Zeitenwende

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Isegrims

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Zeitenwende
Die weiche Teigmasse glitt von der Wand herab. Nicht gerade wie ein Ball, eher wie ein feuchter Lappen. Sie hinterließ an der Wand nicht einmal eine Spur von Fett. Er roch an ihr als er sie vom Boden aufgehoben hatte und warf sie dann weg. Das war sein Frühstück und er hatte nicht vor die Brioche zu essen, nachdem sie gegen die Wand geworfen worden war.
Dafür hatte er sich zu etwas anderem entschlossen. Er wusste noch nicht wie er es machen wollte, aber er würde es machen, er würde beginnen. Also schüttete er sich den Kaffee in den Rachen und machte sich fertig für den Weg ins Büro. Eine Krawatte würde er heute nicht brauchen: keinerlei Kundenkontakt. Seine Stellung verlangte bestenfalls ein Hemd und eine Hose, die nicht gerade eine Jeans sein sollte. Er nahm sich sein Hemd von der Stange. Seine Hemden hatte er an einer Stange im Kleiderschrank aufgehängt und zwar in der Reihenfolge wie er sie von der Reinigung holte und er wählte sein Hemd immer exakt so, dass er das Hemd nahm, das er am längsten schon an der Kleiderstange hängen hatte. Die Farbe des Hemdes bestimmte dann auch die Farbe der Schuhe: braun oder schwarz. Das war praktisch, weil er ohnehin nur Hosen in schwarz, braun oder dunkelblau hatte. Als er sich angezogen hatte - eines der weißen Hemden war dran – warf er noch einen Blick in den Spiegel. So schlecht gefiel ihm nicht, was er sah, schließlich hatte er trotz seines fortgeschrittenen Alters noch genügend Haare auf dem Kopf und noch war die Lichtung an der höchsten Stelle seines Kopfes kaum sichtbar. Ja, jetzt war er entschlossen. Er würde es machen. Warum auch nicht ? Es hatte nun schon den dritten Fall gegeben in dem Bürogebäude, in dem er arbeitete und er hatte schnell von seinen Kollegen davon erfahren. Die übliche Gerüchteküche war zwar gelegentlich unangenehm, weil Lügen und auch Wahrheit sich wie ein Steppenfeuer ausbreiten konnten und oft übertrieben wurde, um das Feuer weiter anzufachen, aber wenn etwas mehrfach und von mehreren Personen erzählt wurde, dann musste es wahr sein.
Es war ja auch ganz einfach und er glaubte, dass er es ohne Gefahr entdeckt zu werden, nachahmen konnte. Passiert war es sowohl in der Männer- als auch in der Frauentoilette. Gelber Urin, der sich auf den weißen Kacheln ausbreitete, sich seinen Weg bahnte, sichtbar wurde. Er wollte das alles noch ein wenig steigern und eine kleine braune Wurst hinzufügen. Er hatte keinen besonderen Grund dafür, es war ihm eher ein rätselhaftes, aber in seinem Inneren sich langsam bildendes Bedürfnis. Sicher hatte er überlegt, ob es dafür einen besonderen Grund geben konnte und warum er das ausgerechnet jetzt machen wollte: Ablehnung bei seinem Vorgesetzten, Ablehnung von Gehaltserhöhungen oder etwa, dass er seit Jahren für keine Beförderung vorgeschlagen worden war. Nein, er war ja ganz zufrieden mit diesem Stillstand. Schließlich stellte man auch keine besonderen Forderungen an ihn und er wurde weitgehend in Ruhe gelassen.
Zur Fahrt ins Büro benutzte er sein Auto. Ein alter Mercedes, der zwar schon einige Kratzer hatte, dessen Lack aber noch immer in der Sonne glänzte. Er genoss die Wärme im Auto, die Musik, die er ganz für sich alleine in seiner Kabine hören konnte, das Abgeschlossen-Sein, Für-sich-selbst-Sein auf dem Weg zur Arbeit. Zwischen 20 und 30 Minuten dauerte seine Fahrt im allgemeinen und er war glücklich, dass es nicht mehr war. Jeden Tag sah er sie ja, die Kolonnen stehender Autos, die in Richtung der Stadt unterwegs waren.
Er war müde von der Nacht, die er damit verbracht hatte seine Entscheidung zu treffen, ob er an dem Spiel teilnehmen würde oder nicht. Kaum zwei Stunden hatte er am Stück geschlafen.
Er freute sich auf den Kaffee, den er sich in der Kantine jeden Morgen holte. Die Maschine mahlte die Bohnen jeweils frisch und man konnte von Cappuccino bis Espresso alle möglichen Kaffeearten erhielt. Manchmal traf er dort einen oder eine der Bosse. Die Männer in weißen Hemden und schwarzen oder bestenfalls taubengrauen Hosen und die Hemden so glatt gebügelt und so weiß wie er nie ein Hemd zur Verfügung hatte. Solche Begegnungen an der Kaffeemaschine, ein wahrhaft demokratischer Ort in einer liberalen Gesellschaft, liefen im Grunde immer nach demselben Schema ab. Waren es Männer aus dem Vorstand oder den managementnahen Bereichen, kamen sie mit ihresgleichen zusammen, in anregende Unterhaltungen vertieft, die meist irgendetwas behandelten, was sie sich kürzlich gekauft hatten, am besten ein neues Auto.
Die Leute, die sich neben ihnen Kaffee holten, bemerkten sie gar nicht, so vertieft waren sie in ihre plänkelnden Gespräche und das war ja auch der große Vorteil. Sie mussten die anderen gar nicht bemerken, während sie mit geübter Geste das Papiertütchen öffneten, das den Zucker enthielt und es in den Kaffee schütteten während die Maschine noch mit einem satten Klang lief.
Waren es Frauen in entsprechender Position verhielten sie sich meist anders. Sie liefen mit Dauerlächeln durch die Flure, überzeugt von ihrer Erscheinung, von der Ausstrahlung, die von ihnen ausgehen sollte und nur, wenn man genau hinschaute, konnte man die vor dem Spiegel der anderen geübte Geste erkennen. Einer diese Frauen begegnete er, als er zufrieden, dass er so bequem und reibungslos ins Büro gekommen war und nachdem er sein Auto auf dem für ihn reservierten und von ihm monatlich bezahlten Stellplatz auf dem Parkdeck abgestellt hatte, zur Kantine ging und sich auf den Cappuccino freute. Eine großgewachsene, schlanke Frau, jung noch, viel jünger als er und gewiss gut ausgebildet und mit dem Willen zum Erfolg versehen. Sie lächelte ihn flüchtig an, trainierte ihren Gesichtsmuskel dabei ohne ein Gespräch mit ihm anzufangen. Sie beherrschte die Klaviatur der Konventionen, ließ ihren Kaffee durchlaufen, während sie zu den Vitrinen mit den Brötchen hinüber ging und ihm dann ihr „Grüß sie“ locker und entspannt entgegenwarf, verbunden mit diesem sympathischen Lächeln.
Er beherrschte das nicht, bewunderte es aber und sah es als Schlüssel zum Erfolg. Aber darüber machte er sich keine Gedanken mehr. Heute war er zufrieden und im Einklang mit sich selbst. Trotz der Müdigkeit, von der er wusste, dass sie am frühen Nachmittag, wenn das Essen, das er pünktlich kurz vor 12 Uhr hier in der Kantine zu sich genommen haben würde, in seinem Magen angelangt und zu ersten Verdauungsaktionen geführt hatte, am größten sein würde, war er ruhig und bester Laune. Sobald die Müdigkeit am größten war, würde er sein Vorhaben in die Tat umsetzen, vielleicht sogar früher. Fest entschlossen und freudig betrachtete er die langbeinige Frau, die sich ihren Kaffee nahm und zum Aufzug federte.
Er war an der Reihe, ja, er war an der Reihe. Er würde sich noch etwas Süßes an der Theke holen, beschloss er, als Milch und Espresso in die Tasse liefen und holte sich ein Schokohörnchen, das mit Puderzucker bestreut war, womit er seine Jacke bestreute und er sie mit den Händen über die beschmutzte Stelle streifend, säubern musste. Dennoch blieben kleine weiße Pünktchen auf der dunkelblauen Jacke. Er benutzte den Aufzug statt der Treppe. Im Fahrstuhl war er allein und er nutzte die kurze Fahrzeit in den 1.Stock noch, sich genau in dem Spiegel zu betrachten, der die hintere Wand der Kabine ausfüllte. Auf der Warze gleich neben der Nase wuchs ein dünnes Härchen, das er heraus zu reißen versuchte und es doch nicht erwischte, weil er nur eine Hand frei hatte. Im Spiegel fand er sich attraktiver als auf Fotos, die er von sich sah. Um das Härchen würde er sich später kümmern müssen. Jetzt galt es den Türöffner zu bedienen, um in die gesicherte Etage zu kommen. Kein Hochsicherheitstrakt mit Fingerabdruckscannern oder Iriserkennung, ein elektronischer Schlüssel, der sich in einem Plastikrechteck befand und mit einem Summen die Tür öffnete, die er dann noch an der Klinke zu sich ziehen musste.
Wie üblich hatte er seinen Laptop geschultert und wusste selbst nicht genau, warum er ihn jeden Tag in sein Auto lud, schließlich benutzte er ihn zu Hause nicht. Vielleicht war es, um sein Engagement zu verschleiern, vielleicht weil er sich damit wichtiger fühlte. Manchmal dachte er daran, was ihm eine Freundin erzählt hatte. Sie schrieb ihm fast täglich Emails und erzählte ihm von nächtlichen Internetkonferenzen und der Notwendigkeit permanent erreichbar zu sein, um über geschäftlichen Fortschritt der Maximierung des Nutzens zu arbeiten. Sie berichtete aber auch, dass sie sehr oft nur zu ein paar Stunden Schlaf in der Nacht komme. Sein Leben war anders.
Mit dem Öffnen der Tür begann die Begrüßungszeremonie. Jeden, den er sah, galt es zu grüßen und ihm ein „Guten Morgen!“ entgegen zu werfen. Das war lästig und manchmal vergaß er es auch. Hinter ihm - es war schon nach 9 Uhr und er stand noch am Wasserspender, der aufbereitetes Leitungswasser enthielt und an dem er sein Fläschchen in Firmenfarben mit Firmenlogo auffüllte, kam einer der Abteilungsleiter herein gehastet, ein hochgewachsener Mann mit Glatze, sportlich und gutaussehend, der gemeinhin eitel durch die Flure paradierte und die Gewohnheit hatte hinter verschlossenen Türen laut zu werden, seine Mitarbeiter anzubrüllen, wenn ihm etwas nicht gefiel.
Jetzt aber an die Arbeit. Als er das Großraumbüro öffnete begrüßte er die Anwesenden. Sechs in einem kleinen Büro, in dem gerade Platz war für die aneinander geschobenen Schreibtische und einen knappen Freiraum für die Eingangstür. Im Grunde ließ es sich ganz gut leben und arbeiten in diesem Raum, den er meistens als abgeschlossene Gemeinschaft empfand. Zwei Frauen und vier Männer. Ohnehin waren meistens nur die Hälfte anwesend und die übrigen entweder in Urlaub, krank oder in irgendwelchen Meetings. Claus war schon da, sonst war das Büro leer. Claus war kleinwüchsig, etwa 1,50m groß und hatte auf seinem rundlichen Kopf einen letzten Rest von Haarkranz, meistens gute Laune und ein Lachen, das durch die Zähne zischte wie ein Geschoss und einem hohen Zischlaut glich.
„Weißt du, dass die Silvia gestern mitten im Meeting gerülpst hat ?“, sagte er zur Begrüßung und er antwortete „Wahrscheinlich bist du dann dabei aufgewacht.“ und lachte dabei.
An seinem Platz angekommen schloss er seinen Laptop an, gab sein 13-stelliges Passwort mit Sonderzeichen ein, das er regelmäßig vergaß und öffnete die Programme, die er brauchte. Seine Aufgabe bestand darin in einer Software, die schon beinahe 20 Jahre alt war und gepflegt, aber nicht erneuert wurde, nach Fehlern zu fahnden und diese dann zu eliminieren. Er war der Spezialist für eine vergangene Zeit, dachte er sich manchmal. Geld für neue Software wurde nicht zur Verfügung gestellt. Die Vorstände sprachen dann von einem Investitionsstau und nannten einen dreistelligen Millionenbetrag, der notwendig wäre und die Rendite entsprechend verringern würde. Als Teil seiner Morgenroutine galt natürlich auch, dass er seinen privaten Email-Account, sowie Seiten wie Ebay oder Facebook im abgesicherten Modus öffnete, je nachdem mit was er sich gern beschäftigen wollte.
So verging die erste halbe Stunde und sein Kollege Claus grinste ihn etwas blöde hinter seiner Brille hervor schauend an. Wahrscheinlich versuchte er gerade eine Antwort an eine seiner Internetbekanntschaften zu verfassen, die er auf einer Dating-Seite vor ein paar Stunden kennen gelernt hatte. Das erkannte er, als seine Blicke den Bildschirm von Claus streiften.
Er selbst hatte es aufgegeben ernsthaft eine Frau kennenlernen zu wollen. Sie langweilten ihn damit, dass sie versuchten in seine Seele einzudringen oder ihn und sein Leben zu kontrollieren. Liebe war eine Illusion und nur Lust einigermaßen greifbar. Die letzte Frau, die er gefickt hatte, war eine Bulgarin, die weder ausreichend Englisch noch Deutsch sprach und die er als eine Art Abfallprodukt von Claus vermittelt bekommen hatte. Sie hatte eine weiche Haut und roch nach Milch, hatte ihre Augenbrauen abrasiert und sich dafür einen eleganten Schweif tätowieren lassen. Mit ihrem schmalen Mündchen küsste sie ihn leidenschaftlich und erfüllte ihm alle seine sexuellen Bedürfnisse. Es war eine angenehme Abwechslung und danach dachte er sofort daran, wie er ihr vermitteln könnte, dass er nicht der Mann war für eine Heirat oder feste Beziehung sei. Obwohl sie im Grunde eine ideale Frau war – solange sie gar nicht erst anfangen konnte ihm Geschichten zu erzählen. Verstädnis war ein Trugschluss, dachte er sich und Menschen bewarfen sich mit Worthülsen, deren Bedeutung für jeden unterschiedlich war. Botschaften wurden als Klischee übermittelt und wenn überhaupt etwas übermittelt werden konnte, dann zwischen den Worten oder mit Geste oder Geruch oder einem Blick, der nur Sekunden hielt und dann noch gedeutet werden musste.
Ans Werk also: heraus und hinein in seine Welt. Am Nachmittag würde er ein Meeting haben und bis dahin wollte er sein Werk umgesetzt haben, je nachdem wie seine Verdauung einsetzen würde. Zuvor aber galt es sich in seinen Job zu vertiefen, wenigstens ein paar Ergebnisse zu liefern. Meistens bestand das darin, dass er gemeldete EDV-Fehler prüfte, wenn möglich beseitigte und danach seine Ergebnisse als Arbeitsnachweis per Mail verteilte.
„Wer, denkst du, macht die Sauereien im Klo Robert ?“, fragte ihn Claus.
„Woher soll ich denn das wissen ? Wahrscheinlich ein gestörter Spinner“, sagte er.
„Müssen aber mindestens zwei sein, ist ja auch bei den Weibern passiert.“
„Wahrscheinlich hast du dich dort rein geschlichen und konntest es dann nicht mehr halten.“, sagte er lachend.
Claus zögerte einen Moment, musste dann aber auch lachen.
„Warum denkst du, dass jemand auf solch eine Idee kommt.“, murmelte er scheinbar in seine Arbeit vertieft.
„Da will einer Spaß und richtet damit ja nichts an, außer Aufsehen und Gelächter.“, plapperte Claus weiter.
„Kann sein“, sagte er jetzt nur, um das Thema versanden zu lassen.
„Also, wenn es aus Frust und Ärger heraus ist, könnte man ja noch lustigere Dinge machen.“
Was denn zum Beispiel ?“
„Na ja, eine Bombendrohung oder einen der Bosse knebeln und fesseln und über Nacht einsperren.“
„Aber dazu braucht man dann doch etwas mehr Mut.“
„Stimmt schon…. Wie findest du eigentlich Rumäninnen ?“ und Claus ließ das bisherige Thema fallen, schaute gebannt auf den Bildschirm und leckte sich die Lippen.
„Warum Rumäninnen ?“, fragte er.
„Weil ich gerade mit einer Rumänin schreibe“
„Na ja, wie dunkel sind ihre Augen ?“
„Lass mich mal schauen. Schwarz, warum ?“
„Das sieht gut aus“, lachte er.
Bald würde es soweit sein und er dachte noch darüber nach, was Claus gerade gesagt hatte. Wäre es nicht möglich noch mehr Aufmerksamkeit und Unruhe zu schaffen mit einer Aktion, die ein noch stärkeres Zeichen setzte ? Auch könnte er ja ein Foto seines Werks machen und es anonym im Internet einstellen. Ein bisschen wie diese Herausforderungs-Wettbewerbe, wo sich Idioten etwas über den Kopf schütten für einen guten Zweck und dann noch eine Spende dafür abdrücken. Aufmerksamkeit würde es gewiss erregen. Um seine Verdauung anzuregen, wollte er sich einen weiteren Kaffee holen, am besten einen Espresso oben drauf und nachdem er die wichtigsten Emails gelesen hatte und den Rest gelöscht hatte, ging er los und freute sich auf dem Weg noch mit dem einen oder anderen zu plaudern. Robert war bereit. Robert war wach.
Die Zeit bis zum Mittagessen hatte Robert mehr oder weniger arbeitsam verbracht, zumindest war es ihm gelungen, es so aussehen zu lassen. Ein paar Telefonate, einige Emails und das Studium der Programme, Prüfung von Funktionen. Heute war einer der Tage, an denen er es genießen konnte unter Menschen zu sein. Jeder war zwar mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Aber da war doch der Geruch der anderen.

Ein Ziehen, ein leichter Druck zwischen seinen Hinterbacken, ein fester Druck, der nicht befürchten ließ, dass es feucht und flüssig wäre, was da aus ihm heraus kam und dank des Wassers mit Kohlensäure und des konsumierten Kaffees auch genügend Urin, zeigte ihm, dass er jetzt so weit war. Als einziges kleines Problem fiel ihm ein, dass es schon besser wäre, wenn kein anderer sich noch in den Boxen befände, die in den Gemeinschaftstoiletten untergebracht waren: 6 Boxen, 3 an jeder Seite und er beschloss seine Arbeit in der äußersten Box zu erledigen, ganz hinten rechts. Man würde das vielleicht als feige auslegen können, aber es wäre doch sicher. Schließlich wollte er nicht ertappt werden, jetzt, wo er seinen Mut zusammengenommen hatte.
Er stand auf und ging los. Beim Betreten der Toiletten, fand er nur einen einzigen Kollegen, der sich gerade die Hände wusch. Ein massiger, unförmiger Mann, dessen Schenkel gewaltig waren. Er sagte „Hallo“, mehr nicht. Langsam wusch er sich die Hände, während er an ihm vorbei zu den Kabinen ging, blickte sorgfältig auf die Schlösser, die anzeigten, ob sie besetzt waren. Keiner da. Das war gut.
Er nahm die Tür zu letzten Box, verriegelte sie sorgfältig und öffnete seine Hose, darunter waren immer dieselben Boxershorts mit Karos. Nun begann der mehr technische Teil. Schließlich durfte er sich nicht einfach auf die Schüssel setzen und den Dingen ihren Lauf lassen. Er musste sich konzentrieren, sonst ging das Ganze nicht dorthin, wo es hin sollte, sondern in die dafür vorgesehene Öffnung. Er überlegte sich, dass es am einfachsten wäre, er würde sein Hinterteil einfach rechts neben die Wand halten und es dann fließen lassen. Aber nein, das würde so nicht funktionieren, denn gleichzeitig mit dem großen Geschäft würde ja auch der Druck auf die Blase nicht mehr zu halten sein. Also beschloss er andersrum vorzugehen und erst in die Ecke pissen und falls es zu viel ist, den Rest in die Schüssel. Danach würde er die braunen Würste produzieren, die sein Werk vollenden sollten. Der richtige Plan ist alles, sagte er sich. Abgesehen davon, dass ein Teil der Flüssigkeit am Saum seines Hemdes landete, funktionierte sein Plan ganz gut. Es gefiel ihm und er betrachtete mit Zufriedenheit, was er erreicht hatte. Die Lache war nicht allzu groß, aber deutlich sichtbar an der rechten Seite des Toilettenbeckens und darin, nicht ganz in der Mitte, aber doch sichtbar platziert, zwei schöne dunkelbraune Würste, fett und von gesundem, ja selbstbewussten Aussehen. Er überlegte noch, ob er ein Foto machen solle, so sehr gefiel ihm diese Werk und er hatte ja wie im Reflex und aus langer Gewohnheit heraus, auch sein Smartphone in die Tasche gesteckt. Nein, er wollte in Erinnerung behalten, was er angerichtet hatte, also machte er kein Bild. Sein kleiner subversiver Akt, auf den er sich gedanklich so lange vorbereitet hatte, sollte seiner Erinnerung gehören.
Jetzt galt es den Schauplatz unbemerkt zu verlassen, würde das nicht gelingen und einer käme ihm entgegen, hatte er sich zurecht gelegt, dass er dann mit starrem Blick eine Entdeckung, eine ekelhafte Entdeckung bekannt geben wollte, die ihn selbstredend entsetze und die er kaum anschauen oder fassen könne. Als er die Kantine verließ, sah er niemand, nur die äußerste Kabine auf der anderen Seite, gleich neben dem Waschbecken, war verriegelt und er dachte sich noch, merkwürdig, dass er den anderen Toilettenbesucher gar nicht bemerkt hatte. Aber andererseits hatte er ja etwas anderes zu erledigen gehabt. Er war angespannt und doch auch erleichtert, als er heraus kam. Er hatte die Tür noch sorgfältig verschlossen, damit sein Werk nicht ganz so schnell bemerkt wird und sagte sich, dass er es noch im Lauf des Tages hören werde, das Gerücht, die Tatsache, dass es wieder passiert war. Wieder hatte einer die Grenzen überschritten und er fühlte sich als Teil einer Bewegung, die keine Ziele hatte und er freute sich mit den unbekannten Anderen, die mit ihm zusammen solche Aktionen durchführten.
Er ging ans Waschbecken, nahm sich von der Seifenlösung aus dem Spender und benutzte sogar das Desinfektionsmittel, das er normalerweise nie benutzte und musste an die Filmchen im Internet denken, die er sich vor einiger Zeit angeschaut hatte und Leute zeigte, die sich gegenseitig anpinkelten. Es erregte ihn nicht, aber es ekelte ihn auch nicht an. Jetzt aber spürte er eine innere Erregung, eine Erleichterung, die er sonst nicht kannte. Selbst als er die Tür öffnete, um zu seinem Arbeitsplatz zurück zu kommen, sah er niemanden.
In einer halben Stunde würde er mit den Kollegen zum Mittagessen gehen. Er freute sich darauf, nicht allein, weil er Hunger hatte, sondern auch, weil er sich zu ihnen setzen würde und sie anschauen könnte und ihren harmlosen Plaudereien lauschen konnte, die aus Alltagsanekdoten und dem neuesten Klatsch der Büroflure bestand. Wenn er Glück hatte würde sein Werk schon entdeckt worden sein und man würde entrüstet darüber sprechen, Unverständnis und Ekel zeigen und seine eigene moralische Integrität zur Schau stellen. Sollte er schweigen, wenn es zur Sprache kam ? Ein kurzer Kommentar sollte genügen, nur um seine Entrüstung zu zeigen.
Die Zeit bis zum Mittagessen verging schnell. Er verbrachte sie mit der Überprüfung eines Befehlscodes und suchte nach den vorhandenen Plausibilitäten, die er enthielt und konnte doch den Fehler nicht finden, der beim Aufrufen des Vorgangs entstand, aber immerhin konnte er das Problem eingrenzen. Alle Codes, die länger als 5 Jahre unverändert in den Datenbanken zu finden waren, nahmen irgendwann die Tendenz an unbekannte Fehler zu produzieren, die auf den ersten Blick nicht sichtbar waren. So als würde alles danach streben, Veränderung erforderlich zu machen, so als wäre klar, dass nichts für die Ewigkeit war oder sein konnte, als würde sich alles verschleißen.
Er stand auf, sicherte seinen Rechner, ging zum Eingang der Etage, in der er arbeitete und wartete auf die Kollegen, die mit ihm gewöhnlich das Mittagessen in der Kantine einnahmen. Es waren nicht alle da, manche vielleicht noch in Meetings oder sie würden später kommen. Ein paar aber sammelten sich: 7 oder 8 kamen immer zusammen und so gingen sie alle fröhlich plaudernd die Treppe runter, um sich ihr Essen abzuholen. Er war gelöst und entspannt. Sie gehörten normalerweise zu den ersten, die zum Mittagessen kamen. Die Behälter mit Suppe und Salaten waren noch voll und unberührt. Er beschloss sich von allem etwas zu nehmen. Ein Schüsselchen Salat, Schokopudding mit Birnen, eine Cola und ein Reisgericht mit Currysauce und Putenfleisch. Es war nicht der Genuss, der ihn in die Kantine trieb, es war für ihn die Möglichkeit eine subventionierte, günstige und warme Mahlzeit am Tag zu bekommen und für sich selbst nicht kochen zu müssen. Fröhlich lächelnd sicherte er sich einen Fensterplatz an dem Tisch, den sie üblicherweise belegten. Graues und kaltes Wetter als er aus dem Fenster sah. Genüsslich ordnete er seine Tellerchen auf dem Tablett. Ohne Ordnung fühlte er sich unwohl. Schweigend aßen sie zunächst.
„Was für eine mieses Wetter,“ sagte schließlich einer.
Er begann zu lachen und sagte: „Ich mag dieses graue Wetter, so kommt man gar nicht auf den Gedanken etwas anderes zu machen als arbeiten“ und die meisten lachten mit.
„Trotzdem könnte es doch besser sein und die Sonne könnte scheinen,“ sagte ein anderer.
„Ja, aber nicht so sehr,“ sagte er noch und vertiefte sich darin den Reis zusammen mit einem Stückchen Fleisch auf die Gabel zu heben, immer darauf bedacht sich nicht zu bekleckern und den restlichen Tag mit einem befleckten Hemd verbringen zu müssen und von jedem, mit dem er sprach zu hören und den leisen Spott zu ertragen.
„Wisst ihr, was passiert ist ?“ fragte eine der Kolleginnen und senkte die Stimme. Christine war eine kleine Frau mit rötlich gefärbten Haaren, die immer mit Stakkato-Schritten durch die Flure raste, gerne die Arme hinter dem Rücken und normalerweise ein schallendes und entweder lange geübtes oder oft erfolgreich genutztes Lachen zeigte, sodass man immer recht schnell bemerkte, wenn sie in der Nähe war.
„Wieder einer in die Ecke gepinkelt, oder ?“, sagte Claus, der neben ihm saß.
„Oh nein, etwas ganz anderes ist passiert“ und Christines Stimme blieb weiter ruhig und leise und sie fügte noch hinzu: „Aber ihr müsst es für euch behalten, was ich euch gleich sage und ich habe es auch bloß zufällig mitbekommen.“
„Was ist denn ?“, sagte er vorsichtig und seine Laune veränderte sich bei dem Verdacht, dass die Sensation des Tages nicht in seiner Tat bestünde und sein Werk nicht mehr die Beachtung fände, die es verdient hatte.
„Der Sigrist schließt heute früh sein Büro auf, geht sich Kaffee am Automaten holen, kommt zurück und findet eine tote Ratte mitten auf seinem Schreibtisch“, flüstert sie fast.
Alle schauen sie verwundert und Claus fragt: „Woher weißt du das ?“
„Ich bin zufällig vorbeigegangen, als der Hausmeister da war, um das Ganze wegzumachen“, sagte sie.
„Das ist ja entsetzlich. Wer macht so was ?“, sagte Sebastian, ein noch junger Mann mit diesem aufgeweckten Lächeln, der irgendwie nach Harry Potter aussah, ohne Narbe im Gesicht und sein Lächeln verschwand aus dem Gesicht.
„Ja, wer macht so etwas…“, warf auch er ein und dachte darüber nach, warum er selbst nur nachgeahmt hatte, was andere vorgemacht hatten und nicht kreativere Wege gesucht hatte, um Aufsehen zu erregen. Nach der ersten Enttäuschung, dass offenbar jemand mehr gewagt hatte, fasste er sich, ließ die Reste seines Reisgerichts unberührt, trank seine Limonade und löffelte seinen Nachtisch, während die Stimmen der anderen verschwommen um ihn herum schwirrten. Er begab sich in seine eigene Welt und musste nachdenken. Er dachte an etwas ganz anderes: Was könnte man noch machen, um ein Zeichen zu setzen. Etwas einzigartiges, das eine Steigerung enthielt müsste es sein, nichts kriminelles, aber doch eine Steigerung. Er hörte noch, dass die Rothaarige sagte, an der Ratte wäre über den Augen ein Zettel mit einer Aufschrift geklebt worden. Mehr wurde nicht mehr gesprochen und als der letzte aufgehört hatte zu essen, gingen sie schweigend und nachdenklich mit dem Tablett, auf dem ihre verwüsteten Teller standen, zu den Ständern, auf denen sie sie abstellen konnten und raus aus der Kantine, raus aus dem Gebäude an die frische Luft des grauen Tages.
Später erfuhr er, dass auf der toten Ratte ein Zettel mit der Aufschrift : „Zeitenwende !“ gefunden worden war.
 

rothsten

Mitglied
Hallo Isegrims,

zwischen Überschrift und Titel ließe ich Zeilen frei. Stört etwas.

Dein Text, ich muss es leider sagen, rechtfertig den Aufwand nicht, den Du hier betrieben hast. Ich sehe nur eine Collage von mehr oder minder zusammenhängenden Bildern, ohne recht zu wissen, wo die Reise hin soll. Dein Erzähler weiß mehr als ich, hält damit aber hinterm Berg. Das hat zur Folge, dass ich nicht nur nicht mitgenommen werde, sondern mich belehrt fühle.
Der allwissende Erzähler ist eher was für längere Texte, außerdem lenkt er den Fokus weg vom Prot und hin zur Autor. Zumindest dezenter müsste er sein, sonst wirkt er einfach nur wie ein Oberlehrer.

Genussvolles Lesen stelle ich mir jedenfalls anders vor.

Zum Kleingedruckten:

Die weiche Teigmasse [blue]glitt[/blue] von der Wand herab.
Ich ließe den Teig hier eine Spur an die Wand ziehen, dann verwirrt es nicht. Da er keine Spur hinterlässt, müsste er eher herabfallen. Etwas ungenau.

Das war sein Frühstück und er hatte nicht vor die Brioche zu essen, nachdem sie gegen die Wand geworfen worden war.
Müsste der Teig nicht erst zur Brioche gebacken werden? Wieviel Zeit nimmt er sich denn fürs Frühstück? Auch das ist etwas ungenau.

Die übliche Gerüchteküche war zwar gelegentlich unangenehm, weil Lügen und auch Wahrheit sich wie ein Steppenfeuer ausbreiten konnten und oft übertrieben wurde, ...
Die Wahrheit kann nicht übertrieben werden, sie ist der Eichstand. Jede Abweichung hiervon ist eine Über- oder Untertreibung dessen.

Zwischen 20 und 30 Minuten dauerte seine Fahrt im allgemeinen und er war glücklich, dass es nicht mehr war[blue]en. (Plural)[/blue]
Die Maschine mahlte die Bohnen jeweils frisch und man konnte von Cappuccino bis Espresso alle möglichen Kaffeearten [strike]erhielt.[/strike] [blue](erhalten)[/blue] Manchmal traf er dort einen oder eine der Bosse.
Gender hin oder her, ist es hier wichtig, politisch korrekt zu schreiben? Ich ließe das.

Usw, ich breche hier mal ab.

Hoffe, Du kannst damit was anfangen.

lg
 



 
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