Wildschweinbraten

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SandyGrendel

Mitglied
Schach

Die Schlacht beginnt sogleich titanisch:
Eröffnet wird sizilianisch.
Kaum ist der Pulverdampf verstrichen
sind schon zwei Bäuerlein verblichen.
Sogar beim Spiel gilt stets das Eine:
Zuerst trifft es bekanntlich Kleine,
als nächste folgen Schmächtige
und ganz zum Schluss erst Mächtige.

Doch wer will da philosophieren,
wer am und auf dem Brett verlieren?
Drum tobt der Krieg doch so verbissen
vor und auch hinter den Kulissen. -
Jetzt schwillt der Kampflärm etwas ab!
Macht wohl der Gegner eben schlapp?
Nein, nein, der König fragt sich bloss:
„Was ist in jener Ecke los?“

Ein Minnesänger mit der Laute
ist schuld an dieser kurzen Flaute.
Er singt: „Sag‘ an, wie ist dein Name?“
und hingerissen lauscht die Dame.
Verdammt nochmal, sie wird gebraucht!
Ein Läufer hat den Fuss verstaucht!
In diesem dichten Kampfgewühle
gibt‘s keinen Platz für Hochgefühle!

Der Kerl schleppt sich am Pferd vorbei,
und stirbt in einer Keilerei.
Vor kurzem sass er noch beim Jassen
und hat nur schnell den Turm verlassen!
Man sieht bereits ein wenig später
auf weissem Feld drei Sanitäter.
Die sammeln all die Leichen ein,
aus Ebenholz und Elfenbein.

Der König kommt in grösste Not!
O Schreck! Die schwarze Dame droht,
und dieses Weib kennt keine Gnade,
es beisst sich fest in einer Wade.
Kann er dem Luder denn entrinnen?
Gibt es für ihn ein Neubeginnen?
Die Spannung wird schier unerträglich;
der König schreit indessen kläglich.

Ach! Endlich naht ein weisser Reiter,
sowie ein Läufer samt Begleiter.
Der bringt als kampferprobter Recke
den zweiten schwarzen Turm zur Strecke.
Doch vorne wirft sich nun ein Lümmel,
- ein Bauer! - mitten ins Getümmel!
Der ficht mit Mut und ohne Zagen,
und will dem König an den Kragen.

Mein König Richard in Bedrängnis!
Der Turm als schauriges Gefängnis!?
„Ein Pferd! Ein Pferd! Ich gäbe gleich
dafür ein ganzes Königreich!“
hört man ihn rufen aus dem Feld.
„Haruss! Gesucht wird hier ein Held!“
Sein Gaul indes tut keinen Wank:
Er lahmt auf der Reservebank.

Der König zieht - zu seinem Glück! -
sich in den weissen Turm zurück.
Hier lässt er sich vom Stab beraten
bei einem zarten Wildschweinbraten
mit Schlachtfestplatte. Welch ein Schmaus!
Danach ruht er sich tüchtig aus.
Wer so enorm gelitten hat,
ist redlich müde und - schachmatt!
 
B

Bruno Bansen

Gast
Schachmatt

Das ist doch mal ganz hervorragend und spannend erzählt, dieses Schach-Ereignis! Vielleicht ne Spur zu lang, das schreckt die Fast-Food Literaten wie es scheint, ab. Also für mich ist das ein sehr großes unnd buntes Turnier, was da zwischen Mittelalter und Spielbrett hin und her tobt! Sehr gut inszeniert und moderiert!

Glückwunsch!

Grüße von
Bruno
 

Schakim

Mitglied
Schachmatt...

Hallo, Sandy!

Auch mir hat Dein "Schachbraten" gefallen... Nur das Gedicht mit dem Titel "Wildschweinbraten" zu versehen, hätte ich nicht gemacht... Das irritiert - jedenfalls mich. Vielleicht ist aber genau das gewollt... Zu lang, wie das Bruno findet, finde ich das Gedicht nicht, denn es liest sich so flüssig wie "Schillers Glocke" und die ist ja auch nicht gerade kurz...

VG
Schakim
 

SandyGrendel

Mitglied
Schach

Liebe Schakim und Bruno,

Besten Dank für Eure Kommentare. Der Vers ist tatsächlich etwas lang geraten; normalerweise versuche ich ja die Gedichte so kurz und konzentriert wie möglich zu halten.

Der Grund: Der Vers entstand als Produktion für einen Freund, der kürzlich an einem Schach-Turnier einen grossen Erfolg feiern konnte. Selbstverständlich war der Betreffende in der Originalversion mit Namen ins Geschehen integriert.

Als ich dann einmal in Fahrt war, konnte ich nicht mehr bremsen!

Mit freundlichem Gruss!

SandyGrendel
 

chrishilden

Mitglied
es ist keineswegs meine Meinung, dass gute Gedichte kurz sein müssen. ich habe Sandy's rat befolgt (du erinnerst dich) und muss sagen, dass es ein herrliches Gedicht ist, gut abgeschmeckt und auch schöne Reime.
NOTE: 1
----> Weiter so Sandy
 

SandyGrendel

Mitglied
Schach?

Liebe chrishilden,

Vielen Dank für Deinen Kommentar. Es freut mich echt, dass Dir dieser - doch nicht gerade tiefsinnige - Vers ebenfalls gefällt.

Ich spiele selber auch nicht Schach, da mir das Talent für Strategie und Taktik fehlt, bewundere aber den (geistigen) Kosmos, der in diesem Spiel steckt.

Mit vielen Grüssen!
SandyGrendel
 
L

Lutz Menard

Gast
Hallo Sany,

ich spiele leider nicht Schach ( oder seit längerem nicht mehr ), aber Dein Gedicht gibt das Geschehen so plastisch wider, daß ich es ohnehin als sehr gelungen empfinde!

Gruß
LuMen
 

SandyGrendel

Mitglied
Schachtalent

Liebe Lutz Menard und Rolf-Peter Wille,

Vielen Dank für Eure Reaktion. Wie bereits erwähnt, bin ich zum Schachspiel völlig untalentiert.

Als Kind spielte ich gegen meinen Cousin und spürte stets bereits nach den ersten Paar Zügen, wie er mich Schritt für Schritt einschnürte bis mir die Luft wegblieb. Das machte keinen Spass und so verlegte ich mich auf Tennis.

Mit vielen Grüssen!

SandyGrendel
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe SandyGrendel,

dieses Hin und Her zwischen Schachspiel und wirklichem Leben," in die Wade beissen", "auf der Reservebank" u.s.w. finde ich äußerst amüsant. Ich spiele auch Schach, wenn auch nicht mit großem Erfolg, aber wie dann doch ein Bauer übrig blieb und es mit dem König noch einmal aufnehmen konnte, das hat mich doch sehr gefreut. Herzhaft lachen mußte ich aber, als dein Titel, den ich während des Schlachtgetümmels schon wieder vergessen hatte, dann ganz zum Schluß auftauchte, das war gelungen.

Liebe Grüße Vera-Lena
 

SandyGrendel

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

Ich schreibe Dir diese Zeilen zum 2. Mal. Der erste Versuch ist wahrscheinlich infolge Fehltastendruck irgendwo auf dem Weg durch den Kosmos des Internet verschollen.

Vielen Dank für Deine Anmerkungen!

Bei dem kleinen Festchen, dass wir zu Ehren des Schachmeisters gefeiert haben, wurde sinnigerweise eine Wildschweinterrine serviert, da seine Frau eingeweiht war und den Vers gar mit dem Klavier durch Zwischenstücke musikalisch begleitete.

Mit vielen Grüssen!

SandyGrendel
 



 
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