Wie die Mark nach Dingsda kam

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Wie die Mark

(aus: Märchen aus Dingsda)
Es ist eine schreckliche Schande, wie viele Unwahrheiten schon über das kleine Land Dingsda, mit seiner gleichnamigen Hauptstadt, und über seine liebenswürdigen Bewohner verbreitet wurden.
Die Leute aus Dingsda liebten ihren König, der ein sehr gütiger Landesvater war, über alles in der Welt, denn sie konnten mit ihm reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen war!
Mancher Staatsmann könnte sich von seiner Art, zu regieren, etwas abschauen. Dabei kannte er sich in seinem Land aus, wie in seiner Hosentasche.
Das kam daher, dass er jeden Sommer seinem Thron und den Regierungsgeschäften für einige Wochen den Rücken kehrte, um mit Stock und Wanderschuhen durchs Land zu streifen.
Am liebsten wanderte er unerkannt über die sieben hohen Schwarzwaldberge, hinter denen Dingsda verborgen lag, wobei er auch nach den Zwergen schaute, die damals in Felsspalten und Höhlen auf den Gipfeln hausten.
Stets übernachtete der König in einfachen Hütten, er schlief zusammen mit Hütejungen und Kuhmägden in deren engen Gesindekammern über Heuschuppen und Viehställen.
Manche der Hirten erkannten ihn und rückten respektvoll zur Seite, damit er sich im Schlaf einmal umdrehen und strecken konnte. Auch da, wo er unerkannt blieb, nahm man ihn vertraulich auf, denn die Gastfreundschaft war den Bewohnern von Dingsda heilig! Nie wäre es vorgekommen, dass man ihn oder auch fremde Wanderer, die um Obdach baten, abgewiesen hätte, wie dies in andern Ländern manchmal geschieht. Wenn er morgens aufbrach, packten ihm die einfachen Gastgeber noch frische Butterbrote, Milch und ein Stück Käse ein und verweigerten dafür jede Bezahlung.
So fehlte es ihm bei seinen ausgedehnten Wanderungen an fast nichts. Doch manchmal, wenn er sich nach einem mühsamen Aufstieg hinsetzen musste, um zu verschnaufen oder um zu vespern, dann wünschte er sich eine Holz- oder Steinbank herbei. "Ich bin älter geworden", sagte er dann zu sich selbst, "früher hat mir nie eine Bank gefehlt. Wenn ich zurückkomme in mein Schloss und in meine Hauptstadt, werde ich mit dem Kanzler darüber reden. In allen Ländern, sogar im sparsamen Schwabenland, stehen Bänke, nur bei uns besteht daran ein Notstand".
So befahl er dem Kanzler gleich nach seiner Rückkehr, dass in seinem Land an allen Wanderwegen, sowie im königlichen Park, Bänke aufgestellt werden müssten, auf denen sich müde Wanderer ausruhen könnten. Der Kanzler versprach, dafür zu sorgen, obwohl er in seinem ganzen Leben noch nie eine Bank gesehen oder gar vermisst hätte.
Er besuchte am anderen Tag gleich alle Tischler in der Stadt, die zwar wunderschöne Möbel, Kisten und Kasten anzufertigen wussten, aber leider in punkto Bänke völlig ahnungslos waren. Hätte ihnen der Kanzler allerdings gesagt, dass der König lediglich ein stabiles Sitzbrett wünschte, mit vier Beinen und einer Lehne, sie hätten sich wohl getraut, so etwas zusammenzuleimen.
Nur in Folge dieses Missverständnisses konnte es geschehen, dass in einer großen ausländischen Wochenzeitung, deren Namen ich hier nicht nennen darf, diese Anzeige erschien: "Gesucht wird ein Bankspezialist, der in der Lage ist, für den königlichen Park zu Dingsda eine Bank zu entwerfen und gegen ein angemessenes Preisgeld als Musterexemplar zu erstellen".
Bereits am andern Tag stellte sich beim Kanzler ein junger Mann aus einem benachbarten Alpenstaat vor, der eine abgeschlossene Banklehre, sogar mit Diplom, nachweisen konnte. Er erklärte sich bereit, im königlichen Park eine Bank zu errichten, eine Landesbank, wie er es nannte, und als der Kanzler nachfragte, ob es denn gleich eine Landesbank sein müsse, und wie hoch die Mehrkosten dafür wären, winkte der Bänkefachmann ab und sprach von baldiger Amortisation des dafür angelegten Kapitals.
Wie der Kanzler hörte, dass die Bank eigentlich gar nichts koste, sondern Geld einbringe, erteilte er ihm den Auftrag, sofort mit der Fertigung zu beginnen. "Gleich?", fragte der Alpenländler und der Kanzler bestätigte mit: "sofort!"
Der Kanzler, der nahe beim Park wohnte, wunderte sich dann doch etwas, als Männer in blauer Arbeitskleidung einen hohen undurchsichtigen Zaun mitten im Park errichteten und daran ein Schild anbrachten, auf dem stand: "Zutritt für Unbefugte verboten!" Auch drang durch den Zaun manchmal seltsamer Lärm an des Kanzlers Ohren.
Der König, den er davon unterrichtete, erzählte ihm aus eigener Reiseerfahrung, dass die Bewohner des betreffenden Alpenlandes etwas langsam seien im Denken und umständlich beim Sprechen und Arbeiten. Deshalb einigte er sich mit seinem Kanzler, eine amtliche Überprüfung der Bankherstellung erst nach einem halben Jahr vorzunehmen.
Und pünktlich nach sechs Monaten trafen sich die beiden vor dem Bauzaun, an dem noch immer das Schild hing: "Zutritt für Unbefugte verboten!"
"Was bedeutet: Unbefugte", fragte der König den Kanzler, doch der wusste es auch nicht, und sie beschlossen, dass es in ihrem Land noch nie Unbefugte gegeben hätte. Nun spickten sie zusammen durch ein Loch im Zaun und der König staunte nicht schlecht, als er sah, dass auf der Wiese, auf der bisher in jedem Frühsommer die prächtigsten Orchideen geblüht hatten, hohe Steinmauern standen. Da fragte der Kanzler einen Arbeiter, der auf der andern Seite des Zaunes eine Schubkarre hin oder her schob, wo sie den Mann finden könnten, der hier eine Bank herstellen sollte. Der führte sie zu einem Wagen, an dem "Bauleitung" geschrieben stand.
Dort fanden sie auch ihren Mann aus dem Alpenland, und der König fragte ungehalten, wieso er für eine Sitzbank solche Mauern benötige.
"Was", sagte der Bankexperte zum Kanzler, "was faselt dieser Herr von einer Sitzbank? Ich habe den Auftrag, hier eine Landesbank zu bauen!"
Der König sah seinen Kanzler und dieser sah den König an, und der König fragte, wozu Dingsda eine Landesbank brauche, auf der man nicht einmal sitzen kann.
Der Bankfachmann erklärte ihnen die Funktion einer Landesbank, die zu einer Hauptstadt gehöre, wie die Nase zum Gesicht und führte sie durch die halbfertigen Räume. Genau in der Mitte war ein fensterloser Raum abgeteilt, in dem ein stählernes Ungetüm stand, und der König wollte wissen, wofür ein solcher Eisenkasten gut wäre. "Das ist", sagte der Mann, ein Tresor; keine Bank der Welt kommt heute ohne Tresor aus, schon gar nicht eine Landesbank! Im Tresor werden Devisen und fremde Währungen aufbewahrt". Der König wandte ein, dass er noch nie Devisen oder Währungen besessen habe, sondern Goldgulden und Taler, worauf ihn der Bankenmensch so anschaute, dass er sich augenblicks schämte und verstummte.
"Nun ja", meinte darauf der König, "wenn jetzt jedes Land eine Landesbank mit einem Tresor braucht, dann bauen wir in Gottes Namen weiter. Aber irgendwo muss eine Sitzbank aufgestellt werden, auf die man sich setzen kann. Das ist ein königlicher Befehl!"
Inzwischen sitzt der gütige König alle Tage auf der schmalen Sitzbank vor dem Eingang des neuen Bankgebäudes. Er ist so traurig und arm wie eine Kirchenmaus. Seine ganzen Goldgulden und Silbertaler hatte er, genau wie alle seine Landeskinder, dort abliefern müssen, damit das prächtige Haus, mit viel getöntem Glas und echtem Marmor, fertig gebaut werden konnte.
Da sich sein armes Land keine neue Währung hätte leisten können, traf es sich gut, dass ein benachbarter Staat seine Währung mit Mark und Pfennigen gerade abgeschafft hatte, und all sein guterhaltenes Geld hochoffiziell vernichten sollte. Auf Bitten des Königs wurden diese Scheine und Münzen vor dem Verbrennen und Einschmelzen bewahrt und nach Dingsda gebracht.
Seither kann sich das Ländchen vor Touristen, meist Preußen, Sachsen, Hessen, Franken und Rheinländer, kaum noch retten; sogar sparsame Schwaben und Alemannen vom Oberrhein wurden schon gesichtet. Die Fremden mit den seltsamen Dialekten kaufen an den Verkaufständen und Buden Ansichtskarten und sündhaft teuren Obstler als Dingswasser, oder sie nehmen für ihre Verwandten Souvenirs mit heim, wie etwa geschnitzte Madonnen und Holzteller aus Plastik. Wenn sie an lauen Sommerabenden vor ihren Hotels gesellig beisammensitzen, freuen sie sich, dass sie noch einmal mit ihrer guten alten Mark, und den vertrauten Groschen zahlen dürfen.
Mit Tränen in den Augen singen sie zuletzt vielstimmig:
Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde, vor meinem Vaterhaus steht eine Bank....
 

LuMen

Mitglied
Hallo Bernhard,

Du erzählst da ein feinsinnig ironisches Märchen, das ich als gut gelungen empfinde! Die Geschichte ist keine knallharte Satire, hat aber gerade in dieser märchenhaften Form ihren besonderen Reiz.

Herzlichen Gruß
LuMen
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh mann,

es ist noch so früh am morgen und schon komme ich in den genuss einer erlesenen köstlichkeit!
ich gratuliere dir zu diesem gelungenen werk. das gibt punkte und aufnahme in meine sammlung.
ganz lieb grüßt
 
Wie die Mark....

Hallo LuMen,
hallo Flammarion!
Wie um alles in der Welt habt ihr meine lange unbeachtete Glosse oder Geschichte in der Leselupe wieder ausgegraben?
Ich werde eure positive Bewertung, für die ich mich herzlich bei euch bedanke, zum Anlass nehmen, eine weitere Geschichte aus dem Narrennest "Dingsda" in die Lupe zu stellen.
Da es mir oft sehr an Zeit mangelt, besuche ich die Rubrik "Humor & Satire" nur sporadisch, so entgeht mir sicher manches Vergnügen.
Über Flammarions Adam und Eva musste ich schmunzeln. Die biblische Schöpfungsgeschichte hat mich auch auch schon mehrmals zum Glossieren verführt.
Liebe Grüße!
-Bernhard-
 



 
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