Wie die Schweiz mir den Krieg erklärte

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Wie die Schweiz mir den Krieg erklärte

Hatten Sie schon einmal einen Hexenschuss? Ich bin sicher, viele meiner geschätzten Leser kennen diese Gemeinheit, die von Medizinern als „lokales Lumbalsyndrom“ verharmlost wird. Vor einiger Zeit ereilte mich auch ein solches Zipperlein und nach dem Motto, was von allein kommt, geht auch wieder von allein, beschloss ich, zwei Schmerztabletten zu schlucken und ansonsten diesen unangenehmen Bestandteil des allgemeinen Lebensrisikos zu ignorieren. Ein wenig stöhnen dann und wann, ab und zu ein schmerzverzerrtes Gesicht, aber nicht zuviel, man(n) will ja schließlich nicht als Weichei gelten. Viel mehr, das wusste ich aus Erfahrung, kann man dagegen ohnehin nicht tun.

Drei Tage später war der Schmerz immer noch nicht verschwunden, aber das konnte mich nicht davon abbringen, zu einem meiner regelmäßigen Aufenthalte bei der Liebsten, in die Schweiz aufzubrechen. Gott segne den Designer der Sitze meines japanischen Kleinwagens, die Fahrt verlief fast schmerzfrei.

Kaum angekommen,wurde mir beim Aussteigen aber klar, dass die „Hexe“ wohl nachgeladen hatte. Der nächste Tag zeigte mir, dass Schmerz sich immer noch ein wenig steigern kann, selbst wenn man es nicht mehr für möglich hält. Am Abend blieb mir keine Wahl, als mich den kompetenten Nachfahren des Schweizer Humanisten Henry Dunants anzuvertrauen.

Mittlerweile lag ich vollkommen bewegungsunfähig auf dem Bett und und meine Freude kannte kaum noch Grenzen, als zwei, mit jeder Menge Gelassenheit und allerlei Gerät ausgestattete, sympathische Eidgenossen das Zimmer betraten.
Bereits nach zwei Sätzen hatten die beiden jungen Männer, mit dem Vertrauen erweckenden kleinen Rotkreuz-Emblem auf den Jackenärmeln, mich allerdings als Angehörigen des benachbarten, barbarischen Teutonenstammes identifiziert. „Sie sprechen nur Hochdeutsch, oder?“ Diese rein rhetorische Frage, von einem kleinen, feinen Lächeln begleitet, war eine Kriegserklärung, wie sie eines Landes würdig ist, das Neutralität auf seine Fahnen geschrieben hat.
Da hätte ich schon gewarnt sein können, allerdings muss ich zu meiner Entlastung anführen, dass starke Schmerzen auch einem tapferen teutonischen Barbaren den Blick auf drohende Gefahren verstellen können. Arglos nickte ich und damit war mein Schicksal besiegelt.
Mit der sicheren Hand geübter Sanitäter, legten die beiden zunächst eine Infusion an und stellten mir dabei in Aussicht, mich umgehend ins Spital zu transportieren. Dafür, so ließen sie mich wissen, sei allerdings zunächst einmal die Wiederherstellung einer gewissen Beweglichkeit notwendig.
Zur Vorbereitung eines ersten, heimtückischen körperlichen Angriffs kam dann ein wenig psychologische Kriegführung zum Einsatz. „Wir injizieren ihnen jetzt ein Schmerzmittel,“ wurde mir angekündigt, „das in seiner Wirkung in etwa der von Morphium entspricht. Sollten sie dann immer noch so große Schmerzen haben, dass wir sie nicht auf die Trage heben können, haben wir noch andere Mittel in Reserve. Die sind zehnmal stärker, machen sie sich also keine Sorgen.“

Ich machte mir aber Sorgen! Warum, fragte ich mich, geben sie mir nicht gleich diese wirksameren Mittel? Kurz darauf wurde mir der Grund schmerzhaft klar. Ausgiebig wurde nun meine Bewegungsfähigkeit getestet und ich könnte schwören, dass diese wackeren Eidgenossen meine Schmerzenslaute mit einem befriedigten Lächeln zur Kenntnis nahmen. Im Verlauf der beginnenden Kriegshandlungen wurde meine Bewegungsfähigkeit im Spital dann noch von drei Ärzten und drei Pflegefachfrauen (so heißen Krankenschwestern in der Schweiz, habe ich gelernt) ausgiebig überprüft und auch wenn ich mich noch so sehr bemühte, keinen Schmerzenslaut mehr über meine Lippen kommen zu lassen, letztlich konnte jeder Kriegsteilnehmer eine beträchtliche Anzahl von Schmerzlauten und langanhaltendem Stöhnen als Beute für sich in Anspruch nehmen.
Bemerkenswert übrigens, dass weder meine Bereitschaft zur bedingungslosen Kapitulation, noch meine Versicherung sofort alles gestehen zu wollen, die Söhne und Töchter der genialen Erfinder von lila Schokolade, löslichem Kaffee und Kräuterbonbons, zu einem Akt der Barmherzigkeit bewegen konnten.
Es sollten sogar noch eklatantere Verstöße gegen die Menschenrechte, zumindest aber die Genfer Konventionen und die Haager Landkriegsordnung folgen.
Gegen 2:30 Uhr in der Früh, lag ich dann schließlich, vollgepumpt mit allen Segnungen der Schweizer pharmazeutischen Industrie, in einem Bett der chirurgischen Pflegestation. Ich spürte nichts mehr, nur ein wohliges, warmes Gefühl der Teilnahmslosigkeit. Allerdings nur solange ich absolut regungslos lag und weder hustete, noch lachte. Nach wenigen Minuten, war ich eingeschlafen um bereits kurz darauf wieder geweckt zu werden. Eine freundliche Stimme aus einem großen Mund, der sich nah über meinem Gesicht befand, raunte mir halblaut zu: „Sie haben sicher Durst, ich stelle ihnen zwei Flaschen Wasser auf den Nachtschrank.“ Der Mund entfernte sich langsam und gab den Blick auf einen Oberkörper frei, der züchtig in ein blaues Polohemd verhüllt und von langem schwarzem Haar umspielt, die Aufschrift „Pflegefachfrau“ trug.
An diesem Polohemd befestigt, befanden sich zwei weiße, schlanke Arme, die zwei Flaschen köstlichen Schweizer Quellwassers (still) auf den Nachtschrank stellten, sie gerade und ordentlich ausrichteten um dann, mitsamt der Pflegefachfrau im Halbdunkel zu verschwinden. (Sie bemerken an dieser Schilderung sicher recht deutlich, dass mir, die Wahrnehmung verändernde, Drogen verabreicht worden sein mussten.)
Da lag ich nun, zu vollkommener Bewegungslosigkeit verurteilt und betrachtete mit trockener Kehle die beiden wunderschönen Wasserflaschen, die, aufgrund der Entfernung zwischen Bett und Nachtschrank unerreichbar, meiner Phantasie die Vorstellung erquickender Kühle vorgaukelten.
Nach einer qualvollen halben Stunde schlief ich wieder ein, nur um Minuten später wieder geweckt zu werden. Eine barmherzige Nachfahrin der Mutter aller Pflegefachfrauen, Florence Nightingale, muss sich heimlich zwischen die feindlichen Linien geschlichen haben. Mit den tröstenden Worten: „Sie tun mir so leid.“ hielt sie mir eine geöffnete Wasserflasche, in der nun ein gebogener Trinkhalm steckte, so neben den Mund, dass ich gierig etwas von diesem erfrischenden Nass einsaugen konnte. Während diese hochherzige, tapfere junge Frau mich mit köstlichem Schweizer Quellwasser (still) labte, konnte ich die Aufschrift auf ihrem blauen Polohemd lesen. Pflegefachfrau Roswitha E. stand dort mit schwungvollen weißen Buchstaben aufgestickt.
Manche Gräueltaten wurden also in allen deutschsprachigen Ländern gleichermaßen verübt, wie dieser Name Roswitha zum Beispiel. Aber das nur am Rande.
Kaum wieder eingeschlafen, schreckte ich entsetzt wieder auf.
„Jetzt ist es um mich gescheh’n!“ schoss es mir durch den Kopf „Sie setzen Chemiewaffen ein!“
Der betäubende Geruch setzte sich bereits auf den Schleimhäuten meiner Atemwege ab und hinterließ einen ätzenden Film, der augenblicklich einen starken Hustenreiz auslöste. Amnesty International, die Uno, der Weltsicherheitsrat und meine unbezahlten Rechnungen daheim auf dem Schreibtisch, rasten durch meine Gedanken, während ich versuchte, die passenden Worte für ein letztes Gebet zu finden.
„Guten Morgen, Herr Adameit!“ hörte ich nun eine fröhliche, jungenhafte Stimme neben meinem Bett sagen, während mein Blick langsam klar wurde und ich mit Erleichterung feststellte, dass der betäubende Geruch vom Inhaber dieser Stimme ausgeströmt wurde.
Sie werden zugeben, dass in Eau de Toilette zu baden, ein ganz gemeiner Psychotrick ist, um den Gegner zu erschrecken und eine gewisse Desorientierung hervorzurufen. Mit einem süffisanten Lächeln hielt der junge Mann mir die Hand hin, wohl wissend, dass sie zu ergreifen, mir erheblichen Schmerz verursachen würde.
„Ich heiße Patrick Brauner“ sagte er mit mahnender Stimme, die Hand immer noch erwartungsvoll in die Luft gestreckt, „ich bin Pflegefachkraft in Ausbildung und heute für sie zuständig.“ Eiskalt lief es mir über den Rücken. Jetzt planten die Schweizer Recken also, den Nachwuchs an mir üben zu lassen.
An diesem Tag stand wohl eine Lektion in Zermürbungstaktik auf dem Lehrplan.
Nachdem der junge Mann sich entfernt hatte, schloss ich die Augen um noch ein halbes Stündchen Schlaf zu bekommen. Kaum eingeschlafen, riss mich der betäubende Geruch wieder aus dem Schlaf.
„Ich sollte nur rasch ihren Blutdruck messen!“ waren sein Worte, während er schon beherzt meinen Arm ergriff und ihn hochzog, um die Manschette des Blutdruckmessgerätes darüber zu streifen. Schmerzen? Ja sicher! Aber das hält ein Teutone klaglos aus und mittlerweile auch ohne jeglichen Schmerzenslaut, denn der hätte, da war ich mir sicher, meinen Peiniger nur angestachelt. „Achtzig zu Fünfundsechszig, na ja.“ murmelte er und verschwand hinter einer Schrankwand. Als ich ihn dort leise mit einem anderen Patienten reden hörte, schien mir die Gelegenheit günstig, nun doch noch ein wenig Schlaf zu bekommen.
Sie ahnen es schon, oder? Wenige Minuten nachdem ich erschöpft in den Schlaf gefallen war, trieb mich die jungenhafte Stimme mit einem gehässigen Unterton zurück in die Wirklichkeit. „Ihren Puls sollte ich auch noch messen.“ waren seine Worte, während sein Hand sich eisern um mein Handgelenk schloss. „Puls 60..“ sagte er kurz darauf kopfschüttelnd, „aber in einer halben Stunde gibt es ja Frühstück und der Kaffee wird ihren Kreislauf sicher anregen.“

Eine halbe Stunde noch? „Schlafen…“ murmelte ich und schloss die Augen.

„Wie machen wir das mit der Temperatur?“ Mit dieser Frage holte mich die Bübchenstimme schon wenige Minuten später wieder in den angebrochenen Tag zurück. „Ich koche!“ presste ich wütend zwischen den Zähnen hervor, aber der Tell’sche Urenkel blieb davon unbeeindruckt und schob mir ein Messgerät ins Ohr. „Sechsunddreißigkommaeins! stellte er mit einer gewissen Befriedigung in seiner Stimme fest, „Brauchen sie vielleicht eine weitere Decke?“
Es folgte das Frühstück, Medikamentenversorgung (es wurden immer mehr!) und Begutachtung durch einige Weißkittel, die - von lächelnden Pflegefachkräften umringt - den Schutz ihrer Kommandozentrale verlassen hatten, um dem Feind ins Auge zu sehen.
Zwischendurch stellte sich eine Dame vom Suchdienst des Roten Kreuzes ein, (vielleicht war sie aber auch von der Spitalverwaltung) die meine Hilfe beim Ausfüllen einiger wichtiger Formulare einforderte.
Nach der Mittagsruhe, diesmal ohne Unterbrechung – diese Pause scheint den Schweizern heilig zu sein – erfolgte der nächste Sturmangriff, ausgeführt von einer lächelnden Dame, die sich als „ihre Physiotherapeutin“ vorstellte.
Zunächst händigte sie mir einige Blätter aus, auf denen nützliche Übungen und eine Anleitung zum Aufstehen bei Rückenschmerzen gedruckt waren. Die, so wurde mir aufgetragen, solle ich lesen und später, unter ihrer Anleitung, praktisch umsetzen.
Eine Stunde später beaufsichtigte die Dame dann streng aber freundlich, meine Bemühungen, diese Anweisungen zur schrittweisen Einführung in die Praxis der effektiven Selbstfolter genauestens zu befolgen.
So verging der erste Tag auf dem Schlachtfeld recht kurzweilig, wobei die Schweizer Seite keine Verluste zu verzeichnen hatte. Auch der nächste Tag verlief fast identisch, bis auf den kleinen, aber feinen Unterschied, dass mein Körper allmählich begann, den Schmerz zu verdrängen, um dem innigen Verlangen meiner Psyche, von diesem Schlachtfeld zu entkommen, praktische Unterstützung zu geben.
Am Nachmittag aber, nahm die Auseinandersetzung eine entscheidende Wende.
Etwas benommen, von beflissentlich immer wieder praktizierten Übungen der Selbstfolter, lag ich mit geschlossenen Augen im Bett, als sich die Tür zum Krankenzimmer öffnete. Die Tür lag nicht in meinem Blickfeld, aber ein schlagartiger Wandel der Atmosphäre im Zimmer machte mir klar, dass nun wohl etwas Entscheidendes geschehen würde. Ich öffnete langsam die Augen und wandte meinen, mittlerweile wieder etwas bewegungsfähigen Oberkörper und Kopf in Richtung Tür. Und da stand sie, hochaufgerichtet, nach Art einer wahrhaften Königin. Ihr langes Haar floss über ihre Schultern den Rücken hinab und ihr engelgleiches Gesicht erstrahlte von einem Lächeln, das Herzen brechen kann.
Meine Prinzessin war mir zu Hilfe geeilt!
Sofort war mir klar, dass sich nun alles ändern würde, denn die wackeren Schweizer hatten sicher mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass ich eine Verbündete aus ihren eigenen Reihen haben würde. Nach diesem Besuch, der mich aus der Hölle wieder ein Stück hinauf, Richtung Himmel gehoben hatte, ging es dann Schlag auf Schlag.
Der Schweizer Truppenkommandant eilte herbei um mir anzukündigen, dass ich, eine weitere beherzte Absolvierung der Übungen und korrekte Medikamenteneinnahme vorausgesetzt, vielleicht bereits am folgenden Nachmittag entlassen werden könne.
Ich konnte mich des sehr befriedigenden Gefühles nicht erwehren, dass der Krieg, den die Schweizer mit mir begonnen hatten, zwar noch nicht zu Ende sein würde, aber in dieser Schlacht war mir der Sieg gewiss. Starke Verbündete sind fast immer eine Garantie für den Sieg, das wusste schon der geniale Erfinder der zahnärztlichen Lieblingswaffe „Nimm Zwei“.
Der Bündnis- und Beistandspakt mit meiner Schweizer Prinzessin ist mittlerweile den allfälligen Missverständnissen, die zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts entstehen können, zum Opfer gefallen. Deshalb werde ich sicher sobald nicht mehr in das Land der Berge reisen, in dem man Äpfel auf dem Kopf transportiert.
Wann immer euch also nach einer Fortsetzung der Kampfhandlungen gelüstet, liebe Schweizer, müsst ihr euch schon auf mein Territorium wagen.
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Sec, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von Rumpelsstilzchen

Redakteur in diesem Forum
 

anbas

Mitglied
Hallo Sec,

auch von mir ein herzliches Willkommen in der Leselupe!

Ich finde diesen Text klasse. Er ist, wie ich finde, gut geschrieben und sehr unterhaltsam.

Abschließend möchte ich Dir noch ein "e" schenken:
„Ich sollte nur rasch ihren Blutdruck messen!“ waren sein[red]e[/red] Worte, während er
(Hier noch ein Tipp, falls Du noch nicht entdeckt hast, wie Du Deinen Text korrigieren kannst: Unter Deinem Text "Bearbeiten/Lö." drücken, bearbeiten und dann speichern - die ursprüngliche Fassung bleibt bestehen, wird nur ausgeblendet, kann aber per Mausklick eingesehen werden.)


Liebe Grüße

Andreas
 



 
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