Winterträume

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Mit der rechten Hand male ich eine liegende Acht in den Sand. Immer wieder fahre ich die Kurven nach. Ich spüre die Körner zwischen Haut und Nagel. Mit dem Daumen ziehe ich die Haut der jeweiligen Finger zur Fingermitte und puste den Sand aus der Ritze. Ich greife zu einem kleinen Stock und fahre erneut die Spuren nach. Die Sonne kitzelt meine nackte Haut, Schweiß bildet sich auf meiner Stirn.
Vor mir liegt ein korpulenter Herr. Die Mütze über die Augen gezogen, will er die Sonne genießen. Ich habe Bedenken, ob er das wirklich tut. Sein roter Körper erinnert mich an den Lippenstift meiner Mutter. An seiner Schulter sind bereits weiße Hautränder zu sehen, Haut, die man abziehen kann. Wie die Pelle einer Wurst. Neben ihm liegt eine, ebenso gut gepolsterte, Frau und streichelt seine Glatze. Sie liegt auf dem Bauch und hat die Augen geschlossen. Ich lasse meinen Blick über den Strand zur Promenade schweifen. Pärchen mittleren Alters schlendern die Promenade entlang, einige lutschen an einem Eis.
Meine Haut kribbelt vor Wärme. Ich spüre den Schweiß auf der Stirn, zwischen meinen Achseln und in der Bauchfalte. Erschöpft atme ich aus. Mein kleiner Bruder sandelt neben mir. Ab und zu fallen Sandkörner auf meinen Körper. Ich schimpfe mit ihm. Er lacht hinterlistig. Ich schließe die Augen. Die Sonne steht hoch am Himmel. Nach einer Weile stehe ich auf und renne zum Wasser. Augen zu und rein! Ein glucksender Schrei entfährt mir, als ich in das salzige Nass eintauche. Aufgeregt strample ich mit den Beinen, rudere mit den Armen. Ich versuche auf der Stelle zu schwimmen und schreie laut den Namen meines Bruders. Platsch, eine Welle überschwemmt mich, ich schlucke Salzwasser. Bäh! Ich tauche wieder auf, wische mir die Haare aus dem Gesicht und paddle gen Ufer.
Das Wasser tropft von meinem Kopf über den ganzen Körper. Von hinten schleiche ich mich an meinen Bruder und umarme ihn. Er schreit schrill auf. "Bist du aber kalt! Du hast mich erschrocken!" er grinst mich an. Ich lege mich wieder auf mein Handtuch. Kurz darauf nehme ich sein schadenfrohes Lachen wahr. Er hatte mich mit Sand beschmissen. Die Körner kleben auf meiner Haut und verfangen sich in den Maschen meines Badetuches. Ich stehe auf, schneide Grimassen und jage den Kleinen über den Sand. Ich packe ihn am Arm, ziehe ihn zu mir, wir lassen uns fallen. Lachend umarme ich meinen Schatz, schließe die Lieder.
Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich an die weiße, kalte Wand. Sanft streichle ich über die weichen Haare meines Bruders. Er schläft noch immer. Sein Körper ist warm. Draußen weht ein kalter Wind. Liebevoll küsse ich seine zarte Nackenhaut. Ich ziehe die Decke weiter über uns, der Regen klatscht auf's Dach. Ich schließe meine Augen; sicher erleben wir ihn wieder, den Tag am Strand.
 

Rodolfo

Mitglied
Südliche Winterträume

Es erzeugt Bilder. Bilder von Sonne, von Schönheit, von dolce far niente, von sinnlichem Erleben, von Übermut, von sein um des Seins Willen. Ich wollte Dir doch da noch etwas von 2,3 misslungenen Wörtchen sagen... Ach, Deine Geschichte hat mich so bezaubert, ich mag heut einfach nicht motzen!

Figla dell' Oceano, un figlio del Sud ti saluta! Rodolfo
 



 
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