Zu Besuch bei der Oma

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Chris

Mitglied
Er hat sie schon lange nicht mehr besucht, seine Oma.
"Eigentlich zu lange" denkt er, als er die letzten Stufen zu ihrer Wohnung im zweiten Stock hinaufsteigt.
Dann schließt er mit dem Schlüssel, den sie ihm schon vor Jahren gegeben hat die Tür auf und stolpert in ihre Wohnung.
Sein Ruf "Hallo Oma" bleibt ungehört, überhaupt ist es totenstill in der Wohnung, nur der alte Regulator tickt ruhig und laut hörbar.
"Ob sie überhaupt da ist" überlegt er und geht zunächst einmal in die Küche.
So wie immer.
Sein erster Blick fällt auf das Leintuch, das schon seit er denken kann am Esstisch an der Wand hängt und auf dem neben zwei Rosen der Spruch "Alle Morgen ohne Sorgen" aufgestickt ist.
Eine Arbeit aus ihrer Schulzeit erklärt sie oft und winkt dabei mit der linken Hand ab.
Geschirr ist nicht zu erkennen, es ist bestimmt ordentlich wie immer in ihrer Anrichte verräumt.
Nur eine benutzte Tasse und ein kleiner Teller stehen auf dem Esstisch, daneben liegt die Zeitung; „Sie hat wohl vorhin Kaffee getrunken und ein Stück Kuchen gegessen“, denkt er.
Jetzt geht er die wenigen Schritte in ihr Wohnzimmer, vorbei an der alten Nähmaschine mit dem Gusseisernem Tisch, an der sie oft etwas näht.
Wann immer ein Rock zu eng oder zu weit, eine Hose zu lang oder aber Vorhänge zu nähen sind, seine Oma erledigt das prompt und in Windeseile.
Früher, als Opa noch lebte hat sie ihm auf dieser Maschine auch seine Hemdkrägen genäht.
Davon erzählt sie oft.
„Wir sollten ihr bald einmal eine moderne Nähmaschine besorgen“ nimmt er sich fest vor.
Als er das Wohnzimmer betritt, sieht er endlich seine Oma: Sie sitzt auf einem Stuhl im Wohnzimmer (Ihrem Arbeitsstuhl, wie sie immer sagt) und strickt.
"Einen dicken Schal" sagt sie.
"Jetzt, im Sommer?" fragt er erstaunt.
"Das wird ein strenger Winter, so was hab ich im Gefühl" sagt sie und wendet sich wieder ihrer Arbeit zu.
In ihrem gedrechselten Wohnzimmerschrank steht neben ein paar alten Büchern auf einem Brokat-Deckchen ein schwarzes Telefon aus den Fünfziger Jahren, eines mit einer Drehscheibe und einem schweren Telefonhörer.
"Was, hast du das alte Ding immer noch?" fragt er entsetzt, doch sie antwortet nur leise: "Das erinnert mich doch so an früher".
Er versteht sie einfach nicht, wie so oft; haben er und seine Geschwister ihr doch erst kürzlich ein modernes Telefon mit großen Tasten geschenkt, damit sie sich leichter tut.
Er lässt sich auf ihr Sofa fallen, nein er versinkt richtig darin und sieht ihr interessiert bei der Arbeit zu.
Nie hatte er jemals ein so gemütliches Sofa erlebt wie das bei seiner Oma.
Er dreht den Kopf und lässt seinen Blick noch einmal schweifen: Alles steht an seinem Platz, wie schon seit Jahren.
Das alte Telefon auf dem kleinen Deckchen, daneben das alte Radio.
Dieses Radio war schon immer ihr ganzer Stolz.
Es ist groß und unhandlich, in einem dunklen Holzgehäuse untergebracht und trägt den Namen „Rheinperle“ von „Löwe-Opta“.
Oft beobachtet er sie lächelnd dabei, wie sie mit dem Drehknopf langsam einen Sender sucht und dabei das grüne Pfauenauge genau im Blick behält um den Sender auch wirklich scharf einzustellen.
Einen Fernseher besitzt seine Oma allerdings nicht.
“Immer noch nicht!“ denkt er und schüttelt den Kopf.
Das ist ihr zu modern und kompliziert sagt sie immer und alle seine Versuche, ihr zu erklären wie einfach so ein Fernseher zu bedienen ist waren immer ohne Erfolg.
Seit Jahren schon.
„Naja“ denkt er, „wenn sie lieber Radio hört, was soll`s“.
Lächelnd wendet er sich wieder seiner Oma zu.
Wie er sie so sitzen sieht mit ihren schneeweißen, langen Haaren und dem Zopf denkt er: „Meine Oma war in ihrer Jugend bestimmt sehr hübsch“ und schließt für einen kurzen Moment zufrieden die Augen.
Als er die Augen wieder aufschlägt findet er sich zuhause auf seiner Couch wieder. Verwirrt sieht er sich um und entdeckt die alte Nähmaschine in der Ecke und ihr Radio im Regal stehen. „Schade,“ denkt er und weiß, dass er alles nur geträumt hat. Seine Oma war schon vor über einem Jahr verstorben.
Er hatte sie so sehr geliebt.
*** ***
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo chris,

deine geschichte gefällt mir. sie ist anrührend und schlicht, gut erzählt. n paar tippfehler wären zu beseitigen und n paar komma - ach, was solls, schreib weiter so schöne sachen! ganz lieb grüßt
 

Calistra

Mitglied
Wunderschön....

... ist Deine Geschichte. Das alles hat mich sehr an meine eigene Oma erinnert und genau so muss es sein: JEDER Leser wird sich mit dieser Geschichte identifizieren können!

Den Schluß allerdings hätte man noch etwas herauszögern können, ich finde, die Erkenntnis, dass Großmama tot ist, kommt dem Leser zu plötzlich.

Alles Liebe,

Calistra
 
G

Guest

Gast
Hallo Chris,

ein Thema, dass die meisten Menschen bewegt. Oft werden Großeltern nach ihrem Tod gar nicht mehr erwähnt. Ein Grund mehr, sie in Geschichten zu verewigen!

Gruß,
GUIDO
 



 
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