Winter in Lagos

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Trippi

Mitglied
Winter in Lagos

Es ist kalt, kaum vierzehn Grad. Nur mir ist heiss.
Weil ich mich ärgere. Ärgere darüber, dass sich Maiko durchgesetzt hat mit ihrem Fimmel als Japanerin endlich mal europäische Kultur zu sehen, statt einer Partyinsel oder einer Reise nach Fernost.
Ist doch wahr, seit ich eben von diesem hardchore Kaputnik das Minipiece gekauft hab, zu unverschämten Preis übrigens, seitdem hab ich echt die Nase voll. Wie oft schmeisst man schon den einzigen Brösel innerhalb von vier Tagen Rumchecken einfach achtlos weg?
Nicht dass ich fixiert wäre auf Kiffen, dazu ist mir das Leben viel zu kurz. Da bekomm ich nicht getan, was ich getan bekommen will. Ich jedenfalls nicht. Aber hier in Lagos an der äussersten Westecke der Algarve, dieses angebliche Fischerstädtchen, hinter dessen Fassade sich nichts verbirgt als Business, Business und nochmal Business. Von wegen Kultur! Was soll ich da schon machen, ausser mich frösteld unter der Bettdecke zu verkriechen (zumindest Pensionen unserer Preisklasse haben hier keine Heizung), einen durchzuziehen und ein Buch zu lesen?
Drei Tage sind wir jetzt rumgelaufen durch die Gassen mit ihren verrammelten Schaufenstern. Kaum zehn Prozent der Läden sind auf, und wo sie auf sind, ist Business as usual. Discos voll mit Smackheads und Kids, überteuertes Bier bei schlechter Mainstream-Mucke. Oder schlechte Restaurants, die wissen, dass es in einer Tourifalle keine Stammgäste gibt. Oder teure Restaurants voll deutscher und kanadischer Rentner. Wo verdammt nochmal ist hier der Ort, an dem meine Leute sind und sich verstecken vor dem ganzen Mist da draußen?
„Hab ich doch gesagt, in Europa gibt es nichts mehr zu sehen“, grummel ich nach hinten zu Maiko, die mit meinem wütend stampfenden Schritt kaum mithalten kann. Sie erwidert nichts und zum zehnten Mal kommen wir an den selben kleinen Platz, der mit den weiß gekälkten Fassaden der alten Natursteinhäuser sicher ein malerisches Photo hergibt, wenn er in wärmendes Sonnenlicht getaucht ist. Man säße dann auf einem der Plastikstühle und zöge sich einen heissen Cappuccino rein. Aber jetzt, im Winter, ist es einfach der Platz der verrammelten Fensterfronten wo die auffällig vielen Obdachlosen abhängen und saufen und wo ein Arschloch schwarzen Pfeffer als Afghanen verkauft. Mir ist kalt.
„Da!“ ruft Maiko aus und zeigt nach links in eine Gasse, die in breiten Treppenstufen den Berghang hinauf führt. „Hast du das Schild eben auch nicht gesehen?“ Nein, als wir vorhin hier waren, war in der Gasse definitiv kein Licht, soviel ist amtlich. Und jetzt hängt da ein spärlich beleuchtetes Schild und schaukelt leicht im scharfen Wind, der vom Meer her unablässig feuchte Kälte bringt. Schon sind wir nah genug es zu lesen: `Hidaway – Bar´.
Na schön, denke ich, trinken wir halt noch ein überteuertes Bier und begraben die Hoffenung für morgen noch eine akzeptable Sylvesterparty aufzutun.
Zwei Treppenstufen hinab, die klemmende Tür mit einem Ruck bei Seite geschoben und wir betreten eine nahezu leere Bar, kaum groß genug für eine Klassenfeier. Ein angenehmer Ambient-beat ist zu vernehmen, schön bassig, aber nicht so laut, dass Gespräche unmöglich würden. Nur ein paar Leute sind drin, der huschende Blick streift über desinteressierte Gesichter.
Wir gehen zu den freien Thekenplätzen und bestellen Bier bei der dicklichen Blonden, die uns anlächelt wie eine liebevolle Mutter. „Where do you come from?” fragt sie mit unverkennbar deutschem Akzent. Schnell erfahren wir von Sylvia, die wirklich herzlich ist, dass wir das Hideway bisher deshalb nicht finden konnten, weil es erst um zehn Uhr abends aufmacht. Da lagen wir schon längst frustriert und frierend in unseren klammen Betten.
Der blutjunge Aron aus England legt die Musik auf, freut sich über mein Lob und gibt mir noch ein Bier aus.
Und irgendwie hängen wir noch um Zwölf in diesem sonderbaren Laden, der sich auf einmal ruckartig füllt. Maiko steht irgendwo weiter hinten mitten im Gespräch und lacht mehrfach laut, während ich ablaber mit einem vielleicht vierzigjährigen hageren Engländer, der nicht nur sichtlich trunken ist, sondern dem man ohne weiteres jahrelange Knasterfahrung anzusehen glaubt. Er bestätigt das auch eifrig, wundert sich über mein abgeslangtes Englisch und stellt mir seinen Kumpanen vor: Ben. Ben ist offensichtlich über die Trunkenheit hinaus irgendwie auch ein bisschen dumm, so scheint es zumindest, wenn er schäl durch seine dicken verschmierten Brillengläser lurt.
Betrunken wie ich mitlerweile bin sage ich ihm, dass auf Chinesisch `Ben´ so viel wie dumm heisst. Ben lacht sich scheckig. Das sei ja prima, meint er, da müsse er sich wohl noch einen Spitznamen zulegen vor China. China? Ja, erklärt der Hagere, man sei auf dem Wege nach China. Mit dem Bus. Mit Bens Bus genaugenommen, aber da der schwerbehindert sei, sei eben er, Dave, der Fahrer. „And India”, ergänzt Ben lallend, woraufhin ich mich bereit erkläre, den ein oder anderen Reisetip zu geben. Schließlich war ich da mal eine ganze Weile. „Fancy a joint?“ fragt Dave. Und ob.
Also stehen wir schon draußen in der Kälte und der Pollen, den Ben da ausgepackt hat, ist sicher nicht durch allzu viele Hände gegangen, bevor er in meine Lungen strömen konnte. Ich bedanke mich überschwänglich und, ehrlich gesagt, ich weiss nicht mehr so genau, was ich dann erzählt hab. Sinngemäß so in die Richtung wie froh ich doch bin, endlich doch noch ein paar Köpfe getroffen zu haben in diesem Nest voll von Geschäftsleuten und Trotteln. Dave zieht eine Augenbraue hoch und mustert mich: „Heads? What you mean heads?“
Na ja, halt die Leute, die irgendwie genug Distanz zu sich und ihrer Wahrnehmung haben, um diese nicht mit Realität zu verwechseln. Ben biegt sich vor Lachen. Dave legt mir eine Hand auf die Schulter und sagt mit toternster Stimme: „You didn´t seem to be the kind ...“, und noch bevor ich was erwidern kann, schliesst er an mit der Frage, was wir denn Sylvester vor hätten. Ratlos mit den Achseln zuckend erkläre ich ihm unser Dilemma. Dass wir sogar schon überlegt hätten, uns schlichtweg zu verkriechen. Ben lacht.
Dave fragt, wie lange wir zum Sachen packen brauchen würden. Ich versteh ihn nicht richtig, deshalb erklärt er: Man werde heute Nacht noch in ein Dorf etwas in die Berge fahren, nicht weit, aber weit genug. Wir seien eingeladen.
Ein Teil von mir ist ein mickriger Spießer, der Angst hat vor allem Unberechenbaren. Der meldet sich auch prompt zu Wort und warnt. Warnt vor Verbrechern, die meine Kohle wollen, vor Flöhen und Wanzen in einem versifften Bus, kein Essen, keine Dusche. Und behauptet jetzt auch noch allen Ernstes, dass wir lieber gemütlich im Hotel seien, weil nach der harten Arbeit zu hause sei ein Abenteuerurlaub nicht ganz das Richtige. Dave mustert mich lange mit leicht schielenden Augen, und irgendwie füge ich hinzu, dass ich ja den Spruch aus Keceys Zeiten kenne: `You´re either on the bus or off the bus.´ Meint so viel wie: Wenn Du kein Spiesser sein willst, sei halt kein Spiesser. Ben lacht noch mehr und Dave stimmt ein und dieses Lachen der beiden ist so frei, so ehrlich, so ansteckend, dass ich fast auf den Boden falle beim Versuch mich prustend an der zurücktaumelnden Hauswand abzustützen.

Und noch in der Nacht sitzen wir im Bus von Ben und Dave. Ein locker vierzig Jahre alter rostroter Mercedes, so verranzt, außen wie innen, dass man sich wundert, wie ein solches Vehikel voll mit Bierdosen und einem ganzen Ei Marrok im Handschuhfach überhaupt unbehelligt weiter als einen Kilometer kommen kann. Wenn man nicht im Bus ist zumindest.
Im Bus verschieben sich die Perspektiven. Jeder weiss, wir sind einfach zu abgedreht, too far out, als dass irgendein Bulle Notiz nehmen könnte. Wir passen nicht ins Beuteschema, wie der kopfstehende Yaqui-Indianer im Angesicht des Pumas. Kopf stehen und pfeiffen, die einzige Taktik einen hungrigen Puma zu überleben. Wenn man ihn nicht töten will zumindest. Denn der Puma denkt: Du siehst aus wie meine Beute, du riechst wie meine Beute, aber du verhältst dich nicht so und schon ist sein kurzatmiges Hirn wieder mit etwas anderem beschäftigt. Wie der kurzatmige Bulle. Laut aufgerissene Technomusik, ein zuprostender Fahrer und zwei Leute wider alle Regeln hinten, bei voller Beleuchtung mit offenen Vorhängen versteht sich, das kann einfach nicht die Beute sein.
Wir landen in einem verschlafenen Dorf irgendwann im Morgengrauen. Malerisch ist es hier. Wenn man Portugals Kultur erleben will, sollte man trampen oder einen fahrbaren Untersatz besitzen, merke ich mir. Aber nach Unterkunft sieht es mal gar nicht aus, meckert der Spiesser. Eine Cafebar gibt es, teilt Ben uns mit, und da gingen wir jetzt frühstücken.
Was dann passiert macht den Spiesser mundtot und zwar bis weit nach Sylvester: Wir biegen in die kleine Gasse, gehen auf das Cafe zu und ich trau meinen Augen nicht. Maiko greift meine Hand und flüstert: „Das sieht ja aus wie´s Primrose in Goa.“
Tatsächlich, diese geballte Ansammlung von allerbuntestem Volk könnte genausogut am Italo-beach in Vagator rumhängen. Und der Kleidung nach tut sie das auch regelmässig. Maiko und ich werden argwöhnisch beäugt, wir sehen einfach viel zu normal und brav aus in solch erlauchtem Film. Aber Ben, den fast jeder mit Handschlag und lautem Hallo begrüsst, sorgt dafür, dass binnen kürzester Zeit die ersten Barrieren fallen. Langsam sickern wir ein in diesen surrealen Film, der doch so viel echter ist, als all der Tourinepp unten an der Küste.
Wir landen schließlich abseits vom Dorf in einer Hippiekolonie, wenn es mir erlaubt ist diesen abgeschmackten Begriff zu benutzen, um euch ein Bild zu erzeugen. Blockhütten, vier oder fünf Stück, mehrere Bauwagen, ein paar Caravans. Und unser monströser Bus. Zwischen Wäscheleinen, Vorzelten und undefinierbarem Gedöns eine Feuerstelle, die noch fade glimmt.
Man gewährt uns nach Bens wortreicher Erläuterung schließlich Quartier in einem der Bauwagen, ganz für uns allein, denn zwei andere haben trotz Maikos Protest für uns Platz gemacht.
Wir ratzen bis zum späten Nachmittag an dem uns Dave mit Beans, Toast und Kaffe weckt. Wir sollten schon noch die Leute kennen lernen, bevor es zur Party ginge, meint er streng. Party? Ja, Party. Mit DJ? Mit DJ. Und wenn wir wollten auch mit ... Nein! Doch.
Mit mehr oder weniger zwanzig Leuten sitzen wir den ganzen Abend auf der kleinen Veranda von Jims Bungalow. Spätestens seit dem Moment, da ich den Winzpöckel Charras ausgepackt habe, den wir noch aus Indien haben, bin ich überzeugt, dass wir nun voll akzeptierte Mitglieder dieser illustren Runde sind. Dank sei meiner Mutter und ihrer Tiefkühltruhe! (Und dem Spiesser für rigoroses Rationieren ...)
Zwar war dies beste aller Cannabisprodukte eigentlich für Mitternacht gedacht, aber so ganz ohne meinen alles planenden Spiesser dampft er halt jetzt in Maikos wunderbaren Puri-Chillum. Logisch, fast jeder hier weiss, wie man so ein Teil richtig bedient, und so weiss auch fast jeder, wie gut unser kleines Stückchen Dschungel de facto ist. Wir ernten nickende Anerkennung.

Und dann sind wir auf der Party, die ebenfalls überall auf dem Planeten sein könnte.
Ein riesiges Lagerfeuer mit einem Eichenbaumstumpf zum Zentrum, fette Marshall-lautsprecher, ein kleines Zeltdach für den DJ und ein Tipi zum wärmen. Zu den etwa dreißig Ortsansässigen sind jetzt gut und gern noch zweimal so viele dazu gekommen. „Aus dem Umland“, erklärt Ben. Eintritt kostet es nicht, nur die Getränke müssen bezahlt werden, allerdings zu höchst fairem Preis.
Fehlt nur noch Herr Hoffmann. Und auch der kommt wie immer rechtzeitig, steht auf einmal neben mir und quatscht mich an. Ich sag ja und mache den Mund auf, Maiko ebenso. Wieviel will ich dann wissen, als der bittere Geschmack sich meinen Gaumen entlang ausbreitet. Er schaut mich pikiert an unter seinem Turban und mit dieser kaftanartigen naturfarbenen Wolldecke. Zuckt mit den Schultern und geht. Ich bin ein Trottel, denk ich zum wer-weiss-wie-vielten Male in diesem Leben.

Wer gute Parties kennt, dem brauch ich´s nicht erzählen. Und wer´s nicht kennt, dem kann ich´s nicht erklären.

Irgendwann am Nachmittag des neuen Jahres, des Jahres des Euro, was von der Wortwurzel her wohl irgendwie mit nEUROtisch zusammen hängen muss, stehen wir auf und gehen rüber zum Bus von Ben und Dave.
Die Zeit drängt, der letzte Bus nach Lagos fährt um sechs, das hat zumindest der Alte im Cafe behauptet. Und den müssen wir nehmen, denn morgen früh um acht fährt unser Zug nach Evora. Evora, Weltkulturerbe, ein Disneyland, in das mich keine zehn Pferde ein weiteres Mal bekommen würden, wenn nicht Maiko ihren Pass dort im Hotel hätte liegen lassen. Die typische in-der-Nachtischschublade-Geschichte.
Kennt ihr schon den neusten Kifferwitz? Nein? Ich auch nicht, hab ich nämlich vergessen ...
Aber ich schweif mal wieder ab.
Jedenfalls müssen wir wegen des blöden Passes schon am Neujahrstag weg von hier, was normalerweise kein vernünftig planender Mensch täte. Aber sonst schaffen wir es nicht zeitig nach Lissabon und wie es eben so ist, warten zwar Fluggäste auf Flieger, aber Flieger eben nicht auf Fluggäste.
Ben und Dave sind kaum wach zu kriegen. Sind tierisch enttäuscht, ja fast beleidigt. Ben hatte anscheinend fest damit gerechnet, dass wir einfach nicht zurück nach Deutschland gehen, gibt aber den Argumenten des ängstlichen Spiessers schliesslich nach. Umschulung, Studium. Wenn nicht jetzt, ist der Zug abgefahren.
Der Bus auch?
Nein, denn das ist es, was ich mitnehme auf unserem Fussweg durch den Nieselregen ins Dorf: There will always be a party somewhere.

Wir haben gerade noch Zeit für einen Kaffe in dem jetzt verwaisten Laden. Beim Bezahlen will ich den alten Portugiesen an der Theke verwirren, denn ich hab schon ein paar Euro mitgebracht, die konnten neurotisch fixierte Spiesser ja bereits vorher kaufen. Und hier, in diesem Dorf hinter dem Mond, na, der wird vielleicht Augen machen!
Er nimmt sie mürrisch entgegen, würdigt die Münzen nicht einmal eines zweiten Blickes und gibt mir raus, in Euro.

Lissabon ist eine wunderschöne Stadt, die ich jedem ans Herz legen möchte, der gern durch Städte mit wirklich originärem Flair streift und den Leuten bei ihrem Tagewerk zuschaut. Aber schnell, bevor diese ungeschminkte Stadt so durchgestylt ist wie Prag.
Und ich bin immernoch ein Trottel. Aber das zu wissen ist immerhin besser, als zu glauben, man könne wissen, was auf der Welt wie und wo wirklich abgeht.

Ignore traffic lights and make responsible decisions instead.

Mehr Spass mit Tobias und Maiko quer durch die Welt?
Check out: Tobias Tripler `VON SCHARLATANEN, SCHURKEN & SCHAMANEN – Ein Trip durch die Welt ins Ich´, Bohmeier Verlag, 420 Seiten, 19,95.-
 
C

comadeluxe

Gast
genial!!!
vielen dank für diese zeilen,die mich voller erinnerungen durch die nacht gleiten lassen
bin mittendrin und reite hoffmans bike zu purple haze

electric cool aid acid test???what the fuck...?
gib du dem bus die sporen,trippi
 



 
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