Wie Bauer Reisig den Tag rettete

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Jaun

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Wie Bauer Reisig den Tag rettete


Bauer Reisig schnäuzte auf den gepflasterten Boden.
Nachlässig kratze er seinen raumgreifenden Wanst und griff nach einem Artefakt der Lavaianer.
„Klump, grausiges“, murrte er und watschelte aus seinem kleinen Heimatmuseum ins Freie.
Der Hof seiner Vorfahren lag in einem idyllischen Landstrich nahe Passau und seit Ankunft der Lavaianer vor 30 Jahren in der Nähe des Pilgerweges nach Neu Straubing.
Aus einem absonderlichen Grund hatten die Lavaianer im Geburtshaus des Schauspielers Gustl Gstettenbaur einen Beweis für das universale Wirken ihres Herrschers Lät dem Erbauer, in Form eines alten Holzfasses gefunden.

Bauer Reisig und der Tourismusverband waren übereingekommen mit den nötigen Fördergeldern im Stall seines Hofes kleine Ausstellungen zum Thema lavaianischer Kultur herzurichten. Dazu wurde jede Menge Geld in Artefakte investiert, um dem Bildungsauftrag vor den nächsten Wahlen angemessen gerecht zu werden.
Das Artefakt in der Rechten und eine Drahtbürste in der Linken keuchte Bauer Reisig zum alten Sautrog vor dem Haus.
Langsam ließ er sich auf einem Schemel nieder, tauchte den metallenen Zylinder in das heiße Essigwasser und begann zu schrubben.
Der Schweiß lief in kleinen Bächen über seinen Schädel, der über jahrelange Anwendung von Hausmannskost und Weißbier die Form eines Kürbisses angenommen hatte.
„Mama!“, rief Reisig unwirsch ohne sich umzudrehen.
„Host du mei Thermoskandl gsegn?“
Stille.
„Maaama! Heast net?“
Stille.
„Maaa…“
„Jooo, zefix! Kaunst du net aufhean mit der Sauferei, du Saubär, du damischer!“, kam es ebenso barsch durch ein offenes Küchenfenster zurück.
„Owa mei Teeee, den ma da Dokta vaschrieben hot. Den muas i do tringa!“ plärrte er nach kurzem Suchen erneut.
Helga Reisig trat aus der Haustür und trocknete ihre Hände in der Schürze.
„Ha, das i net loch. An Tee, haha. Do is jo mehr Rum ois Tee drin.
A Rum mit Tee is des scho”, schimpfte sie mit ihrer Sonntagnachmittagskeifstimme und marschierte kopfschüttelnd zum Museum in der Scheune.

Leises Gesäusel ließ Reisig aufhorchen.
Mit einem untrüglichen Gespür für Arbeitsmehraufwand, erhob er sich und hechelte zielstrebig hinters Haus in den Garten.
Er tat gut daran, denn auf dem Weg zum Hof kündigte sich eine Schulkasse, fröhliche Wanderlieder singend, an.
„Herbert? Wo bist denn? D’Gäst san do“, zeterte Frau Reisig, als sie aus der Scheune kam.
Mit ausgebreiteten Armen und einem: „Jo Grüß Gott, liebe Schulklasse“ ging sie auf die Ankommenden zu.

Bauer Reisig lehnte an der Hausmauer im Garten, grub in seiner Latzhose nach Zigaretten und sann über seine Thermoskanne nach.
Die aufgeweckte Gruppe Zehnjähriger stürmte johlend die Scheune und ließ eine völlig entkräftete Lehrerin zurück.
Mitleidig betrachtete Frau Reisig das rothaarige Geschöpf, dass zur Aufsicht der Klassenfahrt verdonnert worden war und zückte aus ihrer Schürzentasche einen Flachmann.
Die müden Augen der Erzieherin leuchteten als sie den ersten Schluck tat.
„Mein Gott ist das gut“, stöhnte sie.
„Jojo, den brenna ma selba“, gab Frau Reisig stolz zurück.
In der Scheune rumorte es. Anscheinend hatten die Kinder die pädagogischen Spielzeugartefakte gefunden.
„Setzens ihna her. I geh mein Maun suchen, gell“ die Bäuerin wies auf den Schemel.

Bauer Reisig war indessen zur Ansicht gelangt, dass Verstecken keinesfalls eine Lösung war und sich im schlimmsten Fall äußerst prekär auf sein Nachtmahl auswirken konnte.
Er zog den Bauch um einen Zentimeter ein und ging zurück vor das Haus.
Aber was war das? Auf seinem Schemel saß dieses bezaubernde rothaarige Wesen und betrachtete das Artefakt. Rasch versuchte er einen Blick auf sein Spiegelbild in einem Fenster zu ergattern, wischte sich mit Schweiß die Haare straff zurück, zog den Bauch um einen weitern Zentimeter ein und marschierte kerzengrade auf die Lehrerin zu.
„Jo mei, jo mei, wos hauma denn do fia a liabs Vogerl eigfaungt“, fistelte er in samtigen Tönen.
„Oh, Bauer Reisig“, strahlte die Erzieherin.
Lässig drapierte sich Herbert neben ihr am Sautrog.
„Tun sie da das schöne Artefakt säubern, Herr Bauer“, sprudelte es überflüssig gescheit aus dem Fräulein.
„Jo, i oabeit gern…“ er nützte die Pause um ihr tief in die Augen zu blicken „…mit meine Händ“
Der Blick seiner sanften Kuhaugen glitt über ihren Körper in den Sautrog.
Das Wasser war grün geworden. Unappetitlich grün.
„Herrschoftszeiten, wos is denn des?“, rief er entsetzt.
Er spürte den Schatten seiner Frau im Genick.
„Herbert, die Kinder woin jetzt den Regenzylinder segn, host na scho putzt? Wo …“ auch Helga erstarrte.
Das Artefakt war weg. Aufgelöst.
„Host du do an Essig eini?“, hauchte Helga fast ohne Stimme.
Bauer Reisigs Augen wurden ängstlich.
„Net scho wieda, wast wos der kost? Hunderttausenmoi hob i das gsogt, du Depp, du bleda! Kein Essig fia den Zylinder, sunst scho, owa nia und nimma fia den Zylinder!“

Der einzig wirklich interessante Gegenstand, ein Luftfeuchtigkeitsverdichter, der innerhalb weniger Minuten punktuellen Regen erzeugen konnte, war nicht mehr.
Bauer Reisig schüttelte ratlos den Kopf und seine Frau die Fäuste.
„Aber die Kinder haben sich so furchtbar darauf gefreut“, klagte die Pädagogin.
„Das wäre so interessant und lehrreich gewesen. Seit Wochen tun sie auf diesen Tag hinfiebern. Na das wird jetzt schlimm werden.“, murmelte sie weinerlich.
Sie scharte die Kinder um sich und erklärte den immer trauriger werdenden Gesichtern, dass das mit dem Regen heute nichts werden würde.
Wie Kinder sind, begannen die ersten zu Schluchzen, worauf ein Wimmern folgte, dass von heißen Tränen und Geplärr abgelöst wurde.
Helga Reisig stieß Herbert in die Seite, drückte ihm seine Thermoskanne in die Hand und sagte: „Ersatzprogramm. Aber nua mea a anzigs moi. Wegen de Kinda“
Bauer Reisigs Augen strahlten plötzlich.
Während er seinen Rum mit Tee auf einen Zug austrank und spürte wie der Schweiß literweise aus seiner Kopfhaut schoss, trippelte die Bäuerin auf die Kinder zu und erklärte: „So, meine Kinder, stöllts euch in einer Reihe auf, da liebe Bauer Reisig wird eich a ohne Zylinder den Trick mitn Regn zoagn.“
Darauf ging sie in Deckung und Bauer Reisig begann seinen Kopf zu schütteln wie nie zuvor.
Stolz wankte er schweißspritzend die Stirnreihe entlang, sodass auch wirklich jedes Kind auf dem Pilgerweg nach Neu Straubing, die Grundlage der außerirdischen Wundertechnologie verinnerlichen konnte.
 



 
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