlichkeit der Text gewidmet und dennoch führt er Dinge auf, die genau dem entgegen stehen. Und da ich mit Titeln eh immer Probleme habe, habe ich wild gebastelt und das Ergebnis ist… mau. Einen anderen hab ich bislang aber nicht – der Ideenreichtum ist nicht über Nacht angewachsen, smile. Vorschläge? Gern!

„Abschluss“
Du wirst schreien, wenn ich jetzt sag, dass der Rhythmus versaut wird, wenn ich die „Stelle“ da einbastel? *lachtlaut*. Täte es aber und machte es auch zu… speziell? Wenn ich an Ort und Stelle bin, ist das sehr spezifisch auf einen bestimmt Punkt gerichtet und so einer soll es hier ja gar nicht sein. Verschiedene Samstage bedingen verschiedene Orte? Keine Ahnung, auf Anhieb würde ich jedenfalls nicht ändern wollen.

Mir gefällt Deine Art zu lesen, wenn ich das aus Deinen Fragen, Anmerkungen und Vorschlägen entnehmen darf und ich hab gern versucht, soweit als möglich Deinen Gedanken zu folgen. Vielleicht aber konnte ich an manchen Stellen auch ein wenig aufzeigen, warum ich so schreib, wie ich schreib?

Liebe Grüße
lines


Hallo Ofterdingen,

formal hält der Text im Aufbau der Absätze sehr strikte Richtlinien ein. Ich hätte gehofft, das wäre Stringenz genug, und zudem auch zusammen mit dem inhaltlichen eine stilistische Richtung, die man zulassen könnte; freilich aber bleibt das grenzwertig. Und wenn ich aus Deiner Antwort kein gänzliches Missfallen deute, dann bin ich eigentlich schon ganz zufrieden. Derart experimentell baue ich nicht immer auf und denke, dass Du mit anderen wahrscheinlich mehr anfangen könntest; mit denen, die sich nicht ganz so verspielt geben.

Auch Dir einen lieben Dank
lines


Danke fürs Willkommenheißen, Franka und Ralf, sei nicht böse, wenn ich jetzt keine Textinterpretation abliefere; ganz gewiss ist das keine shortstory und will auch keine sein – insofern war Deine Erwartungshaltung vielleicht falsch?

Gruß an Euch Beide
lines
 
O

Open Mike

Gast
"Semikolon":
Wo ich andere Zeichen bevorzugen würde?
Statt dem ersten einen Punkt. Das zwote würde ich lassen. Statt dem dritten einen Beistrich. Und statt dem vierten wieder einen Punkt. Auf letzteren komme ich später zurück.

"Farben":
→ um zu verwischen im Grau (?)
Der eine oder andere Leser wird hier vielleicht ein "sich" vermissen.

"Bilder":
"In Arbeit ersticken" ist korrekt, auch "im Geld" und "in seinen Klamotten". (eher außen)
Andererseits: "ersticken an giftigen Gasen", "an Erbrochenem" und "an zu großen Kernen". (innen)
Und so beschrieb sie die Angst, wie sie einen guten Freund wohl beschrieben hätte; gäbe es ihn.

Das „gäbe es ihn“ ist absichtlich nachgeschoben – auch hier wieder absichtlich übrigens das Semikolon.
"Gäbe" auf "hätte" – das ist nix für meine Ohren.
Eine Alternative:
→ Und so beschrieb sie die Angst, wie sie wohl einen guten Freund beschrieben hätte. Wenn es ihn denn gäbe.
Liest Du es klanglich anders, mit der Umstellung und falls ja, empfindest Du das als, hm besser?
Anders, ja, aber sicher nicht schlechter.
"Letztlich":
Da kann ich Dein Fragezeichen nicht ganz deuten, da es ja normaler Dudenwortschatz ist. Zeitlich verstehe ich es so, dass das zum einen erst kürzlich stattfand, zum anderen es auch die letzte Begebenheit ist, zu der Erzähler sie gesehen hat. Unsicher bin ich aufgrund Deiner Nachfrage, ob das letztlich beide Komponenten überhaupt abdeckt…
Zu "letztlich" sagt mir mein Wörterbuch: "im letzten Grunde, im eigentlichen Sinne, schließlich".
Alternativen: "letztens", "zuletzt".

"Beschwerlichkeit":
Das Adjektiv ließe ich mir gefallen, diese Substantivierung jedoch ...

Auch, vielleicht sogar gerade Prosatexte benötigen meiner Ansicht nach eine metrische Struktur, die inhaltsangepasst fließen oder stocken lässt, die Betonungen aufbaut, Dramatik erzeugt oder Ruhe vermittelt, etc.
Hier gern noch mal zitiert.

om
 
O

Open Mike

Gast
Der Titel hingegen, der ist in der Tat streitbar und ich glaube nicht einmal, dass ich ihn verteidigen möchte. [...] Vorschläge? Gern!
Den Spaß einen Titel zu suchen, würde ich als Autor nicht so einfach anderen überlassen.

Von mir nur so viel:

Ein Titel muss dem, was ihm folgt, nicht immer eins zu eins entsprechen. Er kann den Text erweitern, aber auch einschränken.

om
 



 
Oben Unten