Worte

Senerva

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Worte

„Nun sag schon.“
„Maaaan … Weißt Du, wie schwer das Ganze für mich ist? Ich will ja, dass Du es weißt. Aber ich kann es Dir nicht sagen.“
Sie schnaubte ein wenig genervt. „Warum nicht?“
„Reicht es, wenn ich Dir sage, dass es leichter für mich wäre, wenn Du nun vor mir stehen würdest?“
„Vielleicht …“, es war kaum mehr als ein Flüstern, welches dort über ihre Lippen kam.
„Du sagtest, Du hast meinen Brief bekommen?“
„Ja …“
„Glaubst Du die Worte, die dort stehen?“
„Mein Gott! Wie soll ich Dir die Worte glauben, mh? Weißt Du, wie beschissen ich mich fühle? Ich hab zwei Monate nichts mehr von Dir gehört – keine SMS, keine Anrufe, kein Wort. Einfach nichts.“
Er seufzte leise auf und man hörte es leise im Hintergrund knacken. „Es tut mir leid. Was kann ich dafür, wenn meine Festplatte einfach den Geist aufgibt?“
Würde sie nun vor ihm stehen, würde er sehen, wie sie den Kopf schüttelte. „Du hättest wenigstens Deinem Kumpel Bescheid sagen können – schließlich kenne ich ihn.“
Nun klang er verwundert, als er tief die Luft einsog. „Ist das nicht egal? Schließlich habe ich Dich jetzt angerufen.“
„Ja und ich will jetzt wissen, was das Ganze soll.“
„Was denn?“
„Wegen dieser ganzen Heimlichtuerei … was willst Du mir denn jetzt sagen?“
„Du gibst es wohl nicht auf, nicht wahr?“ Er lachte leise.
„Nein … eigentlich nicht. Du weißt doch, dass ich einen Dickkopf habe.“
„Kannst Du jetzt bitte auflegen, eh?“ Die Stimme drang völlig unerwartet aus dem Hintergrund, sodass sie leicht zusammenzuckte.
„Du?“
„Mhm?“
„Kann ich Dich morgen wieder anrufen?“
„Ja, ist kein Problem.“
„Gut … tschüss.“
„Tschüss.“ Er legte auf – das Besetzzeichen des Telefons fraß sich fast schon zu tief in ihre Erinnerung.

Sie ließ sich zurück in die Kissen sinken und seufzte leise. Ihre Augen schlossen sich und ihre Gedanken kreisten um diesen einen, wohl nicht existierenden Punkt, der in der Verwirrung ihres Kopfes existierte. Langsam drehte sie sich auf die Seite, so versuchend, eben jene Verwirrung zu stoppen und zu ‚entwirren’ – doch vergeblich. Sein Anruf hatte bewegt, dass sich ihre Augen verschleierten und sie diese zusammenpressen musste, sodass keine Tränen ihren Weg über ihre Wangen finden. Es raschelte leise, als sie ihr Bein hob und dieses ausstreckte. Sie hob eine Braue – ein Griff genügte, um ein Stück Papier unter dem Bein hervor zu ziehen. Zuckte dort wirklich ein Lächeln um ihre Mundwinkel, als sie das Papier auseinander faltete? Nein. Die Gefühle, die zuvor noch die Obermacht in ihrem Körper inne hielt, waren geschwunden. Vorsichtig glättete sie das Papier ein wenig, um im schwachen Licht des Mondes, welches durch ihr Fenster drang, die Buchstaben entziffern zu können, die dort geschrieben standen.
Sie hatte seinen Brief nie wirklich gelesen – eigentlich nur die ersten drei Zeilen und die letzten Beiden. Doch, der Brief ging über gut eine Seite und die letzten Zeilen hatten schon genügt, um unendliche Tränen des Schmerzes hervor zu rufen – nein, sie mochte ihn nicht lesen, nicht jetzt … und doch.
Ein leises Seufzen entglitt ihren trockenen Lippen, als sie sich vorn über beugte und langsam anfing zu lesen – sie tastete sich Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Satz vor Satz, vor. Es war eine Qual, die sie nie vergessen würde. Die einfachen und doch so simplen Worte, die dort geschrieben standen, ließen ihr Herz schneller schlagen und ihr Atem glich mehr einem Keuchen, als dem langsamem, ruhigen, das man von ihr gewohnt war. Obwohl sie wusste, wie dieser Brief zu Enden vermochte, tropften Tränen auf jenes Papier hinab und verwischten einige Worte, die nun nicht mehr als einem kleinen, schwarzen, undefinierbaren Fleck glichen. „ … ich war noch nie gut darin sachen zu beenden, doch muss ich langsam zum ende kommen.ich hoffe du glaubst meinen worten noch ein letztes mal...selbst wenn ich sage ich liebe dich...bye.“
Das Papier raschelte leise, als es seinen Weg zu Boden suchte. So einfache Worte, die Gefühle in ihr hervorriefen, die sie all die Jahre unterdrückt hatte. Einfache Worte … und sie wusste, mit einem Mal, dass es die Wahrheit war – und sie ihm nur zu gerne glauben würde. Doch konnte sie es wirklich? In diesem Moment klingelte das Telefon.

@J.G. - 29.11.2003
 



 
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