Es gibt ein Bild von ihr in meinem Kopf, das sich wohl für immer dort eingebrannt hat. Manche Erinnerungen an sie sind verblasst, bei einigen frage ich mich sogar, ob die Ereignisse so geschehen sind, ob sie selbst tatsächlich so gewesen ist. Aber wie sie damals im diffusen Licht der wenigen Straßenlaternen zwischen den Bäumen die breite Allee am Schloss entlang ging, das sehe ich vor mir, als würde es jetzt gerade geschehen.
Ich mag, wie sie geht. Sie macht schnelle, kleine Schritte und ihre Arme bewegen sich kaum, sie nehmen den Rhythmus ihres Körpers nicht auf. Dafür schwingen ihre Hüften umso mehr. Das wirkt anmutig und verloren zugleich. Eigentlich scheint sie nicht zu gehen, sie scheint vielmehr zu schweben. Sie wirkt wie ein Geist, der zufällig auf dieser Erde gelandet ist und nun seinen Weg finden muss.
In einer Kneipe sah ich sie zum ersten Mal. Sie hatte ein Buch bei sich, in dem sie nachlässig las. Ab und zu sah sie auf die Uhr, als würde sie auf jemanden warten. Es kam aber niemand und irgendwann stand sie auf, steckte ihr Buch in die Tasche und ging. Etwas an ihr elektrisierte mich. Es war nicht ihre Schönheit, es war vielmehr ihre Verlorenheit. Ich wollte sie beschützen. Viel mehr noch, ich wollte sie wecken. Ich wollte diese merkwürdige Teilnahmslosigkeit, die sie ausstrahlte, durchbrechen. Und sie, sie hatte mich nicht einmal wahrgenommen.
Ich bin daran gewöhnt, dass Frauen mich nicht wahrnehmen. Ich bin nicht besonders hässlich, aber auch nicht besonders schön, nicht besonders groß und auch nicht besonders klug. Vermutlich habe ich noch nie etwas gesagt oder getan, was eine Frau veranlasst hätte, mich länger als einige Sekunden anzusehen. Ich weiß nicht, wie andere Männer das machen. Wie sie die Distanz der Frauen durchbrechen, in ihre Welt eindringen mit Worten. Mir ist das nicht gegeben. Insofern war ich nicht erstaunt, dass sie mich nicht bemerkt hatte. Ich dachte seltsamerweise trotzdem, meine Stunde bei ihr, mit ihr würde schon noch kommen.
Vielleicht war sie neu in der Stadt. Jedenfalls traf ich sie nach diesem ersten Mal immer wieder. Auf unserem Markt kaufte sie Pilze, Salat und Wein. Ich beobachtete sie dabei und fragte mich, ob sie wohl ein Essen für sich alleine zubereiten würde. Für sich und eine Freundin, vielleicht? Oder ob ein Mann sie besuchen würde? Den Gedanken mochte ich nicht.
Das nächste Mal traf ich sie im Kino. Es lief kein Film, den sich eine Frau normalerweise alleine anschauen würde. Und wieder machte ich mir Gedanken über sie. Mag sein, dass sie einfach nicht schlafen konnte, oder dass ihr langweilig war. Aber vielleicht sah sie sich diesen Film auch an in der Hoffnung, einen Mann zu treffen? Einen Mann, der ihr von diesem Film erzählt hatte? Einen, der ihr die lange Nacht vertreiben würde?
Es war merkwürdig mit ihr. Immer war sie allein und immer schien sie auf etwas oder auf jemanden zu warten. Ich wurde nicht schlau aus ihr. Aber ich bemerkte, dass sie mir nach dem Film im Foyer des Kinos ein schüchternes Lächeln schenkte. In dieser Nacht träumte ich von ihr. In meinem Traum war sie nackt, ich durfte sie anschauen und sogar berühren. Sie erzählte von sich und sie hörte mir zu. Und endlich nahm sie mich in ihre Arme. Das war schön.
Danach, wie zur Strafe, war sie weg. Ich sah sie wochenlang nicht. Anfangs dachte ich oft an sie und hoffte, sie wieder zu treffen. Immer wieder ging ich in diese Kneipe und ins Kino. In unserer kleinen Stadt gibt es nicht so viele Wege und Treffpunkte. Und endlich, nachdem ich schon fast beschlossen hatte, sie zu vergessen, war sie wieder da.
Sie setzte sich an den Tresen, bestellte ein Glas Wein, las ein wenig in ihrem Buch und ging, wieder mit einem kleinen Lächeln für mich, im Vorübergehen. Dieses Mal folgte ich ihr, die verschneite Allee entlang. Ihr merkwürdiger Gang und ihre Haare im Wind begeisterten mich. Ich ging einfach hinter ihr her, sie war so schön anzusehen. Ihre Schritte wirkten sicher, sie hatte schwere Stiefel an und sie schien es nicht eilig zu haben. Einmal schaute sie über die Schulter nach hinten. Ich war nicht sicher, ob sie mich bemerkt hatte. Aber sie schien danach schneller zu gehen. Darauf hatte ich nur gewartet. Ihre Verunsicherung erregte mich. Hatte sie mich endlich wahrgenommen? Oder bildete ich mir ihre plötzliche Eile und ihre Hast nur ein?
Ich wollte näher zu ihr, beschleunigte meine Schritte deshalb ebenfalls und verkürzte die Distanz. Sie schien zu zögern, hielt einen Moment inne und griff nach ihrer Handtasche. Mein Herz raste, aber sie zündete sich nur eine Zigarette an. Ich atmete auf. Noch einen Moment lang hatte ich Angst, sie würde mich ansprechen und womöglich fragen, was ich von ihr wollte. Darauf hätte ich keine Antwort gewusst.
Sie ging jedoch weiter. Ich zögerte kurz, aber ich konnte nicht aufhören, ihr zu folgen. Langsam kam ich ihr wieder näher. Ab und zu konnte ich schon ihren Atem hören. Gleich würde sie in die Hauptstraße einbiegen. Der Gedanke, sie dort zu verlieren, erschreckte mich. Jetzt rannte ich schon fast hinter ihr her. Plötzlich war ich neben ihr. In ihrem Gesicht sah ich Überraschung, Unwillen und Angst. Gleich würde sie weglaufen. Verdammt, das wollte ich nicht. Nur um sie daran zu hindern, ergriff ich ihren Arm. Jetzt war sie überhaupt nicht mehr teilnahmslos. Sie versuchte, sich loszureißen.
Ihre Stimme klang wütend und ängstlich zugleich, die gefürchtete Frage: ‚was willst du von mir?’ ließ mich endgültig verstummen.
Ich konnte nicht sprechen, obwohl ich in diesem Augenblick bereits die letzten Hemmungen verloren hatte. Ich war zu weit gegangen. Jetzt konnte ich nicht mehr umkehren, das war mir klar. Ich sah ihre Wut und ihre Furcht und wollte doch nur, dass sie still hält und bei mir bleibt. Dann hätte sie auch erkannt, wie sehr ich sie liebte. Ich ließ sie nicht los, obwohl sie schrie. Aber ich verpasste ihr einen Schlag ins Gesicht, weil ich wollte, dass sie aufhört zu schreien und mich endlich einmal richtig anschaut. Noch nie zuvor hatte ich eine Frau geschlagen. Danach hörte ich nur noch ihren und meinen Atem. Diese Stille, ihre Sprachlosigkeit konnte ich noch viel weniger ertragen. Ich schüttelte sie, als könnte ich Worte aus ihr herausschütteln. Aber sie sagte nichts mehr. Stattdessen lachte sie. Es war ein seltsames Lachen, laut und schrill. Ich hatte mir ihre Stimme und ihr Lachen anders vorgestellt. Es verletzte mich, dass sie so ganz anders war, als ich es erwartet hatte. Und wieder war da dieser Gedanke ‚du kannst jetzt sowieso nicht mehr zurück.’ Also schlug ich erneut zu. Ich schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Sie taumelte und fiel zu Boden. Weil ich sie nicht losgelassen hatte, fiel ich mit ihr in den Schnee. Jetzt hatte ich sie. Ihr Mantel und ihr Rock waren keine Hindernisse auf meinem Weg zu ihr. Ihre Wärme war die einzige Wärme im Schnee.
Ich werde sie nie vergessen.
Ich mag, wie sie geht. Sie macht schnelle, kleine Schritte und ihre Arme bewegen sich kaum, sie nehmen den Rhythmus ihres Körpers nicht auf. Dafür schwingen ihre Hüften umso mehr. Das wirkt anmutig und verloren zugleich. Eigentlich scheint sie nicht zu gehen, sie scheint vielmehr zu schweben. Sie wirkt wie ein Geist, der zufällig auf dieser Erde gelandet ist und nun seinen Weg finden muss.
In einer Kneipe sah ich sie zum ersten Mal. Sie hatte ein Buch bei sich, in dem sie nachlässig las. Ab und zu sah sie auf die Uhr, als würde sie auf jemanden warten. Es kam aber niemand und irgendwann stand sie auf, steckte ihr Buch in die Tasche und ging. Etwas an ihr elektrisierte mich. Es war nicht ihre Schönheit, es war vielmehr ihre Verlorenheit. Ich wollte sie beschützen. Viel mehr noch, ich wollte sie wecken. Ich wollte diese merkwürdige Teilnahmslosigkeit, die sie ausstrahlte, durchbrechen. Und sie, sie hatte mich nicht einmal wahrgenommen.
Ich bin daran gewöhnt, dass Frauen mich nicht wahrnehmen. Ich bin nicht besonders hässlich, aber auch nicht besonders schön, nicht besonders groß und auch nicht besonders klug. Vermutlich habe ich noch nie etwas gesagt oder getan, was eine Frau veranlasst hätte, mich länger als einige Sekunden anzusehen. Ich weiß nicht, wie andere Männer das machen. Wie sie die Distanz der Frauen durchbrechen, in ihre Welt eindringen mit Worten. Mir ist das nicht gegeben. Insofern war ich nicht erstaunt, dass sie mich nicht bemerkt hatte. Ich dachte seltsamerweise trotzdem, meine Stunde bei ihr, mit ihr würde schon noch kommen.
Vielleicht war sie neu in der Stadt. Jedenfalls traf ich sie nach diesem ersten Mal immer wieder. Auf unserem Markt kaufte sie Pilze, Salat und Wein. Ich beobachtete sie dabei und fragte mich, ob sie wohl ein Essen für sich alleine zubereiten würde. Für sich und eine Freundin, vielleicht? Oder ob ein Mann sie besuchen würde? Den Gedanken mochte ich nicht.
Das nächste Mal traf ich sie im Kino. Es lief kein Film, den sich eine Frau normalerweise alleine anschauen würde. Und wieder machte ich mir Gedanken über sie. Mag sein, dass sie einfach nicht schlafen konnte, oder dass ihr langweilig war. Aber vielleicht sah sie sich diesen Film auch an in der Hoffnung, einen Mann zu treffen? Einen Mann, der ihr von diesem Film erzählt hatte? Einen, der ihr die lange Nacht vertreiben würde?
Es war merkwürdig mit ihr. Immer war sie allein und immer schien sie auf etwas oder auf jemanden zu warten. Ich wurde nicht schlau aus ihr. Aber ich bemerkte, dass sie mir nach dem Film im Foyer des Kinos ein schüchternes Lächeln schenkte. In dieser Nacht träumte ich von ihr. In meinem Traum war sie nackt, ich durfte sie anschauen und sogar berühren. Sie erzählte von sich und sie hörte mir zu. Und endlich nahm sie mich in ihre Arme. Das war schön.
Danach, wie zur Strafe, war sie weg. Ich sah sie wochenlang nicht. Anfangs dachte ich oft an sie und hoffte, sie wieder zu treffen. Immer wieder ging ich in diese Kneipe und ins Kino. In unserer kleinen Stadt gibt es nicht so viele Wege und Treffpunkte. Und endlich, nachdem ich schon fast beschlossen hatte, sie zu vergessen, war sie wieder da.
Sie setzte sich an den Tresen, bestellte ein Glas Wein, las ein wenig in ihrem Buch und ging, wieder mit einem kleinen Lächeln für mich, im Vorübergehen. Dieses Mal folgte ich ihr, die verschneite Allee entlang. Ihr merkwürdiger Gang und ihre Haare im Wind begeisterten mich. Ich ging einfach hinter ihr her, sie war so schön anzusehen. Ihre Schritte wirkten sicher, sie hatte schwere Stiefel an und sie schien es nicht eilig zu haben. Einmal schaute sie über die Schulter nach hinten. Ich war nicht sicher, ob sie mich bemerkt hatte. Aber sie schien danach schneller zu gehen. Darauf hatte ich nur gewartet. Ihre Verunsicherung erregte mich. Hatte sie mich endlich wahrgenommen? Oder bildete ich mir ihre plötzliche Eile und ihre Hast nur ein?
Ich wollte näher zu ihr, beschleunigte meine Schritte deshalb ebenfalls und verkürzte die Distanz. Sie schien zu zögern, hielt einen Moment inne und griff nach ihrer Handtasche. Mein Herz raste, aber sie zündete sich nur eine Zigarette an. Ich atmete auf. Noch einen Moment lang hatte ich Angst, sie würde mich ansprechen und womöglich fragen, was ich von ihr wollte. Darauf hätte ich keine Antwort gewusst.
Sie ging jedoch weiter. Ich zögerte kurz, aber ich konnte nicht aufhören, ihr zu folgen. Langsam kam ich ihr wieder näher. Ab und zu konnte ich schon ihren Atem hören. Gleich würde sie in die Hauptstraße einbiegen. Der Gedanke, sie dort zu verlieren, erschreckte mich. Jetzt rannte ich schon fast hinter ihr her. Plötzlich war ich neben ihr. In ihrem Gesicht sah ich Überraschung, Unwillen und Angst. Gleich würde sie weglaufen. Verdammt, das wollte ich nicht. Nur um sie daran zu hindern, ergriff ich ihren Arm. Jetzt war sie überhaupt nicht mehr teilnahmslos. Sie versuchte, sich loszureißen.
Ihre Stimme klang wütend und ängstlich zugleich, die gefürchtete Frage: ‚was willst du von mir?’ ließ mich endgültig verstummen.
Ich konnte nicht sprechen, obwohl ich in diesem Augenblick bereits die letzten Hemmungen verloren hatte. Ich war zu weit gegangen. Jetzt konnte ich nicht mehr umkehren, das war mir klar. Ich sah ihre Wut und ihre Furcht und wollte doch nur, dass sie still hält und bei mir bleibt. Dann hätte sie auch erkannt, wie sehr ich sie liebte. Ich ließ sie nicht los, obwohl sie schrie. Aber ich verpasste ihr einen Schlag ins Gesicht, weil ich wollte, dass sie aufhört zu schreien und mich endlich einmal richtig anschaut. Noch nie zuvor hatte ich eine Frau geschlagen. Danach hörte ich nur noch ihren und meinen Atem. Diese Stille, ihre Sprachlosigkeit konnte ich noch viel weniger ertragen. Ich schüttelte sie, als könnte ich Worte aus ihr herausschütteln. Aber sie sagte nichts mehr. Stattdessen lachte sie. Es war ein seltsames Lachen, laut und schrill. Ich hatte mir ihre Stimme und ihr Lachen anders vorgestellt. Es verletzte mich, dass sie so ganz anders war, als ich es erwartet hatte. Und wieder war da dieser Gedanke ‚du kannst jetzt sowieso nicht mehr zurück.’ Also schlug ich erneut zu. Ich schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Sie taumelte und fiel zu Boden. Weil ich sie nicht losgelassen hatte, fiel ich mit ihr in den Schnee. Jetzt hatte ich sie. Ihr Mantel und ihr Rock waren keine Hindernisse auf meinem Weg zu ihr. Ihre Wärme war die einzige Wärme im Schnee.
Ich werde sie nie vergessen.