Wortstellung und Grammatik in Lyrik

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wieweit gilt die Wortstellung der deutschen Sprache in "normaler" (nicht experimenteller) Lyrik heute?

In einem "normalen" Aussagesatz steht das Verb an zweiter Stelle der Satzglieder. Gilt das auch in Lyrik?

Ich habe das Gefühlt, dass Lyrik teilweise eine eigene Grammatik besitzt. Nicht alle akzeptieren diese.

Beispiel:

Ich heute in die Schule gehe,
wobei ich viele Bäume sehe.

"Gehe" in der ersten Zeile ist wegen des Reimes nach hinten gerutscht.

Wieweit ist das zulässig?

Niemand kann es verbieten. Ist es aber auch guter Stil?
Was meint Ihr?

Gilt die "normale" (präskriptive) Grammatik auch für die Lyrik - zumindest für die, die nicht mit der Grammatik bricht?

Hat experimentelle Lyrik eine eigene Grammatik? Oder ist es nur zufälliges Aneinanderreihen von Formen?

Wie beeinflussen Rhythmus und Reim die Grammatik?
 
Lieber Bernd,

das ist eine prima Idee von dir. Leider kann ich da aber nicht mitreden, habe zu wenig Ahnung.

Vielleicht würden die Experten etwas hierzu sagen?

Lieben Gruß,
Estrella
 
H

Heidrun D.

Gast
Lieber Bernd,

dichten heißt doch, eine neue Sprache zu lernen und zu sprechen, die anderen Regeln und Gesetzen folgt als die der Prosa.

Lyrik verstößt bewußt gegen Satzbau, Wortkombination, Rechtschreibung, Satzzeichen, Wortbildung und Satzfolge. - Der Sinn liegt darin, den Leser zur Auseinandersetzung zu zwingen, Wörter von ihrer festgelegten Bedeutung zu entleeren, sie zu ver -rücken, letztendlich darin, Sprache zu befreien.

Im Regelverstoß bricht der Alltag auf und das Denken gleich mit. - Der Raum zwischen den Wörtern wird wichtig (Hilde Domin).

Gleichwohl muss das alte durch ein neues "Regelsystem" ersetzt werden, das zwar der Sprachfindung und -erfindung genügend Spielraum lässt, zugleich aber Brücken baut, um ein Verstehen überhaupt zu ermöglichen. Helfer sind hierbei die sog. Stilmittel.

Es genügt also nicht, einfach "falsch" zu schreiben, um Irritation hervorzurufen, sondern es so zu tun, dass die Absicht erkennbar wird und sinnvoll scheint.

Zwischen experimenteller, gereimter oder ungereimter Lyrik unterscheide ich hierbei nicht.

Herzliche Grüße
Heidrun
 
R

Rose

Gast
Hallo Heidrun,

eine gute Erklärung. Vielen Dank auch von mir.

Blumige Grüße
Rose
 
Lyrik verstößt bewußt gegen Satzbau, Wortkombination, Rechtschreibung, Satzzeichen, Wortbildung und Satzfolge. - Der Sinn liegt darin, den Leser zur Auseinandersetzung zu zwingen, Wörter von ihrer festgelegten Bedeutung zu entleeren, sie zu ver -rücken, letztendlich darin, Sprache zu befreien.

Im Regelverstoß bricht der Alltag auf und das Denken gleich mit. - Der Raum zwischen den Wörtern wird wichtig (Hilde Domin
Das finde ich äußerst interessant.

Lieben Gruß,
Estrella
 
H

Heidrun D.

Gast
Danke schön,
Rose und Estrella.

Tatsächlich lohnt sich die nähere Beschäftigung mit den verschiedenen Formen der Lyrik und ihren Theorien. Insofern begrüße ich Bernd`s Vorstoß in diese Richtung.

Mir ist schon öfter aufgefallen, dass es an Grundbegriffen mangelt. - Selbst die einfache Frage: "Was ist eigentlich Lyrik?" erhält in der Lupe die abenteuerlichsten Antworten, nämlich immer dann, wenn "geklärt" wird, dass es sich bei dem xy-Gedicht angeblich nicht um Lyrik handelt.

Hoffentlich fühlt sich nun niemand auf die Füße getreten ...

Theoriefreundliche Grüße
Heidrun
:)
 

atoun

Mitglied
Oh Heidrun,

wenn man Beiträge bewerten könnte, würdest du für deinen ersten Kommentar von mir ein glatte 10 erhalten.

Für Interessierte:

Wer das kreativ sehr schön und beispielhaft ausreizt, ist die Künstlerin Friederike Mayröcker.
Hier einmal ein Link zu einem Artikel von Lutz Hagestedt. Dort zitiert und rezensiert er drei ihrer Gedichte.
 
H

Heidrun D.

Gast
Danke, atoun!

:cool:

Friederike Mayröcker kannte ich bisher noch gar nicht *schäm) - natürlich habe ich das wintergeglückte Buch sofort bestellt (sogar brav über die LL, was ich sonst meistens vergesse); denn sie schreibt einfach großartig, genau wie du sagst. :)

Am besten aus der Dreierwahl gefällt mir das erste : Ein Gleiches. - Warum? - Weil ich in letzter Zeit auch öfter versuche, Traditionelles mit der Moderne zu verknüpfen, meist gerät mir das allerdings zu epigonenhaft.

3 Schmatzibussi für diesen wertvollen Tipp, schon jetzt giere ich heftigst nach dem Buch ... :D

Liebe Grüße
Heidrun
 



 
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