Wolken

4,70 Stern(e) 3 Bewertungen

Cirias

Mitglied
W O L K E N



An der Oberfläche des Sees schlagen die Wolken Purzelbäume. Der Wind treibt Schaumkronen an die Ufer. Sie begegnet einem streunenden Hund, aber niemandem sonst. Im Ufermorast liegen umgestürzte Bäume. Sie setzt die Schultasche auf einen Stein. Es ist kalt. Aber das macht ihr nichts. Sie ist fortgelaufen. Sie sieht auf die Häuser in der Ferne und hält ihr Gesicht in das milchige Licht der Sonne. Unter ihren Schuhen knistert das erfrorene Laub. Ein Vogelschwarm hinterlässt winzige Tupfer im Ufersand. Sie lacht. Vor der blassen Linie des Horizonts verschwindet ein Radfahrer, dann zwei Kinder wie sie. Staunend setzt sie sich auf den Stein. Die Schultasche stürzt zu Boden. Sie sieht auf den Stoß Schulhefte, ihre Pausenbrote und ein Packen Lineale, die die durchsichtig gefrorenen Spitzen der Grashalme brechen. Das Ufer ist voll gerundeter und glänzender Steine. Zwischen ihnen ist alles unbewegt, wie daheim. Sie läuft. Der See wird kleiner und kleiner, bis er verschwindet. Sie rennt den Wolken nach, denn sie will fort. Sie staunt über alles was es noch gibt neben den stillen Stunden , die sie in Schulräumen abgesessen hat. Oft bleibt sie stehen. Sie kommt sich betrogen vor. Die Sonne verschwindet sehr früh hinter dem Saum des Waldes. Auch dafür haben sie ihr dort keine Wörter beigebracht. Zum Ende hin, als Überhänge um Bäume, Sträucher, Schilder und schottergefrorene Wege wachsen, brennt ihr der Frost schlimm in Fingern und Zehen. Der Wind macht kleine Schnitte in ihre Haut. Sie weint. Sie denkt nicht mehr, sie fühlt: ich bin ein Stein. Der Himmel ist schwarz und lautlos. Die Wolken tragen offene Schnäbel in den klaren Raum. Dort sinkt ein Stein tiefer als in jedem Wasser. Die Mama hat das getan.
 
G

Gelöschtes Mitglied 5196

Gast
hi

gefällt mir sehr gut, auch in der kürze. schöne bilder. traurige geschichte. nur einen satz würd ich ändern:

[red]Verwundert über alles was ist neben den Tag für Tag in Schulräumen abgesessenen Stunden, bleibt sie oft stehen. [/red]

ich glaube, dass ich vier anläufe für diesen satz gebraucht hab. ansonsten... toll.

lieben gruß

mye
 

Cirias

Mitglied
Hallo mye,
vielen Dank.
Ich glaube, dass du mit dem Satz recht hast, er ist wirklich ein bißchen zu verquer...Ich werde ihn ändern.

Herzliche Grüße, Daniel
 
S

sommersturm

Gast
Hallo,
also im ersten Moment fand ich den Text auch ganz gut, hab ihn aber nicht gleich verstanden und ihn mir deshalb noch mal genauer durchgenommen. Hier meine Anmerkungen:

„Zwei Kinder wie sie“: Sind es zwei Mädchen? Sind sie so alt wie sie? Sind sie auch fortgelaufen? (Wie können zwei wie einer sein? Meiner Meinung nach muss es einen Anhaltspunkt geben, an dem man die Parallelen sieht und einen Vergleich ziehen kann. Vor allem, wenn die Vergleichsperson/en nicht näher beschrieben werden und gleich wieder verschwinden.)
Worüber staunt sie? Nicht über die Natur, denn vor dem Satz „Staunend setzt sie sich auf den Stein.“ sind ein Radfahrer und zwei Kinder hinterm Horiziont verschwunden, sie hat nicht die Natur betrachtet.
Wieso mehrere Lineale? Als Schüler braucht man normalerweise eins, höchstens zwei.
„Sie rennt den Wolken nach, denn sie will fort.“ Aber sie ist doch schon fortgerannt (von der Schule), warum will sie denn fort, wo sie es doch schön findet am See und lachen und staunen kann?
„Auch dafür haben sie ihr dort keine Wörter beigebracht.“ Aber sie schreibt / spricht doch die ganze Zeit von den Dingen, für die sie angeblich keine Wörter hat.
„Der Wind macht kleine Schnitte in ihre Haut.“ Ist es dir schon mal passiert, dass du dich verletzt hast, wenn der Wind weht? (Mir nicht.)
„Dort sinkt ein Stein tiefer als in jedem Wasser.“ Was soll das bedeuten?
Was hat die Mama getan? Sie hat sie in die Schule geschickt, aber nicht, weil sie ihr die schönen Dinge der Natur vorenthalten will, sondern weil eine allgemeine Schulpflicht besteht. Wenn, dann will ihr die Gesellschaft die Natur vorenthalten. Oder meinst du etwas ganz anderes damit?

Fazit: Teilweise etwas unlogisch und unverständlich.

Ich hoffe auf eine Antwort von dir. Bis dann.
 

Cirias

Mitglied
Hallo sommersturm,

mit deiner Antwort habe ich zwar große Schwierigkeiten, weil ich den Eindruck habe, dass du überhaupt keinen Zugang zum text gefunden hast. Hast du das in der Staatsschule gelernt, einen Text so zu sezieren, dass man den Eindruck hat, du willst eigentlich nur informiert werden, nicht aber dich auf Metaphorik und Tieferes einlassen?- Wenn du schon auf die allgemeine Schulpflicht pochst, so hat das wenig damit zu tun, was man Kindern damit antut, sie auf eine (Staats-)schule zu schicken. - Gibt es nicht Worte, die man erst noch finden muss, weil sie einem noch nicht begegenet sind, das ist uneigentliches Sprechen...- Schüler haben mehrere Lineale, vielleicht gibt es aber in der Staatsschule nur das eine verordnete?- Sind solche Details nicht völlig irrelevant? Geht es in dem Text darum? - Und natürlich können zwei Kinder wie eines sein. Und natürlich kann der Wind Schnitte in die Haut machen. Vielleicht hast du das bisher noch nicht erlebt (oder willst es nicht). Der Text will nicht logisch sein. Sind Kinder logisch? ist ihr Erleben logisch?
Und zuletzt: das Fortwollen hört nie auf. vorausgesetzt man weiß was Sehnsucht heißt.
Der Text ist in den vergangenen Jahren in den größten deutschsprachigen Literaturzeitschriften veröffentlicht worden. Keine Frage, dass du natürlich dennoch das Recht hast, ihn zu kritisieren, aber ich denke, dass deine Kritik sich auf einer Ebene bewegt, die der Text gar nicht hat oder anstrebt.
Sorry für die Polemik, aber ich schlage vor, du loggst dich demnächst lieber im Forum "Theoretisches" ein,
Gruß, Cirias
 
S

sommersturm

Gast
Hallo Cirias,
Ich wollte dir bestimmt nicht zu nahe treten mit meiner Kritik. Ich dachte, man darf Texte in der "Leselupe" kritisieren, dafür ist sie ja schließlich da, oder ist sie bloß dafür da, um uneingeschränktes Lob zu erhalten? Und bloß, weil die Mehrheit der Leser den Text gut findet und er auch schon veröffentlicht worden ist, muss ich ja nicht den Text gut finden, oder? Viele renommierte Autoren (z.B. Günter Grass) werden von Kritikern (z.B. Marcel Reich-Ranicki) kritisiert und hängen sich deswegen auch nicht gleich auf. Ich will mich ja nicht mit Ranicki gleichstellen, aber ich habe doch auch ein Recht zur eigenen Meinung, oder?
Außerdem habe ich niemals gesagt, dass der Text schlecht ist. Ich finde nur, dass er noch ausbaufähig ist.
Ich habe es übrigens bestimmt nicht in einer "Staatsschule" gelernt, einen Text zu sezieren, ich mache mir immer meine eignen Gedanken. Ich lass mich auch gerne auf Metaphorik und Tiefes ein, manche Bilder aus "Wolken" finde ich auch besonders schön. Übrigens kennst du mich gar nicht, und kannst überhaupt nicht wissen, was ich für ein Mensch bin, ob ich eher emotional oder sachlich-nüchtern bin. Ich habe das Emotionale in deinem Text in meiner Antwort nämlich deswegen überhaupt nicht erwähnt, weil ich daran nichts auszusetzen hatte und weil ich die Sehnsucht des Kindes verstanden habe.
Außerdem glaube ich nicht, wie du, dass Details irrelevant sind. Ich finde, Details machen oft einen Text erst aus.
Warum will der Text nicht logisch sein? Darf er es nicht? Für mich muss ein Text immer logisch sein. Er darf gerne widersprüchlich sein, aber logisch muss er auch sein, logische Zusammenhänge und logische Details. Übrigens hat man auf einer Staatsschule oft nicht einmal ein Lineal dabei.
Die Frage, ob Kinder logisch seien, kann ich dir nicht auf die Schnelle beantworten. Ihr Verhalten muss natürlich nicht logisch sein, genauso wenig wie das Erwachsener, aber es muss nachvollziehbar sein.
Was die Mama getan hat, hast du mir übrigens noch immer nicht beantwortet.
Aber wenn du mir deinen Text nicht weiter erklären willst und es nicht vertragen kannst, dass ich jetzt schon wieder meine Meinung geschrieben habe, und mich nicht dafür entschuldige, dann...
Dann lassen wirs einfach. Ist zwar schade. Es macht nämlich Spaß, über Texte zu diskutieren. Aber gut.
Lieben Gruß.
 

Cirias

Mitglied
Hallo Sommersturm,
natürlich macht es Spaß, über Texte zu diskutieren- und das ist für mich der Hauptgrund, warum ich überhaupt meine texte hier einstelle, um die Sicht anderer Menschen kennen zu lernen, Lob ist dabei zwar schön, aber am liebsten ist mir die konstruktive, sachliche Kritik, und ich fand deine Kritik eben sehr grundsätzlich und jenseits des Textgehalts.
Du kennst das, wenn man nach langen Tagen nach Hause kommt, dann ist man oft schon von Kleinigkeiten genervt, nun, da habe ich dir sicher etwas unrecht getan mit meiner Entgegnung.
Mit dem letzten Satz ist gemeint, dass Eltern ihren Kindern (zwangsläufig) schon eine Welt präsentieren, eine fertige Welt manchmal und dass Kinder das manchmal durchschauen. Die meisten, die den Text gelesen haben, haben das auch so verstanden, aber ich denke, der Text ist auch in andere Richtungen interpretierbar und hinterfragbar, aber viele Fragen erübrigen sich auch, wenn man die Welt aus den Augen des Kindes sieht, denke ich, weil es kein Krimi oder so etwas ist, wo gewiss logische Konstrukte unabdingbar sind- hier ist vieles eben auf metaphorischer Ebene dargestellt.
Herzliche Grüße, Cirias
 
S

sommersturm

Gast
glücklicherweise

haben wir uns also doch noch zusammengerauft.
Und weißt du, warum ich deinen Text total "falsch" interpretiert habe? Weil in der Geschichte sehr viele Hinweise auf die Schule zu finden sind (nicht auf die Eltern): Die Schultasche stürzt zu Boden. - ein Packen Lineale, die die durchsichtig gefrorenen Spitzen der Grashalme brechen - die sie in Schulräumen abgesessen hat - dafür haben sie ihr dort keine Wörter beigebracht.
Ist das jetzt Textarbeit für dich? Ich hoffe schon.
Bis dann.
 

Cirias

Mitglied
Hallo sommersturm,
ja, ich denke, damit kann ich etwas anfangen. Ich denke aber, dass es auch ein Vorzug von Texten ist, wenn man sie nicht direkt lesen kann sondern hinter den Zeilen lesen muss. Das ist aber zugleich auch ihr Mangel, und in diesem Fall habe ich die stärkeren Metaphern für Schule benutzt, obwohl eigentlich gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge gemeint waren, die die Welt der Kinder grau machen. Ich räume aber ein, dass dies zu anderen Interpretationen führen kann, je nachdem wie man an einen Text herangeht. Na ja, ich hoffe, dass meine nächsten Texte verständlicher für dich werden und werde bei Gelegenheit auch einmal konstruktive Kritik an deinen Texten üben,

herzliche Grüße, Cirias
 



 
Oben Unten