Witwer

sailor

Mitglied
trauriger alter mann auf dem friedhof, leise vor sich hin murmelnd

ich gehe stets die gleiche runde
friedhof..stadtpark..doktor...bank
zeit ist eine off’ne wunde
ohne dich fühl ich mich krank

ich spür die fröhlichkeit der leute
ich bin so einsam und allein
gestern war’s genau wie heute
morgen wird’s wie gestern sein

warum bist du fortgegangen?
niemals werd’ ich es versteh’n
ohne dich ist alles leer

weiss nichts mit mir anzufangen
kann nur meine runden dreh’n
gott, ich liebte dich so sehr!
 
H

H.J. Kappelpott

Gast
Mein lieber sailor

Wie ich sehe, bist Du auch noch zu anderem fähig, als Menschen zu verspotten.
Dein Gedicht finde ich sehr bemerkenswert, weil es ausdrückt, wie ich mich gefühlt habe, als ich mein Gedicht, das Dir nicht anscheinend nicht gefallen hat, schrieb.
Du kannst Dich also doch in den Schmerz hineinversetzen, den man fühlt, wenn man plötzlich allein da steht.
Was ich hier sehe, lässt mich erahnen, welch ein grosser Dichter in Dir stecken muss.
Lass uns also in Frieden miteinander dichten.

Herzlichst
H.J. Kappelpott
 
Hallo, sailor,

danke Dir für diese wunderbaren Worte. Sehr einfühlsam, sehr wirklich, sehr ehrlich. Warum schreibst Du in der Vergangenheitsform "Gott, ich liebte Dich so sehr?" Es ist eigentlich nach meinem Empfinden die immerwährende Liebe, egal, wie man weitermacht und weiterlebt. Man kann ihn oder sie doch immer noch aktuell lieben, oder wie siehst Du das? Auch wenn es schon evtl. lange her ist?
Jedenfalls hast Du mir aus der Seele gesprochen, denn der Verlust meines Gefährten liegt noch nicht lsnge zurück und ich empfinde jedes Wort für zutreffend und so schmerzhaft wahr.

Renate
 

sailor

Mitglied
Hallo zusammen,

meine Antwort kommt etwas verspätet, ich war ein paar Tage absent.
Ich danke Euch für Euer Interesse an meinem kleinen Gedicht und freue mich über die lobenden Worte.
Ich gehe manchmal, wenn ich mich in depressiver Stimmung befinde, über die Friedhöfe meiner Stadt spazieren.
Ich streune durch die Grabreihen, lese Namen, Daten , Inschriften, beobachte die Menschen, die um Angehörige oder Freunde trauern.
Dort kann ich mich hängen lassen und dort fallen mir dann auch die passenden Verse dazu ein.
Ich stelle hier am Ende mal noch so Ergebnis eines Friedhofs-Nachmittags vor.
Und seltsamerweise geht es mir nach so einem Friedhofsbesuch immer besser.

Liebe Renate,
ich möchte Dir gerne mein Mitgefühl aussprechen, aber nachdem ich dein wundervolles Gedicht gelesen habe, weiß ich nicht, wie. Trauer ist eine so unglaublich starke Emotion. Ich wünsche dir die Kraft, die du brauchst, um die eisernen Barren, die dein Herz abschnüren, zu sprengen.
Schau doch mal auf die Seite http://www.k-ol.de/trauer.html
Was deine Anmerkung zur Vergangenheitsform angeht, so gebe ich Dir vollkommen recht. Darüber habe ich anscheinend nicht richtig nachgedacht. Ich werde das in dem Gedicht ändern.
Alles Gute wünscht
sailor

...und jetzt noch das oben angekündigte Gedicht inkl. Einleitung

Wenn die graue Jahreszeit beginnt, das ganze Land mit Schmuddelwetter zu überziehen, wenn es draußen kalt und ungemütlich wird, wenn das letzte Laub von den Bäumen gefallen ist und die Natur beginnt, in winterliche Starre zu verfallen, tendiert mein Stimmungsbarometer regelmäßig gegen Null.
Ich werde mürrisch und ein wenig depressiv.
Ich möchte allein sein und meinen Gedanken nachhängen.
Dann gehe ich manchmal auf dem Friedhof spazieren.
Auf einem dieser traurigen Wege fiel mir kürzlich ein Grabstein auf, der auf einem relativ ungepflegten, obwohl noch gar nicht so alten Grab vor sich hin moderte.

Ruhet in Frieden
Peter B. * 8. 1.1966 † 21.4.1993
Boris B. * 2. 6.1993 † 28.12.1998
Susanne B. geb.H.* 13.6.1969 † 8.1.1999
Jetzt und auf ewiglich wiedervereint

Ich stand schon eine Weile dort und sah mir die ungewöhnlichen Daten an, als mich eine ältere Dame ansprach. Normalerweise lasse ich mich auf kein Gespräch mit älteren Damen ein und suche immer schnell das Weite, doch an diesem Tag war ich irgendwie gelähmt und so blieb ich stehen und erfuhr in der nächsten halben Stunde die Geschichte der Menschen, vor deren letzter Ruhestätte ich mich befand. Die ältere Dame, wohl eine ehemalige Nachbarin, kannte alle Details und ließ keines aus. Sie schien froh darüber zu sein, jemanden gefunden zu haben, der ihrem Geplapper zuhörte. Doch die Geschichte, die sie erzählte, hat mich sehr berührt und mich auch in den folgenden Tagen beschäftigt. Ich habe sie deshalb in Gedichtform niedergeschrieben, mich dabei aber oft ganz klein und irgendwie schuldig gefühlt, angesichts des Trubels und des Rummels, der um das Weihnachtsfest und um den Jahreswechsel gemacht wird. Wie unwichtig ist das doch alles!


DAS LETZTE WEIHNACHTSFEST

Fünf Jahre war sie mit dem Kind alleine,
Ihr Mann starb, eh’ sein Sohn geboren war.
Ihr Leben, ihre Liebe war der Kleine,
Doch Gottes Wege sind oft sonderbar.

Der Heiligabend ist sehr schön gewesen.
Sie haben lang gespielt und viel gelacht.
Dann hat sie ihm ein Märchen vorgelesen,
Und lächelnd schlief er ein in dieser Nacht.

Es schneite in der Zeit zwischen den Jahren,
Der Winter hielt sich nicht mehr lang zurück.
Sie hatten sehr viel Spaß beim Schlitten fahren.
Der Kleine hat gestrahlt vor lauter Glück.

Doch plötzlich hat das Schicksal zugeschlagen!
Ein Schneesturm und die Ampel zeigte Rot.
Ein dumpfer Knall. Ein Schrei. Ein großer Wagen.
Das kleine Kind war auf der Stelle tot.

Die Frau erwachte erst nach sieben Tagen.
Ein Arzt hat ihr die Wahrheit beigebracht.
Sie weinte nicht, sie stellte keine Fragen,
Sie schlich sich heimlich fort in jener Nacht.

Am nächsten Morgen hat man sie gefunden.
Der Weihnachtsbaum war immer noch geschmückt.
Die Schlinge war um ihren Hals gebunden,
Ein Kinderbildchen an ihr Herz gedrückt.

„FüHr MAma“ stand mit Buntstift drauf geschrieben,
„FrölicHE WeinacHtEn“ mit ungelenker Hand.
Ein Schlittenhirsch, vom Weihnachtsmann getrieben,
Schneeflocken und ein Auto, ganz am Rand.

Ihr Tod - er hinterlässt so viele Fragen:
Was ist ein Menschenleben für die Ewigkeit?
Wie viele Schmerzen kann ein Mensch ertragen?
Wie viele Schicksalsschläge oder wie viel Leid?

Warum nur konnte sie mit keinem sprechen?
Warum nur reichte niemand ihr die Hand?
Warum nur musste diese Frau zerbrechen?
Warum ist es so kalt in diesem Land?

Hat sie sich selbst für diesen Weg entschieden?
Hat je ein Mensch um diese Frau geweint?
Auf ihrem Grabstein steht: „Ruhet in Frieden“
„Jetzt und auf ewiglich wiedervereint“
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
das

2. gedicht ist sehr anrührend, zum heulen schön. kann kaum die tastatur erkennen. mach mal so weiter! lg
 



 
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