Windsbraut

Gerard

Mitglied
Windsbraut



Öffne Dein Herz, und laß ihn in Deinen Verstand eindringen. Mache ihm den Weg zu Deiner Seele frei. Gib ihm die Möglichkeit Dich das Leben zu lehren, Dein Temperament zu entfachen, Deine Träume offenzulegen, Deine geheimsten Wünsche wahr werden zu lassen.
Glaub mir, er kann all diese Dinge. Er kann Dir einen Weg aufzeigen, der Dein Leben zum Abenteuer werden läßt, kann der Hüter Deiner Phantasie sein, kann der Sturm Deiner Gefühle werden.
Gib ihm eine Chance, Du weißt ja nicht was Du sonst verpaßt.
Gehe hinaus wenn er am heftigsten, gib Dich seiner unwiderstehlichen Macht preis, laß ihn durch Dein Haar fahren, damit spielen, es verwirren, daran ziehen und zerren, es sanft auf Deine Schulter gleiten.
Biete ihm die Stirn, stemme Dich gegen seine Kraft, zeige ihm das Du ebenso stark bist wie er. Raufe mit ihm um jeden Meter den Du vorwärts kommen willst, gib niemals nach, sonst wirft er Dich um.
Spiele mit ihm, laß ihn an Deiner Kleidung zupfen, drehe Dich um die eigene Achse und spüre ihn aus jeder Richtung auf Dich eindringen. Blicke in sein Antlitz. Laß Dir die Haare aus dem Gesicht wehen und sieh ihm dabei direkt in sein manchmal wütendes Auge.
Spüre seinen Humor und lache mit ihm. Werde aber nie leichtsinnig, denn er ist wechselhaft, kann vom sanften Freund und Liebhaber zu Deinem größten und gefährlichsten Feind werden. Wenn er will kann er Dich verfolgen, es gibt keinen Ort wo er Dich nicht findet. Er weht durch die kleinste Spalte, reißt das beste Dach vom Haus, zieht in seinen Trichter was immer er will, wechselt die Richtung wie es ihm gefällt. Ist im einen Moment vor Dir, im nächsten in Deinem Rücken. Du kannst ihm nicht entkommen, also fordere seine Wut nicht heraus.
Werde sein Freund, lerne ihn kennen, versuche seine Launen zu verstehen und auf sie einzugehen. Wenn er allzu wild ist, gehe ihm aus dem Weg. Suche seine Nähe wenn er ruhig und zu einem Spielchen aufgelegt.
Er wird niemals auf Deine Launen eingehen, dafür ist er zu eigenständig. Du kannst Dich ihm nur anpassen und ihn gerade für seine Selbständigkeit lieben.
Wenn Du dieses Gefühl für ihn entwickelt hast, brauchst Du sein Säuseln und Brausen nicht mehr zu fürchten. Dann gibt es nichts schöneres als beim stärksten Sturm hinauszugehen, einen Spaziergang zu machen und ihm nahe zu sein. Das Knacken der Äste, das Rauschen in den Baumwipfeln, das Sausen durch hohle Gassen, all das geht Dir in Fleisch und Blut über. Du sehnst Dich nach diesen Geräuschen, die Andere so oft ängstigen. Du willst ihn spüren, wenn die Anderen sich in ihren Häusern verkriechen. Du wünscht Dir daß er immer stärker wehen soll, wenn die Anderen nur noch ihre Ruhe wollen. Du bist eins mit ihm, und doch ein Individualist.
Eine Windsbraut.
 
N

nachtlichter

Gast
Hallo Gerard,

dieser Text ist schön, sein frischer Wind wirkt belebend. Mir gefällt, wie Du den Wind mit allen seinen Auswirkungen beschreibst.

Folgendes erscheint mir jedoch widersprüchlich:

Er wird niemals auf Deine Launen eingehen, dafür ist er zu eigenständig. Du kannst Dich ihm nur anpassen und ihn gerade für seine Selbständigkeit lieben.
Und später schreibst Du:

Du wünscht Dir daß er immer stärker wehen soll, wenn die Anderen nur noch ihre Ruhe wollen. Du bist eins mit ihm, und doch ein Individualist.
Anpassung und Individualismus gleichzeitig? Wie meinst Du das?

Bis auf die Anpassung habe ich große Lust, es der Windsbraut gleichzutun, mich vom Wind tragen zu lassen und mir von ihm frische Impulse in den Kopf wehen zu lassen.

Grüße von nachtlichter
 

Gerard

Mitglied
Hallo Nachtlichter

Hallo Nachtlichter,
freut mich das Dir der Text gefallen hat.
Den Widerspruch könnte man tatsächlich herauslesen, allerdings sehe ich es eher so:
Man kann sich dem Wind nur anpassen, sich mit ihm biegen und beugen, andererseits verstecken sich so viele Menschen in ihren sicheren Wohnungen sobald das Wetter ein wenig stürmisch wird. Und gerade das tue ich nicht. Ich bin ein Sturmliebhaber. Je schlimmer es draußen zugeht, desto schneller verlasse ich meine vier Wände und gehe mit dem Wind. Natürlich muß ich mich als ihm unterlegen betrachten, denn er ist eindeutig stärker als ich, aber trotzdem bin ich ein Individualist. Weil ich immerhin versuche es ihm ein wenig gleich zu tun.
 



 
Oben Unten