Wo ist die Liebe?

Meral Vurgun

Mitglied
Wo ist die Liebe?

Die Zeit war gegen Abend. Die Sonne ging langsam hinter den Gebäuden unter. In mir herrschte einen Regenunterdruck. Ich schaute aus dem Küchenfenster den Sonnenuntergang und das Fliegen der Vögel an. Als hätten sie meine Traurigkeit gespürt, als würden sie mich gehört haben und mich nicht im Stich lassen wollten. Und ein Paar Tauben landeten vor meinem Küchenfenster. Sie drehten ihre kleinen Köpfe und schauten ein mal durch die Scheiben zu mir und ein mal zu einander. Sie fingen lieb sich zu unterhalten. Ich zerstückelte ein Stück Brot und verteilte es vor dem Küchenfenster. Nachher habe ich eine Weile zu ihnen hinüber geschaut. Ihre Flügel waren, als hätten sie alle Farben des Frühlingsglanz gesammelt haben. Später haben meine Augenlidern wie sich selbst schliessenden Vorhang meine Wimpern geschlossen.

Meine Träume gingen nach Istanbul. Jetzt, in dieser Jahreszeit, im April, doch im Frühling. Wie fröhlich werden sie in Eminönü. Ihr denkt, dass sie auf euren Köpfen landen. Sie sind so freundlich, dass ihr denkt sie würden sich auf euren Brüsten bewegen. Ihr denkt, dass ihr euch zu denen schliessen und mit ihnen fliegen könnt. Ohne einmal müde zu werden, auf alle Meere.

Als ich meine Träume gepackt und auf den Weg gemacht habe, fingen sie noch mal an zu murmeln. Als wollten sie mir etwas sagen oder für das Brot danken wollen. Und sie benehmen sich wie koketten. Sie beugten ihre Hälse wie ein fünfzehn jähriges arabisches Mädchen. So dass man eine Taube sein wollte. Sie liebten sich. Als würde die Liebe nur ihnen gehören. Als ihre Welt heller als unsere wäre und dass sie ihre Nester aus Liebe gebaut haben. Als würde nirgendwo ein Tropfen Blut den Boden berührt. Auch gar keinen Krieg und Massaker gäbe. Als ob der Himmel ewig blau wäre. Als ob der ganze, grenzenlose, verrückte Blau, eine Brust voll Wolkenbett nur ihnen gehören würde. Ein ewiges Leben. Leben und Lieben.

Ja: Der Himmel ist ewig blau. Und das Meer ist wie ein ewiges Satin glatt und ein gläzendes Turkis. Ihr wollt plötzlich ein Berg werden. Eure Köpfe werden an dem Gipfel, unter dem Sternenregen nass, eure Füsse tanzen mit den fischen in der Tiefe des Meeres. Und die Menschen füllen sich in euch wie die Liebe. Ihr sammelt sie wie Äste von Bäumen. Eure Arme werden Wiege für sie und eure Herzen Matratzen. Ihr vermehrt euch wie ein Wald und ihr wächst und wächst. Ihr werdet Geschichte. Eure ganzen Körper sind verblutet. Als würdet ihr die Stimme des Blutes hören, das aus euren Wunden tropft. Und die Schwere des Menschenseins schlägt in euren Gehirn wie Tonnen Schmiede. Doch plötzlich versteht ihr die Grausamkeit nur in euren Blut ist. Doch in Menschen. Sie gehört nur zu den Menschen. Und ihr von der Liebe weit entfernt seid...
 
B

bonanza

Gast
fantastisch einfühlsam.
wie schön müssen die zeilen erst in deiner sprache sein.

bon.
 



 
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