Wie ich in den Besitz der unheimlichen Geldmaschine gelangte

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Wie ich die unheimliche Geldmaschine bezwang




1.Teil



Der junge Mann, der sich unter die gebildetere Gesellschaft mischte, ohne dabei besonders aufzufallen, trug eine ganze Zeit lang einen mehr als leeren Blick zur Schau, bevor er zu einem Tisch gerufen wurde, den eine modische Tischlampe in ein noch modischeres Strahlendes Grün tauchte. Margarethe Hoppe, die überaus angesehene Veranstalterin dieses Abends „für die Literatur und wider die Gemeinheit der Postmoderne“, hatte ihn widerstrebend auf ihren Kollegen am Laptop hingewiesen, der beflissentlich alle Personendaten, die Namen der Texte und einen kurzen Abriss über den Inhalt mit seinen Fingern in die Tastatur streichelte. Der junge Mann kritzelte auf ihre Veranlassung hin seinen Namen und alle weiteren Angaben auf ein abgerissenes Stück Papier, das er vom letzten Bogen seines nicht allzu langen Manuskripts nahm. Dann stellte er sich an der Schlange an, die nur aus ihm selbst bestand und wartete, bis der Kollege am Laptop ihn ansah, angestrengt lächelte und sich den Namen seines literarischen Werkes buchstabieren ließ.
„Wie ich die unheimliche Geldmaschine bezwang.“, wiederholte er sehr langsam.
„Mhm, Wirtschaftsliteratur.“ Er nickte und wies mit dem Daumen hinter sich auf eine leere Bank, die sehr einsam und weit entfernt von den gepolsterten und überfüllten Stühlen der wispernden Zuhörer stand. Der junge Mann setzte sich und trug –
eine Zeit lang einen mehr als leeren Blick zur Schau, bevor er zu einem Tisch gerufen wurde, den eine modische Tischlampe in ein noch modischeres Strahlendes Grün tauchte. Dass er die linke Hand beständig in der Tasche seiner Hose trug, wurde von Margarethe Hoppe als ein lässige Geste interpretiert und sie stutzte erst, als der junge Mann mit seiner linken, freien Hand das Manuskript auf die Holzplatte des Tisches legte und sich sehr ungelenk mit derselben Hand erst eine zerknitterte Schachtel Zigaretten aus der linken Brusttasche zog, sie einhändig und doch auf die lässigste nur vorstellbare Art öffnete, eine der Zigaretten herauszog und sie sie sich in den Mundwinkel steckte. Alsdann zog er sich, wieder mit derselben Hand ein Feuerzeug aus der Hosentasche und wirkte schließlich, wie Margarethe so gerne sagte, körperlich beeinträchtigt, als er die Zigarette anzündete und wie unter Zwang, die andere in der Hosentasche befindliche Hand, beflissentlich darin behielt und nicht einmal die Schulter bewegte, während er das Feuerzeug vor sich auf den Tisch legte, das Manuskript mit der Hand ergriff und alle Anstalten machte, diesen literarischen Abend mit seinem ausgewählten Text zu bereichern.
Und doch, plötzlich schien er hin und her gerissen, schloss die Augen, öffnete sie sehr weit und schaute einen langen unangenehmen Augenblick in die Reihen der Zuhörer.

„Nein“, so begann er seinen Vortrag, „nein, Sie werden es nicht verstehen.“, sagte er und ließ das Manuskript sinken. Er griff abermals in seine Hosentasche und zog dreißig oder vierzig Euro in kleinen Geldscheinen hervor und hielt sie den Zuhörenden fast wie ein Fahne, eher wie einen bunten Wimpel hin, wedelte damit herum und ließ das Geld schließlich achtlos zu Boden sinken.
„Das ist alles“, sagte er sehr leise, fast schnarrend, „was mir von meinem unheimlichen Vermögen geblieben ist.“ Er nickte, wurde dann ganz ruhig und nahm das Manuskript wieder zur Hand. Seine, scheinbar vom aufsteigenden Qualm der Zigarette, gereizten Augen glänzten in dem hoffnungsvoll, grünen Licht der Tischlampe, die ihn so weit von seinen Zuhörern entfernte, dass man fast das Gefühl hatte, er wäre gar nicht da oder doch sehr weit entfernt und irgendwo für sich allein.
„Mit dem Geld ist es so eine Sache.“, las er vor und unablässig schien es, als wäre er mit seinen eigenen Worten nicht einverstanden. Als würden sie dem, was er eigentlich sagen wollte, nicht gerecht werden.
„Wie kam ich in den Besitz der Geldmaschine?“, fragte er und überlegte. „Es war ein Freitagmorgen und ich stand den ganzen Vormittag schon hinter meinem Schalter, links von mir die Kasse, rechts der Computer und ich lächelte jeden kommenden Kunden, der die Bank betrat, an, wenn er eintrat und wenn er ging, weil ich das jeden Freitagmorgen tat. Nicht, weil ich besonders freundlich war, sondern weil die Bank um punkt dreizehn Uhr ihre Pforten schloss und weil ich mich dann in Ruhe in einen der hinteren Räume zurückziehen konnte, um jener Arbeit nachzugehen, die nicht unbedingt mit dem Umgang von Menschen zu tun hatte. Da machte ich vielleicht noch den Tagesabschluss, bearbeitete Überweisungen oder legte mich auf die faule Haut, bis meine Uhr diese wohlige, leise Piepen von sich gab: Feierabend.
Ich kann mich eigentlich gar nicht mehr genau daran erinnern, warum ich an jenem Mittag vor ein paar Monaten der letzte Angestellte in der Bank war. Herr Michalnik, ein etwas korpulenter aber, wie man so sagt, ein Mann, der auf Draht ist, klopfte von Außen gegen die Tür des Hinterzimmers und donnerte irgendetwas davon, warum ich noch nicht weg wäre, ich wäre doch sonst immer der erste und ich schreckte auf. Ich glaube heute, ich war eingeschlafen, aber ganz sicher bin ich mir nicht, denn die Arbeit in den Hinterzimmern war immer wie ein Dämmerzustand, den ich nie ganz vom Zustand des Schlafens oder Einnickens unterscheiden konnte. Jedenfalls hatte Herr Michalnik eine Art zu sprechen, die jede Ähnlichkeit zwischen Dämmerzustand und Wachsein eindeutig aufhob. Als ich die Tür öffnete, sah ich angestrengt aufmerksam in die verkniffenen Augen meines Vorgesetzten und versuchte jedes Gefühl von Schuld mit dem Vorgeben von Geschäftigkeit zu überdecken.
Noch bevor ich irgendeine hervorgezauberte Frage über die Überweisung irgendeines Kunden an irgendeine Bank stellen konnte, drückte mir Michalnik einen Zettel in die Hand und legte mir seine fettige Hand auf die Schultern.
„Kümmern Sie sich drum.“, sagte er und nickte.
Es war Michalniks Eigenart, ein Gefühl der Vertrautheit unter seinen Mitarbeitern zu verbreiten. Er hatte das wohl mal auf irgendeinem Managerkurs aufgeschnappt und der feste Druck auf die Schulter war ein wesentlicher Bestandteil eines jeden „Machen Sies so oder Sie wissen bescheid“ oder aber immer wieder das allseits beliebte „Kümmern Sie sich drum.“
Es handelte sich bei dem Zettel um einen Zustellungsbescheid von einem Lieferservice. Ganz oben links las ich in roten Buchstaben: „Wir liefern in vierundzwanzig Stunden.“
„Die sind schnell.“, sagte Michalnik, bevor er sich umdrehte und wortlos ging. Das war auch so einer seiner Sprüche. Das bedeutete immer, dass man selbst noch lang nicht so schnell war aber es sein wollte, musste. Und auch wenn sich Michalnik zum Gehen abgewandt hatte, so wusste ich doch, dass er erwartete, dass ich wenigstens gewillt war, schneller zu sein, als irgendwer sonst und ich rief, ich glaube sogar, ich brüllte: „Nicht schneller, als ich, Herr Michalnik.“
Ich vernahm Michalniks zustimmendes Brummen, bevor er um die Ecke bog und im Aufzug verschwand, der ihn direkt ein paar Etagen hinauf in seine Apartmentwohnung bugsierte.
Langsam sackte ich, wie ein Luftballon, aus dem man die Luft heraus ließ in mir zusammen. Ich gab sogar ein ähnliches Geräusch von mir, als ich meinen Atem über meine flatternden Lippen aus meinen Lungen blies.
Gut, auf dem Lieferschein stand zwar, dass sie in vierundzwanzig stunden lieferten. Allerdings war der Schein um 17.00 des vorherigen Tages ausgefüllt worden. Ich wusste zwar nicht, wie lange ich in dem Hinterzimmer gedöst hatte, aber es war wahrscheinlich gerade mal 14.00 Uhr und ich hatte keine direkte Vorstellung, wie ich die restlichen drei Stunden über die Bühne bringen sollte, ohne zu arbeiten. Schließlich saß ich in der Bank fest, nicht wahr?
Ich setzte mich also wieder an meinen Computer und beobachtete den Bildschirmschoner, bis ich wieder in jener Gemütslage war, wie bevor Michalnik an die Tür geklopft hatte. Ich lauschte auf das Ticken der Wanduhr und ließ mich von seiner einlullenden Ruhe ganz gefangen nehmen.

Es gibt in jeder Bank so etwas wie einen Hintereingang, besser gesagt einen Ausgang. Gewöhnlich ist das der Weg, über den die Angestellten die Bank betreten oder verlassen.
Aber in ganz außergewöhnlichen Fällen konnte man ihn auch als Liefereingang bezeichnen. Das penetrante Klingeln ließ mich sehr sanft aus meinem Dämmerzustand erwachen. Man kennt dieses Klingeln, das einem nicht wirklich nahe geht, auch wenn es unheimlich laut und aggressiv ist. Wie viele Wecker hatte ich im Laufe meines Lebens in den Müll geworfen, weil sie mich am Morgen nicht wirklich berührten, geschweige denn weckten. Dieses Klingeln an der Hintertür war im Gegensatz dazu eines der Angenehmsten, das ich kenne. Sehr langsam öffnete ich meine Augen und lächelte. Die Wanduhr zeigte exakt siebzehn Uhr.

Als ich die Hintertür öffnete, war das erste, was ich sah, das größte Paket der Welt. Meine noch allgegenwärtige Müdigkeit verschwand wie davon geweht. Ich muss einen Ausruf des Erstaunens von mir gegeben haben, denn wie aus dem Nichts tauchten hinter der riesigen Kiste zwei dunkelrot angelaufene Gesichter auf, dazugehörig zwei muskelbepackte Körper, die sich mit aller Kraft gegen die Kiste stemmten. Kein Blick der Welt konnte mir auf so eindringliche Art und Weise begreiflich machen, dass Eile geboten war.
„Hier lang.“, sagte ich also und wies in den Flur ohne genau zu wissen, wo die Kiste eigentlich hin sollte. Die beiden Männer schnauften und ich erkannte, dass die Kiste auf einer gewaltigen Vorrichtung transportiert wurde. Die Vollgummireifen quietschten und mühten sich unter der Vorrichtung ebenso Mitleid erregend, wie die Männer, die sich dahinter stemmten und drückten und schoben, bis das ganze Gefährt über die kleine Schwelle am Eingang gewuchtet war und schwankend auf den Flur ruckelte.
Auf der Kiste war in großen roten Buchstaben zu lesen: „unzerbrechlich“.
In diesem Sinne gingen auch die beiden Männer mit der Kiste um. Sie warfen sich dagegen, sie schlugen sie, hämmerten und legten jene uralten Instinkte in sich frei, die mich unwillkürlich an die Ursprünge der menschlichen Entwicklung denken ließen. Ihr tiefes Schnaufen und Stöhnen verstärkte diesen Eindruck noch. Und ich stand da, wie ein Außerirdischer, in meinem sauberen Anzug, mit meiner Krawatte, sprang umher, als wäre ich an eine völlig andere Schwerkraft gewöhnt und dabei rufend, quiekend, für die beiden Männer wohl völlig unverständlich: „Hier entlang! Hier entlang!“ Und noch immer hatte ich keine Ahnung, wo das riesige Teil eigentlich aufgestellt werden sollte.
Unheilvoll wankten wir vier durch den langen, laminatausgelegten Flur und hinterließen dabei ein wahres Bild der Zerstörung. Die Vollgummireifen drückten dicke schwarze Schlieren in das Laminat. An jeder Ecke, um die wir herum mussten, knallte das ganze Gefährt mit nicht beschreibbarer Unaufhaltsamkeit gegen die Wand und ließ dort einen wahren Krater von aufgerissener Tapete und zerstampften Putz zurück. Unsere Zerstörungswut kannte keine Grenzen. Ich sage unsere, weil ich mich als der Anführer der ganzen Aktion fühlte. Ohne zu wissen, wohin es gehen sollte schrie ich, winkte und ließ die beiden Männer das riesige Gefährt durch alle Büros und alle Flure wuchten. Keine Tür blieb unbeschädigt und kein Schrank verlor nicht wenigstens eine herausgerissene Schublade. Sie lagen mit ihrem Inhalt wie Zeugnisse unserer urmenschlichen Wildheit auf dem Boden zerstreut.
Schließlich fanden wir uns in dem Büroraum wieder, in dem ich die Ankunft der Lieferung erwartet hatte. Ein letzter Schwung, ein letztes Aufstöhnen der Männer und das Gefährt polterte über die Schwelle in den Raum wie ein riesiger Luxusdampfer und prallte mit aller Kraft gegen den Schreibtisch, schob ihn vorwärts und blieb dann still.
Schweigend machten wir uns daran, die riesige Kiste von der Liefervorrichtung zu befreien. Ich sage abermals wir, weil ich all meine Kraft einsetzte, um die beiden Männer dabei anzufeuern, sich mit aller Gewalt gegen die Kiste zu werfen, sie zum Schaukeln zu bringen, mehr und immer mehr, bis sie schließlich in eine Richtung, langsam und wie ein einstürzendes Gebäude zur Seite kippte.
Wir hielten den Atem an.
Das Ding krachte wie ein Bombe zu Boden und grub sich tief in das Laminat und den darunter liegenden Estrich. Ich glaube, kein Weihnachtsfest und keine Beerdigung hat je in einem Menschen mehr Erfurcht hervorgerufen, als dieser Augenblick der Ruhe in uns, als die Kiste schließlich quer im Raum wie eine riesige stählerne Lokomotive in ihrem Lokschuppen thronte.
Wie Kinder schauten wir uns um und betrachteten das Werk unserer Zerstörung. Die ganze Bank war ein einziger Scherbenhaufen.
„Wenn Sie hier unterschreiben wollen.“, sagte einer der Männer schließlich und hielt mir schnaufend den Lieferschein vor die Nase. Ich schaute ihn ungläubig an. Dann unterschrieb ich.

Ich winkte den Männern zu, wie man Abenteurern zuwinkt, die sich in einem brüchigen Boot auf das weite, unberechenbare Meer hinauswagen. In ihrem schaukelnden Dreiachser schoben sie sich müde aus der Ausfahrt und hupten noch einmal, bevor sie hinter der Ecke verschwanden und mich, ein wenig wehmütig schniefend, am Hintereingang zurückließen.
Aber ich war nicht allein. Tief in den Eingeweiden der Bank, wartete ein riesiges, kunterbuntes Paket auf mich mit der Aufschrift „unzerbrechlich“. Alles, woran ich dachte, war, woher ich jetzt ein Brecheisen bekam. Es war wohl das einzige Werkzeug, das meine angestachelte Zerstörungswut jetzt noch befriedigen konnte.
 

Bonnie Darko

Mitglied
Ich hoffe, die Fortsetzung kommt bald!


Erinnert mich ein bißchen an Stephen King. SEHR spannend und packend erzählt, kann es kaum erwarten.
 
Hallo Markus!

Eine wirklich bewegende Geschichte. Als ich mir das alles vorstellte...

Auf der Kiste war in großen roten Buchstaben zu lesen: „unzerbrechlich“.
In diesem Sinne gingen auch die beiden Männer mit der Kiste um. Sie warfen sich dagegen, sie schlugen sie, hämmerten und legten jene uralten Instinkte in sich frei, die mich unwillkürlich an die Ursprünge der menschlichen Entwicklung denken ließen.
usw.

... da wurde ich vor Lachen geschüttelt. Eine wirklich groteske Vorstellung.

Ein kleiner Flüchtigkeitsfehler:
Das Ding krachte wie ein Bombe zu Boden und grub sich tief in das Laminat und den darunter liegenden Estrich. Ich glaube, kein Weihnachtsfest und keine Beerdigung hat je in einem Menschen mehr Erfurcht hervorgerufen, als dieser Augenblick der Ruhe in uns, als die Kiste schließlich quer im Raum wie eine riesige stählerne Lokomotive in ihrem Lokschuppen thronte.
Ich gehe davon aus, dass Du Ehrfurcht meinst. Oder?
 



 
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