Wie ich die Erde rettete

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mattes

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Wie ich die Erde rettete

Sie landeten an einem frühen Sonntag Abend.
Sie kamen, um zu sehen, wie weit wir waren.
Sie brachten ihr Raumschiff am Rande der Stadt herunter und teleportierten in eine Wohnung, um mit den Leuten zu reden.
Zu ihrem Unglück war es 19:00 Uhr.
Die Menschen, die sie antrafen, saßen vor einem Bildschirm und folgten atemlos irgendeinem Geschehen.
Sie versuchten es noch in zwei weiteren Wohnungen, doch das Ergebnis war das gleiche. Sie wurden von den Menschen einfach nicht bemerkt.
So kamen sie auch zu mir.
lch dachte zuerst, dass es mich jetzt endlich erwischt habe, als sie so unvermittelt in meiner Bude materialisierten.
Ich hatte soeben meine zweite Flasche Roten entkorkt und war nicht unübler Laune, weshalb ich beschloss, den ungewöhnlichen Auftritt als gegeben hinzunehmen, kramte noch zwei Gläser hervor und schenkte ein.
Wir prosteten uns zu und ich sagte ihm, dass seine Schwester echt scharf aussehe, worauf er mich dahingehend korrigierte, dass sie seine Lebensgefährtin sei.
Er erzählte mir, was sie hier wollten und fragte mich, warum sie einfach ignoriert würden.
lch sagte ihm, dass er sich einen sehr ungünstigen Termin ausgesucht habe, es wäre "Lindenstraßen Time".
Nach einigen Erklärungen meinerseits war er zwar etwas enttäuscht darüber, dass sein Erscheinen auf geringeres Interesse stieße als eine Fernsehserie, aber er gab Ruhe.
Sie fragte mich mit einem absolut himmlischen Lächeln, warum ich nicht vor dem Fernseher sitze, worauf ich ihr gestehen musste, dass ich das Teil verkaufen musste.
Wir leerten noch fünf weitere Flaschen und ich stellte fest, dass der weibliche Teil dieser Weltraumexpedition absolut phantastisch aussah.
lch sagte ihnen dann, dass sie, falls sie irgendwelche politischen Infos haben wollten, zu unserem Bundeskanzler gehen sollten.
Sie gingen.
Am nächsten Morgen hatte ich das Erlebnis schon in den Bereich meiner `Alkoholnebel von Aachen` eingeordnet, als sie wieder auftauchten.
Man glaubt es nicht, aber sie hatten beide je zwei ALDl-Tüten mit meiner Lieblingsbilligrotweinmarke dabei.
Er goss ein, und sie hatte wieder dieses "Du bist ein so toller Junge" Lächeln drauf, das ich nur so dahin schmolz.
lch fragte, nachdem wir das erste Glas getrunken hatten, nach dem Besuch bei unserem Kanzler.
Er erzählte, dass sie direkt vor einer Frau materialisiert seien. Man habe ihr das Anliegen erklärt, und sie sei in ein anderes Zimmer gegangen.
Hinter der Türe hörte man den Fernseher laufen und zwei gedämpfte Stimmen: "Doris, du weißt doch, dass ich nicht gestört werden will, wenn ich mir die Aufzeichnung der LINDENSTRAßE ansehe!"
"Aber Gerhardt, draußen sind zwei Außerirdische, die dich sprechen wollen." "Außerirdische? Frag sie, ob es Grüne sind, oder besser, schick sie zum Joschka, der ist dafür zuständig."
Daraufhin seien sie lieber etwas auf dieser Welt herumgeflogen und haben sich alles angesehen.
Mir wurde etwas komisch, als er das sagte, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass solch eine Besichtigung sehr positiv ausfallen könnte. Trotz meines etwas unglücklichen Gesichtsausdruckes kam auch schon die erste Frage:
"Wieso seid ihr hier alle satt und reich, und nur wenige Kilometer weiter verhungern die Menschen? Warum werden auf deinem Kontinent Lebensmittel vernichtet, die andere zum Leben benötigen? Warum gebt ihr Geld aus, dass der ganzen Welt Wohlstand bringen könnte, um Waffen zu produzieren? Warum tötet ihr eure Brüder und Schwestern, wo es doch viel einfacher ist, miteinander zu leben? Warum hasst ihr euch, wenn es doch viel schöner ist, sich zu lieben? Sag es mir!"
Mir fiel nichts ein.
"Ihr tötet unschuldige Kinder, ohne mit der Wimper zu zucken!!"
"Aber letztlich ist es doch die Schuld der Politiker," entgegnete ich ziemlich lahm.
"Ihr duldet es, also ist es eure Schuld. Es ist jedermanns gottverdammte Schuld auf diesem Scheißplaneten!!" Er fing an zu weinen.
"Man muss etwas ändern," schluchzte er, "das ist doch fürchterlich!!"
"Ich werde diesen Planeten vernichten, denn wer Intelligenz benutzt, um zu töten, ist es nicht wert zu leben! Ihr seid Monstren!!

ALLE !!!"

Er weinte laut los und ich konnte seinen Jammer gut verstehen.
Allerdings wusste ich, dass es nicht nur die Mörder, sondern auch die Opfer gab, und die sollten nicht für die Verbrecher sterben.
Wen man in erster Linie mit dem Wort Verbrecher betiteln sollte, überlasse ich der Phantasie der Leute.
Fakt ist, dass es genug Politiker, Großindustrielle und andere Machtmenschen gibt, die die Menschheit und unseren Planeten einzig und allein aus persönlicher Gier in den Tod schicken.
Aber vielleicht gibt es ja noch Hoffnung, dachte ich.
Vielleicht gelingt es mir, allen Arschlöchern dieser Welt den Schädel einzuschlagen.
Ich nahm den weinenden Jesus bei der Hand und sagte ihm, dass er nach einem Zug durch die Gemeinde immer noch Zeit hätte, die Erde zu vernichten.
Wir zogen durch sämtliche Kneipen Aachens, und als wir endlich morgens um sechs Uhr bei `Ludwig` rausgeschmissen wurden, waren die beiden total besoffen. Maria-Magdalena küsste mich, aber ich hatte keine Zeit für ein Intermezzo.
Ich schleppte beide in ihr Raumschiff, stellte die Startautomatik an und wartete draußen, bis es abhob.
Ich glaube nicht, dass sie noch einmal wiederkommen.
Vor knapp zweitausend Jahren hat er sich an ein Lattengerüst schlagen lassen, um uns zu retten, und nun setzt ihn ein Säufer vor die Tür.
Er wird wissen, dass wir so oder so verloren sind.
Wenn wir alle getötet haben, die sich töten lassen, werden wir uns selbst töten. Vielleicht habe ich die Erde nicht gerettet, sondern nur die Folter verlängert.
Aber solange es Rotwein gibt, solange gibt es auch Hoffnung.
 
Q

Quidam

Gast
Hallo mattes,

das hier ist ja was ganz anderes, im Vergleich zu deinen anderen geschichten. Und ich weiß jetzt nicht, ob ich es schlecht, oder klasse finden soll ... Zumindest finde ich die Story ziemlich abgefahren! Und Denkanstöße bietet sie auch - daher muss ich wohl sagen, dass ich es mit Vergnügen gelesen habe. Ich bin ein mattes-Geschichtenfan.

Grüße
Quidam
 



 
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