S
Stoffel
Gast
Zeig nie wieder mit dem Finger auf mich!
Es war wieder einer dieser Tage, an dem Fredl vorzeitig, von der Schule, nach Hause geschickt wurde.
"Hosenpisser, Hosenpisser" riefen ihm seine Mitschüler hinterher und zeigten mit dem Finger auf ihn. Am schlimmsten von allen war Maximillian. Der Junge aus gutem Hause stachelte alle an. Und wenn er Fredl vermöbelte, klatschten sie Beifall. Dafür verteilte er dann hinterher immer Süssigkeiten an jeden.
Langsam schlich der kleine, rundliche Junge nach Hause und hoffte inständig, seinem Vater nicht unter die Augen zu kommen. Es war still in der kleinen Dreizimmerwohnung und er wusste, seine Mutter würde um diese Zeit noch im Bett liegen. Schnell zog er sich die nassen Sachen aus und etwas frisches an.
"Mein kleiner, süsser Schatz. Komm her zu mir", sagte sie träge und traurig sah er sie an, als er sich zu ihr ins Bett legte. Dann streichelte er ihr immer wieder über das blonde Haar.
"Schon gut Mami. Es ist alles in Ordnung". Sie kam meist erst in den Morgenstunden heim, war manchmal angetrunken und fiel halb ohnmächtig ins Bett. Mami musste das tun, damit sie sich bald eine eigene Wohnung nehmen konnten, sagte sie ihm immer wieder. Weggehen wollte sie mit Fredl, von dem Mann, der sie nur noch tyrannisierte.
Fredl erledigte seit langem schon die Einkäufe, aber das machte ihm nichts aus. Manchmal bekam er mit, wie die alten Damen der Nachbarschaft sich gegenseitig anrempelten und mit dem Finger auf ihn zeigten.
"Da, schau doch, das ist der arme Bub von der Hure," hörte er sie tuscheln. Am Abend kam der Vater heim. Wie so oft, war er betrunken. Ängstlich lag Fredl im Bett. Er zog die Decke unters Kinn und lauschte. Seine Mutter weinte und wieder einmal schlug er auf sie ein.
"Laß den Jungen in Ruh!" rief sie ihm hinterher, als er die Tür zu Fredls Zimmer aufriss. Sein langer Schatten lag bedrohlich über Fredl.
"Du verdammter Drecksbengel!" brüllte der Vater und wedelte mit einem Brief in seinen Händen.
"Hab ich dir nicht schon hundertmal gesagt, Du sollst die anderen Kinder in Ruhe lassen? Ich werde mir extra eine Stunde frei nehmen müssen, um mir deine Schandtaten anzuhören."
Fredl setzte sich zitternd auf und wusste, was ihn jetzt erwartete.
Maximillian grinste, als er Fredl mit dem blauen Auge sah.
"Hat dich dein versoffner Vater mal richtig in die Mangel genommen, was? Dann brauch ich das ja heut nicht tun". Die Lehrerin sah über Fredl hinweg. Für sie war er nur das schwer erziehbare Kind einer anrüchigen Familie.
Am Abend setzte es wieder eine Tracht Prügel. Dabei hatte er sich doch stets nur verteidigt, gewehrt gegen die anderen. Seit diesem Abend ließ er alles über sich ergehen. Steckte die Prügel seines Vaters und die von Maximillian ein, ohne sich zur Wehr zu setzen, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben.
Als er in die Strasse einbog, sah er Polizei und Krankenwagen vor dem Haus stehen, in dem er wohnte und ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn. Keuchend stand er in der Schlafzimmertür und sah, wie ein Samariter seine Mutter versorgten. Hinten stand ein Polizist und eine Nachbarin zeigte mit dem Finger auf Fredl. Er hörte seinen Vater, wie er in der Küche wie ein Schlosshund heulte. Als sie ihn abführten, sah er Fredl hasserfüllt an.
"Du verdammter Hosenpisser!" Schrie er Fredl an. "Du bist an allem Schuld, du und deine verhurte Mutter". Es war das letzte Mal, daß er die Bierfahne seines Vaters roch.
Die Zeit bei Omama gab Fredl Ruhe. Die alte Frau hatte ihm mit Liebe das kleine Zimmerchen eingerichtet und gab ihm die Kraft, die Schulzeit zu überstehen. Und kam er traurig von der Schule, machte sie ihm Palatschinken, den aß er am liebsten. Fredl besuchte seine Mutter regelmässig im Pflegeheim, in das man sie mittlerweile verlegt hatte. Immer und immer wieder strich er über das mittlerweile grau durchzogene, blonde Haar. Ganz fiedlich lag sie da, als würde sie schlafen und ihm gefielen ihre weichen Gesichtzüge, die er vorher nie kannte. Die Ärzte gaben der Komapatientin keine Chance mehr auf ein Erwachen, sagten ihr Gehirn wäre lang schon tot. Von seinem Vater hörte er nichts mehr. Zwei Jahre saß er ein wegen versuchten Totschlags.
Stolz zeigte er Omama sein Diplom. Nun war er ein Restaurantfachmann. Die alte Frau plünderte ihren Sparstrumpf und dann kaufte sie ihm einen schwarzen Anzug.
"Fesch siehst aus, mein Junge. Aus dir wird einmal was."
An ihrem Sterbebett versprach Fredl, immer ein guter Junge und ehrlich zu bleiben.Dieses Versprechen liess ihn niemals los.
Es war viel los in dieser Nacht, in dem exclusiven Nachtclub in Saalbach Hinterglemm. "Weißt du Junge, dich hat mir damals der Himmel geschickt." Sagte der alte Mann in dem schwarzen Anzug zu ihm. "Du bist für mich wie ein Sohn geworden, den ich niemals hatte. Ein guter Junge bist Du." Fredl musste an seine Mutter und Omama denken und lächelte.
"Und nun geh und schau nach unseren Gästen."
Fredl hatte ihm viel zu verdanken. Er war neu in dem Ort und auf der Suche nach einer Arbeit. Der Zufall wollte es, daß er Hubert traf. Es entwickelte sich in den drei Jahren eine tiefe Freundschaft und Hubert, der keine Erben hatte, überschrieb Fredl das Lokal.
Fredl spasste ein wenig mit den Gästen, die er schon von der letzten Wintersaison her kannte. Manchmal ließ er es sich nicht nehmen, sie selbst zu bedienen. Aufgeregt kam ihm Liz, eine der Bedienungen entgegen. Einer der Gäste würde das Personal anpöbeln und sie betatscht haben. Sie bat ihn, den Gast selbst zu bedienen. Fredl nahm das Tablett und ging auf den Tisch zu, wo der Störenfried mit zwei aufreizenden Frauen saß. Die anderen Gäste tuschelten, zeigten mit Fingern zu dem Gast und einige fühlten sich sichtlich gestört. Als er sich dem Tisch näherte. Dann stockte ihm der Atem. Im Eck saß sein alter Schulkamerad Maximillian und lachte laut.
"He, Kellner!" krakehlte er ihm entgegen. Fest umklammerte Fredl das Tablett und seine Hände zitterten ein wenig. Fredl übersah die kleine Stufe und kam ins Stolpern. Die umgefallenen, vollen Gläser auf dem Tablett ergossen sich über seine Hose und Maximillian sah Fredl zynisch in die Augen, die an ihm hinunter wanderten.
"Wenn das nicht unser kleiner Hosenpisser ist!" Lachte er und haute sich auf die Schenkel. Fast hätt ich Dich Versager nicht erkannt." Maximillian hob sein Glas und prostete ihm zu. "Da, schauts ihn nur an, den Hosenpisser!" Fredl bat ihn ganz ruhig, das Lokal zu verlassen und Maximillian lachte nur noch mehr. Er zeigte mit dem Finger auf Fredl und sein Gesicht wurde finster.
"Du, Buschi, hast mir hier gar nichts zu sagen!" Fredl sah Maximillians Finger genau vor sich, nah an seiner Nase und dann, dann biss er zu. Maximillian stand geschockt, mit aufgerissenen Augen da und wimmerte. Fredl spukte das abgebissene Fingerteil in Maximillians Champagnerglas und wischte sich mit der Serviette den Mund.
"Und Du, Du zeigst nie mehr mit dem Finger auf mich!"
"Du hast mir meinen Finger halb abgebissen."
Schrie er, als ihn die Türsteher fest packten.
"Ja. Das hab ich und es wurde Zeit. Und ich habe einen guten Anwalt."
Fredl schaute den Männern hinterher, als sie seinen alten Schulkameraden hinaus beförderten.
"Verzeih mir Omama."