*
ein Traum
Wo die Straße endet
Mein Weg führt über eine Bergchaussee in die Ferne. Tief unter mir Wälder, dunkelgrün, Wiesen, fett und saftig. Kühe weiden auf den Wiesen, Menschen lachen. Kinder spielen. Kleine Punkte sind sie. Am Horizont liegt eine Stadt.
Ich wandere eilig auf dem breiten, asphaltierten Weg über den Höhenrücken dahin.
Die Szenerie zu meinen Füßen verändert sich. Fabrikanlagen. Ein Atommeiler. Autobahnen durchschneiden das grüne Land. Gerade versinkt in feuriger Glut die Sonne. Nie sah ich einen Himmel so rot.
In der Dämmerung wird alles im Tal vage, schemenhaft. Zwielicht verwischt die Konturen. Nebel wallen auf.
Hier auf dem Bergrücken aber glänzt noch das Abendlicht.
Zügig schreite ich voran. Da blicke ich zufällig auf meine Füße und - erstarre. Vor mir hört die Straße auf, klafft ein Abgrund!
Es waren soeben ein paar Fäden über den Weg gespannt, dünn und wirkungslos wie Spinnweben. Man sah sie kaum. Die sollten vielleicht eine Warnung sein. Ich hatte sie bemerkt, aber nahm sie nicht ernst und zerriss sie beim Weitergehen.
Versteinert stehe ich. Starre. Es ist wahr, die Straße endet vor meinen Füßen. Abrupt. Mein Blick fällt über Klippen in schwindelnde Tiefen. Es ist so: nur wenige Zentimeter trennen mich vom Todessturz.
Schaudernd wende ich mich um. Ich laufe den weiten Weg zurück.
Unten im Tal, in dem Ort, aus dem ich aufgebrochen war, sind die Häuser dunkel. Es ist Nacht. Nur der große Festsaal ist erleuchtet. Viele Menschen sind dort versammelt. Musik erklingt.
Die Menschen tanzen zu einer seltsamen Melodie.
"Was feiert ihr", frage ich, denn alle im Saal tragen kostbare Gewänder.
"Wir feiern das Warten", sagen sie, "das Ausharren und die Geduld."
Stammelnd erzähle ich, dass die einzige bekannte Straße da draußen nun nirgendwohin mehr führe. Dass sie eingebrochen sei und jetzt ein Abgrund drohe. Die Leute schütteln die Köpfe. Sie glauben es nicht. Bestünde dieser Bergpass, der sie mit der ganzen Welt verbinde, doch seit Urväterzeiten, erklären sie.
Merkwürdig, alle sind wie für einen großen Ball geschmückt.
"Sie tragen die schönsten Kleider der Jahrtausende und längst vergangener Geschlechter", sagt eine Stimme.
Ich aber bin in Lumpen gehüllt, habe nicht einmal Schuhe an den Füßen - die einzige, die barfuß dasteht. Ich erzähle ihnen, man habe mir meine Schuhe gestohlen. Das ist aber nicht wahr. Sie sind mir unmerklich abhanden gekommen. Beim Laufen über die Bergstraße haben sie sich Stück für Stück zerschlissen und aufgelöst.
Ich setze mich nieder, lausche der Musik. Sehe den Menschen beim Tanzen zu.
Da tritt ein Mann heran. Um seine hohe Gestalt hat er einen Mantel aus braunem Loden geschlungen.
"Komm, wir wollen dem Weg gemeinsam folgen, den du letzte Nacht gegangen bist", sagt er.
"Der Weg führt aber nirgendwo hin!"
"Komm!"
So verlassen wir Menschen und Musik. Wir wandern bald wieder auf dem Bergkamm nach Süden.
Es wird Morgen. Wir gehen. Wir gehen. Dann steht die Sonne hoch im Mittag. Unten in den Tälern wechseln die Landschaften in rasender Eile. Vor meinen staunenden Augen wachsen blaue Seen, Wälder, Blütengärten, Städte, aber auch Wüsten, karge Felsen, tiefe Canyons. All diese Bilder drängen ins Licht. In der Ferne leuchten die Ufer des karibischen Meeres.
Weiter folgen wir der Straße über den Bergrücken, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend.
Eine viel längere Strecke sind wir nun schon gegangen, als ich es beim ersten Mal tat. Noch immer nimmt der Weg kein Ende, klafft der drohende Abgrund NICHT. Die Straße führt fest und sicher vorwärts, weiter als wir ihr je würden folgen können. In Serpentinen schlängelt sie sich unendlich - ich weiß, sie führt über alle Kontinente der Welt - ein leuchtendes Band.
"Lass uns nicht weiter gehen", sagt mein Begleiter. "Lass uns ruhen und schauen."
Ich selbst, müde vom Laufen, setze mich am Rand einer Wiese auf einen Feldstein, sehe der Spur der Straße nach, die sich irgendwo in hellblauer Ferne verliert.
"Wo führt sie hin", frage ich.
"In ferne Zeiten und zum Ursprung der Dinge!", sagt der Mann.
Dann nimmt er einen Apfel und ein kleines Messer aus seiner Tasche, schneidet die Frucht entzwei, reicht mir die eine Hälfte. Wir beginnen zu essen. Schweigend.
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ein Traum
Wo die Straße endet
Mein Weg führt über eine Bergchaussee in die Ferne. Tief unter mir Wälder, dunkelgrün, Wiesen, fett und saftig. Kühe weiden auf den Wiesen, Menschen lachen. Kinder spielen. Kleine Punkte sind sie. Am Horizont liegt eine Stadt.
Ich wandere eilig auf dem breiten, asphaltierten Weg über den Höhenrücken dahin.
Die Szenerie zu meinen Füßen verändert sich. Fabrikanlagen. Ein Atommeiler. Autobahnen durchschneiden das grüne Land. Gerade versinkt in feuriger Glut die Sonne. Nie sah ich einen Himmel so rot.
In der Dämmerung wird alles im Tal vage, schemenhaft. Zwielicht verwischt die Konturen. Nebel wallen auf.
Hier auf dem Bergrücken aber glänzt noch das Abendlicht.
Zügig schreite ich voran. Da blicke ich zufällig auf meine Füße und - erstarre. Vor mir hört die Straße auf, klafft ein Abgrund!
Es waren soeben ein paar Fäden über den Weg gespannt, dünn und wirkungslos wie Spinnweben. Man sah sie kaum. Die sollten vielleicht eine Warnung sein. Ich hatte sie bemerkt, aber nahm sie nicht ernst und zerriss sie beim Weitergehen.
Versteinert stehe ich. Starre. Es ist wahr, die Straße endet vor meinen Füßen. Abrupt. Mein Blick fällt über Klippen in schwindelnde Tiefen. Es ist so: nur wenige Zentimeter trennen mich vom Todessturz.
Schaudernd wende ich mich um. Ich laufe den weiten Weg zurück.
Unten im Tal, in dem Ort, aus dem ich aufgebrochen war, sind die Häuser dunkel. Es ist Nacht. Nur der große Festsaal ist erleuchtet. Viele Menschen sind dort versammelt. Musik erklingt.
Die Menschen tanzen zu einer seltsamen Melodie.
"Was feiert ihr", frage ich, denn alle im Saal tragen kostbare Gewänder.
"Wir feiern das Warten", sagen sie, "das Ausharren und die Geduld."
Stammelnd erzähle ich, dass die einzige bekannte Straße da draußen nun nirgendwohin mehr führe. Dass sie eingebrochen sei und jetzt ein Abgrund drohe. Die Leute schütteln die Köpfe. Sie glauben es nicht. Bestünde dieser Bergpass, der sie mit der ganzen Welt verbinde, doch seit Urväterzeiten, erklären sie.
Merkwürdig, alle sind wie für einen großen Ball geschmückt.
"Sie tragen die schönsten Kleider der Jahrtausende und längst vergangener Geschlechter", sagt eine Stimme.
Ich aber bin in Lumpen gehüllt, habe nicht einmal Schuhe an den Füßen - die einzige, die barfuß dasteht. Ich erzähle ihnen, man habe mir meine Schuhe gestohlen. Das ist aber nicht wahr. Sie sind mir unmerklich abhanden gekommen. Beim Laufen über die Bergstraße haben sie sich Stück für Stück zerschlissen und aufgelöst.
Ich setze mich nieder, lausche der Musik. Sehe den Menschen beim Tanzen zu.
Da tritt ein Mann heran. Um seine hohe Gestalt hat er einen Mantel aus braunem Loden geschlungen.
"Komm, wir wollen dem Weg gemeinsam folgen, den du letzte Nacht gegangen bist", sagt er.
"Der Weg führt aber nirgendwo hin!"
"Komm!"
So verlassen wir Menschen und Musik. Wir wandern bald wieder auf dem Bergkamm nach Süden.
Es wird Morgen. Wir gehen. Wir gehen. Dann steht die Sonne hoch im Mittag. Unten in den Tälern wechseln die Landschaften in rasender Eile. Vor meinen staunenden Augen wachsen blaue Seen, Wälder, Blütengärten, Städte, aber auch Wüsten, karge Felsen, tiefe Canyons. All diese Bilder drängen ins Licht. In der Ferne leuchten die Ufer des karibischen Meeres.
Weiter folgen wir der Straße über den Bergrücken, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend.
Eine viel längere Strecke sind wir nun schon gegangen, als ich es beim ersten Mal tat. Noch immer nimmt der Weg kein Ende, klafft der drohende Abgrund NICHT. Die Straße führt fest und sicher vorwärts, weiter als wir ihr je würden folgen können. In Serpentinen schlängelt sie sich unendlich - ich weiß, sie führt über alle Kontinente der Welt - ein leuchtendes Band.
"Lass uns nicht weiter gehen", sagt mein Begleiter. "Lass uns ruhen und schauen."
Ich selbst, müde vom Laufen, setze mich am Rand einer Wiese auf einen Feldstein, sehe der Spur der Straße nach, die sich irgendwo in hellblauer Ferne verliert.
"Wo führt sie hin", frage ich.
"In ferne Zeiten und zum Ursprung der Dinge!", sagt der Mann.
Dann nimmt er einen Apfel und ein kleines Messer aus seiner Tasche, schneidet die Frucht entzwei, reicht mir die eine Hälfte. Wir beginnen zu essen. Schweigend.
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