Wie man es am besten dreht ...

„Franzi?“
Ich schniefe in mein nasses Taschentuch. Auch das noch. Niemand ist mir im Moment willkommen, nicht nach dieser Tortur! Voller Mißmut drehe ich mich demonstrativ zur Seite. Falsche Richtung! Ich sehe sie auf meinen Tisch zusteuern: Ergreifend schön, engelsgleich, duftig und zart wie eine weltentrückte Erscheinung.
Ich rutsche ein wenig tiefer in meinen Caféhausstuhl. Ich bin so hässlich!
Sie schlängelt sich elegant an den zierlichen Bistrotischen vorbei und wirft dem Oberkellner ein verschmitztes Lächeln zu, wohl als kleine Entschuldigung für ihr lautstarkes Benehmen in so kultivierter Gesellschaftsrunde. Wir befinden uns im ersten Haus am Platze, dem Non-plus-Ultra aller Ich-bin-wer- (oder war-wer-) Treffpunkte dieser Stadt! Ihr Grinsen scheint mir trotzdem überflüssig. Schließlich habe sogar ich es gewagt, mich in diesen illustren Kreis einzuschleichen, verheult und abgezerrt, das reinste Nervenbündel, die postmoderne Zimtzicke, frisch geschieden und vögelfrei. Ach!
„Franzi, mein Gott. Daß wir uns mal wiedersehen. Ich freue mich ja so.“ Sagt’s und fällt mir um den Hals, daß ich befürchten muß, mit dem Stuhl samt Wiedersehensfreude zusammenzubrechen. Susanne, eine Bekannte aus alten Zeiten. Das ist alles so lange her. Vor Jahren auseinandergelaufen. Ewig nichts gehört. Damals waren wir jung und unverdorben und ... Wir hatten bei Rieser & Skandel Briefe getippt, Papierkörbe gefüllt, Unmengen Kaffee gekocht und auch getrunken und uns über dies und das verständigt, affig und albern, na eben ziemlich hipp mit zwanzig.
Ich schiebe sie sanft beiseite und grinse blöde in meine Kakaotasse.
„Na so was“, nuschele ich und meine Stimme klingt noch etwas durchwässert. „Setz‘ Dich schon hin, und mach‘ nicht solch‘ Gewese.“
Meine miese Laune erwischt sie mit voller Wucht. Susanne rafft ihren Regenmantel beiseite und läßt sich an meinem Tisch nieder.
„Ach Herrje“, sagt sie.
Und weil sie dann nichts mehr sagt, blicke ich seufzend auf und stelle die Frage, die eigens für derartige Gelegenheiten erfunden wurde: „Wie geht es Dir denn so?“
„Och“, macht sie und pustet mir dabei ihren warmen Atem ins Gesicht. „Es geht mir gut.“
„Wie schön.“
„Und Du? Was machst Du so?“
Sie vermeidet es ganz offensichtlich mich nach meinem Befinden zu befragen. So zerknirscht wie ich an der Kakaotasse nage, zieht sie es vor, mich nicht unnötig zu reizen.
Mein Innerstes krampft sich zusammen vor so viel Mitgefühl und ich will aufbrausen und ihr ins Gesicht schreien, daß mir verdammt noch mal nicht nach Reden zu Mute ist, daß ich heulen will und strampeln und um mich werfen – vielleicht die Kakaotasse, würde sich nicht schlecht machen auf ihrem blütenweißen Regenmantel. Endlich habe ich einen Prellbock für meinen Todeszug gefunden!
Doch ich falle zusammen wie eine entstöpselte Gummipuppe und schluchze: „Ach, Susanne. Was mache ich so, ja?“ Was denn?
„Ich bin so eben frisch geschieden und wieder solo auf dem Singleparkett.“
Ich lausche meinen Worten nach. Ich habe es gesagt, ausgesprochen, laut und deutlich. Und ich lebe noch. Eigentlich hätte jetzt jemand die luftleere Gummipuppe zusammen falten und in den Müll werfen sollen. Aber sie ist noch da. Ich bin noch da.
Meine alte Bekannte ist ganz mitgenommen. „Oh!“ und „Arme Franzi!“ und „Ach Gott, oh Gott!“
Ich könnte mich jetzt fallen lassen, mich trösten an ihren traurigen Augen, mich wiegen in meinem unendlichen Schmerz. Nicht des Verlustes wegen, mein Ex – ach Du liebe Güte mein Ex – also, mein Geschiedener und ich waren schon lange nicht mehr ein Herz und eine Seele, nein, der Schmach wegen, der Sinnlosigkeit und der verlorenen Träume wegen. Was habe ich all die Jahre getan?
„Das wird schon wieder“, sagt Susanne als könnte sie meine Gedanken lesen und streichelt mir sanft über den Arm.
Ja, aber wann?
„Es gibt absolut keinen Grund, daß Du Dich hängen läßt. So schön wie Du bist.“
Sie lächelt sanft. Wer könnte in diesem Moment schöner sein als sie?
„Ich habe Dich immer bewundert, weißt Du das? Ich mag Deine ganz eigene Art mit den Dingen umzugehen. Du bist stark und stolz und zielstrebig. So jemand wie Du braucht keine Angst zu haben vor dem Leben. Du wirst es auch ohne ihn schaffen.“
Woher will sie das wissen? Kennt sie etwa meinen Mann – meinen Exmann? Trotz schwerer Zweifel hänge ich an ihren Lippen, an diesem vollkommenen Herzmund auf dem ein zartes Rosa schimmert. Während des Sprechens bilden sich klitzekleine Bläschen in seinen Winkeln. Von Zeit zu Zeit erscheint eine eilig vorüber huschende rote Zungenspitze und befördert die Ausreißer in Susannes Mundhöhle zurück. Es gibt im Augenblick nichts Wichtigeres auf dieser Welt, als diese beiden Lippen, die wundersam heilende Laute formen und mich zudecken, mich streicheln, mich einlullen, mich ...
Ich werde je aus meinen Gedanken gerissen. Vor mir steht ein weiterer Regenmantel mit einem verwegenen Hut drauf. Phillip Marlow? Ich kann es nicht genau analysieren, denn er steht zwischen mir und der ausladenden Fensterfront, durch die gleißendes Tageslicht fällt. Die typische Pattsituation. Ich hasse es, wenn jemand vor einem Fenster rumsteht. Man weiß nie so recht, wo derjenige hinschaut und wo man selbst hinschauen soll. Es gibt so wenig Angriffsfläche.
„Ja?“ frage ich übellaunig. Vielleicht ist es ja der Kellner in Feierabendkluft.
„Oh Franzi“, ruft Susanne und springt plötzlich auf. „Darf ich Dir meinen Mann vorstellen?“ Und etwas zurückhaltender: „Ich glaube, ihr kennt Euch beide.“
Der Regenmantel mit Hut tritt näher an unseren Tisch heran und somit aus dem Lichtschatten heraus , um sich begutachten zu lassen. Ich rücke mich zurecht. Was für eine Erscheinung! Nun, wenn er nur groß und breitschultrig wäre, würde ich mit dem Finger schnipsen, das sind viele, nein, er ist ..., er ist ..., mein Gott, ja, nun ja, manches läßt sich eben nicht mit schnöden Worten beschreiben.
Ich reiche ihm meine Hand zum Gruß und ich begebe mich völlig in die seine.
„Na, das wüßte ich aber, daß wir uns kennen“, entweicht es mir auch prompt und ich schäme mich, was das Zeug hält. Man stelle sich mal vor: Frisch geschieden, niedergeschmettert, zertreten, am Boden zerstört sozusagen und dann so etwas. Ich fahre mir rasch durch mein zerzaustes Haar und hoffe, dass die Geste dazu beiträgt, mich ein wenig damenhaft erscheinen zu lassen. Du meine Güte, wie sehe ich aus?
„Das ist Phillip“, sagt Susanne zu meiner Verblüffung und ich lausche angestrengt, ob nicht doch noch irgendwo Sam derweil in die Tasten haut. Wir lassen uns alle drei an meinem kleinen runden Bistrotisch nieder und stützen die Ellenbogen auf die geäderte Marmorplatte, als warten wir gespannt auf der Dinge, die als nächstes passieren würden. In dieser Haltung kommen sich unsere Köpfe verschwörerisch nahe und Susanne flüstert: „Du weißt doch, Phillip, der Dir hinterher war, wie der Teufel hinter der Seele. Aber Du hattest ja nur Augen für Deinen – wie hieß er doch gleich?“
Ich löse mich mit einem Ruck aus dieser trauten Runde. Phillip? Phillipp – mit doppel L und doppel P?
„Armin heißt er doch gleich“, sage ich. Mein Ex.
Das ist Phillipp? Ich kippe nach hinten über, meine Beine baumeln in der Luft und meine Arme rudern durch Berge von Watte. Der Aufschlag läßt in meinem Hirn die Funken sprühen.
Meine beiden Tischgäste sehen mich entgeistert an. Ich bin nicht gefallen. Ich sitze noch. Was ist passiert? Was gucken sie denn so? Habe ich was gesagt?
„Wie meinst Du das denn“, fragt Susanne auch prompt und ihre Stimme klingt etwas pikiert.
„Ich weiß nicht recht ...“ stottere ich und versuche krampfhaft, mir die letzten zehn Sekunden ins Bewußtsein zu holen.
Das ist Phillipp. Und ich bin seine Herzdame. War seine Herzdame. Jetzt ist er mit diesem federleichten, schneeweißen Regenmantel verheiratet, der momentan nervös auf dem federleichten Caféhausstuhl umher kippelt und meint, meine alte Bekannte zu sein.
Bildern sprudeln in mein Hirn. Ich bin jung und flatterig. Voller Tatendrang. Eine überschäumende Zwanzigjährige mit zu viel freier Zeit und enormer Lebenslust. Ich stehe hinter dem Tresen einer lauten Discothek und bessere mein mageres Gehalt einer Tippse durch das Einschenken und Ausgeben von Gin-Tonic, Bier und Boonekamp auf. Es ist Wochenende, samtstagnacht, und dann kommt er. Er lehnt sich über die Theke und bestellt ein Glas Sekt. Ich schaue in zwei samtweiche Hundeaugen. Sekt für seine Angebetete? Ich reiche es ihm freundlich. Er schiebt es wieder in meine Richtung.
„Stimmt was nicht?“ frage ich durch den Lärm hindurch.
Er lehnt sich etwas weiter vor und ich halte ihm mein Ohr entgegen.
„Es ist für die schönste Frau in diesem Laden bestimmt.“
Ich nicke wissend.
„Für Dich.“
Ich bin entzückt. Und dann wird er kurz ausgelotet. Resultat: schnuckelig und so nett, aber vieeel zu alt. Mindestens achtundzwanzig. Keine Chance. Außerdem bin ich bereits vergeben. Und verliebt bis über beide Ohren. In Armin, siehste mal.
Er weicht den ganzen Abend nicht von meiner Seite. Der ohrenbetäubende Discolärm erschwert eine umfassende Verständigung, aber ich mache ihm unmißverständlich klar, daß ich nicht im Geringsten an seinen Schmeicheleien interessiert bin. Freundlich aber bestimmt. So etwas passiert mir schließlich ständig. Er läßt sich nicht abweisen, flirtet und gurrt ganz ungeniert. Und ich genieße es eine Zeit lang, dermaßen begehrt zu sein. Gegen Ende der Nacht verlieren wir uns aus den Augen. Ich denke noch kurz, daß er sich sicher an die zweitschönste Frau des Abends verloren hat, dann habe ich ihn vergessen.
„Um noch einmal darauf zurück zu kommen“, sagt Susanne gerade und schnürt ihren Regenmantel fester, „ich wollte Dich immer noch mal anrufen und Dir erzählen, was aus meinem Blind-Date geworden ist. Aber irgendwie habe ich es nicht übers Herz bringen können. Ehrlich gesagt, hatte ich befürchtet, Du könntest es Dir noch einmal überlegen und würdest seinen Amouren erliegen. Aber ich war sofort verliebt in diesen Softi und wollte ihn um nichts auf der Welt wieder hergeben.“ Zur Bestätigung ihrer Glückseligkeit streicht sie ihrem Partner, Phillipp, zärtlich über den Stoppelbart und bekommt dafür einen Schmatzer auf die Nasenspitze.
Das ist mein Schmatzer und mein Softi. Ich habe ihn zuerst gesehen. Mich wollte er haben, nicht Dich!
Und Softi sagt endlich: „Es ist wirklich schön Dich zu sehen. Nach so langer Zeit.“
„Ja“, sage ich und nehme mein imaginäres Bildband wieder zur Hand. Es zeigt Schnappschüsse von lustigen Mädels mit wehenden Haaren, die sich gegenseitig in die Seite piecksen und vor dem Radio erwartungsvoll auf und ab trippeln.
„Gleich, gleich“, ruft Susanne, spindeldürr mit einem viel zu kurzen Lederrock bekleidet und zieht die staubige Büroluft durch die Nase, als wäre es ein Duft von tausend Hollandtulpen. Sie trägt Platteauschuhe an endlos langen Beinen.
Ich lege angespannt einen Finger auf den Mund und verschaffe mir somit Ruhe, um gerade noch rechtzeitig das Ende des Jingles zur Radiowerbesendung mitzubekommen. Und dann spricht Uwe Hartwig, der smartestete Radiosprecher des Universums jene Worte, die er bereits seit zwei Wochen im Repertoire hat, kurzes kehliges Räuspern: Franziska wird gesucht. Jene Franziska, die am letzten Samstag im Dezember ihren Tkekendienst in der „Blauen Lagune“ versah. Sie trug ein schwarzes Kleid, hatte engelsgleiches Haar – ehrlich so steht’s hier in der Vorlage – und ein Gesicht wie eine Märchenprinzessin. Ein einsames Herz verzerrt sich nach ihr. Fanziska, bitte melde Dich .... und so weiter. Und der Name? Phillipp – mit doppel L und doppel P.
Wir kichern was das Zeug hält.
Am nächsten Morgen steht’s in der Zeitung. Schwarz auf weiß. Irgendein alberner Redakteur hat den Hilferuf des schmachtenden Phillipp‘s mit einem tränenden Herz versehen. Susanne neckt mich: „Dein Prinz läßt nicht locker. Man erzählt sich schon, er habe die Zeitung gekauft, um sie nur mit herzerweichenden Liebesbriefen für Dich zu füllen.“
Trotz aller Schmeichelei habe ich langsam genug. Selbst Armin ist schon stinkesauer. Und das will was heißen.
Ich überrede Susanne, sich an meiner Statt mit diesem Troubadour zu verabreden und ihm unmißverständlich und ein für alle Mal die Lage – nämlich meine – zu erklären. Ich diktiere ihr die Telefonnummer, die er an jenem verhängnisvollen Abend auf meinen Bestellblock kritzelte.
Tja, und dann hat sich das Ganze irgendwie zerstreut. Susanne behauptete felsenfest, sich nicht mit ihm getroffen zu haben. Sie sei angeblich nicht interessiert an meinen Ablegern. Wenig später kündigte sie ihren Job und zog in eine andere Stadt. Gelegentlich telefonierten wir, manchmal so, um zu schnattern, dann nur noch zu den Feiertagen, bis auch das einschlief.
„Tja“, sagt Susanne und steht auf. Phillipp tut es ihr gleich und schnellt in die Höhe. Magischerweise zieht es auch mich vom Stuhl und so stehen wir ziemlich betreten eine viertel Minute in einer kleinen Runde zusammen und denken vor uns hin. Beim Aufwiedersehen stoßen unsere drei Hände aneinander und zucken gleichermaßen zurück. Verlegenes Kichern, man sieht sich, zwei Regenmäntel zwischen lustigen Bistrotischen, vor dem Ausgang, weg, allein.
Ich lasse mich erschöpft auf meinen Stuhl fallen. Was zu viel ist zu viel. Diesen verdammten Tag werde ich aus meinem Leben streichen. Einfach so.
Plötzlich fällt mir etwas ein. Ich krame in meinem abgewetzten Lederbeutel nach meiner Brieftasche. Irgendwo hier muß es sein. Mit zitternden Fingern durchwühle ich Kassenbons, Bonuskarten, Busfahrscheine und eingerissene Paßfotos früherer Jahre nach dem einen, unschätzbaren Relikt, welches ich all die Jahre – ich weiß nicht warum – mit mir herum trug und hin und wieder mit einem brusthebenden Seufzer bedachte, fiel es mir rein zufällig in die Hände. Da! Da ist es ja.
Ich fördere einen abgenutzten, vergilbten Fetzen Papier zu Tage. Ich betrachte es eingehend. Eingehender als all die anderen Male. Voller Wehmut und Sehnsucht und Verklärtheit. 01726665331.
Der Schlüssel zum Glück, den ich in den Brunnenschacht warf, weil ich den Prinzen nicht haben wollte. An welches Märchen erinnert mich das? Egal. Der Prinz ist weg, der Schlüssel mit Sicherheit verrostet, der Brunnenschacht zugeschüttet und mein Herz zementiert.
Ich zerbrösel den letzten Funken Jugend zwischen meinen Fingern. Nicht einen Blick zurück gönne ich mir als ich das Lokal verlasse. Auch nicht, als ich hinter mir Tumult vernehme. Geblendet von der Sonne verharre ich einen Moment auf dem Bürgersteig. Was fange ich nun an? Mann weg, Prinz weg und mein Selbstbewusstsein weht geradewegs in kleinen Fetzen die Straße hinauf.
„Junge Frau! Hallo, Sie!“
Etwas berührt meine Schulter und ich erschrecke mich maßlos.
„Sind Sie denn verrückt geworden?“ keife ich den vor mir stehenden Mann an, der es wagte, mich aus meiner einlullenden Depression zu reißen. Seine weiße Kellnerschürze reicht ihm bis an die Knöchel. Er lächelt vage. Seine Schnauzbartenden wandern in Richtung Ohren.
„Entschuldigen Sie, aber Sie haben die Rechnung übersehen!“
Ich werde rot. In meinem Alter!
„Oh, pardon“ brabbele ich und krame schuldbewusst in meiner Handtasche. Ich zerre so nervös an ihr herum, dass der Riemen von meiner Schulter rutscht und alles, schöner alter, abgegriffener Lederbeutel samt Inhalt zu Boden fällt und sofort in alle Richtungen auseinander rollt. Papiere flattern um den Laternenmast, ein vorübereilender Passant tritt meinen teuren Lippenstift platt und sein Hund schnuppert an meinem Notfallnähetui, als hätte er den Knochen seines Lebens erwischt. Und plötzlich sind sie da, die Tränen. Sie springen aus meinen Augen, rinnen über das Gesicht, tropfen auf die Gehsteigplatten.
Ich bin wie erstarrt.
„Ist doch gar nichts passiert“, sagt der Mann in Kellnerschürze und sammelt die verstreuten Sachen in den Lederbeutel zurück. Er zieht mich am Arm von der Straße weg, wieder ins Cafè hinein, und bugsiert mich zu einem sonnigen Fensterplatz.
„Ich bringe Ihnen jetzt noch einen Kakao und Sie bleiben hier sitzen und heulen sich so richtig aus.“ Er rauscht davon mit seiner gestärkten Schürze und ich heule in mein Taschentuch.
Als er kurz darauf mit dem dampfenden Kakao erscheint, bekomme ich einen Schluckauf. Er zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich zu mir an den Tisch.
„Wo, hick, haben Sie denn, hick, Ihre Schürze gelassen?“
„Die habe ich an den Nagel gehängt. Ich habe Feierabend.“
Er lächelt und sein Gesicht ist so nahe, dass ich die unzähligen kleinen Fältchen um seine dunklen Augen sehen kann.
„Haben Sie denn gar nichts vor?“ frage ich kleinlaut.
„Nein. Und Sie?“
„Nichts.“
„Na, prima. Dann lassen Sie uns zusammen nichts tun. Das braucht man einfach ab und zu.“
Er lächelt wieder. Und ich bin ganz still. Bloß nicht aufwachen. Ich träume von einem Prinzen mit Kakaoschaum im Schnurrbart. Mein Elfenbeinturm wankt. Himmel, schenk mir eine Seifenblase...
 

peaches

Mitglied
Hoffe, der Kommentar klingt nicht zu abgedroschen... :)

Aber es ist eine richtig schöne Herzschmerzgeschichte zum mit- und nachfühlen und dann auch noch mit Happyend.

Ich glaube, ähnliches haben schon viel mehr Menschen erlebt, als man manchmal glaubt.
Mir jedenfalls gefällt`s, aber ich bin für sowas sowieso ziemlich anfällig. :)

Und deshalb nehm ich das jetzt einfach mal als
Gute-Nacht-Geschichte,

gruss
peaches
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
auch mir

gefällt diese geschichte sehr gut. gut erzählt, flüssig geschrieben, ohne unnötige schnörkel. nur eins brachte mich zum kichern: das verzerrte. du hast verzehrt gemeint, aber verzerrt geschrieben. dummerweise gibt das einen ganz anderen sinn. lg
 
V

Viola Kühn

Gast
Die Peinlichkeit veränderter Zeiten

Liebe Katrin,

deine Geschichte gefällt mir. Sie ist nachvollziehbar, zügig erzählt.


Gruß Viola
 

kira

Mitglied
Habe mich zwar schon bei den "Regentagen" ausgelassen, kenne aber keine falsche Scham und setze auch hier noch meine Meinung drunter:
Klasse!
Mag deine Bilder, mag deine Wortspielereien und finde überhaupt deinen Stil absolut lesenswert.
Abgesehen davon - Würdest du mir wohl verraten, was Susanne zum Pikieren brachte?

Euphorisiert & fragt - Kira
 
Na, was?

Den Ableger wohl.Wie schreibt man's eigentlich? Egal, habe eben schon an Flammarion gepostet: Nicht selten schreibt man so wie man spricht - ich verhaspele mich oft. Vielen Dank auch für deinen lieben Kommentar zu "Regentag", obwohl mir der "tote Stein" gar nicht so gefällt. Ich lasse ihn liegen und trolle mich einfach. Gute Nacht aus dem dunstigen Mecklenburg, Katrin
 



 
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