Zirkus

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Walther

Mitglied
Zirkus


„Es dreht sich alles um sich selbst: Warum
Auch nicht. Wenn alles steht und nichts sich dreht,
Wenn alles fest ist, nichts mehr weitergeht:
Dann bin ich lieber Kreisel und fall um,

Werd ich vor Drehwurm wackelig und dumm.
Nur wer sich immer peitscht, der ewig steht;
Und nur wer immer wartet, winselt, fleht,
Der wird gepeitscht, gebeugt und endlich krumm.

Es dreht sich mit der Zeit die ganze Welt,
Der Mond, der kreiselt einsam durch die Nacht.
Der Mensch verdreht sich furchtbar gern für Geld.

So wie das Fischlein durch die Wasser schnellt,
Ist rasch ein Reim auf alle Welt gemacht,“
Sagt leis der Peitschenknallerclown. Und lacht.

2. Version der vierten Strophe:

So wie mein Peitschlein durch die Lüfte schnellt,
Ist rasch ein Reim auf alle Welt gemacht,“
Sagt leis der Peitschenknallerclown. Und lacht.
 

ENachtigall

Mitglied
Lieber Walther,

Kreisel und Peitsche: da fallen mir die Kreisel aus der Dachkammer meiner Oma ein, die wir mit einer Schnur am Stock über die Straße gepeitscht haben als Kinder. Das war noch Spielzeug meiner Mutter. Es brauchte sehr viel Übung, bis wir den Dreh raus hatten, die Dinger in Gang zu kriegen.
Weil diese Assoziation so ein schönes Bindeglied zwischen Kreisel und Peitsche ist, erwähne ich das.

Übrigens hat auch der Peitschenknall unmittelbar etwas mit Zeit zu tun, weil die Schlaufe immer schneller auf die Quaste am Ende der Schnur zuläuft, die dann umschlägt. Dabei fächert sich die Quaste auf und verdrängt ultraschnell relativ große Luftmengen, die sich dann durch die hohe Geschwindigkeit zum Überschallknall verdichten.

Mensch, Walther, unglaublich, was sich so alles verdichtet ...

Der Mensch verdreht sich liebend gern für Geld.
Hier muss ich allerdings wiedersprechen: diese Verdrehungen nimmt der Mensch für Geld in Kauf. Lieben tut er sie wohl kaum. Als ironische Wendung kommt es mir zu willkürlich daher.

Ob das Zirkus ist, weiß ich noch nicht so genau, aber gefallen haben mir hier Drehmoment und Angelpunkt.

Schön, die Auflösung am Ende, wo erst bewußt wird, wer da spricht.



Grüße von Elke
 

Walther

Mitglied
Hallo ENachtigall,
das Bild des Clowns schoß mir durch den Kopf. Daraus entstand dann dieses kreiselnde Wortgebilde, in einem Sonett verpackt.
Was hältst Du davon, das Wort "liebend" durch das semantisch interessantere "furchtbar" zu ersetzen?
Dabei könnte ich auch gleich das Wandern des Monds in ein Kreiseln verwandeln.
Danke für Deine Textanalyse. Und Deine Tipps.
Lieber Gruß W.
 

Günter

Mitglied
Hallo Walther,

dieses Gedicht halte ich für einen großen Wurf. An der Form gibt's sowieso nichts zu meckern und auch die Aussage beeindruckt mich. Vor allem weil es sich einer endgültigen Aussage enthält und statt dessen - als Pointe - diejenigen auslacht, die sich allzu schnell einen Reim auf alles machen. So habe ich es zumindest verstanden; ich hoffe, ich liege nicht allzu weit daneben. Bei drei Detail möchte ich etwas anmerken:

Das Bild mit dem Fischlein fügt sich nicht in das Gesamtmotiv Zirkus ein und ergibt sich auch nicht zwingend aus dem Kontext. Als Alternative schlage ich etwas in dem Sinne vor, dass es den Zuschauern so gefällt ...

In der ersten Strophe erscheint mir folgende Formulierung glatter: "Wenn alles steht und nichts sich dreht / dann alles fest ist, nichts mehr weitergeht: / Da bin ich lieber Kreisel ..."

In der siebten Zeile würde ich "wer" und "nur" vertauschen.

Bei den beiden letzteren Vorschlägen räume ich aber ein, dass dadurch die entsprechenden Passagen zu sehr "Aussage" werden könnten, was der von mir vermuteten Absicht zuwider laufen würde.

Schönen Gruß
Günter
 

Walther

Mitglied
Hallo Günter,

herzlichen Dank für Deinen Eintrag. In der Tat habe ich mich mit der Form ganz schön rumgeschlagen. Es ist durchaus meist schwerer, als man glaubt, einen leichtgängigen Text in einer streng strukturierten Form umzusetzen. Und um solche gelegentlich wenigstens formal einigermaßen ordentliche Sonette hinzukriegen, bedurfte jahrelanger Übung und vieler sehr engagierter Kritik vieler Mitdichter/inn/en in diesem und anderen Foren. Ohne die Rückkopplung bleibt auch der talentierteste (zu denen ich mich eher weniger zähle) Autor irgendwann einmal in der Entwicklung stecken.

So gesehen ist jede Kritik, auch die härteste und unverschämteste, weil persönliche, immer noch besser als gar keine. Denn auch der persönliche Angriff und der schmerzlichste Verriß haben am Ende einen Haken im geposteten Werk selbst wenigstens als Mitursache.

Die ehrenvolle Bemerkung, das Gedicht sei "ein großer Wurf", nehme ich zwar gerne entgegen. Natürlich freut das. Aber ich sage zugleich, daß ich eher dazu tendiere, meine Grenzen als solche anzunehmen. Meine Werke bleiben im ordentlichen Handwerksbereich, zur richtigen Kunst ist noch weiter weiter Weg.

Und wenn ich mich selbst richtig positioniere, so bin ich engagiert und bemüht darum, nicht stehen zu bleiben. Aber zur echten Dichtung werde ich den Zugang wohl eher nicht mehr finden. Das ist ja auch kein Schade (und auch keine Schande); nicht jeder kann ein Großer sein oder werden. Man darf nur nie nachlassen, besser werden zu wollen. Darum geht es in Foren wie diesem hier. Und das ist auch das Schicksal von den meisten von uns: Das Wollen ist (und bleibt) größer als das Können. :D Damit muß man, trotz allen notwendigen Selbstbewußtseins, in einer gewissen selbstironischen Bescheidenheit leben lernen.

Zu Deinen Vorschlägen: Das Umstellen der Wörter „nur“ und „wer“ würde in der Tat den Sinn verändern und zugleich die Wiederholung zum anderen Vers in der Strophe aufheben, die bewusst gewählt ist. Die Metapher mit dem Fischlein könnte in der Tat ersetzt werden. Der Vers könnte lauten:

So wie mein Peitschlein durch die Lüfte schnellt,

Ich werde das als 2. Version drunter einstellen, bin aber unentschieden. Das neue Bild würde wohl besser passen.

Den Vorschlag zur Änderung der ersten Strophe würde ich aus den o.g. Gründen ebenso lieber nicht übernehmen. Auch hier ist die Dopplung des „wenn“ beabsichtigt und verstärkt die Zielrichtung der Aussage.

Vielen Dank für Deine Vorschläge, die aus einer intensiven Beschäftigung mit meinem kleinen Sonettversuch entstammen. Das ehrt den Beitrag, wobei ich kleine Zweifel habe, ob er diese intensive Auseinandersetzung wirklich verdient hat. :)

In diesem Sinne meine besten Grüße

W.
 



 
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