Zu Tode gelangweilt

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen

HansSchnier

Mitglied
Wer bald stirbt, denkt schnell. Meine Gedanken sind abgehackt. Ich weiß nie, ob ich sie beenden werde. Ich rede wenig. Schreibe schon gar nicht.
Seit Jahren lese ich keine Romane mehr, manchmal Gedichte. Nur kurze.
Im Supermarkt sind Großpackungen tabu. Brot kaufe ich beim Bäcker scheibchenweise. Ich gehe morgens und abends. Dazu habe ich Zeit, auch wenn sie ausläuft.
Dem Tod ist nicht auszuweichen. Er lauert hinter jeder Ecke. Noch habe ich die Ecke nicht gefunden. Ich suche sie nicht. Ich will ihr ausweichen. Aber dazu muss ich sie erst finden. Ausweichen ohne Ziel geht nicht. Dem Tod ist nicht auszuweichen. Aber versuchen kann man es. Nur ohne Erfolg.
Ich bin alt. Schon seit einer Ewigkeit. Ich bin längst dran. Mit jeder Stunde steigt die Wahrscheinlichkeit. Schon seit Jahren. Man gewöhnt sich dran.
Ich gehe besser keine Risiken ein. Ich bin gefährdet genug. Ich verhalte mich möglichst unauffällig. Man muss es ja nicht drauf anlegen.
Meine Vorfahren hatten Krebs. Bald bin ich dran. Erbgut. Erbschlecht.
Meine Wohnung liegt in einer Gegend mit hoher Kriminalitätsrate. Der Staat zahlt. Es ist eine Frage der Zeit, bis ich erschossen werde. Aber sicherer als Arbeiten.
Die meisten Unfälle passieren im Haushalt. 2 626 Tote letztes Jahr. Ich putze nicht. Die Fenster schon gar nicht. Ich liege im Bett. Und habe Angst. Das ist sicherer. MAn stirbt im Bett. Das hat Tradition.
1 000 Deutsche stürzten letztes Jahr auf der Treppe. Sie sind traditionslos tot. Aber Parterre wird ständig eingebrochen. Ich wohne im sechsten. Fahre Aufzug. Wenn er funktioniert. Wenn nicht, bleibe ich zuhause. Brot kann ich dann nicht kaufen. Aber wer verhungert bei uns schon?
Sterben ist wie ein Zahnarztbesuch. Man wartet ewig, will aber nicht drankommen. Ich gehe nicht zum Zahnarzt. Zu symbolbeladen.
Bloß keine Frauen. Lieber Handarbeit. Frauen morden aus Eifersucht. Hände werden nicht eifersüchtig. Hoffe ich.
Während ich warte, vergeht die Zeit langsam. Deshalb warte ich.
Während ich mich fürchte, fliegt sie dahin. Ich fürchte mich. Ein Nullsummenspiel.
Ich kann nicht gewinnen. Aber jeden Moment sterb...
 
Zwar bei Weitem noch nicht rund, dieser Text, aber auch in der abgehackten Kürze und seinen Inkonsistenzen liegt ein amüsanter Reiz.

PS: Zu "Frauen, Handarbeit und morden": Wer/was denn sonst als Hände morden?
Und die weitaus meisten Leute sterben übrigens im Bett, woraus zu schließen ist, dass gerade das völlig harmlos erscheinende Bett ...

Danke für den Text, hab mich amüsiert beim Mehrfachlesen.
 
S

Stoffel

Gast
Hallo,

ja, die Idee ist gut und es beinhaltet viel schmunzeliges. Vielleicht gibt es solche Menschen. Annähernd sicher.
Finde s teils auch noch nicht ganz rund, tu mich aber heute schwer was vorzulegen.

Am Anfang..
"Wer bald stirbt, denkt schneller" vielleicht?
Das Ende, wenn ich den Anfang nehme...
"Meine Gedanken sind abgehackt"
Und am Ende ist der Gedanke abgehackt.
Ist es dann am Ende das wirkliche Ende(Tod)? Oder ist das einfach nur ein.."usw."..."usw.".?

lG
Sanne
 

HansSchnier

Mitglied
Hallo Waldemar, Hallo Stoffel,


danke für Eure Beiträge.

Waldemar, deine berechtigten Kritikpunkte habe ich bereits umgesetzt. Mit Blick auf die Hände war meine Formulierung ungenau. Und die meisten Menschen sterben wohl tatsächlich im Bett, wobei aber die Tätigkeit des Im-Bett-Liegens nicht Todesursache ist. Vielmehr werden Moribunde mit Vorliebe ins Bett gelegt, um sie dort sterben zu lassen.

Euer beider Ansicht, dass die Geschichte noch nicht ganz rund ist, stimme ich bedingt zu.
Das Fragmentarische und Hingerotzte ist zwar absichtlich gewähltes Stilmittel, aber wenn jemand einen Vorschlag hat, wie die Geschichte abgerundet werden kann, bin ich für jeden Hinweis dankbar.

Grüße

HansSchnier
 
@ HansSchnier

[Das Fragmentarische und Hingerotzte ist zwar absichtlich gewähltes Stilmittel ...]

Ist mir völlig klar, deshalb lass es stehen. Ich würde an dem Text nicht allzu viel verändern, sonst wird er ZU rund, und dann klaffen Inhalt und Formulierungen auseinander.
 
S

Stoffel

Gast
"Rotztage"

Moin,

ich sehe auch eher Stilmittel, als "hin gerotzt". Da ich selbst auch in der Form schon einiges schrieb, weiß ich genau das ich zum Zeitpunkt des Schreibens keinen Schnupfen hatte.*hihi*

Schönen Tag allen
lg
Sanne
 



 
Oben Unten