Wurde einst Genosse, doch war es bald nicht mehr...

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Lambertus

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Da saß er also hinter seinem riesigen alten Schreibtisch, der kleinwüchsige, fettleibige Genosse Artur Groos, Parteisekretär dieses Unterbezirks. Vor ihm Aktenberge, teils vergilbt, wie sie gern Leute vor sich aufbauen, die ihre Wichtigkeit betonen möchten. Mit einer laschen Handbewegung, die so etwas Gnade Erweisendes ausdrückte, lud er uns ein, Platz zu nehmen.

Klaus W., der mich begleitete und mir dieses Treffen mit dem Genossen Groos vermittelt hatte, bedankte sich artig, setzte sich etwas abseits, während ich in den Sessel vor dem abgestoßenen Schreibtisch plumpste. - Heute denke ich, dieses Sitzmöbel wurde nachträglich tiefer gelegt, denn - damals immerhin schon über 1,80 m - war ich sitzend plötzlich kleiner als Genosse Groos. Da war ich dann so, wie er mich sehen wollte, - oder wie ich ihn sehen sollte.

Ich war damals junges Parteimitglied voll überschäumender Überzeugung und wollte gern aktiv sein. Eine Kommunalwahl stand bevor. Prominente Redner wurden zu Wahlveranstaltungen erwartet. - Es war üblich, dass vor dem Hauptredner bis zu fünf Leute kurze Vorreden hielten, man nannte sie “Vorredner”, - Leute aus dem Partei-Volk, gut gemixt zwischen jung und alt, Arbeitern und Angestellten, die dann ihre - wie man heute neudeutsch sagt - “statements” abgaben. - Ich hatte einen Text verfasst, den ich für ganz toll hielt und den ich gern in einer Wahlveranstaltung vortragen wollte. Dazu diente beim Genossen Groos dieser Termin, den mir Genosse Klaus W. - Jungsozialisten-Vorsitzender - verschafft hatte.

Bisher hatte ich alle Parteimitglieder ebenso geduzt wie sie mich duzten. - Klaus W. hatte mir im Vorfeld zugeraunt: “Falls du nicht selber drauf kommst: Es heißt Genosse Groos und Sie... Klar?”

Ich nickte, sah das aber gar nicht ein. Und so saß ich dem kleinen Genossen Groos in dem tiefergelegten Sessel wie ein Häufchen Elend gegenüber und schaute gebannt auf den Parteisekretär, der missmutig meinen Text betrachtete und dabei grummelte wie beim widerwilligen Diagonallesen. - Exzellenz als Anrede hätte besser gepasst als Genosse...

Stöhnend lehnte sich Seine Exzellenz zurück, griff nach einem Zigaretten-Etui, tippte den Glimmstengel einige Male auf und schob ihn zwischen seine farblos erscheinenden Lippen. Dann kramte er aus seiner Westentasche ein Feuerzeug heraus, betrachtete es eine Weile liebevoll und reichte es mir herüber. “O danke,” sagte ich ebenso artig wie überrascht; denn ich hielt das für ein Geschenk.

In diesem Augenblick sprang Genosse Klaus W. auf, entriss mir das Feuerzeug, entschuldigte sich bei seiner Exzellenz, gab ihm eiligst Feuer und reichte ihm untertänigst sein Feuerzeug zurück. - Aus meiner Rede wurde nichts. Ich müsse noch viel lernen, sagte man mir. - Wie wahr... Den Knacks in mir hätte man eigentlich hören müssen!

Dies ereignete sich nicht etwa in der SBZ (sowjetisch besetzte Zone) bzw. in der DDR! - Nein, dies geschah im Westen in der Landeshauptstadt Düsseldorf Ende der 50er Jahre. - Bund und Land wurden regiert von den Konservativen. Es war die Adenauer-Ära, die Zeit des eisernen Alten, der wusste, was er wollte und der eine genaue Vorstellung hatte, was wie aus Deutschland werden sollte, - ein Kanzler, der sich durchzusetzen vermochte, entweder andere überzeugend oder andere über- bzw. umgehend oder auch mal hintergehend. “Nur nit so pingelig,” war seine Devise auf dem Hintergrund einer urkonservativen Grundhaltung mit katholisch-klerikaler Verkettung. Dieser Kanzler hatte Erfolg, in der Politik, im Herabwürdigen politischer Gegner und vor allem bei Wahlen. Der damalige allgemeine wirtschaftliche Aufschwung hielt ihn an der Macht, ging aber an meinem konservativen Elternhaus komplett vorbei. Die Situation schrie für mich nach Protest.

Ich sah damals soziale Ungerechtigkeiten an allen Ecken und Enden und diente einem Lehrherrn, den ich heute noch als asozialen Ausbeuter und Menschenschinder bezeichne. - Es sollte anders werden, ich wollte dabei sein, trat mit Begeisterung der SPD bei und kam altersbedingt zur Gruppe der Jungsozialisten, geleitet von Klaus W. -

Die Düsseldorfer Jungsozialisten waren damals ein “recht netter Haufen”, etwas chaotisch, aber sympathisch. - Wir unternahmen schöne Reisen, einige Male nach Berlin (alles vor dem Mauerbau) und zur Brüsseler Weltausstellung. - Diese Reisen verdienten durchaus den Namen “Bildungsreisen”; denn sie waren gut organisiert, schlossen politische und natürlich auch parteipolitische Bildungsforen mit ein, ließen aber genügend persönliche Freiheiten. - Wir bekamen oft Gelegenheit, mit hochrangigen SPD-Politikern zu diskutieren. Und an diesem Punkt bekam meine Begeisterung wieder einen Knacks... Es gab Du-Genossen, und es gab die höhere Ebene mit den Sie-Genossen... Alle Genossen waren gleich, aber ich lernte den widersinnigen Komparativ von gleich kennen: gleicher... Manche waren eben gleicher.

Nach meiner Lehrzeit vermittelten mir die Genossen einen Job bei einer Firma X in Bonn, angesiedelt in der sog. SPD-Baracke. Diese Firma beschäftigte sich vornehmlich mit der günstigen Beschaffung von Papier für SPD-nahe Zeitungen. - Eine Menge Leute betätigten sich hier irgendwie, bis der Tag zu Ende war. Ich langweilte mich zu Tode und traute meinen Ohren nicht, als mir eines Tages mein direkter Vorgesetzter anriet, mir doch aus der Bücherei etwas zu lesen zu holen. Einige Male mussten wir auch antreten, dann nämlich, wenn der SIE-Genosse Erich Ollenhauer (damals SPD-Vorsitzender, korrekte Anrede “Genosse Vorsitzender”) aus aktuellem Anlass in der SPD-Zentrale eine Erklärung abgab.

Einen Monat langweilte ich mich hier herum, dann hatte ich auf dem freien Markt einen neuen Arbeitsplatz gefunden, der diesen Namen verdiente. Immerhin hatte ich gelernt, wie ein wirtschaftlich-arbeitender Betrieb nicht funktioniert, bzw. wie man einen solchen ruiniert, wenn es keine Subventionen gibt. - Wenn ich heute etwas von Subventionen für Wirtschaftsunternehmen höre, habe ich stets diese “Witz-Bude” vor Augen... Aber vielleicht machte X ja trotz allem Gewinn; dann zahlten halt deren parteigebundenen Kunden die Zeche. Solidarität statt Wettbewerb, Relikte aus der Planwirtschaft... Mir wurde mulmig bei solchen Gedanken.

Es dauerte nicht lange, da sank meine Partei-Aktivität nach und nach auf den Nullpunkt. - Ich blieb zwar Mitglied, zahlte meine Beiträge, verteidigte auch die Ziele der Partei vehement gegenüber Andersdenkenden, nur eines fiel mir immer schwerer: die Kommunikation mit den eigenen Genossen. Schließlich mied ich sie völlig. Sprachen wir noch die gleiche Sprache?

Mein neuer Chef war ein knallharter Bursche, der ständig betonte, kein Sozialamt zu sein. Vor einer Wahl forderte er seine Angestellten ungeniert auf, richtig - nämlich CDU - zu wählen. Und irgendwann konnte ich meinen Mund nicht halten, und so erfuhr mein neuer Boss, dass ich SPD-Mitglied war. Er sah mich groß an, ich errötete ob dieser Peinlichkeit, und er lachte sich deswegen halb schief. -

“Richtig so,” meinte er gnädig, “wer in der Jugend kein Revolutionär ist, der hat kein Herz. - Nur, junger Freund, wer im Alter immer noch Revolutionär ist, der hat keinen Verstand!” - Fortan frotzelte er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wegen meiner Gesinnung herum. In einem Rundschreiben, in dem Mitarbeitern eine Gehaltserhöhung angekündigt wurde, fand sich bei mir z.B. der handschriftliche Vermerk meines Chefs: “Gilt auch für Sozialisten”. - War ich nun bei ihm “unten durch”...? - Wahrscheinlich... Würde mir bei nächster Gelegenheit gekündigt? - Ich war davon überzeugt; denn eines war mir bis dahin im Leben zu selten begegnet und daher geradezu fremd: Toleranz.

Der Chef paukte uns ständig ein, welche Pflichten wir hätten. Irgendwann gab es mal eine Auseinandersetzung deswegen in größerem Kreis. Einzige Antwort des Chefs: “Und ihr haltet mir ständig vor, welche Rechte ihr habt... Also, ist das doch alles ausgeglichen.” - An diesem Abend habe ich viel über die Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten nachgedacht. Und darüber, dass es ehrlich empfundener und gelebter Toleranz bedarf, beides anzuerkennen. - War der Chef vielleicht - obwohl CDU-Mitglied - vielleicht gar kein so übler Kerl?

Dann plötzlich an einem Mittwoch, es war kurz vor Feierband, rief mich mein Chef zu sich, musterte mich einen Moment und fragte, wie alt ich sei. Ich erwartete den Rausschmiss.

“Dreiundzwanzig.”

“Das ist sehr jung... Hm - hm - hm... Ich habe soeben meinen Bruder fristlos entlassen und brauche sofort jemanden als Leiter unserer Niederlassung in Gelsenkirchen, der dort wieder für Ruhe und Ordnung sorgt. “ - Und fügte ironisch lächelnd hinzu: “Mit Ihrer Sozialvorbildung sollte das ja kein Problem für Sie sein... Ich traue Ihnen das mal zu - trotz Ihrer Jugend. Enttäuschen Sie mich nicht.”

Am nächsten Morgen fuhr ich nach Gelsenkirchen, hatte privat ein Firmenauto zur Verfügung und stand vor der Aufgabe, einen total verlotterten Laden wieder auf Vordermann zu bringen. Gutwillig und unerfahren - weil eigentlich für diese Aufgabe wirklich zu jung - geriet ich so voll in die Mühlen der Interessenskonflikte zwischen Unternehmens- und Arbeitnehmer-Interessen, die zunächst darin bestanden, sich alle möglichen und unmöglichen Freiheiten zu sichern, die mein Vorgänger stillschweigend geduldet hatte. Ich machte gewiss viele Fehler. Es kam zu lautstarken Auseinandersetzungen bis hin zu fristlosen Kündigungen. Und da kamen die Genossen in persona von Gewerkschaftlern wieder auf mich zu, die mir erklärten, dass es keine Arbeitsverweigerung sei, wenn jemand meine Anordnungen nicht befolgen würde. - Es sei auch kein Grund zur Entlassung, wenn fast täglich die Kassenabrechnung nicht stimmte... usw.

Als ich in der Filiale Gelsenkirchen wieder eine verlässliche Truppe zusammen hatte, war ich ein Jahr älter - und kein Revolutionär mehr. - Mein Parteibuch hatte ich längst zurück gegeben. -


© Lambertus, September 2002
 

tommix

Mitglied
Ja so sind sie, die echten Genossen... Vereinsmeierei, von der sich die SPD bis heute nicht befreien konnte. Schöner Erlebnisbericht! Gruß, tommix
 
Wurde einst Genosse...

Könnte aus der Serie Büro, Büro sein.
Nach dem schnittigen Einstieg mit Parteisekretär Groos und der verblüffenden Erklärung, dies sei nicht in der DDR geschehen, sondern in D´dorf, fühlte ich mich gebremst im folgenden Teil, der geraffte persönliche und Unternehmenssituationen schildert.

Obwohl mir nach 5 jähriger Arbeit im Büro dieses ewige Revoluzzerimage gut vertraut ist, fehlte mir doch der Dialog plötzlich. Es wird so fürchterlich dokumentarisch.

Dann wieder Dialog am Ende mit dem Chef über Leitung einer Abteilung.
Und abschließend noch mal indirekte Rede.

Wenn du aus dem zusammenfassenden Teil, wo du über politische Gegebenheiten, und welche Erfahrungen du in den Betrieben gesammelt hast noch mehr in Dialoge auflösen könntest, käm das sicher gut, denn ich finde, die Dialoge gelingen dir!

Den Umschwung vom Angestellten zum Filialleiter könnte ich mir auch gut vorstellen.

Um die absteigende Kurve (aus der Sicht eines jungen Revoluzzers) noch zu verstärken, könnte man sagen:
....war ich kein Revolutionär mehr. Mein Parteibuch hatte ich längst zurück gegeben.
Ich las jetzt „Kapital“ und war in einem Golfclub Mitglied geworden.

Na, ja, du verstehst schon!
Grüße
Dd
 
P

Parsifal

Gast
Wurde einst Genosse

Hallo Lambertus,

wie sich die Bilder gleichen! Es ist fast, als läse ich meine eigene "Partei-Karriere": mit 18 in die SPD eingetreten, stolz und provokant in erzkatholischer Umgebung das Parteiabzeichen getragen, Wahlplakate geklebt, stolz auf den Titel Wahlkreisdeligierter; mir für die Partei die Beine ausgerissen; in Versammlungen erlebt, wie alte Genossen in Diskussionen als einziges Argument auf ihre 40jährige Parteizugehörigkeit pochten; nach Jahren der Enttäuschung mein Parteibuch zurückgegeben - nur das Parteiabzeichen liegt noch in irgend einer alten Schublade.

Parsifal
 



 
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