Wolkenreich

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Calypso

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Eine kleine Umdrehung und sie schwebte leicht wie eine Feder auf den Wolken, die ihre Freunde waren. Ja, sie war leicht und sie war frei wie ein Vogel, der tänzelnd und elegant seinen Weg beschritt.
Sie grüßte mit einem angedeutetem Kopfnicken die Sonne, die sich links von ihr befand und ihre leicht kühle Haut mit angenehm warmen Strahlen wärmte und ihr Wolkenreich mit einem heiter blauen Himmel einen schönen Tag bescherte. Der Tag war schön, wie es jeder war, dachte sie fröhlich und schritt weiter auf der weißen, weichen Wolkenmassen umher. Das war ihr Reich, das Wolkenreich, auf dem nur sie umherwandeln konnte und das nur ihr gehörte. Niemand anderen hatte sie je hier gesehen und sie war sich sicher, dass nie jemand den Weg finden würde.
Auch sie hatte Probleme gehabt, den Weg zu finden. Doch ihre Freundin, die Sonne, hatte ihr ihre Hilfe angeboten und sie hatte sie dankbar angenommen. Das war lange her, wie lange genau, konnte sie nicht sagen, sie wusste es nicht einmal. Zeit spielte für sie schon längst keine Rolle mehr, ein Tag war etwas nichts im Vergleich zu der Ewigkeit. Seit sie hier war, war sie keinen Tag älter geworden, keinen Tag älter als fünfzehn.
Auch ihr Kleid war noch dasselbe, das gleiche rosa Kleid, mit dem sie hier angekommen war und das sie nie abgelegt hatte. Sie trug es immer mit sich wie ein Erinnerungsstück aus ihrer Vergangenheit, welche immer mehr in den Hintergrund geriet. Wenn sie ehrlich war, so konnte sie sich kaum noch an ihre Vergangenheit erinnern. Nur szenische Ausschnitte waren wie festgeklebt in ihrem Gedächtnis haften geblieben.
So wie ihr fünfzehnter Geburtstag, den sie mit ihrer Familie gefeiert hatte. Der Tag, an dem sie auch ihr rosa Kleid bekommen hatte, das sie sich damals seit längerem gewünscht hatte. Sie sah nur gewisse Dinge in ihrem Kopf, die Räumlichkeiten und undeutliche Personen. All das verschwamm mit der Zeit, bis es nur noch schemenhafte Gestalten waren, die keine richtigen Umrisse besaßen, und sie wie dunkle Schatten nun in ihrem Himmelreich bedrohten.
Je dunkler die Schatten wurden, desto seltener blickte sie zurück, sie war jetzt hier, wo es hell und sicher war, wo sie sich nicht vor der Dunkelheit zu fürchten brauchte. Sie hatte Angst vor der Dunkelheit, Angst, sich zu verlieren und nie mehr diese wundervolle Welt zu erblicken, die Wolkenwelt. Weiterhin tänzelte sie über Wolkenmasse, bis sie erschöpft war, sich sanft auf eine flauschige Wolke niederließ und die Augen schloss. Ihr rosa Kleid schmiegte sich wie eine zweite Haut an sie und war das einzige, was sie von der Wolke hervorstechen ließ, denn ihre Haut war hell und ihr rückenlanges Haar weißblond. Sie waren hell wie das Licht, das sie so liebte.
Sie war eine Träumerin, war es von Anfang an gewesen. Sie lebte für ihre Phantasie und für das Licht, das ihre Träume beschien. Träume waren ihre Zuflucht, wenn sich die Sonne verzog und sie nur von dem fahlen Mondlicht ihren Trost vor der Dunkelheit bekam. Auch der Mond war ihr Freund, er war ein unterhaltsamer Kamerad, der sich gern und oft mit ihr unterhielt. Er erzählte ihr von dem Geschehen in der Welt, er war ihr Lehrmeister und das meiste ihres Wissens hatte sie von ihm in den zahllosen Stunden der Nacht erlernt, in denen sie plauderten, bis der neue Tag heranbrach und ihre Freundin, die Sonne, ihr Gesellschaft leistete. Die Sonne war sehr viel mehr zurückhaltender als der Mond, sie fragte die Sonne auch selten etwas, dennoch waren sie gut befreundet.
Doch heute war etwas anders. Der Mond kam nicht, nachdem sich die Sonne von ihr verabschiedet hatte. Sie bekam Angst und blickte unruhig umher. Die Wolken waren wie immer, sie waren immer noch bei ihr, aber ihr Freund wollte einfach nicht erscheinen, obwohl es immer dunkler wurde und er genau wusste, wieviel Angst sie vor der Dunkelheit hatte. Sie kauerte sich auf dem Flauschigem zusammen und umschloss mit den Armen ihre Knie. So fühlte sie sich geborgener und wiegte sich etwas mehr in Sicherheit vor den Schatten, die immer näher kamen und sie zu erdrücken drohten. Sie wimmerte kurz auf, wiegte sich unablässig mit ihrem Oberkörper zur Seite und summte ein Wiegenlied zur Beruhigung.
Der Mond kam immer noch nicht. Jetzt wurde sie nervös und stand auf. Dann fing sie an unruhig von einer Wolke auf die andere zu laufen, nein, das war nicht sehr nett von ihm, sie so im Stich zu lassen. Sie war enttäuscht und ihr sonst so fröhliches Gesicht blickte sehr ernst. Je weiter die Dunkelheit fortschritt, umso mehr wurden ihre leicht rosa Lippen zu einem schmalen weißen Strich. Ihre blassblauen Augen hatten sich auf das Doppelte ihrer normalen Größe geweitet. Ihre Nasenflügel blähten sich unaufhörlich und ihr Herzschlag raste. Immer noch kein Zeichen vom Mond, der doch ihr Freund war.
\"Mond?\", rief sie verzweifelt, vielleicht hätte sie das auch schon früher tun sollen. Sekunden verstrichen, oder waren es Minuten?, sie wusste es nicht genau, doch die Zeit verstrich und sie erhielt keine Antwort. Tränen rannen ihr schmales Gesicht herunter und tropften auf die Wolken. Sie fing an zu laufen, sie wollte der Dunkelheit entfliehen, ihr Haare wehte hinter ihr her und ihr Kleid kam ihr nun ausgesprochen furchtbar vor. Sie wollte es nicht mehr. Es war nicht mehr schön, denn die Nacht ließ es ebenfalls dunkel aussehen, und davor hatte sie Angst. Noch im Lauf zerrte sie es zentimeterweise über ihren Kopf und warf es panisch von sich. Sie schaute nicht einmal, wo es hingefallen war, sondern rannte einfach nackt weiter um den Mond zu suchen. Tiefer in die Dunkelheit, vor der sie sich doch fürchtete.
 

Zarathustra

Mitglied
Dein Wolkenreich ist eine reife Geschichte.
Mir hat sie gefallen.
Sprachlich hat sie nicht die professionalität, die sie haben könnte, nicht die Routine...

Aber genau das macht deine Geschichte sehr, sehr liebenswert.

Schreibe weiter..

L. G. Hans
 

sohalt

Mitglied
Leicht wie eine Feder,
frei wie ein Vogel,

ja klar - und rot wie eine Rose,
schnell wie der Wind,
klar wie ein Bergsee
schwarz wie die Trauer
etc., etc.

Mit diesen Bildern musst du sparsamer umgehn, sie haben einmal gut funktioniert und tun es teilweise immer noch, aber sie sind doch sehr abgegriffen.

Gleich 2 davon im 1. Absatz - das ist jedenfalls zu viel des Guten.

Überhaupt: Dieser Text ließe sich sicher wunderhübsch zusammenkürzen.

Könnte sich auszahlen.

lg
Sohalt
 

Calypso

Mitglied
Zarathustra: Danke

Sohalt: Erstmal danke für deine Kritik, ich werde in Zukunft mehr drauf achten. Ich gebe zu, dass der Text etwas lang ist und ich manche Stellen nicht so hätte ausbauen müssen.
Vielleicht sind die Bilder schon zu oft gebraucht worden, aber ich denke, das verdeutlicht besser das, was ich ausdrücken wollte, als wenn ich es weggelassen hätte.
 



 
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