Zahnlose Helden

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Axel B

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Zahnlose Helden
Von Hans Ardin

Sie hatten sich von ihren Frauen, Kindern und Enkelkindern verabschiedet. Nun standen die neun Freunde des Kegelklubs „Voll auf die Neun“ am Bahnhof und freuten sich auf eines der letzten Abenteuer eines typisch deutschen Mittelstädters. Ihr diesjähriger Kegelausflug führte sie aus der niederrheinischen Tiefebene hinaus an die Nordsee, wo sie vergnügte fünf Tage verbringen wollten. Während dieser Zeit, so war es fest eingeplant, wollten sich die Landratten aufs offene Meer hinaus wagen und mit einem dieser kleinen Kutter noch vor Sonnenaufgang zum Krabbenfischen auslaufen.

Fünf Tage Freiheit. Keine Ermahnung, nicht so viel oder so früh schon Alkohol zu trinken. Fünf Tage angefüllt mit Männerwitzen und Dummen-Jungen-Streiche. Fünf Tage umgeben vom stürmischen Herbstwetter, das keine andere Betätigung zuließ, als in Ermangelung guter Kegelbahnen den Tag mit Skat und Geschichten von früher zu verbringen. Fünf Tage lang wieder ein Mann sein. Fünf traumhafte Tage, die ihre Krönung finden sollten in der abenteuerlichen Kutterfahrt.

Ihre Unterkunft fanden sie in Fetterstrich. Ohne dass darüber abgestimmt werden musste, war sofort klar, dass man dort, und nur dort übernachten konnte. Endlich angekommen entschied man, dass für fünf kurze Tage die Koffer nicht groß ausgepackt werden müssten, und man sich in 10 Minuten zu einem „Wir – Sind – Da - Bier“ treffen könne. Ein „Endlich – Weg - Bier“, verschiede „Gegen – Den – Durst – Zwischendurch - Biere“ sowie etliche „So – Trocken – Schmeckt – Kein – Bier - Schnäpse“ hatte sie auf der Zugfahrt schon genossen. Das schmälerte die Vorfreude auf das „Endlich – Da - Bier“ aber nicht im Geringsten. Müde von der anstrengen Fahrt beschlossen die Freunde, die bis auf ihr 56jähriges Küken alle seit einigen Jahren pensioniert waren, um kurz vor ein Uhr zu Bett zu gehen, um sich für das Kommende auszuruhen.

Am nächsten Tag ging die Truppe die ganzen 1483 kurzen Schritte zu Fuß nach Neuharlingersiel, um sich den Hafen und die von dort auslaufenden Krabbenkutter genauer zu betrachten. Obwohl das Frühstück gut und reichlich gewesen war, freuten sich die Freunde auf einen ausgedehnten, wenn auch ausschließlich flüssigen Imbiss in der typisch ostfriesisch eingerichteten Hafengaststätte. Reichlich Pils verdünnt mit je einem Aquavit sorgten dafür, dass sich die Männer nun gewappnet fühlten, den Weg zurück zu Ihrer Unterkunft anzutreten, 1687 kurze Schritte in leichten Schlangenlinien. Nach diesem durch körperliche Anstrengung geprägten Tag genossen sie die Ruhe des Abends beim Kartenspiel und einem Bierchen.

Der folgende Morgen brachte eine freudige Abwechslung in die Gleichförmigkeit des Wartens auf den großen Tag der Kutterfahrt. So klein Dörfer und ihre abseits gelegen Höfe in Ostfriesland auch sein mögen, sie sind nicht klein genug, als dass sich nicht zwei zufällige Reisegruppen am selben Ort, in derselben Herberge zur selben Zeit treffen könnten. Die Damen des Frauenkegelklubs „Silberkegel“ hatten bereits im hinteren Teil des Frühstücksraumes Platz genommen, als die Freunde von „Voll auf die Neun“ in voller Klubstärke den Raum betraten. Auf den Gesichtern zeigte sich auf der einen Seite neutrale Überraschung, auf der anderen Seite Freude bis hin zu einem lange vergessen geglaubten Instinkt getriebenen Interesse. Die zehn „Silberkegel“ waren nicht im Geringsten silbern, was sicherlich zu einem Teil der Natur aber zu einem weitaus größeren Teil der Kunst des heimischen Friseurs zu verdanken war. Dieser Umstand gepaart mit einem nicht unerheblichen Restalkohol war der Grund dafür, dass die Männerriege das Alter der Damen etwas zu niedrig und ihre Chancen auf einen gemeinsamen, feucht fröhlichen Abend etwas zu hoch einschätzten. Vereinzelten Blickkontakten folgte bald das eine oder andere schüchterne Lächeln zwischen den Gruppen. Ein „die Welt ist so klein und kann doch so schön sein“ wurde von den „Silberkegeln“ sehr zum Missfallen der Rheinländer ausschließlich auf die Landschaft bezogen. Ebenso brachte weder das „was machen wir Schönen denn heute Abend hier so mitten in der Wildnis“ noch ein „in Begleitung schmeckt das Bier doch gleich doppelt so gut“ die Männer dem Ziel näher, den Abend in weiblicher Gesellschaft zu verbringen. Danach wurden die Versuche eingestellt und stillschweigend gestanden sich die Freunde ein, früher in dieser Angelegenheit mehr Biss gehabt zu haben.

So vergingen auch die restlichen Tage nach dem gleichen Muster: Frühstück, 1483 kurze Schritte, Kutterbesichtigung, Einkehr in die Hafenkneipe, 1687 kurze Schritte in leichten Schlangenlinien, erfolglose Versuche, mit den „Silberkegeln“ einen intensiveren Kontakt herzustellen, Kartenspiel und vorwiegend flüssige Nahrungsaufnahme aus großen und kleinen Gläsern.

Dann endlich war er da, der Tag des großen Abenteuers. Sie waren am Vorabend eine Stunde früher als üblich auf ihre Zimmer gegangen, schließlich lief der Kutter schon um vier Uhr morgens aus und ein wenig Schlaf brauchten die Helden. Einer Katzenwäsche folgte ein flüchtiges Frühstück. 1483 kurze, bekannte Schritte zum Hafen und dort lag er vor ihnen, als sähen sie ihn zum ersten Mal: Ihr Kutter! Freudig erregt und stark restalkoholisiert verließen die Freunde das Land und betraten das Schiff. Ein starker Geruch nach Salzwasser und Krabben griff nach ihren Mägen. Mutig freuten sie sich auf die folgenden Stunden. Kaum hatten sie den schützen Hafen verlassen und wurden von der sterbenden Nacht umfangen, griffen Wind und Wellen nach ihnen und bestimmten den Rhythmus des ewigen auf und abs. Um sie herum begannen mit geübten Händen die Vorbereitungen für den Fang. Nach Kräften und gemäß ihren Fähigkeiten gingen die Freunde zur Hand, wo sie konnten. Alle Spannung, Freude und auch der feste, unerschütterliche Wille sich dagegen zu stellen konnten nicht verhindern, dass der fischige Geruch und das Schaukeln des Schiffes am Inhalt ihrer Mägen zerrten.

Nicht lange, und der erste Kegelbruder beugte sich über die Reling. Eindeutige Geräusche lieferten den endgültigen Beweis, dass die See über den Magen gesiegt hatte. Als der Magen nichts mehr zu geben bereit war, drehte sich der Mann zu seinen Freunden um, die in ein merkwürdig eingefallenes Gesicht schauten. Ein „mein Gebiff ift weg“ lieferte sogleich die Erklärung. Sie wären nicht der Kegelklub „Voll auf die Neun“ gewesen, wenn dies nicht der Ausgangspunkt zu einem grandiosen Streich gewesen wäre. Einer der verbliebenen acht Freunde mit Biss nahm nun seinen eigenen Zahnersatz, um ihn heimlich an eine Angel gebunden unter Ausrufen lauten Erstaunens aus den Wogen zu ziehen. In der irrigen Annahme, es sei sein eigener, löste der erste Kegelbruder ihn von der Schnur und überprüfte sofort den Sitz des kostbaren Stückes. In das schadenfreudige Gelächter der anderen flog die Prothese kurz darauf in hohem Bogen in die Wellen zurück. Mit „Pafft nift“ folgte die knappe, aber nichts desto weniger eindeutige Begründung.

Die Rückfahrt ins Rheinland verlief überwiegend schweigend und alkoholfrei. Von ihren Familien am Bahnhof in Empfang genommen berichteten sie ihren staunenden Lieben von den wilden Tagen am Meer, der unerwarteten und reizenden Gesellschaft, ihrem heldenhaften Kampf gegen die tobende See und den im Kampf erlittenen Verlusten.
 

Höldereden

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Hallo AxelB,

hab deine geschichte gelesen, aber ich finde irgendwie fehlt die pointe. Es plätschert nur so vor sich hin. Es ist auch nicht konsequent lustig oder so.
Ich meine ich brauch keine geschichte um mir vorstellen zu können was langweilige alte herren so in ihrer freizeit tun.

Sorry, hoffe du bis mir nicht böse. Würde empfehlen du überarbeitest die geschichte nochmal grundlegend, dass man sich biegt vor lachen, stoff bietet die geschichte auf alle fälle dafür.

Liebe grüße,
Höldereden
 

Axel B

Mitglied
Wenn die Geschichte bei Dir auf der Zunge den schalen Geschmack von abgestandenem Bier, Langeweile und Mitleid hinterlassen haben sollte, hätte ich mein Ziel erreicht. Ich wollte die Geschichte genauso erzählen, wie die Herren sind: Nicht spannend, ohne Pointe, eintönig. Selbst die eigentlich sehr witzige Szene mit dem Gebiss soll nicht komisch wirken, sondern eher traurig, unvollkommen.

Beste Grüße
Axel
 

Höldereden

Mitglied
Hi AxelB

also wenn das deine absicht war, dann hast du das in der tat erreicht:
auf der Zunge den schalen Geschmack von abgestandenem Bier, Langeweile und Mitleid hinterlassen
Somit ist es natürlich wieder gut!
Aber warum wolltest du das erreichen?

Grüße,
Höldereden
 

Axel B

Mitglied
Ich wollte, dass der Leser sich am Ende fragt: Und, war's das jetzt? Kommt nichtss mehr? Was sollte das.

Genau, wie es sich vielleicht die alten Herren am Ende ihres Lebens fragen. Ich wollte die Situation, die Gefühle, die Begeisterunsglosigkeit, die Resignation, die in Pseudo-Aktionen verpackte Letargie der alten Herren nicht nur erzählen, sondern für den Leser "erfühlbar" machen.

Der Leser soll sich am Ende des Textes für eine kurze Zeit so ähnlich fühlen wie die alten Herren.

Ciao
Axel
 

Mumpf Lunse

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hallo axel,
deine alten herren sind permanent besoffen und guter dinge.
die fragen welche du, laut deinem kommentar, verdeutlichen wolltest wirft nicht der inhalt der geschichte sondern die umsetzung auf.
der leser langweilt sich - nicht die 'helden'.
um langeweile und perspektivlosigkeit lesebar zu machen muss es spannend und fesselnd geschrieben sein.
es reicht nicht eine langweilige geschichte zu schreiben und dann zu sagen 'ich wollte langeweile ausdrücken'.
das ist es was uns allen nur zu gut gelingt - leser langweilen fällt jedem autor leicht. ;)
mitleid habe ich nie empfunden, warum auch.

oder verarscht du uns mit deinen erklärungen zum text?

einen schönen abend
mumpf
 

Axel B

Mitglied
Ich bin nicht der Meinung, dass ich mit einer spannend oder lustig geschriebenen Variante beim Leser das Nachempfinden der Langeweile hervorrufe. Im Gegenteil! Spannung oder Vergnügen erzeugen genau den Gegensatz, nämlich Kurzweil.

Wenn ich am Ende des Textes denke: "Wow, nie so einen geilen Text über Langeweile und Durchschnittlichkeit gelesen. Ich hab mich prima unterhalten gefühlt, und jetzt kann ich es mir gut vorstellen", ist das nicht das gleiche, wie wenn ich denke: "Jetzt ist es vorbei und irgendetwas hat gefehlt. Das hatte ich mir anders vorgestellt." Und genau das ist es doch, was die Alten Herren fühlen, ohne es ausdrücken oder ändern zu können oder zu wollen.

Ciao
Axel
 

Mumpf Lunse

Mitglied
leser lesen texte weil sie fesselnd sind. nicht weil sie erwarten am ende etwas zu spüren, von dem sie noch nicht genau wissen was es sein wird.
ich jedenfalls höre auf zu lesen wenn es mich langweilt.
bei deinem text erwartet man ja - weil du es am anfang in aussicht stellst - etwas 'interessantes'. dass es dann eher behäbig daher kommt lastet man dem autor an - nicht den feuchtfröhlichen herren. aus meiner sicht hatten die mehr spass als ich.

das bedeutet ja nicht das deine geschichte schlecht geschrieben ist!

lg
mumpf
 

Axel B

Mitglied
Mein Ziel bei diesem Text war es nicht primär, zu unterhalten, sondern den Leser mit einem Fragezeichen im Kopf zurück zu lassen. Wenn Du die Geschichte bis zum Ende gelesen hast, habe ich zumindest mein erstes Ziel erreicht. Wenn Dich das Leseerlebnis nicht befriedigt hat, habe ich mein zweites Ziel erreicht.

Wenn dies nicht dazu geführt hat, dass Du den Text daraufhin mit anderen Augen betrachtest und noch einmal die Lebenssituation der Alten Herren überdenkst, ob sie wirklich soviel Spaß haben, oder nur vorgeben, ihn zu haben, dann habe ich mein drittes Ziel eindeutig nicht erreicht.

Ich wollte ganz bewust die beschriebenen Situationen, die ja durchaus auch sehr witzig und komisch beschrieben werden könnten, tendenziell langweilig halten, damit Inhalt und Form in einem Gegensatz stehen, der (hoffentlich) dazu einläd, den Inhalt zu hinterfragen.

Axel
 

Mumpf Lunse

Mitglied
ich denke: ein text sollte immer (auch) unterhalten.
wenn du mir sagst es war lustig und aufregend, dann glaub ich dir, dass es für dich lustig und aufregend war. ob ich das so empfinde ist was ganz anderes. was ich lustig und aufregend finde weiß ich ja.
du hast dir die aufgabe gestellt, mich dazu zu bringen, ein urteil über das empfinden anderer abzugeben. was andere empfinden ist aber nicht bewert- oder diskutierbar. sie empfinden es eben.

Sie:'ich fühle mich in diesem haus sehr wohl.'
Er:'da fühlst du aber völlig falsch!'
Sie:'wieso?'
Er:'weil man sich in diesem haus unwohl fühlt'
Sie:'ich nicht'
Er:'eben, weil du es falsch fühlst'

ich glaube daran muss man scheitern.
 

Höldereden

Mitglied
Hi Axel,

ein bißchen muss ich mumpfluse recht geben, wenn eine geschichte ganz und gar langweilig gehalten ist kommt beim leser auch nicht dein gewünschter effekt zum ausdruck:
Jetzt ist es vorbei und irgendetwas hat gefehlt. Das hatte ich mir anders vorgestellt." Und genau das ist es doch, was die Alten Herren fühlen, ohne es ausdrücken oder ändern zu können oder zu wollen.
Der Leser müsste schon wenigstens eine art beziehung zu den herren aufbauen können, um das nach zu empfinden. Aber so sind sie dem leser einfach nur egal.
Mir hat sozusagen nichts gefehlt, weil noch nichts greifbares da war, eben irgendetwas womit man die herren identifizieren kann, und wenn ich in dem einen meinen onkel oskar erkenne oder so, aber in deiner geschichte bleiben die herren nur oberflächliche pensionärs trinker.
Weißt du was ich meine?
Hoffe das war nicht zu sehr "drauf rum gehackt"

Liebe grüße,
Höldereden
 

Axel B

Mitglied
Ich glaube, ich kann nicht gut genug rüberbringen, was ich erreichen wollte.

wenn du mir sagst es war lustig und aufregend, dann glaub ich dir, dass es für dich lustig und aufregend war.
Ich finde es gar nicht lustig. Im Gegenteil finde ich es traurig, dass das Highlight eines Lebensabschnitts darin besteht, einfach an einem anderen Ort Bier zu trinken, als gewöhnlich. Darüber hinaus wird das einzige wirkliche Highlight (Zahnersatz - das ist übrigens tatsächlich so passiert) nicht wirklich als solches wahrgenommen wird. (Ich hätte sonst diesen Punkt im Text viel mehr ausschlachetn können.)

du hast dir die aufgabe gestellt, mich dazu zu bringen, ein urteil über das empfinden anderer abzugeben.
Ich möchte nicht, dass ein (bewußtes) Urteil über das Empfinden anderer abgegeben wird. Urteilen wäre ein rationaler Vorgang. Ich möchte eine irrationale, emotionale Reaktion dahingehgend erreichen, dass der Leser eine ähnliche Leere empfindet, wie die Herren. Sich auf etwas freuen, und am Ende denken: "Es hätte gut sein können, eigentlich war es (das reale Geschehen) auch gut, aber warum fühle ich das nicht so?"

Ich werde, sobald ich Zeit habe, eine, vielleicht auch zwei alternative Fassungen schreiben (eine komische und vielleicht eine deprimierende) und gleichzeitig auch erläutern, warum ich dieses eigentlich nicht im Sinn hatte, als ich den ersten Text schrieb.

Ciao
Axel
 



 
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