Wörtergrab (bezieht sich auf Thread im Forum)

Yossarian

Mitglied
Als ich gerade mit der Hamburger U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit war, mir ein wenig betroffen an zwei überdimensionalen Titten einer Blondine den Wolf starrte und mich wehmütig an meine verjährten Jugendsünden erinnerte, betraten plötzlich zwei adrett gekleidete Kontrolleure den Wagon. Irgendwie schien es einer von ihnen auf mich abgesehen zu haben, denn er kam sogleich auf mich zu. Während die anderen Mitfahrer schon brav ihre Fahrkarten zückten, blickte ich nur demütig zum Kontrolleur empor, denn ich hatte keine. Nichtsdestotrotz beharrte der Mann weiterhin auf einen gültigen Fahrschein und es war offensichtlich, dass ich allmählich seinen Unmut erregte. "Ich will nicht", antwortete ich so nett wie möglich auf das verlangte Vorzeigen meiner Fahrberechtigung. "Warum nicht ?", erkundigte sich der Kontrolleur verblüfft. Ich erwiderte ihm, dass es ganzheitlich betrachtet eine Prinzipsache sei, da ich es unverschämt fände, dass der Staat es offensichtlich für wichtiger erachte, artige Bürger mit solchen Nichtigkeiten wie Fahrscheinkontrollen zu belästigen, anstatt sich um Kindesmissbrauch, Katholizismus, eine duchrasste Gesellschaft oder Backengulasch zu kümmern. Der etwas einfältige Mann wusste auf diese Rede nur mit einem hilflosen "Häh ?" zu antworten. Zweifelsohne schien er es sich jedoch zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, meinen Tag gründlich zu vermiesen und so drohte er mir als letzte verzweifelte Lösung gar mit der Polizei, wenn ich nicht augenblicklich meinen Fahrschein vorzeigen würde. Nun hatte ich wirklich alles menschenmögliche versucht um mich vor möglichen Unkosten zu schützen und während ich noch über eine kostengünstigere Alternative sinnierte, anstatt die sechzig Mark Busgeld zu bezahlen, musste ich notgedrungen klein beigeben und gestehen, dass ich gar keine Fahrkarte besaß. "Schampar schlecht", meinte der Kontrolleur verdrießt, was mich umso mehr ärgerte, immerhin hatte mich damit einer dieser hinterwäldlerischen Schweizer erwischt. Von diesem bizarren Menschenschlag gedemütigt zu werden war für mich ein besonders deprimierendes Erlebnis. Einige Minuten später hatte es der Mann endlich geschafft den Papierkram zu bewältigen, so dass ich nach Angabe meiner Daten nur noch mit "Vzusdw" unterschreiben brauchte. Den Namen hatte ich aufgrund der Einfachheit und des warmen Klangs von meiner ehemaligen Frau übernommen.
Diese Begegnung und die Tatsache von einem Schweizer erwischt worden zu sein, blieb mir noch lange in Erinnerung. Ich verfiel dem Alkohol, einige Jahreswechsel strichen einsam und ereignislos an mir vorüber. Schließlich gelang es mir jedoch nach wahrhaftig jahrelanger Selbstfindung mein Leben wieder in den Griff zu kriegen um eine Terrororganisation zur Bekämpfung aller Schweizer Einwanderer zu gründen.
Damit verbleibe ich mit freundlichen Grüssen

Yossarian Vzusdw
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hi Yossarian,
Du Hobby-Totengräber! Diese Beerdigung hast Du wirklich sauber hingekriegt! Die Trauergemeinde drückt dir dankbar die Hand. Ich fürchte, man wird von dir von nun an erwarten, noch mehr Gräber zu schaufeln, denn der toten Wörter werden immer mehr.

mit pietätlosen Grüßen
Ralph
 
V

Vadian

Gast
Oh, mein Herz wird warm! Vielen, vielen Dank - eine schönere Reaktion auf mein "Wörtergrab" hätte ich mir nicht wünschen können!

Vadi
 

Gilmon

Mitglied
Hi Yossarian,

gefällt mir sehr gut deine Wörtergrabgeschichte, ganz ausgezeichnet. Auch ich plane, schon seit einigen Tagen eine kleine Wörtergrabgeschichte zu schreiben und als ich deine Geschichte gelesen habe, bekam ich große Lust diese anzufangen. Dein Text ist ein Feuerwerk der Intertextualität :).

Grüße, Gilmon
 



 
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