Wie es beginnt – eine Textskizze

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Anonym

Gast
Wie es beginnt – eine Textskizze


Es gibt die Tage, an denen die Zukunft beginnt. Nun wird man einwenden, die Zeit sei ein immerwährender Prozess und daher auch die Zukunft. Sie könne also nicht „beginnen“. Sie geschehe einfach.

Er sitzt am Frühstückstisch, die Riten beherrschen alles. Der Duft von Kaffee signalisiert einen Samstagmorgen. Der Sonnenstand gibt Auskunft über das spätere Aufstehen. Die Musik läuft, es ist sein Lieblingssender eingestellt. Sonst ist alles ruhig.

Das Früchtemüsli hat den Gang der Dinge genommen. Diese verschwinden meistens in irgendwelchen Schlünden, um danach verdaut zu werden. Die Frage ist nur, mit welchem Ergebnis das jeweils geschieht. Nicht immer wollen diese zum Einverleibten passen.

Er legt die Zeitung zur Seite. Die Kaffeemaschine ist fertig, und, wie jeden Samstagmorgen, wird der Kaffee in die Thermokanne, die silbrige, schöne fürs Wochenende, umgefüllt. Automatismen regeln das Dasein. Man will es nur nicht wahrhaben. Und schon wenn ein Sprung in diese Platte kommt, beginnt das Chaos. Besonderheiten, Abweichungen wollen erwartet, gestaltet und beherrscht werden. Wenn sie unverhofft aus der Zeit ins Jetzt springen, sind sie selten wirklich wohlgelitten, nicht einmal die, die man aus der Distanz als eher positiv betrachten würde.

Es ist der Augenblick der Ruhe, des Alleinseins in einem Haus, das sonst von vielen Geräuschen dominiert wird, die vielfältige menschliche Aktivität anzeigen. Dieses Luftholen ist es, das er so sehr braucht, an diesem Wochenende ganz besonders.

Schon lange treibt ihn der Gedanke um, dass sich die Stränge aus der Vergangenheit zum einem unentwirrbaren Knäuel verbinden, das zunehmend belastet. Er ahnt, dass eine Entladung der in diesem Knäuel enthaltenen Konflikte bevorsteht. Diese Entladung wird sein Leben radikal verändern, ihn aus der Bahn werfen. Und er wird sie nicht mehr aufhalten können, weil zuviel geschehen ist, das sich jetzt zu einem dunkeln Kuddelmuddel verdichtet, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.

Früher war Zukunft, das Morgen, wie eine Fortsetzung des Gestern über das Heute erschienen. Das mag auf den ersten Blick eher langweilen. Es hat aber den entscheidenden Vorteil, so etwas wie Sicherheit und Rahmen gegen die Zufälligkeiten des Schicksals und die eigenen wuchernden Ausuferungen zu geben.

Die Erkenntnis, dass sich die gemächliche Gleichförmigkeit nicht würde fortsetzen lassen, die neben der Bequemlichkeit auch ihm, dem Disziplinlosen, Ordnung lieferte, hatte etwas Erschreckendes, etwas Furchterregendes an sich. Der Begriff Zukunft erhielt dadurch eine Bedeutung. Und das Gespräch heute Abend, das seine Frau mit ihrem führen will, würde der erste Schritt in etwas völlig Neues, Anderes sein, dessen war er sich bewusst.

Er geht, immer noch auf Autopilot, seinen rituellen Handlungen nach. Dazu blendet er Ängste, Hoffnungen und Spekulationen weg, ganz so, als ließe sich die Zukunft einfach auf später verschieben.

Es gibt Tage, an denen die Zukunft beginnt. Und das ist genau dann der Fall, wenn sie andere andere ist als die, die gestern als Zukunft vor Augen schien. Denn nur dann nimmt man sie als solche, als Einschnitt in den Lauf der Zeit, wahr.
 

Anonym

Gast
Wie es beginnt – eine Textskizze


Es gibt die Tage, an denen die Zukunft beginnt. Nun wird man einwenden, die Zeit sei ein immerwährender Prozess und daher auch die Zukunft. Sie könne also nicht „beginnen“. Sie geschehe einfach.

Er sitzt am Frühstückstisch, die Riten beherrschen alles. Der Duft von Kaffee signalisiert einen Samstagmorgen. Der Sonnenstand gibt Auskunft über das spätere Aufstehen. Die Musik läuft, es ist sein Lieblingssender eingestellt. Sonst ist alles ruhig.

Das Früchtemüsli hat den Gang der Dinge genommen. Diese verschwinden meistens in irgendwelchen Schlünden, um danach verdaut zu werden. Die Frage ist nur, mit welchem Ergebnis das jeweils geschieht. Nicht immer wollen diese zum Einverleibten passen.

Er legt die Zeitung zur Seite. Die Kaffeemaschine ist fertig, und, wie jeden Samstagmorgen, wird der Kaffee in die Thermokanne, die silbrige, schöne fürs Wochenende, umgefüllt. Automatismen regeln das Dasein. Man will es nur nicht wahrhaben. Und schon wenn ein Sprung in diese Platte kommt, beginnt das Chaos. Besonderheiten, Abweichungen wollen erwartet, gestaltet und beherrscht werden. Wenn sie unverhofft aus der Zeit ins Jetzt springen, sind sie selten wirklich wohlgelitten, nicht einmal die, die man aus der Distanz als eher positiv betrachten würde.

Es ist der Augenblick der Ruhe, des Alleinseins in einem Haus, das sonst von vielen Geräuschen dominiert wird, die vielfältige menschliche Aktivität anzeigen. Dieses Luftholen ist es, das er so sehr braucht, an diesem Wochenende ganz besonders.

Schon lange treibt ihn der Gedanke um, dass sich die Stränge aus der Vergangenheit zum einem unentwirrbaren Knäuel verbinden, das zunehmend belastet. Er ahnt, dass eine Entladung der in diesem Knäuel enthaltenen Konflikte bevorsteht. Diese Entladung wird sein Leben radikal verändern, ihn aus der Bahn werfen. Und er wird sie nicht mehr aufhalten können, weil zuviel geschehen ist, das sich jetzt zu einem dunkeln Kuddelmuddel verdichtet, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.

Früher war Zukunft, das Morgen, wie eine Fortsetzung des Gestern über das Heute erschienen. Das mag auf den ersten Blick eher langweilen. Es hat aber den entscheidenden Vorteil, so etwas wie Sicherheit und Rahmen gegen die Zufälligkeiten des Schicksals und die eigenen wuchernden Ausuferungen zu geben.

Die Erkenntnis, dass sich die gemächliche Gleichförmigkeit nicht würde fortsetzen lassen, die neben der Bequemlichkeit auch ihm, dem Disziplinlosen, Ordnung lieferte, hatte etwas Erschreckendes, etwas Furchterregendes an sich. Der Begriff Zukunft erhielt dadurch eine Bedeutung. Und das Gespräch heute Abend, das seine Frau mit ihrem führen will, würde der erste Schritt in etwas völlig Neues, Anderes sein, dessen war er sich bewusst.

Er geht, immer noch auf Autopilot, seinen rituellen Handlungen nach. Dazu blendet er Ängste, Hoffnungen und Spekulationen weg, ganz so, als ließe sich die Zukunft einfach auf später verschieben.

Es gibt Tage, an denen die Zukunft beginnt. Und das ist genau dann der Fall, wenn sie eine andere ist als die, die gestern als Zukunft vor Augen zu sein schien. Denn nur dann nimmt man sie als solche, als Einschnitt in den Lauf der Zeit, erst wahr.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Das ist wirklich wie ein Blick in's Skizzenbuch – irgendwie nur ein Anfang, eine Art "Worauf kommt's an"-Analyse und die betreffenden Studien dazu. Zugleich fühl ich ganz deutlich, dass das "Werk", das daraus mal erwachsen wird, ganz anders sein wird, nichts von dem sagen wird und dennoch wohl genau davon handeln wird.
 

Anonym

Gast
Hi Jon,

dieser Text ist Konzept und Beginn zugleich. Er beschreibt ein Vorhaben, an dem der Autor schon seit einer Weile mit durchaus mäßigem Erfolg herumbosselt. Manchmal ist es nötig, sich des Konzepts durch Entäußerung zu versichern.

Daher dachte er auch, es wäre ein interessanter Versuch, das Konzept selbst einer Diskussion zu stellen. Vielleicht kommt ja über diesen Weg der entscheidende Hinweis dazu, aus dem Bosseln einen planend gestaltenden, weniger zufällig winkelzügigen Prozess für die Gestaltung der anderen Texte zu entwickeln.

Daher dankt er auch sehr für diesen Eintrag. Zwei kleine Fehler hat er noch ausgebaut, weil selbst gefunden.

Und er würde sich über jeden weiteren Eintrag, gerne auch ohne oder schlechter Wertung freuen. Jeder Hinweis zählt.

Mit freundlichen Grüßen

A.
 

Anonym

Gast
Wie es beginnt – eine Textskizze


Es gibt die Tage, an denen die Zukunft beginnt. Nun wird man einwenden, die Zeit sei ein immerwährender Prozess und daher auch die Zukunft. Sie könne also nicht „beginnen“. Sie geschehe einfach.

Er sitzt am Frühstückstisch, die Rituale beherrschen alles. Der Duft von Kaffee signalisiert einen Samstagmorgen. Der Sonnenstand gibt Auskunft über das spätere Aufstehen. Die Musik läuft, es ist sein Lieblingssender eingestellt. Sonst ist alles ruhig.

Das Früchtemüsli hat den Gang der Dinge genommen. Diese verschwinden meistens in irgendwelchen Schlünden, um danach verdaut zu werden. Die Frage ist nur, mit welchem Ergebnis das jeweils geschieht. Nicht immer wollen diese zum Einverleibten passen.

Er legt die Zeitung zur Seite. Die Kaffeemaschine ist fertig, und, wie jeden Samstagmorgen, wird der Kaffee in die Thermokanne, die silbrige, schöne fürs Wochenende, umgefüllt. Automatismen regeln das Dasein. Man will es nur nicht wahrhaben. Und schon wenn ein Sprung in diese Platte kommt, beginnt das Chaos. Besonderheiten, Abweichungen wollen erwartet, gestaltet und beherrscht werden. Wenn sie unverhofft aus der Zeit ins Jetzt springen, sind sie selten wirklich wohlgelitten, nicht einmal die, die man aus der Distanz als eher positiv betrachten würde.

Es ist der Augenblick der Ruhe, des Alleinseins in einem Haus, das sonst von vielen Geräuschen dominiert wird, die vielfältige menschliche Aktivität anzeigen. Dieses Luftholen ist es, das er so sehr braucht, an diesem Wochenende ganz besonders.

Schon lange treibt ihn der Gedanke um, dass sich die Stränge aus der Vergangenheit zum einem unentwirrbaren Knäuel verbinden, das zunehmend belastet. Er ahnt, dass eine Entladung der in diesem Knäuel enthaltenen Konflikte bevorsteht. Diese Entladung wird sein Leben radikal verändern, ihn aus der Bahn werfen. Und er wird sie nicht mehr aufhalten können, weil zuviel geschehen ist, das sich jetzt zu einem dunkeln Kuddelmuddel verdichtet, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.

Früher war Zukunft, das Morgen, wie eine Fortsetzung des Gestern über das Heute erschienen. Das mag auf den ersten Blick eher langweilen. Es hat aber den entscheidenden Vorteil, so etwas wie Sicherheit und Rahmen gegen die Zufälligkeiten des Schicksals und die eigenen wuchernden Ausuferungen zu geben.

Die Erkenntnis, dass sich die gemächliche Gleichförmigkeit nicht würde fortsetzen lassen, die neben der Bequemlichkeit auch ihm, dem Disziplinlosen, Ordnung lieferte, hatte etwas Erschreckendes, etwas Furchterregendes an sich. Der Begriff Zukunft erhielt dadurch eine Bedeutung. Und das Gespräch heute Abend, das seine Frau mit ihm führen will, würde der erste Schritt in etwas völlig Neues, Anderes sein, dessen war er sich bewusst.

Er geht, immer noch auf Autopilot, seinen rituellen Handlungen nach. Dazu blendet er Ängste, Hoffnungen und Spekulationen weg, ganz so, als ließe sich die Zukunft einfach auf später verschieben.

Es gibt Tage, an denen die Zukunft beginnt. Und das ist genau dann der Fall, wenn sie eine andere ist als die, die gestern als Zukunft vor Augen zu sein schien. Denn nur dann nimmt man sie als solche, als Einschnitt in den Lauf der Zeit, erst wahr.
 



 
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